18.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121648
Bundesgerichtshof: Urteil vom 14.03.2012 – VIII ZR 93/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2011 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger sowie die Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 20, vom 18. Februar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, verlangt von dem Beklagten, einem ehemaligen (Norm-)Sondervertragskunden, den sie leitungsgebunden mit Erdgas versorgt hat, die Zahlung restlichen Entgelts für Gaslieferungen im Zeitraum vom 20. Januar 2004 bis zum 1. Februar 2008.
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Der Beklagte hatte mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin einen als Sondervertrag überschriebenen Erdgasliefervertrag abgeschlossen. Vertragsbeginn war der 1. Januar 1998. Als Bruttoarbeitspreis waren in der Stufe II (Jahresabnahme zwischen 11.001 kWh bis 60.000 kWh) 4,8645 Pfennig (etwa 2,49 Cent) pro Kilowattstunde vereinbart.
3
Ziffer 4 des Vertrages lautet:
"[Das Energieversorgungsunternehmen] ist berechtigt, [seine] Preise der Preisentwicklung auf dem Wärmemarkt anzupassen."
4
Ziffer 5 Satz 1 des Vertrages lautet:
"Im übrigen erfolgt die Gaslieferung nach der "Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden" (AVBGasV) vom 21. Juni 1979 (BGBl. S. 676) in der jeweils gültigen Fassung. Bei Widersprüchen haben die Bestimmungen dieses Vertrages vor denen der AVBGasV den Vorrang."
5
Die Klägerin erhöhte mehrfach den Arbeitspreis. Der Beklagte widersprach zunächst nicht, erbrachte die geforderten Abschlagszahlungen und wandte sich auch nicht gegen die Jahresabrechnungen. Mit Schreiben vom 12. Juli 2005 widersprach der Beklagte erstmalig unter anderem wie folgt und behielt - wie auch bei den anschließend erfolgten Erdgaslieferungen - erhebliche Rechnungsbeträge ein:
"[...] Ihrem Schreiben entnehme ich eine weitere Preisanpassung zum 1.8.2005. Diese Erhöhung halte ich angesichts der Entwicklung des Gaseinkaufspreises für unbillig. Da Sie mit keinem Ihrer Schreiben den Nachweis der Billigkeit erbracht haben, ist der von Ihnen geltend gemachte Anspruch nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB nicht fällig. [...] Ihre Preiserhöhung halte ich sowohl hinsichtlich der Erhöhung zum April 2005 als auch zum August 2005 nach billigem Ermessen nicht für angemessen. [...] Schon jetzt weise ich eine eventuell von Ihrer Seite vorgenommene Verrechnung meiner Zahlungen auf der Basis der von Ihnen geforderten Erhöhungssätze zurück und fordere Sie auf, meine Zahlungen nur auf der Basis des billigen Erhöhungsbeitrages von 1,54 ct/kWh zu verrechnen. Ich behalte mir vor, auch die Billigkeit dieses Betrages gegebenenfalls gerichtlich prüfen zu lassen und Überzahlungen zur ückzufordern. [...] "
6
Die Klägerin, die die Belieferung bis zum 1. Februar 2008 fortsetzte und den Arbeitspreis dabei noch mehrfach erhöhte, hat behauptet, sie habe dem Beklagten, und zwar zusammen mit einem Exemplar der GasGVV, durch Schreiben vom 10. April 2007 Folgendes mitgeteilt:
"Bisher war die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV) mit ihren Ergänzenden Bestimmungen Bestandteil des Vertrages. Diese wird hiermit durch die GasGVV und die zugehörigen Ergänzenden Bedingungen der [Klägerin] ersetzt.
[...] Änderungen der Preise oder unserer Ergänzenden Bedingungen erfolgen künftig nach § 5 Abs. 2 GasGVV. Dies bedeutet für Sie, dass z. B. eine Preisanpassung Ihnen gegenüber nicht wirksam wird, sollten Sie Ihren Vertrag fristgemäß kündigen und innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung einen Vertragsschluss mit einem anderen Anbieter nachweisen können.
Änderungen wie z.B. Preiserhöhungen gelten nur dann, wenn wir sie mindestens 6 Wochen vor Inkrafttreten öffentlich und auf unserer Internetseite bekannt geben. Zusätzlich werden Sie von uns per Brief persönlich informiert."
7
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Zahlung von 3.953,75 € nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 2.289,43 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen; die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Klägerin stehe für den streitgegenständlichen Zeitraum kein weiterer Zahlungsanspruch für das gelieferte Gas aus § 433 Abs. 2 BGB zu. Denn die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen seien nicht wirksam gewesen.
