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  • 29.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121634

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 26.04.2012 – IX ZB 239/10

    Urlaubsgeld fällt nicht in die Insolvenzmasse, soweit es den Rahmen des Üblichen in gleichartigen Unternehmen nicht übersteigt; dies gilt auch dann, wenn das Urlaubsgeld in den vorgegebenen Grenzen eine erhebliche Höhe erreicht.


    Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape

    am 26. April 2012 beschlossen:

    Tenor:

    Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 27. Oktober 2010 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

    Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1.688,94 € festgesetzt.

    Gründe

    I.

    1

    Durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28. Januar 2009 wurde auf Eigenantrag des Schuldners das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser beantragte beim Insolvenzgericht, 50 vom Hundert des Urlaubsgeldes, das dem Schuldner im Monat Juni 2010 in Höhe von 3.377,88 € zustand, für pfändbar zu erklären.

    2

    Das Insolvenzgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts geändert und das Urlaubsgeld insgesamt für unpfändbar erklärt. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der weitere Beteiligte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses.

    II.

    3

    Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 4, 36 Abs. 1, Abs. 4 InsO i.V.m. § 850a Nr. 2 ZPO) ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

    4

    1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850a Nr. 2 ZPO sei Urlaubsgeld unpfändbar, soweit es den Rahmen des Üblichen nicht übersteige. Dies sei hier nicht der Fall. Abzustellen sei nicht darauf, welche Summe in Deutschland durchschnittlich an Urlaubsgeld bezahlt werde, sondern darauf, was vergleichbare Unternehmen bei vergleichbarem Anlass ihren Arbeitnehmern zukommen ließen. Das übliche Urlaubsgeld in der Branche, in der der Schuldner tätig sei, sei höher als das gezahlte Urlaubsgeld. Dass es in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage möglicherweise nicht mehr allgemein üblich sei, Urlaubsgeld zu zahlen, sei unerheblich. Zwar gebiete der Zweck des § 36 Abs. 1 InsO im vorliegenden Fall nicht die völlige Freigabe des Urlaubsgeldes, weil diesem selbst bei dem beantragten Abzug von 50 vom Hundert ein Nettoeinkommen von 4.655 € für Juni 2010 verbleibe. § 36 Abs. 1 InsO sehe aber keine Sonderregelung für einkommensstarke Schuldner vor, sondern erkläre § 850a ZPO uneingeschränkt für anwendbar.

    5

    2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Das streitige Urlaubsgeld des Schuldners ist in vollem Umfang unpfändbar, weil es den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt.

    6

    a) Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. § 850a ZPO ist gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechend anwendbar.

    7

    Nach § 850a Nr. 2 ZPO sind unpfändbar die für die Dauer eines Urlaubs über das Einkommen hinaus gewährten Bezüge, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Bei dem hier streitigen Betrag handelt es sich um ein solches Urlaubsgeld, weil es sich um eine entsprechende Zusatzvergütung handelt. Das steht zwischen den Parteien nicht in Streit.

    8

    b) Die Höhe des Urlaubsgeldes hält sich nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im Rahmen des Üblichen bei vergleichbaren Unternehmen der Metallindustrie, in der der Schuldner tätig ist. Das wird von der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht in Frage gestellt.

    9

    c) Sinn und Zweck der Regelung des § 850a Nr. 2 ZPO erfordern und ermöglichen keine Auslegung, wonach Teile des Urlaubsgeldes gleichwohl pfändbar seien.

    10

    Die Unpfändbarkeit des Urlaubsgeldes ist aus sozialen Gründen angeordnet (vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850a ZPO Rn. 1) und folgt aus der Zweckgebundenheit der Leistung; es wird aus besonderem Anlass gewährt, daher soll es auch dem Arbeitnehmer zukommen (Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 985; Musielak/Becker, ZPO, 9. Aufl., § 850a Rn. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers, Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 850a Rn. 4; Stein/ Jonas/Brehm, aaO Rn. 12; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 850a Rn. 3). § 850a Nr. 2 InsO erfasst das Urlaubsgeld, ohne dass es darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer das Geld tatsächlich in entsprechender Höhe für urlaubsbedingte Mehraufwendungen ausgibt (Kessal-Wulf in Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 850a Rn. 3).

