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  • 07.03.2019 · IWW-Abrufnummer 207592

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 23.11.2018 – 32 SA 51/18

    Wird bei einer mit unterschiedlichen Bauvorhaben begründeten Forderung auf Zahlung restlichen Werklohns vor einem Gericht Klage erhoben, bei dem (nur) für eines der Bauvorhaben der Gerichtsstand des Erfüllungsortes begründet ist, kommt - nach Verfahrenstrennung - eine Verweisung der abgetrennten Verfahren in Betracht, für die das Gericht nicht zuständig ist. Eine ohne Verfahrenstrennung ausgesprochene Verweisung des gesamten Rechtsstreites kann unverbindlich sein. Das für die Gerichtsstandbestimmung zuständige Oberlandesgericht kann in einem solchen Fall den Verweisungsbeschluss aufheben und die Sache an das zuerst befasste Gericht zurückgeben.


    Tenor:

    Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts T vom 11.09.2018 wird aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landgericht T zurückgegeben.
     
    1

    Gründe:
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    I.
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    Der Rechtsstreit liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.
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    Dem Rechtsstreit liegt – soweit für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang – im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:
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    Der Kläger nimmt die Beklagte mit Sitz in M im Bezirk des Landgerichts P vor dem Landgericht T auf Zahlung restlichen Werklohns aus vier unterschiedlich gelegenen Bauvorhaben (1. Stadtkrankenhaus T, 2. Bürogebäude M2, 3. Hotel Inselhof C und 4. Objekt F-Weg in I) in Höhe von 32.940,80 € zzgl. Nebenforderungen in Anspruch. Dem Rechtsstreit ist ein Mahnverfahren vor dem Amtsgericht P – Zentrales Mahngericht – vorausgegangen, in dem die nunmehr klageweise geltend gemachten Ansprüche bereits Gegenstand waren. Als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden sollte, war das Landgericht T angegeben. Nach erfolgtem Widerspruch hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.07.2018 die Abgabe des streitigen Verfahrens „an das zuständige Landgericht T“ und zugleich beantragt, die Beklagte zur Zahlung des o.g. Betrages zzgl. Nebenforderungen zu verurteilen.
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    Daraufhin hat das Landgericht T den Kläger mit Verfügung vom 03.08.2018 darauf hingewiesen, dass „die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts – zumindest zum größten Teil – zweifelhaft erscheint und nicht ersichtlich ist“.
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    Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.08.2018 hat die Beklagte die Zuständigkeit des Landgerichts T gerügt und unter Verweis auf den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten eine Verweisung an das Landgericht P angeregt. Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 29.08.2018 hat der Kläger in Übereinstimmung mit der Beklagten beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht P, dort Kammer für Handelssachen, zu verweisen.
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    Daraufhin hat sich das Landgericht T mit Beschluss vom 11.09.2018 für insgesamt örtlich und funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht P verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das angerufene Landgericht T örtlich unzuständig sei. Da die Beklagte ihren allgemeinen Gerichtsstand in P habe, könnte sich allenfalls die Zuständigkeit des Landgerichts T für eines der vier streitgegenständlich Bauvorhaben, nämlich das Stadtkrankenhaus T ergeben. Da auch die weiteren drei Bauvorhaben jeweils in unterschiedlichen Gerichtsbezirken nach § 29 ZPO lägen, sei es dem Wunsch der Parteien entsprechend sachgerecht, die gerichtliche Zuständigkeiten nicht für jedes einzelne Bauvorhaben gesondert zu bestimmen. Es sei daher prozessökonomisch, als Gerichtsstand den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten zugrunde zu legen.
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    Mit Verfügung vom 27.09.2018 hat das Landgericht P die Parteien darauf hingewiesen, dass die Verweisung nach dortiger Auffassung teilweise willkürlich sei, da das Landgericht T hinsichtlich des dort gelegenen Bauvorhabens (Stadtkrankenhaus T) zuständig sei und den Rechtsstreit insoweit daher nicht verweisen könne. Vielmehr hätte das Landgericht T die Ansprüche, für die es nicht zuständig sei, abtrennen und insoweit verweisen müssen. Es sei daher beabsichtigt, die Verfahrensakten zu diesem Zwecke an das Landgericht T zurückzugeben. Der Kläger ist dem nicht entgegengetreten, während die Beklagte darum gebeten hat, den Rechtsstreit insgesamt vor dem Landgericht P zu führen. Mit Verfügung vom 04.10.2018 hat das Landgericht P die Verfahrensakten dem Landgericht T mit der Bitte um teilweise Abtrennung und erneute Verweisung an das Landgericht P zurückgegeben.
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    Daraufhin hat das Landgericht T die Rückübernahme der Sache mit Beschluss vom 08.10.2018 abgelehnt mit der Begründung, dass die Verweisung, da dem ausdrücklichen Antrag beider Parteien entsprechend, nicht willkürlich gewesen und das Landgericht P wegen des allgemeinen Gerichtsstandes (§§ 12, 17 ZPO) insgesamt zuständig sei, sowie die Verfahrensakten erneut dem Landgericht P übersandt. Dieses wiederum hat sich für die Entscheidung über die Ansprüche aus dem Nachunternehmervertrag vom 30.04.2014 betreffend das Stadtkrankenhaus T für unzuständig erklärt und das Oberlandesgericht Hamm insoweit zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes angerufen.
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    Der Senat die Parteien mit Verfügung vom 19.10.2018 angehört. Hierzu haben die Parteien keine Stellungnahme abgegeben.
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    II.
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    Die Voraussetzungen einer Bestimmung des Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
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    Das Landgericht T und das Landgericht P haben sich beide im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Landgericht T hat den Rechtsstreit durch den grundsätzlich gemäß § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren und den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 11.09.2018 an das Landgericht P verwiesen. Das Landgericht P hat durch den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 11.10.2018 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sich für die Entscheidung über die Ansprüche aus dem Nachunternehmervertrag vom 30.04.2014 betreffend das Stadtkrankenhaus T für unzuständig erklärt und das Verfahren dem Oberlandesgericht zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO auch zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das Landgericht T als das zuerst mit der Sache befasste Gericht zum hiesigen Bezirk gehört.
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    Das Landgericht P ist an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts T vom 11.09.2018 nicht gebunden.
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    Gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend, da - im Einklang mit der in § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO normierten Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen - im Interesse der Prozessökonomie das Verfahren verzögernde und verteuernde Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden sollen. Eine Bindung an den Verweisungsbeschluss ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 9; BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, juris Rn 12; Senat, Beschluss vom 29.07.2011, 32 SA 57/11, juris Rn 19). Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss einen über einen einfachen Rechtsfehler hinausgehenden, schwerwiegenden Fehler aufweist, der unter Umständen begangen wurde, die den Verweisungsbeschluss in der Gesamtbetrachtung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich unhaltbar erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 11 m.w.N.).
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    Einem Verweisungsbeschluss kann insbesondere dann keine Bindungswirkung zukommen, wenn die Verweisung – wie vorliegend – „kraft Sachzusammenhangs“ erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.1996, XII ARZ 13/96 – Zitat nach juris). Eine Verweisung nach § 281 ZPO setzt vielmehr voraus, dass das angegangene Gericht zur Zeit der Verweisung sachlich oder örtlich unzuständig ist. Ist das angerufene Gericht zuständig, kann eine Verweisung auch dann nicht ausgesprochen werden, wenn daneben – wie vorliegend – noch ein weiteres bzw. weitere Gerichte zuständig sind. Der Kläger kann die ihm nach § 35 ZPO zustehende und durch Klageerhebung bzw. mit Mahnantragseinreichung ausgeübte Wahl nicht nachträglich ändern. Eine dennoch ausgesprochene Verweisung