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  • 20.01.2015 · IWW-Abrufnummer 143658

    Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 06.11.2014 – 6 U 245/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Aktenzeichen: 6 U 245/14
    8 O 219/08 LG Koblenz

    Oberlandesgericht Koblenz

    IM NAMEN DES VOLKES

    Urteil

    In dem Rechtsstreit

    - Kläger und Berufungskläger -
    Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
    gegen

    - Beklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …

    wegen Erstattungsforderung aus Bauvertrag
    hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. von Gumpert, den Richter am Oberlandesgericht Steinhauer und den Richter am Oberlandesgericht Wollenweber auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2014 für Recht erkannt:

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 17. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

    Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

    Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Gründe

    I.

    Der Kläger, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, begehrt von der Beklagten als Auftragnehmerin eines Bauvertrags nach Entziehung des Auftrags die Erstattung geltend gemachter Mehrkosten für die Ausführung von Dachdeckerarbeiten. Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, im Hinblick auf eine von ihr gestellte, vom Kläger für unberechtigt gehaltene Nachtragsforderung die Aufnahme der vereinbarten Dachdeckerarbeiten zu verweigern.

    Wegen der tatsächlichen Feststellungen und des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

    Der Kläger hat nach einer teilweisen Klagerücknahme zuletzt beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 32.055 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. August 2006 zu zahlen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Der Kläger sei nicht zur Kündigung des Bauvertrags berechtigt gewesen; die Beklagte sei berechtigt gewesen, den streitigen Nachtrag anzumelden und die Leistung bis zu einer Klärung des Vertragssolls und des hierfür vom Kläger zu zahlenden Werklohns nicht zu erbringen. Die Beweisaufnahme habe zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass die Ausschreibung des Klägers in Teilen falsch und in weiteren Teilen unklar gewesen sei. Hierbei gingen nicht nur Fehler, sondern auch Unklarheiten zu Lasten des Klägers. Die Beschreibung des Aufbaus des vorhandenen Daches sei für die Bauausführung und die Preisgestaltung der Beklagten wesentlich gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

    Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

    Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagten habe kein Anspruch auf zusätzliche Vergütung zugestanden. Sie sei verpflichtet gewesen, den geschuldeten Abbrucherfolg herbeizuführen. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des Leistungsverzeichnisses sei fehlerhaft. Die Leistungsbeschreibung sei weder unrichtig noch unklar gewesen. Im Übrigen gehe eine etwaige Unklarheit zu Lasten der Beklagten. Der Kläger habe auch keine Anordnung hinsichtlich einer etwa geänderten Abbruchleistung erteilt; vielmehr habe er lediglich die Ausführung der von vornherein geschuldeten Leistung verlangt.

    Des Weiteren habe das Landgericht fehlerhaft nicht geprüft, ob ein etwaiger Nachtragsanspruch die Beklagte berechtigt habe, die Aufnahme der von ihr geschuldeten Werkleistung insgesamt zu verweigern; dies sei zu verneinen. Der Kläger habe die Gewährung eines Nachtrages nicht aus sachfremden Gründen abgelehnt. Die Beklagte habe sich ihrerseits treuwidrig verhalten, in dem sie die Aufnahme ihrer Tätigkeit von der Vereinbarung einer bereits dem Grunde nach unberechtigten, jedenfalls aber weit überhöhten Nachtragsvergütung abhängig gemacht habe. Die Beklagte habe auch von vornherein nicht beabsichtigt, mit den eigentlichen Abbrucharbeiten zu beginnen, sondern habe stattdessen eine Dachprobe vorgenommen, um zielgerichtet allein einen offenbar eingeplanten Nachtrag zu stellen.

    Der Kläger beantragt,

    unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 32.055 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. August 2006 zu zahlen,

    hilfsweise, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen; hilfsweise beantragt sie ebenfalls die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

    Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Auffassung, das von ihr geltend gemachte Leistungsverweigerungsrecht sei insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger, vertreten durch den Architekten ...[A], jede Verhandlung über die dem Grunde nach berechtigte Nachtragsforderung von vornherein endgültig abgelehnt habe. Ihr - der Beklagten - sei es lediglich darum gegangen, dass der Kläger die Nachtragsforderung dem Grunde nach als berechtigt akzeptiert; in diesem Falle sei sie zu Verhandlungen über die Höhe des Nachtrags bereit gewesen. Des Weiteren macht die Beklagte geltend, der Kläger beziehungsweise der von ihm beauftragte Architekt ...[A] habe den zutreffenden Dachaufbau bereits aufgrund des Untersuchungsberichts des Architekten ...[B] vom 19. Dezember 2001 (Anlage K21) gekannt und sei deshalb in der Lage gewesen, den Aufbau des Dachs zutreffend auszuschreiben. Die Beklagte habe bei ihrer Kalkulation als Bieterin von der einfachsten Art der Ausführung und damit auch von der leichteren und kostengünstigsten Entsorgung ausgehen dürfen.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

    II.

    Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung von Fertigstellungsmehrkosten nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 und 2 VOB/B 2002 (im Folgenden: VOB/B) oder aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt.

    1. Die Parteien haben die Geltung der VOB/B 2002 im Bauvertrag vom 22. Mai/2. Juni 2006 (Anlage K3) vereinbart. Dies ergibt sich aus Ziffer 2 des Bauvertrags, der auf das Angebot der Beklagten als Auftragnehmerin vom 25. Februar 2006 (Anlage K1) Bezug nimmt. Dort ist unter Ziffer 1.2 die Geltung der VOB/B, Ausgabe 2002 angekreuzt. Die Geltung der VOB/B 2002 steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit.