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Die von der Klägerin verwendete Preisanpassungsklausel in Ziffer 4 des Vertrages sei gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da die Klausel hinsichtlich des Umfangs der Preisänderung nicht klar und verständlich sei und die Kunden deswegen unangemessen benachteilige. Ein einseitiges Preisanpassungsrecht der Klägerin ergebe sich auch nicht aus einem Rückgriff auf die AVBGasV beziehungsweise die GasGVV. Denn § 4 AVBGasV gelte nicht subsidiär, wenn ein Vertrag eine eigenständige Vereinbarung zur Preisanpassung enthalte, die sich als abschließende Regelung darstelle. Ziffer 4 des Vertrages stelle eine solche abschließende Vereinbarung über die Preisanpassung dar. Da es sich um einen Sonderkundenvertrag handle, sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Rückgriff auf § 4 AVBGasV auch nicht auf der Grundlage des § 306 Abs. 2 BGB möglich.
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Die Parteien hätten den Vertrag auch nicht dahingehend geändert, dass sich ein Preisanpassungsrecht der Klägerin seit dem 1. Juni 2007 aus § 5 GasGVV ergebe. Denn das Schreiben der Klägerin vom 10. April 2007 stelle schon kein Angebot auf Ersetzung der Preisänderungsklausel in Ziffer 4 des Vertrages durch die Regelungen der GasGVV dar. Ebenso wenig habe der Beklagte die Preiserhöhungen durch den bloßen Weiterbezug von Gas anerkannt.
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Ein Recht der Klägerin zur einseitigen Preisänderung ergebe sich auch nicht durch ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB. Eine solche komme nur in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen lasse und dies zu einem Ergebnis führe, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebe. Dies sei hier nicht der Fall. Der Klägerin stehe gemäß § 32 Abs. 1 AVBGasV, § 20 Abs. 1 Satz 1 GasGVV das Recht zu, sich mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Ablauf der Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr und sodann mit einer Frist von einem Monat auf das Ende des Kalendermonats vom Vertrag zu lösen. Bleibe sie bis zu diesem Zeitpunkt an den vertraglich vereinbarten Preis gebunden, führe dies nicht ohne weiteres zu einem unzumutbaren Ergebnis. Für die Klägerin habe zudem hinreichender Anlass bestanden, eine Kündigung des Vertrages in Erwägung zu ziehen. Dies gelte auch dann, wenn in dem Widerspruchsschreiben des Kunden neben der Reklamation der Preiserhöhung ausgeführt werde, welche Preiserhöhung der Kunde aufgrund eigener Erkundigungen für angemessen hielte und mit welcher er einverstanden wäre. Insoweit mache sich die Kammer die Ausführungen des Landgerichts Lübeck in einem Beschluss vom 1. Dezember 2010 (1 S 28/10) zu eigen: Wenn der Kunde aufgrund der vom Energieversorger verwendeten Klausel rechtsirrig davon ausgehe, diese sei wirksam, so dass er eine angemessene Preiserhöhung akzeptieren müsse, könne eine dahingehende Äußerung gegenüber dem Versorger nicht zu einem schutzwürdigen Vertrauen des Letzteren führen.
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Eine unzumutbare Belastung der Klägerin ergebe sich auch nicht daraus, dass sie befürchte, den Rückforderungen zahlreicher anderer Kunden ausgesetzt zu sein. Eine derartige - dem Zivilrecht grundsätzlich fremde - Gesamtbetrachtung liefe letztlich darauf hinaus, den Verwender gerade und nur deshalb zu privilegieren, weil er eine rechtlich unhaltbare Klausel in einer Vielzahl von Vertragsverhältnissen verwende. Aus den in § 18 NDVGas enthaltenen Haftungshöchstgrenzen ergebe sich nichts anderes. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung scheide deshalb aus, weil keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, welche Regelung die Parteien bei Kenntnis der Unwirksamkeit der beanstandeten Klausel vereinbart hätten.
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Der Klägerin stehe danach kein Anspruch auf Zahlung in der vom Amtsgericht erkannten Höhe zu. Denn zwischen den Parteien gelte der im Jahr 1998 vereinbarte Preis als Festpreis. Der Beklagte habe bei einem Verbrauch von insgesamt 176.555,76 kWh im streitgegenständlichen Zeitraum einen Betrag von 5.622 € bezahlt, was - abzüglich der geschuldeten Grundpreise - einem Gaspreis von gerundet 2,8 Cent je Kilowattstunde entspreche und damit oberhalb des im Jahr 1998 vereinbarten Preises liege, so dass die Klägerin keine weitere Zahlung verlangen könne.
