05.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187010
Amtsgericht München: Beschluss vom 12.02.2016 – 1503 IN 3339/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Amtsgericht München
Abteilung für Insolvenzsachen
Az.: 1503 IN 3339/15
In dem Verfahren über den Antrag d.
- Antragstellender Gläubiger -
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen d.
- Schuldner -
erlässt das Amtsgericht München am 12.02.2016 folgenden
Beschluss
1. Der zuständige Gerichtsvollzieher wird beauftragt,
§ bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung den Namen, die Vornamen oder die Firma sowie die Anschriften der derzeitigen Arbeitgeber eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses des Schuldners zu erheben;
§ das Bundeszentralamt für Steuern zu ersuchen, bei den Kreditinstituten die in § 93b Abs. 1 der Abgabenordnung bezeichneten Daten abzurufen (§ 93 Abs. 8 Abgabenordnung);
§ beim Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeug- und Halterdaten nach § 33 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes zu einem Fahrzeug, als dessen Halter der Schuldner eingetragen ist, zu erheben.
2. Der Beschluss vom 08.01.2016 wird aufgehoben.
Gründe:
Die Erhebung der vorgenannten Auskünfte durch den Gerichtsvollzieher ist im Insolvenzverfahren gemäß § 4 InsO in Verbindung mit § 802 l ZPO zulässig und zur Sachverhaltsaufklärung in hiesigem Verfahren auch verhältnismäßig.
1. § 802 l ZPO ist auch im Insolvenzverfahren anwendbar. Zwar gilt dies nicht für alle Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung. Die Anwendung von Vorschriften des Achten Buches der ZPO ist im Insolvenzverfahren aber immer dann möglich, wenn diese von dem Gegensatz zwischen Gesamt- und Einzelvollstreckung nicht berührt werden (vgl. MüKoInsO/Ganter/Lohmann InsO § 4 Rn. 33). Nach diesen Grundsätzen ergibt sich die Anwendbarkeit von § 802 l ZPO im Insolvenzverfahren, da das Bedürfnis zur Erhebung von Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu den Gemeinsamkeiten von Gesamt- und Einzelvollstreckung gehört und schon allein deshalb hier kein Gegensatz besteht. Die Auskunftserteilung nach § 802 l ZPO wird zwar durch einen Gläubigerantrag in der Einzelvollstreckung angestoßen, liegt aber im Interesse aller Gläubiger. Auch aus diesem Grund besteht kein Gegensatz zum Insolvenzverfahren als Verfahren der Gesamtvollstreckung.
Der Anwendbarkeit von § 802 l steht auch nicht entgegen, dass §§ 20, 97, 98 InsO nicht auf § 802 l ZPO verweisen. Denn wenn der Gesetzgeber ausdrücklich auch die Verhaftung des Schuldners zugelassen hat, wenn dieser seiner Auskunftspflicht nicht nachkommt, kann aus der fehlenden Verweisung nicht auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, dass § 802 l ZPO nicht anwendbar sein soll. Dies ergibt sich schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wenn der Gesetzgeber ausdrücklich die Verhaftung des Schuldners unter Verweis auf die Vorschrift von § 802g ZPO zugelassen hat, müssen über § 4 InsO erst recht die Vorschriften mit einer wesentlich geringeren Eingriffsintensität anwendbar sein, wie z. B. § 802 l ZPO.
2. Die Auskunftserteilung ist auch im hiesigen Verfahren zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich, notwendig und angemessen. Über die Auskunftserteilung nach § 802 l ZPO können wertvolle Informationen über die Vermögenslage des nicht mitwirkungsbereiten Schuldners gewonnen werden. Diese Informationen sind für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erforderlich. Die Einholung der Informationen ist auch notwendig, da der Schuldner seinen Auskunftspflichten nicht nachkommt. Die Durchsetzung der Auskunftspflichten könnte ansonsten nur durch Zwangsmaßnahmen wie eine Durchsuchung oder Vorführung oder Verhaftung des Schuldners erfolgen. Demgegenüber stellt sich die Auskunftserteilung nach § 802 l ZPO als das mildere Mittel dar.
3. Der Gerichtsvollzieher ist gemäß § 802 l ZPO zuständig. Die Informationseinholung durch das Insolvenzgericht ist nicht möglich, da das Bundesverfassungsgericht für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung postuliert hat, dass im Gesetz angegeben werden muss, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welche Aufgaben zu der geregelten Informationserhebung berechtigt sein soll (BVerfG, NJW 2007, 2464). Da der Gerichtsvollzieher als zuständige Stelle im Gesetz ausdrücklich benannt ist, verbietet sich eine Informationseinholung durch das Gericht in entsprechender Anwendung der Vorschrift. Deshalb war auch der Beschluss vom 08.01.2016 aufzuheben.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann die sofortige Beschwerde (im Folgenden: Beschwerde) eingelegt werden.
Die Beschwerde ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem
Amtsgericht München
Pacellistraße 5
80333 München
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung bzw. mit der wirksamen öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 9 InsO im Internet (www.insolvenzbekanntmachungen.de). Die öffentliche Bekanntmachung genügt zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten, auch wenn die InsO neben ihr eine besondere Zustellung vorschreibt, § 9 Abs. 3 InsO. Sie gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO. Für den Fristbeginn ist das zuerst eingetretene Ereignis (Verkündung, Zustellung oder wirksame öffentliche Bekanntmachung) maßgeblich.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gerichte eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Die Beschwerde ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.
Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.
Abteilung für Insolvenzsachen
Az.: 1503 IN 3339/15
In dem Verfahren über den Antrag d.
- Antragstellender Gläubiger -
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen d.
- Schuldner -
erlässt das Amtsgericht München am 12.02.2016 folgenden
Beschluss
1. Der zuständige Gerichtsvollzieher wird beauftragt,
§ bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung den Namen, die Vornamen oder die Firma sowie die Anschriften der derzeitigen Arbeitgeber eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses des Schuldners zu erheben;
§ das Bundeszentralamt für Steuern zu ersuchen, bei den Kreditinstituten die in § 93b Abs. 1 der Abgabenordnung bezeichneten Daten abzurufen (§ 93 Abs. 8 Abgabenordnung);
§ beim Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeug- und Halterdaten nach § 33 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes zu einem Fahrzeug, als dessen Halter der Schuldner eingetragen ist, zu erheben.
2. Der Beschluss vom 08.01.2016 wird aufgehoben.
Gründe:
Die Erhebung der vorgenannten Auskünfte durch den Gerichtsvollzieher ist im Insolvenzverfahren gemäß § 4 InsO in Verbindung mit § 802 l ZPO zulässig und zur Sachverhaltsaufklärung in hiesigem Verfahren auch verhältnismäßig.
1. § 802 l ZPO ist auch im Insolvenzverfahren anwendbar. Zwar gilt dies nicht für alle Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung. Die Anwendung von Vorschriften des Achten Buches der ZPO ist im Insolvenzverfahren aber immer dann möglich, wenn diese von dem Gegensatz zwischen Gesamt- und Einzelvollstreckung nicht berührt werden (vgl. MüKoInsO/Ganter/Lohmann InsO § 4 Rn. 33). Nach diesen Grundsätzen ergibt sich die Anwendbarkeit von § 802 l ZPO im Insolvenzverfahren, da das Bedürfnis zur Erhebung von Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu den Gemeinsamkeiten von Gesamt- und Einzelvollstreckung gehört und schon allein deshalb hier kein Gegensatz besteht. Die Auskunftserteilung nach § 802 l ZPO wird zwar durch einen Gläubigerantrag in der Einzelvollstreckung angestoßen, liegt aber im Interesse aller Gläubiger. Auch aus diesem Grund besteht kein Gegensatz zum Insolvenzverfahren als Verfahren der Gesamtvollstreckung.
Der Anwendbarkeit von § 802 l steht auch nicht entgegen, dass §§ 20, 97, 98 InsO nicht auf § 802 l ZPO verweisen. Denn wenn der Gesetzgeber ausdrücklich auch die Verhaftung des Schuldners zugelassen hat, wenn dieser seiner Auskunftspflicht nicht nachkommt, kann aus der fehlenden Verweisung nicht auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, dass § 802 l ZPO nicht anwendbar sein soll. Dies ergibt sich schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wenn der Gesetzgeber ausdrücklich die Verhaftung des Schuldners unter Verweis auf die Vorschrift von § 802g ZPO zugelassen hat, müssen über § 4 InsO erst recht die Vorschriften mit einer wesentlich geringeren Eingriffsintensität anwendbar sein, wie z. B. § 802 l ZPO.
2. Die Auskunftserteilung ist auch im hiesigen Verfahren zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich, notwendig und angemessen. Über die Auskunftserteilung nach § 802 l ZPO können wertvolle Informationen über die Vermögenslage des nicht mitwirkungsbereiten Schuldners gewonnen werden. Diese Informationen sind für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erforderlich. Die Einholung der Informationen ist auch notwendig, da der Schuldner seinen Auskunftspflichten nicht nachkommt. Die Durchsetzung der Auskunftspflichten könnte ansonsten nur durch Zwangsmaßnahmen wie eine Durchsuchung oder Vorführung oder Verhaftung des Schuldners erfolgen. Demgegenüber stellt sich die Auskunftserteilung nach § 802 l ZPO als das mildere Mittel dar.
3. Der Gerichtsvollzieher ist gemäß § 802 l ZPO zuständig. Die Informationseinholung durch das Insolvenzgericht ist nicht möglich, da das Bundesverfassungsgericht für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung postuliert hat, dass im Gesetz angegeben werden muss, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welche Aufgaben zu der geregelten Informationserhebung berechtigt sein soll (BVerfG, NJW 2007, 2464). Da der Gerichtsvollzieher als zuständige Stelle im Gesetz ausdrücklich benannt ist, verbietet sich eine Informationseinholung durch das Gericht in entsprechender Anwendung der Vorschrift. Deshalb war auch der Beschluss vom 08.01.2016 aufzuheben.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann die sofortige Beschwerde (im Folgenden: Beschwerde) eingelegt werden.
Die Beschwerde ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem
Amtsgericht München
Pacellistraße 5
80333 München
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung bzw. mit der wirksamen öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 9 InsO im Internet (www.insolvenzbekanntmachungen.de). Die öffentliche Bekanntmachung genügt zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten, auch wenn die InsO neben ihr eine besondere Zustellung vorschreibt, § 9 Abs. 3 InsO. Sie gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO. Für den Fristbeginn ist das zuerst eingetretene Ereignis (Verkündung, Zustellung oder wirksame öffentliche Bekanntmachung) maßgeblich.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gerichte eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Die Beschwerde ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.
Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.
RechtsgebietInsolvenzVorschriften§ 97 InsO