    2. Der Kläger hat das Verfahren zur Entziehung des Auftrags nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B eingehalten.

    a) Nach dem Bauvertrag war die Beklagte unstreitig verpflichtet, ihre Arbeit am 17. Juli 2006 zu beginnen. Es handelt sich um eine Vertragsfrist im Sinne von Ziffer 3 des Bauvertrags. Unstreitig hat die Beklagte ihre Arbeit weder zu diesem Termin noch zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen.

    b) Der Kläger hat der Beklagten durch Schreiben des Architekten ...[A] vom 18. August 2006 (Anlage K13) eine Frist bis zum 28. August 2006 gemäß § 5 Nr. 4 VOB/B gesetzt.

    Der Architekt ...[A], dem der Kläger im vorliegenden Verfahren den Streit verkündet hat, war vom Kläger für die Abgabe und Entgegennahme von rechtsgeschäftlichen Erklärungen gegenüber der Beklagten im Zusammenhang mit der Durchführung des Vertrags zumindest im Wege der Duldungsvollmacht vertretungsbefugt. Die Bevollmächtigung des Architekten steht zwischen den Parteien im zweiten Rechtszug nicht im Streit. Sie ergibt sich im Übrigen aus den folgenden Umständen:

    Die Beklagte hat das Schreiben mit ihrer ersten Nachtragsforderung vom 18. Juli 2006 an den Kläger gerichtet (Anlagen K4 und B07). Dieses Schreiben hat nicht der Kläger selbst, sondern der Architekt ...[A] mit Schreiben vom 31. Juli 2006 beantwortet (Anlage K5). Mit Schreiben vom 9. August 2006 (Anlage K9) hat sich die Beklagte erneut an den Kläger über den Architekten ...[A] gewandt, wobei sie dieses Schreiben ausweislich der Adresszeilen per Telefax sowohl an den Kläger als auch an den Architekten versandt hat. Auch dieses Schreiben hat der Architekt ...[A] beantwortet (Anlage K10). Des Weiteren hat am 17. August 2006 ein Ortstermin unter Mitwirkung eines Vertreters der Beklagten, des Klägers und des Architekten ...[A] stattgefunden. Im Anschluss daran hat der Architekt ...[A] sein Fristsetzungsschreiben vom 18. August 2006 (Anlage K13) unter Bezugnahme auf den Ortstermin gefertigt. Mit Schreiben vom 30. August 2006 (Anlage K17) hat der Kläger unter Bezugnahme auf das Schreiben des Architekten ...[A] vom 18. August 2006 der Beklagten den Auftrag entzogen.

    c) Die Beklagte hat es abgelehnt, mit den Arbeiten zu beginnen (Anlage K14). Daraufhin hat der Kläger mit Schreiben vom 30. August 2006 gegenüber der Beklagten die Entziehung des Auftrags erklärt.

    3. Der Kläger war jedoch zur Entziehung des Auftrags nicht berechtigt. Denn die Beklagte hat sich zu Recht auf ein ihr zustehendes Leistungsverweigerungsrecht berufen. Sie konnte deshalb nicht in Verzug geraten (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 - VII ZR 194/06, BGHZ 176, 23 Rdnr. 45; diese und die folgenden Entscheidungen jeweils zitiert nach juris). Dies hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht angenommen.

    a) Zwar berechtigen Streitfälle den Auftragnehmer grundsätzlich nicht, die Arbeiten einzustellen (§ 18 Nr. 4 VOB/B). Es ist jedoch anerkannt, dass dem Unternehmer gleichwohl ein Leistungsverweigerungsrecht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zustehen kann. Dies setzt voraus, dass die Leistungsaufnahme oder Leistungsfortführung bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls für den Auftragnehmer unzumutbar ist (vgl. Joussen in Ingenstau/Kor- bion, VOB, 18. Aufl., § 18 Abs. 5 VOB/B Rdnr. 4 ff. m.w.Nachw.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Auftraggeber endgültig nicht bereit ist, eine geschuldete zusätzliche Leistung zu vergüten, sofern die neue Vergütung von der ursprünglich vereinbarten Vergütung nicht nur unerheblich abweicht (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 24. Juni 2004 - VII ZR 271/01, BauR 2004, 1613 Rdnr. 31; BGH, Urteil vom 13. März 2008, aaO).

    b) So liegt es hier.

    aa) Die Beklagte hatte Anspruch auf besondere Vergütung, weil der Kläger von der Beklagten eine im Vertrag nicht vorgesehene Leistung gefordert hat (§§ 1 Nr. 4, 2 Nr. 6 VOB/B).

    (1) Welche Leistungen von der Vergütungsabrede in einem Bauvertrag erfasst sind, ist durch Auslegung des Vertrages nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, §§ 133, 157 BGB, zu ermitteln. Dabei ist das gesamte Vertragswerk zugrundezulegen, wozu bei einer öffentlichen Ausschreibung auch die VOB/B gehört. Danach werden durch die vereinbarten Preise alle Leistungen abgegolten, die nach der Leistungsbeschreibung, den verschiedenen Vertragsbedingungen und der gewerblichen Verkehrssitte zu den vertraglichen Leistungen gehören, § 2 Nr. 1 VOB/B. Bei einer öffentlichen Ausschreibung kommt dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung vergleichsweise große Bedeutung zu. Wie diese zu verstehen ist, hängt vom Empfängerhorizont ab. Maßgeblich ist insoweit bei Ausschreibungen nach der VOB/A der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, wobei es auf den verständigen und sachkundigen Bieter ankommt. Die Auslegung hat zu berücksichtigen, dass der Bieter grundsätzlich eine mit den Ausschreibungsgrundsätzen der öffentlichen Hand konforme Ausschreibung erwarten darf. Deshalb darf der Bieter die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A (vgl. § 9 Nr. 1-3 VOB/A in der im Jahr 2006 geltenden Fassung) an die Ausschreibung entsprechen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rdnr. 13 ff., 24 m.w.Nachw.).