II.
16
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Zu Recht geht das Berufungsgericht zwar von der Unwirksamkeit der von der Klägerin verwendeten Preisanpassungsklausel aus. Das Berufungsgericht hat aber der Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin rechtsfehlerhaft den im Jahre 1998 vereinbarten Ausgangspreis von 4,8645 Pfennig je Kilowattstunde zugrunde gelegt.
17
1. Das Berufungsgericht ist im Anschluss an die Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 2009 - VIII ZR 320/07, NJW 2010, 993 Rn. 25 mwN) zutreffend vom Vorliegen eines (Norm-)Sonderkundenvertrages und von der Unwirksamkeit des in diesem Vertrag vorgesehenen Preisänderungsrechts der Klägerin ausgegangen. Gegen diese rechtliche Bewertung wendet sich die Revision nicht.
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Die Revision macht jedoch geltend, dass die Unwirksamkeit der von der Klägerin verwendeten Preisanpassungsklausel zu einer Anwendung von § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV führen müsse. Dem kann nicht gefolgt werden (vgl. dazu Senatsurteile vom 28. Oktober 2009 - VIII ZR 320/07, aaO Rn. 36 ff.; vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 81/08, NJW-RR 2010, 1202 Rn. 23 ff.).
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a) Die in Ziffer 5 Satz 1 des Vertrages enthaltene Verweisung auf die AVBGasV in der jeweils gültigen Fassung führt nicht zu einer Anwendbarkeit des im Verhältnis zu Tarifkunden gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV bestehenden Preisänderungsrechts des Gasversorgungsunternehmens. Denn der Vertrag enthält in Ziffer 4 eine eigenständige Vereinbarung zur Preisanpassung, die sich als abschließende Regelung darstellt. Eine ergänzende oder (für den Fall der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel) hilfsweise Anwendbarkeit von § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV lässt sich der ausgesprochenen Verweisung nicht, zumindest nicht mit der erforderlichen Klarheit, entnehmen (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 81/08, aaO Rn. 24).
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b) Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen - hier die formularmäßige Preisänderungsklausel - nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt der Vertrag grundsätzlich nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen wirksam und richtet sich sein Inhalt gemäß § 306 Abs. 2 BGB nach den gesetzlichen Vorschriften. § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV zählt schon deshalb nicht zu den an die Stelle der unwirksamen Preisanpassungsklausel tretenden gesetzlichen Vorschriften, weil es sich bei dem Beklagten um einen (Norm-)Sondervertragskunden und nicht um einen Tarifkunden im Sinne von § 1 Abs. 2 AVBGasV handelt. Auch eine entsprechende Anwendung von § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV auf den zwischen den Parteien bestehenden (Norm-)Sonderkundenvertrag kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsurteile vom 28. Oktober 2009 - VIII ZR 320/07, aaO Rn. 41 f.; vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 81/08, aaO Rn. 25).
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2. Zutreffend und von der Revision unbeanstandet ist das Berufungsgericht ferner davon ausgegangen, dass der Vertrag durch das Schreiben der Klägerin vom 10. April 2007 nicht dahingehend abgeändert worden ist, dass sich ein Preisanpassungsrecht der Klägerin aus § 5 GasGVV ergibt. Dieses Schreiben stellt nach dem objektiven Verständnis des Erklärungsgegners schon kein Angebot auf Ersetzung der Preisänderungsklausel in Ziffer 4 des Vertrages durch die Regelungen der GasGVV dar. Aus dem Schreiben wird nur deutlich, dass die bis dahin Ziffer 5 Satz 1 des Vertrages ergänzend anwendbaren Bestimmungen der AVBGasV nunmehr durch die Regelungen der GasGVV ersetzt werden sollten. Dass darüber hinaus auch die Regelung in Ziffer 4 des Vertrages ersetzt und damit bedeutungslos werden sollte, lässt sich dem Schreiben jedoch nicht, zumindest nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen.
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3. Das Berufungsgericht hat - von der Revision unbeanstandet - ebenfalls zu Recht angenommen, dass weder in der Zahlung der Abrechnungsbeträge noch in dem Weiterbezug von Gas eine konkludente Zustimmung des Beklagten zur Erhöhung der Gaspreise gesehen werden kann.
