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  • 07.05.2010 · IWW-Abrufnummer 101466

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 14.01.2010 – IX ZB 78/09

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    IX ZB 78/09
    Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
    durch
    den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,
    die Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill,
    die Richterin Lohmann und
    den Richter Dr. Fischer
    am 14. Januar 2010
    beschlossen:
    Tenor:
    Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 25. Februar 2009 aufgehoben.
    Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
    Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
    Dem Schuldner wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für dieses Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt. Ihm werden die Rechtsanwälte Jordan und Dr. Hall beigeordnet.
    Gründe
    I.
    In dem am 30. Juli 2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners haben die weiteren Beteiligten zu 1 und 2 als Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Das Amtsgericht hat die Restschuldbefreiung versagt und die dem Schuldner gewährte Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses sowie Erteilung der Restschuldbefreiung, hilfsweise Zurückverweisung.
    II.
    Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 296 Abs. 3, §§ 6, 7 InsO statthaft und zulässig, § 574 Abs. 2 ZPO. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
    1.
    Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil er nicht mit Gründen versehen ist (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO). Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird, denn das Beschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 9. März 2006 - IX ZB 17/05, NZI 2006, 481; v. 27. März 2008 - IX ZB 144/07, ZIP 2008, 1034 f Rn. 3 f).
    Das Landgericht hat den Entscheidungsgründen zwar einen Sachverhalt vorangestellt. Aus ihm können jedoch ebenso wenig wie aus den Entscheidungsgründen die hier maßgeblichen Umstände entnommen werden. Der amtsgerichtliche Beschluss, auf den das Landgericht womöglich Bezug nehmen will, enthält keinen Sachverhalt.
    Der Beschluss des Landgerichts kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).
    2.
    Im Übrigen ergibt sich nach der - verfahrensrechtlich unbeachtlichen - Aktenlage, dass der Beschluss auch in der Sache fehlerhaft ist. Das Landgericht hat die Restschuldbefreiung versagt mit der Begründung, der Schuldner habe seine Erwerbsobliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO verletzt. Es ist hierbei offenbar wie schon das Amtsgericht und die Treuhänderin davon ausgegangen, dass diese Erwerbsobliegenheit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht. Das ist unzutreffend. Für das weitere Verfahren weist der Senat deshalb vorsorglich auf folgende Gesichtspunkte hin:
    a)
    Der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung aus einem der Gründe des § 290 Abs. 1 InsO ist gemäß § 290 Abs. 2 InsO nur zulässig, wenn der Gläubiger einen Versagungsantrag glaubhaft gemacht hat. Die Glaubhaftmachung des Versagungsgrundes muss im Schlusstermin erfolgen und kann - auch im Beschwerdeverfahren - nicht nachgeholt werden (BGHZ 156, 139, 142 f; BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 227/04, ZVI 2006, 596, 597 Rn. 6; v. 18. Mai 2006 - IX ZB 103/05, NZI 2006, 538; v. 23. Oktober 2008 - IX ZB 53/08, ZInsO 2008, 1272 Rn. 8 ff; v. 5. Februar 2009 - IX ZB 185/08, ZInsO 2009, 481, 482 Rn. 6).
    Da im Schlusstermin Versagungsanträge nach Aktenlage nicht gestellt wurden, kommt eine Versagung nach §§ 289, 290 InsO nicht in Betracht. Nach Aktenlage ist dem Schuldner vielmehr am 2. Juni 2008 zutreffend die Restschuldbefreiung angekündigt worden.
    b)
    Die Obliegenheiten des Schuldners gemäß § 295 InsO gelten ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung (BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2008 - IX ZB 249/07, ZInsO 2009, 299 Rn. 8 ff). Dies setzt jedenfalls die Kenntnis des Schuldners von diesen Umständen und damit die Kenntnis von dem Ankündigungsbeschluss und dem Aufhebungsbeschluss voraus.
    Nach Aktenlage ist im vorliegenden Fall der Ankündigungsbeschluss am 2. Juni 2008, der Aufhebungsbeschluss am 2. Juli 2008 erlassen worden. Da der Aufhebungsbeschluss nach Aktenlage am 3. Juli 2008 mit einfacher Post versandt wurde, kann er den Schuldner frühestens am 4. Juli 2008 erreicht haben. Die Wohlverhaltensperiode, in der der Schuldner der Erwerbsobliegenheit nachzukommen hatte, dauerte demgemäß allenfalls vom 5. Juli 2008 bis 30. Juli 2008, § 287 Abs. 2 InsO.
    Ob womöglich die Obliegenheiten nach § 295 InsO erst mit Rechtskraft der genannten Beschlüsse beginnen, kann hier dahinstehen, weil insoweit eine Entscheidungserheblichkeit nicht erkennbar ist. Nach Aktenvermerk soll die Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses erst am 31. Juli 2008 eingetreten sein. Dann würde allerdings die Wohlverhaltensperiode einen Tag vor ihrem Beginn geendet haben. Der Schuldner hätte dann keine Obliegenheiten nach § 295 InsO einzuhalten gehabt.
    c)
    Der Antrag eines Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Obliegenheitsverletzung nach § 295 InsO ist nur zulässig, wenn der Gläubiger die Voraussetzungen glaubhaft macht, § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO. Dabei genügt es allerdings, dass der Gläubiger die Tatsachen vorträgt und glaubhaft macht, aus denen sich eine Obliegenheitsverletzung objektiv ergibt. Das Verschulden des Schuldners hat der Gläubiger nicht glaubhaft zu machen, es wird vielmehr vermutet; die Vermutung kann vom Schuldner gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO widerlegt werden (BGH, Beschl. v. 24. September 2009 - IX ZB 288/08, ZInsO 2009, 2069; v. 3. Dezember 2009 - IX ZB 139/07, z.V.b.).
    Nach Aktenlage haben sich die Gläubiger in ihren Versagungsanträgen ausschließlich auf den Schlussbericht der Verwalterin vom 15. April 2008 und auf Vorgänge vor diesem Zeitpunkt bezogen. Damit kann kein Verstoß gegen eine Erwerbsobliegenheit in der Zeit vom 4. Juli 2008 bis 30. Juli 2008 dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
    d)
    Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der in § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestimmten Erwerbsobliegenheit setzt voraus, dass hierdurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt worden ist (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO). Hierfür genügt nicht eine abstrakte Gefährdung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger, sondern nur eine messbare tatsächliche Beeinträchtigung (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 50/05, NZI 2006, 413; v. 22. Oktober 2009 - IX ZB 160/09, ZInsO 2009, 2210, 2211 Rn. 11 mit weiteren Ausführungen zur Berechnung). Dass der Schuldner in der Zeit vom 4. Juli 2008 bis 30. Juli 2008 sich bei pflichtgemäßen Bemühungen eine derartige Erwerbstätigkeit hätte suchen, sie hätte ausüben und dabei pfändbare Beträge hätte erzielen können, ist nach Aktenlage von den Gläubigern schon nicht glaubhaft gemacht gewesen. Das Beschwerdegericht hat derartiges auch nicht festgestellt.
    e)
    Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob einem Schuldner, dem die Bundesagentur für Arbeit ermöglicht hat, von der sogenannten "58er-Regelung" Gebrauch zu machen, überhaupt schuldhaft gegen eine Erwerbsobliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoßen kann, ist bisher nicht entscheidungserheblich. Es liegt fern, dass diese allgemeine Regelung die Erwerbsobliegenheit nach § 295 InsO für das Restschuldbefreiungsverfahren entfallen lassen könnte.
    f)
    Sofern danach der Versagungsgrund des § 295 Abs. 1 Nr. 1, § 296 InsO nicht festzustellen ist, wird sich das Beschwerdegericht nunmehr mit den anderen geltend gemachten Versagungsgründen zu befassen haben.
    g)
    Die vom Amtsgericht aufgehobene Verfahrenskostenstundung ist mit keinem Wort begründet, aber offenbar auf § 4c Nr. 4 InsO gestützt worden. Das Beschwerdegericht hat sich damit nicht erkennbar befasst. Insoweit wird auf die Entscheidung des Senats vom 22. Oktober 2009 (IX ZB 160/09 a.a.O.) hingewiesen.

    RechtsgebietInsOVorschriften§ 290 Abs. 1 InsO § 290 Abs. 2 InsO § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO § 296 Abs. 1 S InsO