    Die Parteien haben in der Berufungsverhandlung klargestellt, dass sie übereinstimmend davon ausgehen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine öffentliche Ausschreibung des Klägers (als Körperschaft des öffentlichen Rechts) handelte, die den Regelungen der VOB/A unterfiel.

    (2) Nach den vorstehenden Grundsätzen musste ein verständiger und fachkundiger Bieter das im Auftrag des Klägers erstellte Leistungsverzeichnis des Architekten ...[A] zu Ziffern 5.1.01 und 5.1.02 dahin verstehen, dass eine (lose) Kiesschüttung auf einer Kunststoffbahn ausgeschrieben war. Ein Bieter musste dagegen nicht damit rechnen, ein sogenanntes Kiespressdach vorzufinden, in dem sich Kieselsteine mit einer Bitumenlage als oberster Abdeckschicht fest verbunden hatten, was zu erhöhten Entsorgungskosten führt.

    (a) Nach dem Wortlaut des Titels zu der Position 5.1 des Leistungsverzeichnisses ist durch die Bezeichnung „Abbrucharbeiten“ zunächst ein bestimmter Leistungserfolg angegeben. Das Leistungsverzeichnis erschöpft sich jedoch nicht in der Angabe eines geschuldeten Abbrucherfolgs, sondern enthält in den folgenden Leistungspositionen 5.1.01 und 5.1.02, die sich wortgleich auch an anderen Stellen des Leistungsverzeichnisses finden, einen detailliert beschriebenen Zustand des Dachaufbaus, auf den sich die Abbruchleistung als „Leistungssoll“ bezieht. Als bauseits vorhandener und abzubrechender Bestand sind unter anderem „mehrlagige Bitumen- und Kunststoffbahnen“ sowie eine „Kiesschüttung“ in der Korngröße 16/32 mm, Höhe der Schüttung 12 cm, angegeben. Diese Materialien sollten ausgebaut, abtransportiert und entsorgt werden. In der Ausschreibung war dagegen jedenfalls nicht ausdrücklich angegeben, dass sich Kiessteine in die oberste Bitumenschicht eingepresst und mit dieser fest verbunden hätten (sogenanntes Kiespressdach).

    (b) Da bei der Auslegung auf den Empfängerhorizont verständiger und fachkundiger Bieter abzustellen ist, kommt es darauf an, welche Vorstellung der Wortlaut der Ausschreibung den angesprochenen Bieterkreisen vom Zustand und Aufbau des abzureißenden Dachs als Leistungssoll vermittelt.

    Das Landgericht hat sich unter anderem zu der Frage, ob die Beklagte mit in die Bitumenbahnen eingedrücktem Kies hätte rechnen müssen, sachverständig beraten lassen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) ...[C] hat hierzu in seinem schriftlichen Gutachten vom 22. Oktober 2010 zunächst auf Seite 14 ausgeführt, aufgrund der in Pos. 5.1.01 beschriebenen Kunststoffbahn (die tatsächlich nicht vorhanden war) hätte man durchaus die Vermutung anstellen können, dass diese irgendwann einmal als Sanierungslage über die Bitumenbahn aufgebracht wurde, so dass man mit einem Kiespressdach überhaupt nicht habe rechnen müssen. Der Sachverständige hat an anderer Stelle erläutert, dass man unter einer Kiesschüttung eine lose Schüttung versteht, die zum Beispiel mittels Spezialfahrzeugen abgesaugt werden könne. Eine Kiespressung hingegen sei eine mit der obersten Bitumenlage verbundene Kiesschicht, die nicht abgesaugt werden könne, da sich der Kies beim Einbau mit dem heißen Bitumen verbunden habe (Ergänzungsgutachten vom 26. April 2011, S. 13).

    Die Auffassung des Klägers in seinem (nicht nachgelassenen) Schriftsatz vom 10. Oktober 2014, es habe sich bei den Ausführungen des Sachverständigen auf Seite 14 des Gutachtens um eine bloße Spekulation gehandelt, trifft nicht zu. Der Sachverständige hat im weiteren Verlauf auf S. 15/16 des Gutachtens ausgeführt, die aufwendigere Entsorgung der Kiespressschicht sei im Leistungsverzeichnis nicht beschrieben; aufgrund des Ausschreibungstexts der Positionen 5.1.01 und 5.1.02 hätte nicht damit gerechnet werden müssen (Gutachten S. 15); aufgrund der in Position 5.1.01 erwähnten Kunststoffbahn wäre jedoch damit zu rechnen gewesen, dass diese oberhalb der Bitumenbahn liegen müsste und nicht dazu führen würde, dass sich Kies in die Bitumenbahn einpressen könne (S. 16). In der Zusammenfassung des Gutachtens ist ausgeführt: „Mit in die Bahnen gedrücktem Kies hätte man aufgrund der ausgeschriebenen Kunststoffbahn in Position 5.1.01 meiner Meinung nach nicht rechnen können, und erst recht nicht rechnen müssen“ (S. 19 unten).