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Eine Vertragsänderung bedarf entsprechender übereinstimmender Willenserklärungen der vertragschließenden Parteien. Hier fehlt es schon an einem entsprechenden Vertragsangebot der Klägerin. Aus der maßgeblichen Sicht des Kunden lässt sich der Übersendung einer Jahresabrechnung, die einseitig erhöhte Preise ausweist, nicht der Wille des Versorgungsunternehmens entnehmen, eine Änderung des Versorgungsvertrages hinsichtlich des vereinbarten Preises herbeizuführen (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rn. 57 mwN).
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4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, nur zur Zahlung des ursprünglich vereinbarten Anfangspreises verpflichtet zu sein.
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Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der vereinbarte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und bei späteren Änderungen der Preise auf dem Wärmemarkt ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Da die von ihnen vereinbarte Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) nicht standhält, ist im Regelungsplan der Parteien eine Lücke eingetreten (Senatsurteil vom heutigen Tage - VIII ZR 113/11 unter II 3 mwN, zur Veröffentlichung bestimmt).
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Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Beklagte die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.
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a) Zwar hat der Senat in Fällen, in denen auf Feststellung der Unwirksamkeit bestimmter Preiserhöhungen gerichtete Klagen von (Norm-)Sondervertragskunden Erfolg hatten, die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung mit dem Ziel der Ersetzung einer unwirksamen Preisanpassungsklausel durch eine wirksame Klausel als nicht erfüllt angesehen (vgl. Senatsurteile vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, NJW 2011, 1342 Rn. 38 f.; vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 81/08, aaO Rn. 27 f.; jeweils mwN). Diese Fälle waren aber dadurch gekennzeichnet, dass das Energieversorgungsunternehmen es selbst in der Hand hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszahlung des Kunden zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen.
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Offen gelassen hat der Senat die -im Streitfall entscheidungserhebliche -Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann anzunehmen ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das ist - wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 unter II 3 b - e) näher ausgeführt hat - zu bejahen. In diesen Fällen vermag die vertraglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende Kündigungsmöglichkeit des Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag nicht in einer für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen. Denn bevor der Kunde Widerspruch erhoben oder nur noch unter Vorbehalt gezahlt hatte, hatte das Energieversorgungsunternehmen keinen Anlass, das bis dahin praktizierte Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen und dementsprechend das Versorgungsverhältnis zu kündigen. Das trifft auch hier zu.
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Etwas anderes ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass nicht der Kunde die Rückforderung eines nach seiner Ansicht überhöhten Gaspreises begehrt, sondern der Versorger seinerseits gegenüber dem Kunden den Kaufpreis für das entnommene Gas beansprucht. Denn dass der Versorger und nicht der Kunde als Kläger auftritt, ändert an der maßgeblichen Interessenlage der Parteien nichts.
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b) Unter Berücksichtigung dieser im Senatsurteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 aaO) näher dargestellten Interessenlage hätten sich die Parteien nach Ansicht des Senats zu einer Regelung des Inhalts bereitgefunden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.
31
5. In Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für den Streitfall Folgendes:
32
a) Der Beklagte wendet sich gegen die Berechnung des Zahlungsanspruchs der Klägerin, indem er sich allgemein auf die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel und damit auf eine Fortgeltung des im Jahre 1998 vereinbarten Ausgangspreises von 4,8645 Pfennig pro Kilowattstunde beruft. Der Beklagte hat den von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen aber erstmals mit Schreiben vom 12. Juli 2005 widersprochen und erst danach erhebliche Rechnungsbeträge nicht bezahlt. Während einer vorausgegangenen Vertragslaufzeit von über sieben Jahren hat der Beklagte die Preiserhöhungen und Jahresabrechnungen dagegen ohne Beanstandungen hingenommen, so dass für den Energieversorger zuvor keine Veranlassung bestanden hat, eine Beendigung des (Norm-)Sondervertragskundenverhältnisses in Erwägung zu ziehen. Die Klägerin kann mithin nicht an dem bei Vertragsschluss vereinbarten Preis festgehalten werden.