    11

    Durch die Beschränkung auf den Rahmen des Üblichen soll eine Lohnverschleierung verhindert werden (Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 3. Aufl., § 850a Rn. 8), also eine Umgehung des § 850c ZPO auf dem Weg, dass das pfändbare Einkommen zugunsten unpfändbaren Einkommens vermindert wird (Stein/Jonas/Brehm, aaO Rn. 13; Stöber, aaO Rn. 990). Die Üblichkeit ist anhand der Verhältnisse in gleichartigen Unternehmen zu prüfen (Prütting/ Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 8; Stöber, aaO Rn. 986, 990; Musielak/Becker, aaO Rn. 3; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 32. Aufl., § 850a Rn. 3; Zöller/Stöber, aaO Rn. 6; Zimmermann, ZPO, 8. Aufl., § 850a Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl., § 850a Rn. 7; Stein/Jonas/Brehm, aaO Rn. 12; Wieczorek/Schütze/ Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850a Rn. 12). Anhand dieses Maßstabes hat das Beschwerdegericht die Üblichkeit festgestellt. Eine Umgehung des § 850c ZPO ist nicht gegeben.

    12

    d) Die Grenze von 500 €, die nach § 850a Nr. 4 ZPO gilt, ist nach der klaren gesetzlichen Beschränkung dieser Grenze auf den Sonderfall von Weihnachtsvergütungen nicht auf das Urlaubsgeld nach Nr. 2 übertragbar (Musielak/Becker, aaO Rn. 3; Zöller/Stöber, aaO Rn. 6; MünchKomm-ZPO/ Smid, aaO Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Lüke, aaO § 850a Rn. 13; a.A. Thomas/ Putzo/Seiler, aaO Rn. 3).

    13

    e) Soweit sich die Rechtsbeschwerde auf die Entscheidung des Senats vom 24. September 2009 (IX ZR 189/08, ZIP 2010, 293 Rn. 14) zu § 850b ZPO beruft und im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung eine Gesamtabwägung zwischen den Interessen des Schuldners und der Gläubiger verlangt, die zu einer Einschränkung des Pfändungsschutzes für das Urlaubsgeld führen müsse, übersieht sie, dass § 850b Abs. 2 ZPO eine solche Billigkeitsentscheidung vorsieht. § 850a ZPO eröffnet demgegenüber für eine solche Abwägung keinen Raum.

    14

    f) Ob der im Umfang des geltenden Rechts angeordnete Schutz des Urlaubsgeldes rechtspolitisch angemessen und aufrechtzuerhalten ist, hat der Gesetzgeber zu entscheiden. Solange die derzeit geltende Fassung des § 850a Nr. 2 ZPO in Kraft ist, ist sie von den Gerichten anzuwenden, mag auch bei hohen Einkommen und Urlaubsgeldern im Verhältnis zu nicht privilegierten Gläubigern der Pfändungsschutz unangemessen großzügig erscheinen, zumal solche Gläubiger gegenüber dem Fiskus und den Sozialversicherungsträgern insoweit benachteiligt werden, als das Urlaubsgeld steuer- und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt darstellt.

    15

    Der Bundesrat hat den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes vorgelegt (BT-Drucks. 17/2167) und darin entsprechende Änderungen vorgeschlagen (vgl. insbesondere S. 17 f zu Nr. 5) mit der - soweit hier einschlägig - Begründung, der bestehende umfassende Pfändungsschutz für das Urlaubsgeld sei nicht gerechtfertigt. Die Bundesregierung hat das Grundanliegen des Entwurfes begrüßt, aber zahlreiche Einzelbedenken erhoben (vgl. Drucks., aaO S. 28). Das Ergebnis des eingeleiteten Gesetzgebungsverfahrens ist abzuwarten; der Entscheidung des Gesetzgebers kann nicht vorgegriffen werden.

    16

    f) Die besonderen Belange des Insolvenzverfahrens rechtfertigen keine andere Beurteilung. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nimmt in vollem Umfang auf § 850a ZPO Bezug. Die Pfändbarkeit des Anspruchs entspricht dem Umfang seiner Zugehörigkeit zur Masse. Die sozialpolitischen Erwägungen, die die Regelung zum Pfändungsschutz in der Einzelzwangsvollstreckung tragen, sind durch diese Verweisung auch im Insolvenzverfahren maßgebend (FK-InsO/ Schumacher, 6. Aufl., § 36 Rn. 1, 16; HK-InsO/Keller, 6. Aufl., § 36 Rn. 57; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO § 36 Rn. 63).

    Kayser

    Vill

    Lohmann

    Fischer

    Pape

    VorschriftenInsO § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, ZPO § 850a Nr. 2