    Auf die Frage des Klägers an den Sachverständigen, aus welchem Grund anhand der Beschreibung im Leistungsverzeichnis zu Ziffer 5.1.01 zwingend damit gerechnet werden solle, dass die Kiesschüttung auf einer Kunststoffbahn aufgebracht ist, hat der Sachverständige ...[C] in seinem Ergänzungsgutachten vom 26. April 2011 ausgeführt, aus historischer Sicht sei die Wahrscheinlichkeit, dass Kunststoffbahnen über Bitumenbahnen liegen, schon sehr groß, da Bitumenabdichtungen in den 50er und 60er Jahren eine große Verbreitung gefunden hätten, während sich Kunststoffbahnen erst Ende der 60er Jahre verbreitet hätten. Aus statistischer Sicht sei ihm - dem Sachverständigen - in der Berufspraxis der letzten 25 Jahre kein einziges Dach bekannt, bei dem eine Bitumenabdichtung auf einer Kunststoffbahn aufgebracht worden sei. Kunststoffbahnen auf Bitumenabdichtungen gebe es jedoch jede Menge. Aus technischer Sicht sei es nach seiner Einschätzung nicht möglich, auf einer vorhandenen Kunststoffbahn eine Bitumenabdichtung aufzubringen. Die Kunststoffbahn würde durch das Aufflämmen der Schweißbahn verbrennen. Zudem würden die Stoffe in der Bitumenbahn zu einer Zersetzung der PVC-Kunststoffbahn führen. Aus vorgenannten Gründen sei eine Annahme, dass die Kiesschüttung auf einer Bitumenbahn liegt, anhand der Beschreibung des Ur-Leistungsverzeichnisses äußerst unwahrscheinlich (Ergänzungsgutachten S. 17 und 21).

    Aus den vorgenannten Ausführungen im Gutachten und Ergänzungsgutachten ist ersichtlich, dass der Sachverständige nicht nur eine Vermutung angestellt hat, sondern er sich hinsichtlich der Annahme festgelegt hat, dass der Text der Ausschreibung aus fachlicher Sicht bei den Bietern den Eindruck erwecken musste, als sei die (fälschlich) ausgeschriebene Kunststoffbahn auf (und nicht unter) den Bitumenbahnen verlegt, woraus sich für die Bieter die Folgerung ergebe, dass die Kiesschüttung auf der Kunststoffbahn aufliege und sich deshalb nicht etwa in eine Bitumenschicht eingepresst habe.

    Der Senat hält diese Ausführungen des Sachverständigen für plausibel und überzeugend. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass Kunststoffbahnen bereits aus technischen Gründen auf einer Bitumenabdichtung aufgebracht werden (und nicht umgekehrt), und dass sich eine Kiesschüttung wegen der Materialbeschaffenheit von Kunststoffbahnen (anders als in Bitumenbahnen) nicht eindrücken und mit dieser fest verbinden kann. Dieser fachlichen Beurteilung des Sachverständigen hat auch der Kläger nichts entgegengesetzt.

    Der Senat macht sich die baufachliche Einschätzung des Sachverständigen zu eigen. Sie ist für die Frage von Bedeutung, wie fachkundige und verständige Bieter das Leistungsverzeichnis verstehen mussten. Solche Bieter durften und mussten aus der Beschreibung des Dachaufbaus einschließlich „Kunststoffbahn“ und der Angabe einer „Kiesschüttung“ ohne ausdrückliche Ausschreibung einer „Kieseinpressung“ davon ausgehen, dass auf den Flachdächern keine Kieseinpressung, sondern lediglich eine auf einer Kunststoffbahn liegende lose Kiesschüttung auf dem Dach vorhanden war. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob Kieseinpressungen auf Bitumendächern bei Flachdächern dieser Art üblich sind. Maßgebend ist die Ausschreibung, die eine Kunststoffbahn nebst Kiesschüttung angab, so dass für die ausgeschriebenen Dächer nicht mit einem Kiespressdach zu rechnen war. Das Leistungsverzeichnis ist in diesem Punkt - anders als der Kläger meint - nicht unklar, sondern eindeutig.

    (c) Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte auch nicht gehalten, sich durch eine eigene Prüfung davon zu überzeugen, ob der ausgeschriebene Zustand des Dachs mit dem tatsächlichen Zustand übereinstimmte. Vielmehr darf sich der Auftragnehmer grundsätzlich darauf verlassen, dass eine Leistung richtig beschrieben ist. Er darf sich auch darauf verlassen, dass Details vollständig angegeben sind, soweit sich aus dem Vertrag nichts Abweichendes ergibt (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011, aaO, Rdnr. 17). Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung (S. 10 = GA 624) auf Ziffer 2.1.3 der TV Abbrucharbeiten Bezug nimmt, bezieht sich diese Regelung auf die Fallgestaltung, dass im Leistungsverzeichnis Angaben zu abzubrechenden Bauteilen getrennt nach verwendeten Baustoffen fehlen. So liegt der Fall hier indessen nicht. Vielmehr enthält das Leistungsverzeichnis eine detaillierte Leistungsbeschreibung, die für einen fachkundigen Bieter im vorbeschriebenen Sinne zu verstehen ist, die jedoch - wie noch auszuführen ist - unrichtig ist.

    (3) Soweit der Sachverständige ...[C] darüber hinaus angenommen hat, dass das Leistungsverzeichnis in einigen Punkten unklar ist und aus der Sicht eines Bieters Raum für Spekulationen lässt, hat das Landgericht angenommen, dass diese Unklarheiten nicht zu Lasten der Beklagten als Bieterin gehen. Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Deshalb ist - entgegen der Auffassung des Landgerichts - für die Frage, ob der Beklagten ein Anspruch auf Nachtragsvergütung zusteht, ausschließlich auf den Gesichtspunkt des (nicht ausgeschriebenen) Kiespressdachs abzustellen.

    Zwar ist nach § 9 Nr. 1 VOB/A die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und sie ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können; auch darf nach § 9 Nr. 2 VOB/A dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufgebürdet werden, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann.

    Jedoch darf der Auftragnehmer ein erkennbar lückenhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots klären; ähnlich ist es, wenn sich für ihn aus dem Leistungsverzeichnis und den ihm überlassenen Unterlagen die Bauausführung in bestimmter Weise nicht mit hinreichender Klarheit ergibt, er darauf aber bei der Kalkulation maßgebend abstellen will (BGH, Urteil vom 25. Juni 1987 - VII ZR 107/86, BauR 1987, 683 Rdnr. 15 f. m.w.Nachw.). Unterlässt der Unternehmer diese Aufklärung, trägt er das Risiko und muss es hinnehmen, dass die Auslegung des Vertrags (durch das Gericht) zu einem anderen Ergebnis kommt, als er es seiner Kalkulation zugrundegelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008, aaO, Rdnr. 37 f.).