ist nicht bindend (zum Ganzen: Bacher in BeckOK ZPO, 30. Edition, Stand 15.09.2018, § 281, Rn 6; vgl. a. BGH, Beschluss v. 10.09.2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 – Zitat nach beckonline). Etwas anderes kann dann gelten, wenn ein Wahlrecht, dass der Kläger bei Klageerhebung bzw. Mahnantragseinreichung nicht kennen konnte oder das Wahlrecht erst nachträglich – z.B. durch eine spätere Klagerweiterung – entsteht. In diesem Fall kann der Kläger dessen Ausübung durch einen Verweisungsantrag nachholen (vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, 30. Edition, Stand 15.09.2018, § 35, Rn 10, 11). So verhält es sich vorliegend jedoch nicht, da sämtliche der klageweise vor dem Landgericht T geltend gemachten, auf die vier unterschiedlichen Bauvorhaben bezogenen Ansprüche bereits Gegenstand des Mahnverfahrens gewesen sind. Der Kläger hätte die ihm zustehende Wahl des für alle vier Bauvorhaben einschlägigen Gerichtsstandes in P (§§ 12, 17 ZPO) dementsprechend bereits im Mahnverfahren ausüben können. Dies hat er nicht getan, sondern sich für ein Verfahren beim Landgericht T entschieden, bei dem nur für die Ansprüche aus dem Bauvorhaben Stadtbankenhaus T der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) begründet ist, vgl. BGH, Beschluss v. 05.12.1985, I ARZ 737/85, NJW 1986, S. 935. Eine – wie vorliegend – lediglich partielle (nämlich auf die aus den Bauvorhaben in M, C und I behaupteten Ansprüchen bezogene) Unzuständigkeit berechtigt zur Verweisung allerdings insoweit, als sie für einen abtrennbaren (§ 145 ZPO) prozessualen Anspruch besteht. Der Zweck des § 281 ZPO gebietet in diesem Fall eine – die Verfahrenstrennung einschließende - Teilverweisung (vgl. Foerste in Musielak/Voit, ZPO 15. Aufl. 2018, § 281, Rn 7; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 281 Rn 27; jeweils m.w.N.). Einen Gerichtsstand der „Prozessökonomie“ bzw. „kraft Sachzusammenhangs“ der die Verweisung des gesamten, nicht getrennten Rechtsstreits erlaubt, gibt es hingegen – worauf bereits das Landgericht P zutreffend hingewiesen hat – nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.1996, XII ARZ 13/96 – Zitat nach juris).
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    Der Umstand, dass die Parteien sich übereinstimmend für eine umfassende Verweisung an das Landgericht P ausgesprochen haben, schließt Willkür entgegen der Annahme des Landgerichts T vorliegend nicht aus. Wenn das Gericht durch die Verweisung des Rechtsstreits einem übereinstimmenden Verlangen beider Parteien entspricht, kann dies zwar in manchen Fällen geeignet sein, einen rechtsfehlerhaft zustande gekommenen Verweisungsbeschluss nicht willkürlich erscheinen zu lassen. Das gilt aber nicht, wenn ein unzweifelhaft zuständiges Gericht die Parteien, die sich bis dahin – wie vorliegend – zur Frage einer Verweisung noch nicht geäußert haben, von sich aus auf die angeblich bestehende Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer Verweisung hinweist (BGH, Beschluss vom 10.09.2002, X ARZ 217/02, juris Rn 17). Die Parteien haben ihre Verweisungsanträge ersichtlich im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Zuständigkeit durch das Landgericht T gestellt. Der Antrag war aus anwaltlicher Sicht auch durchaus geboten, um der Gefahr einer Klageabweisung als unzulässig zu begegnen. Der Antrag nimmt der Verweisung daher die Einordnung als willkürlich nicht. Richtigerweise hätte das Landgericht T vielmehr auf eine teilweise Abtrennung (§ 145 ZPO) und die lediglich hierauf bezogene Teilverweisung hinwirken müssen.
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    Dementsprechend war der den gesamten Rechtsstreit umfassende Verweisungsbeschluss des Landgerichts T vom 11.09.2018 insgesamt aufzuheben und die Sache dorthin zurückzugeben (so in Erg. auch BGH, Beschluss vom 23.10.1996, XII ARZ 13/96). Eine Zuständigkeit des Landgerichts P ist durch den Beschluss nicht begründet worden, auch nicht für Ansprüche aus den Bauvorhaben in M, C und I. Das Landgericht T mag eine auf die abtrennbaren, nicht der eigenen örtlichen Zuständigkeit unterfallenden prozessualen Ansprüche bezogene Teilverweisung hinsichtlich dieser Bauvorhaben an das Landgericht P prüfen und ggfls. aussprechen. Alternativ mag die Beklagte erwägen, sich zur Ermöglichung der – ersichtlich von beiden Parteien angestrebten – einheitlichen Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Landgericht T rügelos einzulassen.

    RechtsgebietZuständigkeitVorschriften§ 29 ZPO; §§ 36 I Nr. 6, 281 ZPO