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b) Welchen Arbeitspreis die Klägerin ihrem Zahlungsanspruch zugrunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Beklagten die einzelnen Jahresabrechnungen der Klägerin zugegangen sind und gegen welche der darin enthaltenen Preiserhöhungen der Widerspruch des Beklagten vom 12. Juli 2005 somit noch rechtzeitig innerhalb der bezeichneten Dreijahresfrist erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
34
c) Anders als die Revision meint, kommt eine noch weitergehende Vertragsauslegung dahin, dass der Beklagte sich auch auf die Unwirksamkeit späterer Preiserhöhungen nicht berufen könne, weil die Klägerin vor Ende des Jahres 2009 keinen Anlass zur Kündigung des Versorgungsvertrages gehabt habe, nicht in Betracht. Der vom Beklagten mit Schreiben vom 12. Juli 2005 erhobene Widerspruch hat vielmehr auch alle ihm zeitlich nachfolgenden Preiserhöhungen erfasst. Hierin hatte der Beklagte deutlich gemacht, dass er mit den Preiserhöhungen nicht einverstanden war, und sich vorbehalten, auch die Billigkeit des von ihm für angemessen gehaltenen Erhöhungsbetrages gerichtlich prüfen zu lassen sowie Überzahlungen zurückzufordern. Das zeigt, dass es dem Beklagten nicht nur darauf ankam, von der Klägerin einen Billigkeitsnachweis zu erhalten, sondern dass er gegebenenfalls die Berechtigung der Klägerin, einen bestimmten Preis zu verlangen, in vollem Umfang gerichtlich nachprüfen lassen wollte. Dies wiederum gab der Klägerin Anlass, nunmehr eine Beendigung des mit dem Beklagten bestehenden (Norm-)Sonderkundenverhältnisses in Erwägung zu ziehen.
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aa) Die Revision meint, ein solcher Anlass habe sich erst aufgrund zweier Urteile des Bundesgerichtshofs vom 24. April 2008 (KZR 2/07, BGHZ 176, 244 ff.) und vom 17. Dezember 2008 (VIII ZR 274/06, BGHZ 179, 186 ff.) ergeben, weil erst hierdurch klargestellt worden sei, dass eine zuvor in der Senatsrechtsprechung für die AGB-rechtliche Überprüfung anerkannte Leitbildfunktion der AVBGasV nicht mehr uneingeschränkt angenommen werden könne. Bis dahin sei diese Leitbildfunktion Grundlage für die allgemeine Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum gewesen, dass in Strom- und Gaslieferungsverträgen auch offene Preisanpassungsklauseln zulässig seien. Das trifft indessen nicht zu.
36
Die Rechtslage war schon vorher nicht derart klar, dass die Klägerin keine Veranlassung zu sehen brauchte, sich auf den Widerspruch des Beklagten hin auch einer Überprüfung der von ihr verwendeten Preisanpassungsklausel auf deren Wirksamkeit zu stellen (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054 Rn. 25, 30, 34 ff. sowie vorausgehend OLG Köln, OLGR 2006, 341, 342 f.; ferner zum Meinungsstand Schöne, WM 2004, 262, 266 ff.). Wenn die Klägerin dies unterlassen und/oder sich dafür entschieden hat, das Vertragsverhältnis gleichwohl fortzuführen, trägt sie das Risiko, dass sich die Klausel - entgegen ihrer Einschätzung - sp äter als unwirksam erweist (vgl. Senatsurteil vom 5. März 2008 - VIII ZR 95/07, WuM 2008, 278 Rn. 20 mwN).
37
bb) Soweit die Revision auf eine Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 2. November 2006 verweist, wonach Änderungskündigungen als Reaktion auf Kundenwidersprüche, mit denen die Billigkeit einer Preisänderung angezweifelt wird, kartellrechtlich unzulässig seien, und daraus die Unzumutbarkeit einer Kündigung des (Norm-)Sonderkundenvertrages herzuleiten versucht, zeigt sie bereits keinen dahin gehenden Sachvortrag in den Tatsacheninstanzen auf. Zudem betrifft dies - worauf die Revisionserwiderung mit Recht hinweist - nicht diejenigen Fälle, in denen der Versorger Anlass hat, eine Beendigung des mit dem (Norm-)Sonderkunden bestehenden Versorgungsvertrages deshalb in Erwägung zu ziehen, weil die Wirksamkeit des in Anspruch genommenen Preisänderungsrechts Zweifeln unterliegt.
38
cc) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine Überführung des Vertragsverhältnisses in einen Tarifkundenvertrag zu deutlich höheren Preisen für den Beklagten geführt hätte, so dass sie im Interesse des Kunden auf eine Kündigung verzichtet habe. Denn sie hätte dem Kunden auch einen neuen Sonderkundenvertrag mit vereinbarten günstigeren Preisen als in der Grundversorgung anbieten können.
III.
39
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ball Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Von Rechts wegen
Verkündet am: 14. März 2012