    So liegt es hier. Nach dem Wortlaut der Ausschreibung war für einen fachkundigen Bieter ein Verständnis jedenfalls ohne weiteres möglich, dass die ohne nähere Umschreibung zum Abbruch ausgeschriebene „Wärmedämmung“ auch mineralische Anteile enthielt (was die Entsorgungskosten erhöht), dass weiter von den abzureißenden „mehrlagigen Bitumenbahnen“ auch die unterhalb der Wärmedämmschicht vorgefundene weitere Bitumenschicht (vom Sachverständigen als „Dampfsperre“ bezeichnet) umfasst war und dass die ohne nähere Umschreibung ihres Zustands ausgeschriebenen Bitumenbahnen vollflächig verklebt waren. Hiervon ist auch der Sachverständige ...[C] ausgegangen. Der Sachverständige hat insbesondere nicht angenommen, dass ein Bieter anhand des Wortlauts der Ausschreibung mit dem tatsächlich vorhandenen Zustand nicht hätte rechnen müssen. Insoweit mag das Leistungsverzeichnis zwar hinsichtlich des Zustands der Wärmedämmung und der Menge und Verlegung der Bitumenlagen unklar sein. Diese Unklarheiten fallen jedoch in den Risikobereich der Beklagten. Sie hätte nähere Angaben beim Kläger einholen können, wenn die Beschaffenheit der Wärmedämmung und der Bitumenbahnen für ihre Kalkulation bei der Ausschreibung von Bedeutung waren. Die Beklagte durfte jedenfalls nicht, wie sie meint, bei der Kalkulation ihres Angebots ohne Weiteres die für sie günstigste Variante zugrunde legen. Vielmehr musste sie die Unwägbarkeiten, die sich aus der erkennbar vage formulierten Leistungsbeschreibung ergaben, entweder vorab klären oder in ihre Kalkulation einbeziehen.

    (4) Der tatsächliche Zustand des Dachaufbaus weicht betreffend die Angaben einer „Kunststoffbahn“ und einer „Kiesschüttung“ von dem Leistungssoll nach der Leistungsbeschreibung ab, das sich aus der vorstehenden Auslegung ergibt (oben (2)).

    Der Sachverständige hat - von den Parteien insoweit unbeanstandet - festgestellt, dass Kunststoffbahnen in dem Dachaufbau tatsächlich nicht vorhanden waren. Dagegen lag ein nicht ausgeschriebenes und deshalb nicht vom Leistungssoll umfasstes Kiespressdach vor.

    Im Ergebnis ist die Ausschreibung des Klägers in diesem Punkt unrichtig und weicht von dem tatsächlichen Zustand des Dachaufbaus ab. Ein fachkundiger und verständiger Bieter musste anhand der Leistungsbeschreibung nicht damit rechnen, dass ein Kiespressdach, das heißt eine Bitumenschicht mit eingepresstem Kies, zu entsorgen sein würde.

    (5) Die Beklagte hatte im Hinblick auf die vorgenannte Abweichung des tatsächlichen Dachzustands von dem ausgeschriebenen Leistungssoll einen Anspruch auf besondere Vergütung.

    Es kann dahinstehen, ob die Beklagte - was zwischen den Parteien streitig ist - einen Anspruch auf Vereinbarung eines neuen Preises nach § 2 Nr. 5 VOB/B hatte. Denn jedenfalls ergibt sich der Anspruch auf besondere Vergütung aus § 2 Nr. 6 VOB/B in Verbindung mit § 1 Nr. 4 VOB/B. Bei der Entsorgung des Kiespressdachs handelt es sich um eine nicht vereinbarte Leistung, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung - der geschuldeten Abbrucharbeiten hinsichtlich der gesamten Dachfläche - erforderlich wurde.

    Der Kläger hat von der Beklagten auch die Ausführung dieser an sich nicht geschuldeten Leistung gefordert. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 18. Juli 2006 eine Forderung auf zusätzliche Vergütung geltend gemacht. Bei ihrer Kalkulation hat sie hierbei unter anderem auch darauf abgestellt, dass sie bei der Öffnung des Dachs als Einlagerung einen Kiesbelag in der Bitumenschicht von ca. 1,0 cm Höhe, versetzt mit Heißbitumen, vorgefunden habe, und hat diesen vorgefundenen Zustand in ihre Nachtragskalkulation eingestellt (Anlagen K4 und B07). Der Kläger, vertreten durch den Architekten ...[A], hat daraufhin wiederholt die Ausführung der gesamten Abbrucharbeiten von der Beklagten verlangt. In dem Schreiben vom 31. Juli 2006 hat der Architekt den Standpunkt eingenommen, der von ihm bei einer Überprüfung der Angaben der Beklagten vorgefundene Zustand decke sich mit der Ausschreibung zur Position 5.1.01; infolge dessen könnten Mehrkosten nicht geltend gemacht werden und die Arbeiten seien mit dem angegebenen Einheitspreis auszuführen. Der von der Beklagten angegebene, sogenannte Kiespressbelag sei für ein Flachdach ein normaler Zustand, Mehrkosten könnten auch hierfür nicht geltend gemacht werden (Anlage K5). Der Kläger hat deshalb die Erbringung der gesamten Abbruchleistung einschließlich der Entsorgung des Kiespressbelags von der Beklagten eingefordert. Die Beklagte hatte hierfür Anspruch auf besondere Vergütung. Diesen Anspruch hat sie, wie ausgeführt, dem Kläger auch angekündigt (§ 2 Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 VOB/B).

    bb) Der Beklagten stand nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ein Leistungsverweigerungsrecht zu, weil ihr die Aufnahme der Arbeiten nach den Gesamtumständen nicht zuzumuten war.

