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  • 28.09.2012 · IWW-Abrufnummer 122961

    Landgericht Hamburg: Beschluss vom 26.06.2012 – 326 T 77/12

    1.
    Prognostische Ansprüche des Schuldners, deren Entstehung noch nicht als sicher zu berücksichtigen sind, sind in die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit zum Eröffnungszeitpunkt nicht auf der Aktivseite einzustellen. Forderungen, die erst nach der 3-Wochenfrist zur Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit entstehen oder fällig werden, sind bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit nicht berücksichtigungsfähig.
    2.
    Fällige Forderungen, die seit geraumer Zeit unbeglichen geblieben sind, können nur mit einem mehr oder in der erheblichen Abschlag auf der Aktivseite eingestellt werden.
    3.
    Bei Insolvenzeröffnungsentscheidungen ist Eile geboten.


    326 T 77/12

    Gründe

    I.

    Mit Schriftsatz v. 16.3.2012 stellte das Finanzamt Hamburg-Wandsbek Insolvenzantrag über das Vermögen des Schuldners. Dem Schuldner wurde rechtliches Gehör gewährt. Er machte einen vorübergehenden Zahlungsengpass geltend. Ihm stünden aus drei Maklergeschäften aus Dezember 2011 noch Vergütungen i.H.v. insgesamt 9.650 EUR zu, die bisher nicht bezahlt worden seien. Zwei weitere Provisionen aus Maklergeschäften stünden in naher Zukunft in Aussicht.

    Am 19.4.2012 bestellte das Gericht Rechtsanwalt Ingmar Jarchow zum vorläufigen Insolvenzverwalter und beauftragte ihn als Sachverständigen, das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (u.a.) zu prüfen.

    Nach vorläufigem Zwischenbericht des Gutachters v. 7.5.2012 bat der Schuldner mit Schreiben v. 29.5.2012 um eine Frist bis zum 15.6.2012, um die Forderungen des Finanzamts begleichen zu dürfen. Diverse Verkaufsabschlüsse, die im Einzelnen näher erläutert wurden, stünden unmittelbar bevor und würden dann weitere Provisionsansprüche des Schuldners begründen.

    Mit Gutachten v. 30.5.2012 stellte der Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen eines Regelinsolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit seit Januar 2009 vorlägen und eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden sei. Verbindlichkeiten des Schuldners i.H.v. insgesamt 106.600 EUR per 31.5.2012 stünden liquidierbare Mittel i.H.v. 78.542 EUR gegenüber.

    Mit Beschl. v. 31.5.2012, zugestellt am 5.6.2012, eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte Rechtsanwalt Ingmar Jarchow zum Insolvenzverwalter.

    Mit Schriftsatz v. 7.6.2012, eingegangen bei Gericht am 8.6.2012, legte der Schuldner sofortige Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss ein. Er rügt, das Gericht habe unmittelbar bevorstehende Kaufvertragsabschlüsse und Verkaufsaufträge nicht berücksichtigt. Ende 2011 habe er noch Zahlungen an das Finanzamt geleistet. Er sei daher nicht seit 2009 zahlungsunfähig. Es handele sich in seinem Fall lediglich um eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit.

    Das Insolvenzgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschl. v. 12.6.2012 nicht abgeholfen und die Sache an das LG zur Entscheidung weitergeleitet.

    II.

    Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist zulässig (§ 34 Abs. 2 Satz 6 InsO, § 567 ZPO) aber unbegründet. Die von ihm erhobenen Einwendungen rechtfertigen keine andere Beurteilung in Bezug auf seine Zahlungsunfähigkeit zum Eröffnungszeitpunkt.

    Maßgebliche Voraussetzung für die Eröffnungsentscheidung ist, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zahlungsunfähig ist. Eine Zahlungsunfähigkeit liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung vor, wenn der Schuldner binnen eines Zeitraumes von 3 Wochen nicht in der Lage ist, 90% seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten auszugleichen.

    Die Gesamtverbindlichkeiten beliefen sich zum Entscheidungszeitpunkt nach den Angaben des Insolvenzverwalters im vorliegenden Fall auf 106.600 EUR. Der Schuldner hat gegen diese Feststellung keine Einwände erhoben. Der Insolvenzverwalter hat ferner festgestellt, dass diesen Verbindlichkeiten Aktiva i.H.v. 78.542 EUR (Deckungssumme somit 73%) gegenüberstehen.

    Soweit der Schuldner in seiner Beschwerdeschrift auf weitere Forderungen in Form bloßer Verkaufsaussichten für bestimmte Immobilien in naher Zukunft verweist, musste das Insolvenzgericht diese bei der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners außer Betracht lassen. Es handelt sich insoweit lediglich um erhoffte Provisionsansprüche, deren Entstehung noch nicht als sicher zu berücksichtigen war, da die Kaufverträge zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Insolvenzeröffnung noch nicht geschlossen waren. Bereits entstandene Zahlungsansprüche, die binnen der maßgeblichen Frist von 3 Wochen fällig und von dem Schuldner durchgesetzt werden könnten, sind darin nicht zu sehen. Forderungen aber, die erst nach der Dreiwochenfrist entstehen oder fällig werden, sind bei der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit nicht berücksichtigungsfähig, weil sie nicht in den maßgeblichen Prognosezeitraum fallen (Bork, ZIP 2008, 1749 f.).

    Soweit der Schuldner den Zahlungseingang von weiteren 9.650 EUR bis zum 15.6.2012 - und damit innerhalb der Dreiwochenfrist - geltend macht, würde auch dieser zusätzliche Betrag lediglich eine Deckung der ausstehenden Verbindlichkeiten (106.600 EUR) von unter 90% (78.542 + 9.650 EUR, d.h. 82%) begründen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Forderungen, die schon seit geraumer Zeit unbeglichen fällig sind, nicht mehr oder nur mit einem erheblichen Abschlag im Rahmen der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit zu berücksichtigen sind, weil an ihrer Durchsetzbarkeit erhebliche Zweifel bestehen (vgl. zu allem Bork, ZIP 2008, 1749 f.).

    Diese Beurteilungsgrundsätze hat der Sachverständige in seinem Gutachten ordnungsgemäß zugrunde gelegt. Das Insolvenzgericht durfte sich dessen Bewertung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners daher zu eigen machen. Der Schuldner war zum Beschlusszeitpunkt danach zahlungsunfähig, auch wenn man seine erhobenen Einwendungen als zutreffend unterstellt. Eine Besserung seiner finanziellen Lage für den nachfolgenden maßgeblichen Prognosezeitraum von 3 Wochen war auch danach nicht in Sicht. Die Insolvenzeröffnung erfolgte zu Recht.

    Angesichts der besonderen Bedeutung der Insolvenzeröffnung für das nachfolgende Insolvenzverfahren ist bei Insolvenzeröffnungsentscheidungen auch Eile geboten, ein weiteres Zuwarten ist dem Schuldner im Interesse der Massekosten und der Insolvenzgläubiger, deren Wettlauf um die letzten liquiden Mittel des Schuldners durch ein Insolvenzverfahren rechtzeitig vermieden werden soll, nicht zu gewähren.

    Die sofortige Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.

    Sollten dem Schuldner die erhofften Immobilienverkäufe gelingen und insoweit seine Zahlungsfähigkeit wieder hergestellt werden können, ist er auf § 212 InsO (Verfahrenseinstellung wegen Wegfall des Eröffnungsgrundes) zu verweisen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf den § 4 InsO, §§ 97, 91 ZPO, Nr. 2360 Anl. I zum GKG.

    Der Streitwert wurde nach den Feststellungen des vorläufigen Insolvenzverwalters auf den Wert der liquidierbaren Masse festgesetzt, § 58 Abs. 1, 3 GKG.

    RechtsgebietInsOVorschriften§ 34 Abs. 2 S. 6 InsO