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  • 05.06.2019 · IWW-Abrufnummer 209227

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 24.07.2018 – 5 RVs 103/18

    1. Das Tatbestandsmerkmal des „Erschleichens“ im Sinne des § 265a StGB ist bereits dann erfüllt, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt nutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen. Wer ein Beförderungsmittel ohne gültigen Fahrausweis betritt, verschweigt nicht nur das Unterlassen der Zahlung des Fahrpreises, sondern gibt mit dem Benutzen des Beförderungsmittels konkludent die wahrheitswidrige Erklärung ab, seiner Zahlungspflicht nachgekommen zu sein.

    2. Weder das Übermaßverbot noch das Gebot des schuldangemessenen Strafens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip schließen die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen (§ 47 StGB) bei Bagatelldelikten bzw. Straftaten mit nur geringem Schaden aus. Aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens ergibt sich auch nicht, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht kommt. Ob die Verhängung einer das gesetzliche Mindestmaß (§ 38 Abs. 2 StGB) übersteigenden Freiheitsstrafe schuldangemessen ist, entscheidet sich vielmehr auch bei den Bagatelldelikten (hier: „Schwarzfahrerei“) nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls.


    Oberlandesgericht Hamm

    5 RVs 103/18

    Tenor:

    1. Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
    2. Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).
    1

    Gründe:

    2

    I.

    3

    Mit Berufungsurteil der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 06. März 2018 wurde – unter Abänderung des Verwerfungsurteils der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 05. Dezember 2017 – das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 23. August 2017, unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 19. September 2017, Az. 31 Ns 25/17, dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt wird.

    4

    Erstinstanzlich war die Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Essen vom 23. August 2017 wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen sowie Unterschlagung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Der Tatvorwurf der Unterschlagung wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der Berufungshauptverhandlung vom 06. März 2018 vorläufig gemäß § 154 Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StPO eingestellt.

    5

    Gegen das in ihrer und ihrer Verteidigerin Anwesenheit am 06. März 2018 verkündete Berufungsurteil des Landgerichts Essen, welches ihrer Verteidigerin auf Anordnung des Vorsitzenden vom 03. April 2018 am 12. April 2018 zugestellt wurde, wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision, eingelegt mit Schriftsatz ihrer Verteidigerin vom 12. März 2018, eingegangen per Telefax-Schreiben beim Landgericht Essen am selben Tage. Mit weiterem Schriftsatz vom 11. Mai 2018, eingegangen per Telefax-Schreiben beim Landgericht Essen am selben Tage, begründet die Angeklagte die Revision mit der Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil der XI. kleinen Strafkammer vom 06. März 2018 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurück zu verweisen.

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    Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Antragsschrift vom 27. Juni 2018, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Zur Begründung führt sie aus, die Überprüfung des Urteils auf die allein erhobene, nicht näher ausgeführte Sachrüge lasse Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht erkennen.

    7

    Von der ihr eingeräumten Möglichkeit, eine Gegenerklärung (§ 349 Abs. 3 S. 2 StPO) einzureichen, hat die Angeklagte keinen Gebrauch gemacht.

    8

    II.

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    Die zulässige Revision der Angeklagten ist offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

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    Durchgreifende Rechtsfehler, die geeignet wären, die von der Angeklagten allein erhobene, nicht näher ausgeführte Verletzung materiellen Rechts zu begründen, sind nicht ersichtlich.

    11

    1.

    12

    Die Feststellungen tragen den Schuldspruch. Das Tatbestandsmerkmal des „Erschleichens“ i.S.d. § 265a StGB ist bereits dann erfüllt, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt nutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen (vgl. den auf Vorlage ergangenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 08. Januar 2009 in 4 StR 117/08 = BGHSt 53, 122 = NStZ 2009, 211 = StV 2009, 358). Es ist nicht erforderlich, dass der Täter etwa eine konkrete Schutzvorrichtung überwinden oder eine Kontrolle umgehen muss (so auch BVerfG NJW 1998, 1135). Vielmehr genügt es, wenn der Täter es unterlässt, einen Fahrschein zu lösen und sich äußerlich unauffällig verhält. Wer einen Fahrausweis weder vor Fahrtantritt noch unmittelbar nach Betreten des Beförderungsmittels löst, obwohl er dazu verpflichtet ist, dokumentiert nach außen das Verhalten eines ehrlichen Benutzers und erweckt den Eindruck, er nehme die Beförderungsleistungen ordnungsgemäß in Anspruch (vgl. OLG Hamburg NJW 1987, 2688 f). Wer ein Beförderungsmittel ohne gültigen Fahrausweis betritt, verschweigt nicht nur das Unterlassen der Zahlung des Fahrpreises, sondern gibt mit dem Benutzen des Beförderungsmittels konkludent die wahrheitswidrige Erklärung ab, seiner Zahlungspflicht – in welcher Form auch immer – nachgekommen zu sein (vgl. OLG Hamburg NStZ 1991, 587 f). Weiterer Feststellungen bedarf es nicht, um das Tatbestandsmerkmal des „Erschleichens von Leistungen“ zu bejahen (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 10. März 2011 in III-5 RVs 1/11).

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    Gemessen hieran ist gegen die landgerichtlichen Feststellungen (vgl. Blatt 7 der angefochtenen Entscheidung) nichts zu erinnern. Die Strafkammer hat jeweils unter Angabe von Datum und Uhrzeit dargestellt, dass die Angeklagte in drei Fällen jeweils ein Verkehrsmittel der „Essener-Verkehrs AG“ nutzte, obschon sie nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises war. Darüber hinausgehender Feststellungen, insbesondere der Wiedergabe der Beförderungsbedingungen zur Darstellung der Entgeltlichkeit, bedurfte es nicht. Es ist allgemein bekannt und offensichtlich, dass sämtliche Verkehrsbetriebe für die Nutzung ihrer Verkehrsmittel ein Beförderungsentgelt und mithin einen gültigen Fahrausweis verlangen.

    14

    2.

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    Auch die Strafzumessungserwägungen lassen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht erkennen. Innerhalb der Abwägung nach § 46 Abs. 2 StGB hat die Strafkammer insbesondere berücksichtigt, dass die abgeurteilten Taten in laufender Bewährung begangen worden sind, wobei es sich bei den Taten, wegen derer die Angeklagte unter laufender Bewährung steht, jeweils um einschlägige Vorverurteilungen handelt. Soweit in diesem Zusammenhang seitens der Strafkammer der drohende Widerruf der jeweiligen Strafaussetzungen zur Bewährung infolge der nunmehrigen Verurteilung bei der Strafzumessung nicht ausdrücklich strafmildernd aufgeführt wurde, lässt der Senat an dieser Stelle dahinstehen, ob der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein drohender Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung in anderer Sache wegen der neuen Verurteilung ein bestimmender oder jedenfalls zu erörternder Strafzumessungsgesichtspunkt ist (so aber BGH, Beschluss vom 22. Juli 2009, Az. 5 StR 243/09 – zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 09. November 1995, Az. 4 StR 650/95 – zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. September 2010, Az. 3 RVs 117/10 – zitiert nach juris), zu folgen ist. Dies könnte deshalb zweifelhaft sein, weil Nachteile, deren Eintritt der Täter bewusst riskiert hat oder die sich ihm zumindest hätten aufdrängen können, grundsätzlich nicht strafmildernd zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2009, Az. 3 Ss 222/09 – zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 03. Januar 2013, Az. III-1 RVs 90/12 – zitiert nach juris). Aufgrund der vorgenannten Ausführungen der Strafkammer kann der Senat vorliegend indes jedenfalls ausschließen, dass der drohende Widerruf der Strafaussetzungen in den anderen Verfahren aufgrund der neuerlichen Verurteilungen übersehen wurde. Denn dass die Strafkammer bei der vorgenommenen Erörterung der laufenden Bewährungen im Rahmen der Strafzumessung sowie an anderen Stellen des Urteils die Gefahr des Widerrufs aus den Augen verloren haben könnte, erscheint ausgeschlossen.

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    3.

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    Die Begründung, mit der die Strafkammer die von § 47 Abs. 1 StGB vorausgesetzten besonderen Umstände in der Persönlichkeit der Angeklagten bejaht hat, die die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf sie unerlässlich machen, weist keinen Rechtsfehler auf. Auch soweit die Strafkammer als Ergebnis ihrer Strafzumessungserwägungen für jede der von der Angeklagten begangenen Taten eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten als tat- und schuldangemessen erachtet und hieraus unter Berücksichtigung der einbezogenen Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten, die hier Einsatzstrafe ist, eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten bildet, begegnet dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dieser der Strafkammer als dem Tatgericht obliegende Wertungsakt ist vielmehr zu respektieren. Hierbei hat der Senat auch bedacht, dass es sich bei den von der Angeklagten begangenen Delikten des Erschleichens von Leistungen durch „Schwarzfahrerei“ um sogenannte Bagatellkriminalität mit nur geringem Schaden handelt. Jedoch schließen weder das Übermaßverbot noch das Gebot des schuldangemessenen Strafens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die Verhängung von Freiheitsstrafen, auch über das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) hinausgehend, bei Bagatelldelikten bzw. Straftaten mit nur geringem Schaden aus. Aus dem Gebot des schuldangemessenen Strafens ergibt sich auch nicht, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 StGB erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht kommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09. Juni 1994, Az. 2 BvR 710/94). Ob die Verhängung einer die gesetzliche Mindeststrafe übersteigenden Freiheitsstrafe schuldangemessen ist, entscheidet sich vielmehr auch bei den Bagatelldelikten nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2007, Az. 4 StR 400/07; Urteil des erkennenden Senats vom 10. Februar 2015 in III-5 RVs 76/14; Senatsbeschlüsse vom 04. Januar 2018 in III-5 RVs 150/17 und vom 22. September 2016 in III-5 RVs 68/16; KG Berlin, Beschluss vom 04. November 2008, Az. (4) 1Ss 375/08 (249/08); OLG München, Beschluss vom 10. August 2009, Az. 5 St RR 201/09). Diese hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei berücksichtigt.

    18

    4.

    19

    Schließlich lassen auch die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen. Die Aussetzung der Vollstreckung einer ein Jahr nicht übersteigenden Freiheitsstrafe erfordert zunächst, dass dem Angeklagten eine positive Legalprognose erteilt werden kann (§ 56 Abs. 1 StGB). Vorliegend hat die Strafkammer mit näherer, rechtsfehlerfreier Begründung deutlich gemacht, dass bereits die Voraussetzungen, die § 56 Abs. 1 StGB an eine positive Legalprognose stellt, im Falle der Angeklagten nicht erfüllt sind. Insbesondere hat sie sich damit auseinandergesetzt, welche Erwägungen zu der nochmaligen Strafaussetzung zur Bewährung in dem Urteil vom 19. September 2017 geführt haben und warum die Angeklagte die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat.

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    Soweit die Kammer weiter ausführt, dass die Vollstreckung der Strafe hier zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten erscheint, ist hiergegen zwar zu erinnern, dass die Verteidigung der Rechtsordnung nur der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten entgegenstehen kann (§ 56 Abs. 3 StGB). Indes kam es hierauf in Ermangelung einer positiven Sozialprognose schon nicht an.

    RechtsgebietLeistungserschleichungVorschriftenStPO § 349; StGB §§ 38, 46, 47, 56, 265a