    (1) Der Kläger, vertreten durch die Architekten ...[A], hat Verhandlungen über eine besondere Vergütung der Beklagten nach § 2 Nr. 6 VOB/B bereits dem Grunde nach endgültig abgelehnt; hierdurch hat er gegen seine bauvertragliche Kooperationspflicht verstoßen. Aus der Sicht eines objektiven verständigen Auftragnehmers (§§ 133, 157 BGB) war der Kläger von vorneherein nicht bereit, sich auf Verhandlungen über das - dem Grunde nach berechtigte - Verlangen der Beklagten auf Zahlung einer besonderen Vergütung einzulassen.

    Wie vorstehend ausgeführt, hat der Architekt ...[A] als Vertreter des Klägers mit Schreiben vom 31. Juli 2006 das Nachtragsverlangen der Beklagten zurückgewiesen. Er hat nicht lediglich die Höhe des Nachtragsverlangens in Zweifel gezogen, sondern bereits zum Anspruchsgrund die Auffassung vertreten, eine Mehrvergütung stehe der Beklagten überhaupt nicht zu, weil der vorgefundene Dachzustand sich mit der Ausschreibung decke. Der Architekt hat in dem gleichen Schreiben sogar um ein entsprechendes Minderkostenangebot gebeten, weil der vorhandene Kiesaufbau - anders als ausgeschrieben - nur eine Aufbauhöhe von 4-5 cm besitze.

    Nachfolgend hat der Architekt ...[A] mit Schreiben vom 10. August 2006 (Anlage K10) mitgeteilt, ein Zusatz-Leistungsverzeichnis sei nicht erforderlich, und hat die Beklagte aufgefordert, mit den Arbeiten, wie im Leistungsverzeichnis angeboten, unverzüglich zu beginnen. Diese Forderung hat der Architekt mit seinem Fristsetzungsschreiben vom 18. August 2006 wiederholt (Anlage K13).

    Aus diesen Schreiben folgt, dass der Kläger zu Verhandlungen über eine Zusatzvergütung für die Beklagte - auch unter dem Gesichtspunkt des vorgefundenen Kiespressbelags - von vorneherein nicht bereit war.

    Soweit der Kläger geltend macht, er habe Verhandlungen über den Nachtrag nicht aus sachfremden Gründen abgelehnt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Architekt ...[A] als Vertreter des Klägers hat Verhandlungen über den Nachtrag bei objektiver Betrachtung zu Unrecht abgelehnt. Der Beklagten stand jedenfalls dem Grunde nach ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung zu. Der Vertreter des Klägers hat sich gleichwohl auf keinerlei Verhandlungen eingelassen, weil er sich auf den - unzutreffenden - Standpunkt gestellt hat, das Leistungsverzeichnis umfasse auch den Abbau und die Entsorgung des vorgefundenen Kiespressbelags. Das Risiko, dass sich im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren diese Einschätzung als unzutreffend erweist, trägt der Kläger.

    Insoweit kommt es bei der nach § 242 BGB vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nicht darauf an, ob dem Architekten ein Verschulden zur Last fällt, das dem Kläger zuzurechnen wäre. Unabhängig davon geht der Senat jedoch davon aus, dass der Architekt erkannt hat, jedenfalls ohne weiteres hätte erkennen müssen, dass das Leistungsverzeichnis in dem hier entscheidenden Punkt unrichtig war. Wie sich aus dem Schreiben des Architekten vom 31. Juli 2006 ergibt, hat er bei der eigenen Überprüfung des Dachzustands keine Kunststoffbahnen festgestellt; diese sind jedenfalls in dem von ihm beschriebenen Dachaufbau nicht festgehalten. Dies steht im Einklang mit dem - dem Architekten ...[A] bekannten - Untersuchungsbericht des Architekten und Dachdeckermeisters ...[B] vom 19. Dezember 2001 (Anlage K21), in dem von Kunststoffbahnen ebenfalls nicht die Rede ist (vgl. dort Ziffer 3.1 und anschließende Schadensliste mit Sanierungsempfehlungen). Der Architekt ...[A] hat in seiner Vernehmung vor dem Landgericht als Zeuge bekundet, die Ausschreibung sei durch ihn erfolgt und zwar auf der Grundlage eines Gutachtens des Dachdeckers ...[B]; die damals tatsächlich vorgefundene Art und Weise des Aufbaus ergebe sich aus diesem Gutachten (GA 180).

    Der sachkundig durch einen Architekten vertretene Kläger durfte sich deshalb nicht ohne weiteres auf den Standpunkt stellen, das Leistungsverzeichnis sei zutreffend und mit einem Kiespressbelag habe die Beklagte rechnen müssen. Tatsächlich war diese Auffassung unzutreffend und sachlich nicht gerechtfertigt.

    (2) Die Beklagte war auch berechtigt, die von ihr geschuldete Werkleistung insgesamt zurückzuhalten.

    Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte nicht verpflichtet, mit dem Absaugen des obenauf liegenden Kiesbelags, der sich nicht in die Bitumenschicht eingepresst hatte, zu beginnen. Zwar wäre der Beklagten dieser Arbeitsschritt in technischer Hinsicht möglich gewesen. Der Beginn mit diesem ersten und in Anbetracht der gesamten Werkleistung völlig untergeordneten Arbeitsschritt war der Beklagten jedoch nicht zuzumuten. Ausweislich des Leistungsverzeichnisses schuldete die Beklagte auf sämtlichen ausgeschriebenen Dachflächen auf unterschiedlichen Stockwerken jeweils zunächst Abbruch- und Entsorgungsarbeiten und anschließend die Vornahme neuer Abdichtungsarbeiten. Das Absaugen des losen Kieses einschließlich Abtransport und Entsorgung stellt in Bezug auf den gesamten Umfang der Werkleistung, aber auch auf den Teilbereich der geschuldeten Abbruch- und Entsorgungsarbeiten einen lediglich untergeordneten Arbeitsschritt dar. Es war der Beklagten nicht zuzumuten, lediglich diesen Arbeitsschritt auszuführen und ihre Arbeiten dann wieder einzustellen, um mit dem Kläger weitere Verhandlungen über den vereinbarten Nachtrag zu führen. Denn bereits der nächste anstehende Arbeitsschritt war der Abbruch und die Entsorgung der Bitumenschicht, in die sich der Kiesbelag eingepresst hatte. Im Übrigen ist auch hier zu berücksichtigen, dass weitere Verhandlungen über einen Nachtrag aus der objektiven Sicht eines verständigen Bieters nicht als erfolgversprechend erscheinen konnten, nachdem der Architekt von Anfang an jegliche Nachtragsforderung der Beklagten schon dem Grunde nach zurückgewiesen hatte.

    (3) Es kann offenbleiben, ob das (bestrittene) Vorbringen des Klägers zutrifft, die Beklagte habe vor dem Ausführungsbeginn eine Dachöffnung allein zu dem Zweck vorgenommen, Ansatzpunkte für eine Nachtragsforderung zu finden. Für die Frage, ob der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht zustand, kommt es allein darauf an, ob ihr bei objektiver Betrachtung ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung zustand und ob ihr bis zu einer Klärung dieser Vergütungsforderung die Aufnahme der Arbeiten unzumutbar war. Das Motiv der unstreitig vorgenommenen Dachöffnung ist dafür nicht von Bedeutung. Im Übrigen hätte sich das Vorhandensein eines Kiespressbelags auch ohne Dachöffnung spätestens nach Entfernung eines geringfügigen Teils des losen Kiesbelags als erstem Arbeitsschritt gezeigt.

    (4) Der Annahme eines Leistungsverweigerungsrechts der Beklagten steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Beklagte ein gegebenenfalls deutlich überhöhtes Nachtragsverlangen gestellt hat und sie - wie der Kläger geltend macht - die Ausführung der geschuldeten Werkleistung von der Bezahlung ihrer Nachtragsforderung abhängig gemacht hat.

    Die Beklagte hat im vorliegenden Verfahren eingeräumt, dass ihr bei der Bezifferung der Nachtragsforderung ein Kalkulationsfehler unterlaufen ist, der dazu geführt hat, dass die Nachtragsforderung zu hoch war. Die Beklagte hat zunächst mit Schreiben vom 18. Juli 2006 eine „Projektangleichung“ verlangt (Anlage K4 i.V.m. Anlage B07 „Projektanpassung“). Mit Schreiben vom 15. August 2006 (Anlage B24) hat die Beklagte ein erhöhtes Nachtragsangebot über einen Betrag von 55.734,60 € netto zuzüglich Umsatzsteuer gestellt. Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass diese Nachtragsforderung deutlich überhöht war. Des Weiteren wird zugunsten des Klägers als wahr unterstellt - auch wenn sich dies aus dem Schriftverkehr zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht mit Eindeutigkeit ergibt -, dass die Beklagte die Ausführung der Leistungen verweigert hat, sofern sie keine Vergütung gemäß ihrem Nachtragsangebot vom 15. August 2006 erhalte; dies hat das Landgericht im unstreitigen Tatbestand ohne nähere Erläuterung festgestellt.

    Entgegen der Auffassung des Klägers führen diese Gesichtspunkte jedoch nicht zum Entfallen des Leistungsverweigerungsrechts der Beklagten, weil diese sich (ebenfalls) treuwidrig verhalten habe. Die Beklagte hat mit ihrem Verlangen gegenüber dem Kläger unter Fristsetzung, eine vertragsgerechte, zum Objekt passende Ausschreibung herzustellen (Schreiben vom 7. August 2006, Anlage K8), sowie durch ihre überhöhte Nachtragsforderung nicht, wie der Kläger meint, den Boden einer Verhandlung über die richtige Auslegung des vertraglichen Leistungsverzeichnisses verlassen und treuwidrig unzulässigen Druck auf den Kläger ausgeübt. Maßgebend ist, dass der Kläger jegliche - auch teilweise - Mehrvergütung von vorneherein abgelehnt hat, obwohl diese Forderung dem Grunde nach berechtigt war. Es wäre auf das Nachtragsangebot der Beklagten hin zunächst Sache des Klägers im Rahmen seiner Kooperationspflicht gewesen, sich dem Grunde nach zu einer Verhandlungsbereitschaft nach § 2 Nr. 6 VOB/B zu bekennen. Anschließend hätte über die Berechtigung der Nachtragsforderung der Beklagten der Höhe nach verhandelt werden können. Diese aufgrund der wechselseitigen Kooperationspflicht an sich gebotene Verhandlung hat der Kläger von vorneherein abgelehnt. Nach dem Vorbringen der Beklagten wäre sie zu Verhandlungen über die Höhe auch bereit gewesen, wenn der Kläger Verhandlungsbereitschaft dem Grunde nach bekundet hätte. Der Kläger hat nicht dargelegt und auch keinen Beweis dafür angeboten, dass die Beklagte auch dann, wenn der Kläger grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft bekundet hätte, unverrückbar an ihrer überhöhten Nachtragsforderung festgehalten und sich auf entsprechende Verhandlungen zur Höhe ihrerseits nicht eingelassen hätte.

    (5) Es kann dahinstehen, ob der Beklagten die Arbeitsaufnahme - in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 320 Abs. 2 BGB - zumutbar gewesen wäre, wenn ihr Vergütungsanspruch nach § 2 Nr. 6 VOB/B die ursprünglich vereinbarte Vergütung mit einer Gesamtauftragssumme von 186.401,43 d€ netto nur unerheblich überstiegen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008, aaO, Rdnr. 45; vgl. auch Kölbl in Ganten/Jansen/Voit, Beck'scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Aufl., § 18 Abs. 5 Rdnr. 11 m.w.Nachw.). Denn eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor.

    Einer genauen Bezifferung der nach § 2 Nr. 6 VOB/B zu bestimmenden Vergütungsforderung bedarf es nicht. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die berechtigte Mehrforderung jedenfalls nicht nur unerheblich war. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen ...[C], das der Senat auch insoweit seinen Feststellungen zugrunde legt.

    Der Sachverständige ...[C] hat in seinem Gutachten vom 22. Oktober 2010 ausgeführt, er betrachte als „gravierenden Faktor“ die aufwendige Entsorgung der Kiesschüttung (richtig muss es heißen: Kiespressung), da eine eingepresste Kiesschicht wesentlich aufwendiger als eine lose Schüttung zu entsorgen sei (S. 14). Im Ergänzungsgut-achten vom 26. April 2011 hat der Sachverständige weiter ausgeführt, die Entsorgung eines Kiespressdachs sei wesentlich aufwendiger als die Entsorgung einer Kiesschüttung. Bei einer Kiesschüttung könne der Dachbelag sortenrein vom Kiesbelag getrennt werden. Die eigentlich schwere Kiesschicht verursache relativ geringe Entsorgungskosten, da diese wieder für andere Zwecke aufgearbeitet werden könne. Die verbleibende Bitumenschicht könne dann sortenrein als Bitumenmüll entsorgt werden und sei, aufgrund der nicht eingebundenen Kieskörner, relativ leicht. Bei einem Kiespressdach sei dagegen eine Trennung der Bitumenschicht von der Kiesschicht nicht mehr vollständig möglich, so dass eine sehr schwere Sondermüllmasse verbleibe, die entsprechend hohe Entsorgungskosten verursache (S. 13/14). In der Zusammenfassung des Ergänzungsgutachtens ist ausgeführt, es sei zutreffend, dass eine Kiesschüttung eine lose Schicht ist, die abgesaugt werden könne, während eine Kiespressung nicht absaugfähig sei und damit bei der Entsorgung „erheblich höhere Kosten“ verursache (S. 19). Diese Ausführungen hält der Senat für plausibel und überzeugend; Einwendungen dagegen haben die Parteien auch nicht erhoben.

    Hiermit steht im Einklang, dass der Sachverständige in seinem Gutachten vom 22. Oktober 2010 ausgeführt hat, aufgrund der vorhandenen Abweichungen sei eine Preisanpassung erforderlich. Es müssten Minderkosten für die nicht enthaltenen Kunststoffbahnen und die geringere Schütthöhe sowie Mehrkosten für die Entsorgung der eingepressten Kiesschicht ermittelt werden (S. 19). Der Sachverständige hat an gleicher Stelle deutlich gemacht, dass er hiermit nicht eine rechtliche Bewertung vornehmen wolle; vielmehr hat er eine fachliche Einschätzung vorgenommen. Es liegt anhand der vorstehenden Ausführungen des Sachverständigen auf der Hand, dass die vorgenannten Minderkosten deutlich geringer sind als die Mehrkosten für die Entsorgung der eingepressten schweren Kiesschicht als „Sondermüllmasse“ und dass deshalb bei einer Saldierung dieser Kostenpositionen immer noch eine jedenfalls nicht unerhebliche Zusatzvergütung der Beklagten verbleibt.

    Bei der Beurteilung der Frage, ob die berechtigte Nachtragsforderung im Vergleich zur Gesamtauftragssumme nur unerheblich ist, ist auch zu berücksichtigen, dass die Forderung der Beklagten auf Mehrvergütung sich nicht nur auf die am Anfang des Leistungsverzeichnisses stehenden Positionen 5.1.01 und 5.1.02 mit einer ausgeschriebenen Dachfläche von 780 qm bezieht, sondern dass diese beiden Positionen auf der gesamten ausgeschriebenen Dachfläche auszuführen waren (vgl. die Positionen 5.3.01 und 5.3.02, 5.5.01 und 5.5.04, 5.7.01 und 5.7.02 sowie 5.9.01 und 5.9.02). Legt man die vom Kläger geprüften und anerkannten Aufmaße in der Schlussrechnung der späteren Auftragnehmerin, der ...[D] Bedachungen GmbH zugrunde (Anlage K19), addieren sich die betroffenen Flächen auf insgesamt 1.461,95 qm.

    Der Beklagten war es angesichts dieser Umstände nicht zuzumuten, im Hinblick auf den erheblichen Mehraufwand der Entsorgung mit ihrer Arbeitsleistung zu beginnen, bevor der Kläger nicht zumindest Verhandlungsbereitschaft hinsichtlich der berechtigten Nachtragsforderung bekundet hatte. Indem der Kläger jegliche Verhandlung über die berechtigte Forderung der Beklagten schon dem Grunde nach verweigert hat, hat er die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit zerstört. Die Beklagte durfte deshalb ihre Arbeitsleistung insgesamt zurückhalten.

    4. Aus dem vorgenannten Grund ist die Klage auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruchs nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB begründet. Die Beklagte hat keine vertragliche Pflicht verletzt, indem sie die Aufnahme der Arbeiten verweigerte.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

    Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

    Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben ist.

    Der Senat hat beschlossen, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 32.055 € festzusetzen.

    Dr. von Gumpert Steinhauer Wollenweber
    Richter
    am Oberlandesgericht Richter
    am Oberlandesgericht Richter
    am Oberlandesgericht
    Verkündet am 06.11.2014
    Rausch, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle