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  • 17.02.2022 · IWW-Abrufnummer 227622

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Urteil vom 27.01.2022 – 1 U 220/20

    Entschädigung für zusätzliche Flugkosten, wenn überlange Wartezeit vor der Sicherheitskontrolle zur Versäumung des Fluges führt.


    OLG Frankfurt 1. Zivilsenat

    27.01.2022

    1 U 220/20

    Tenor

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5.8.2020 dahin abgeändert, dass die Verurteilung zur Freistellung von Kosten für die vorgerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen in Höhe von 413,64 € entfällt und die Klage insoweit abgewiesen wird.

    Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

    Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Gründe

    I.

    Die Klägerinnen wollten zusammen mit der Zeugin Vorname1 A und deren Tochter Vorname2, der Klägerin in der Parallelsache OLG Frankfurt …, an einer Karibikkreuzfahrt teilnehmen und deshalb am 17.3.2018 - damals waren hessische Osterferien - ab Frankfurt nach Stadt1 in der Dominikanischen Republik fliegen. Abflugzeit war 11:50, Boardingtime war 10:50; das Gate schloss um 11:30 Uhr. Diesen Flug verpassten die Klägerinnen, da sie zu spät die Sicherheitskontrolle passierten und das Boarding bereits abgeschlossen war, als die Klägerinnen den Flugsteig erreichten. Wegen der ihnen entstandenen Kosten für Ersatztickets und eine zusätzliche Übernachtung nehmen die Klägerinnen die Beklagte in Anspruch. Sie meinen, die Beklagte habe die Sicherheitskontrolle nicht ausreichend organisiert, so dass es zu unzumutbaren Wartezeiten gekommen sei.

    Nach ihrem Vortrag seien sie am Abflugtag um 8.15 Uhr am Flughafen eingetroffen. Check-in und die Gepäckaufgabe seien zwischen 8.30 und 9.00 Uhr erfolgt. Danach hätten sie sich zur Sicherheitskontrolle begeben wollen. Bereits vor der Zugangstür zur Luftsicherheitskontrolle habe sich eine lange Schlange gebildet gehabt, die etwa bis zu einem Bistro gereicht habe. Dort hätten sich die Klägerinnen noch etwas gekauft und sich danach oder zugleich angestellt, also - wie sich aus einem Kaufbeleg ergebe - um 9.36 Uhr bzw. „gegen 10.00 Uhr“.

    Die Beklagte meint, dass die Klägerinnen sich zu spät angestellt hätten, denn sie hätten - unstreitig - erst um 11.22 Uhr die Bordkartenkontrolle passiert. Die maximale Wartezeit an beiden Kontrollstellen habe aber 35 bis 38 Minuten betragen, so dass es ausgeschlossen sei, dass sich die Klägerinnen, wie behauptet, um 9.36 Uhr oder gegen 10.00 Uhr bereits angestellt hätten.

    Das Landgericht hat nach persönlicher Anhörung der Klägerinnen und nach Vernehmung der Zeugin Vorname1 A und des Zeugen B festgestellt, dass die Klägerinnen sich rechtzeitig um 9.36 Uhr angestellt hatten und die Kontrolldauer amtspflichtwidrig zu lang war. Es hat dabei der Darstellung der Klägerinnen bzw. der Zeugin geglaubt und die Aussage des Zeugen B so verstanden, dass dieser nur Angaben über die Dauer der Wartezeit ab dem Zeitpunkt der Bordkartenkontrolle habe machen können, während die Dauer des Anstehens vor der Bordkartenkontrolle nicht gemessen werde.

    Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, zu deren Begründung vorgebracht wird, dass die Klägerinnen jeweils angegeben hätten, (erst) gegen 10.00 Uhr sich angestellt zu haben, also nicht schon um 9.36 Uhr. Außerdem beziehe sich die von dem Zeugen B angegebene Wartezeit auf die gesamte Wartezeit einschließlich der Zeit für die Bordkartenkontrolle. Bei der von den Klägerinnen benutzten Kontrollstelle seien nach der Aussage des Zeugen B alle Spuren besetzt gewesen. Ein Organisationsverschulden liege daher nicht vor.

    Die Klägerinnen verteidigen das angefochtene Urteil.

    Der Senat hat die Zeugin A und den Zeugen B und im zeitgleich verhandelten Berufungsverfahren in der Parallelsache … die Klägerinnen dieses Verfahrens als Zeuginnen vernommen; die Ergebnisse der letztgenannten Vernehmung werden im vorliegenden Verfahren wie informatorische Anhörungen der Klägerinnen verwertet.

    II.

    Die Berufung bleibt erfolglos. Das angefochtene Urteil trifft im Ergebnis zu.

    Allerdings vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Beklagte bei der Organisation der Sicherheitskontrolle ihr obliegende Amtspflichten verletzt, insbesondere zu wenig Personal für die Sicherheitskontrolle eingesetzt hat. Der Umstand, dass einzelne Passagiere wegen der Dauer der Sicherheitskontrolle ihren Flug verpasst haben, ist als solcher nicht hinreichend, um einen Organisationsmangel zu beweisen. Der Zeuge B hat glaubhaft angegeben, dass die für die Organisation und Durchführung der Sicherheitskontrolle zuständige Bundespolizei von dem Flughafenbetreiber Angaben über die zu erwartenden Passagierzahlen erhält und anhand dieser Mitteilungen die Besetzung und Öffnung der Spuren für die Sicherheitskontrolle bemisst. Am fraglichen Reisetag seien an der Kontrollstelle West, an der die Klägerinnen sich angestellt hätten, alle Spuren besetzt und geöffnet gewesen. Die entgegenstehende Bekundung der Zeugin A überzeugt den Senat nicht. Die Zeugin hat zwar angegeben, dass zunächst einige Kontrollstellen nicht besetzt gewesen seien und erst später weitere besetzt bzw. geöffnet worden seien. Es ist für den Senat aber nicht mit Sicherheit nachvollziehbar, dass diese Angaben verlässlicher sind als die Bekundung des Zeugen B, der aus seinen Unterlagen feststellen konnte, dass am fraglichen Tag zur fraglichen Zeit alle Kontrollspuren an der Kontrollstelle West besetzt waren. Die Zeugin hat, was angesichts der Befürchtung, den Flug zu verpassen, und der daraus resultierenden Aufregung auch verständlich ist, wenig konkrete Angaben zu den Örtlichkeiten und Abläufen machen können. Dass sie aus dem von ihr geschilderten Gedränge vor der Kontrollstelle dennoch mit Sicherheit beobachtet hat, welche Spuren besetzt waren und welche nicht, erscheint dem Senat zweifelhaft. Selbst wenn aber zeitweise nicht alle Spuren mit Personal besetzt gewesen sein sollten, was jedenfalls für die Kontrollstelle Ost auch nach den Angaben des Zeugen B der Fall gewesen sein soll, folgt daraus noch kein Organisationsverschulden. Es ist denkbar, dass zeitweise ein besonders hoher Andrang herrschte, weil Fluggäste, die an sich auf spätere Flüge gebucht waren, besonders früh die Sicherheitskontrolle passieren wollten, weil sie in der Annahme, es könne in der Osterzeit zu vermehrten Wartezeiten kommen, früher als von der Beklagten erwartet die Sicherheitskontrolle aufsuchten. Die Zeugin hat aber auch bekundet, dass weitere Spuren geöffnet worden seien, so dass anzunehmen wäre, dass die Bundespolizei auf das vermehrte Aufkommen noch reagiert hat. Die von den Klägerinnen zitierte Pressenotiz über krankheitsbedingte Ausfälle bei den Luftsicherheitsassistenten bezieht sich nicht auf den Zeitpunkt des Fluges der Klägerinnen, denn bei den dort genannten krankheitsbedingten Ausfällen „am vergangenen Wochenende“ kann es sich nach dem vom 26.3.2018 stammenden Artikel nur um das Wochenende vom 23.-25.3.2018 gehandelt haben, also nicht um das Datum des Fluges der Klägerinnen. Für krankheitsbedingte Ausfälle, die das Maß des Üblichen übersteigen, kann auch vorausschauend schwerlich Vorsorge getroffen werden.

    Den Klägerinnen steht auch kein Anspruch aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 BPolG oder aus § 51 Abs. 2 BPolG zu.

    Diese Vorschriften sind anwendbar bei Schäden, zu denen es bei der Durchführung von Maßnahmen nach § 5 LuftSiG durch die Bundespolizei kommt. Gemäß § 4 BPolG obliegen Maßnahmen nach § 5 LuftSiG der Bundespolizei. Die Regelungen des Bundespolizeigesetzes sind, soweit das Luftsicherheitsgesetz keine spezielleren Regelungen enthält, auf solche Maßnahmen subsidiär anwendbar (vgl. § 14 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 2 BPolG; Graulich in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, BPolG, § 4 Rn. 13). Dies gilt insbesondere für die Entschädigungsvorschriften, die allgemein daran anknüpfen, dass es bei der Durchführung einer Maßnahme oder von Aufgaben der Bundespolizei zu einer Schädigung gekommen ist. Das Luftsicherheitsgesetz enthält auch keine Regelung über die Entschädigung oder den Ausgleich von Nachteilen im Zusammenhang mit Maßnahmen der Bundespolizei nach § 5 LuftSiG.

    Jedoch liegen hier die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs nach § 51 BPolG nicht vor. Ein Ausgleichsanspruch ergibt sich nicht aus § 51 Abs. 2 BPolG, denn die Kontrolle des Handgepäcks ist rechtmäßig, und die Klägerinnen waren auch nicht unbeteiligte Dritte. Auch die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 BPolG sind nicht gegeben. Die Klägerinnen wurden bei der Sicherheitskontrolle nicht als Nichtstörerinnen im Sinne von § 20 Abs. 1 BPolG in Anspruch genommen. Die Sicherheitsüberprüfung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 LuftSiG knüpft weder an eine tatsächlich gegebene Störereigenschaft der kontrollierten Person an noch erfolgt die Kontrolle der Passagiere anstelle anderer handlungs- oder zustandsverantwortlicher Personen. Vielmehr muss sich jeder Fluggast einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen lasen, unabhängig davon, ob von ihm oder von den mitgeführten Gegenständen eine konkrete Gefahr ausgeht oder ob es dafür irgendwelche Anzeichen gibt.

    Die Klägerinnen können jedoch Entschädigung für die Kosten des Ersatztickets und der zusätzlichen Übernachtung nach den gewohnheitsrechtlich und richterrechtlich anerkannten Grundsätzen der Aufopferung bzw. wegen enteignenden Eingriffs beanspruchen.

    Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass eine an sich rechtmäßige Maßnahme auf eine Rechtsposition des Eigentümers unmittelbar einwirkt und zu einem Sonderopfer führt, also bei dem Betroffenen zu Nebenfolgen und Nachteilen, die die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreiten.

    Unmittelbarkeit in diesem Sinn erfordert, dass der Nachteil in einem inneren Zusammenhang mit der Maßnahme steht, dass sich also eine besondere Gefahr verwirklicht, die bereits in der hoheitlichen Maßnahme selbst angelegt ist, so dass sich der eingetretene Nachteil aus der Eigenart dieser Maßnahme ergibt (BGHZ 100, 335, 337; 197, 43).

    Der Zwang, vor dem Betreten des Sicherheitsbereichs des Flughafens eine Sicherheitskontrolle absolvieren zu müssen, hat hier unmittelbar zu dem Nachteil geführt, dass die Klägerinnen ihren Flug verpasst haben. Dafür war zwar nicht die Dauer der eigentlichen Gepäck- und Personenkontrolle ausschlaggebend, aber die Wartezeit. Dass es vor einer Sicherheitskontrolle zu Wartezeiten kommt, ist aber wegen des an einem großen Verkehrsflughafen herrschenden Massenbetriebs nicht untypisch und in der Maßnahme selbst bereits angelegt, so dass die Versäumung des Flugs sich bei wertender Betrachtung als unmittelbare Folge der Sicherheitskontrolle darstellt.

    Ein Sonderopfer liegt vor, wenn der Nachteil im Verhältnis zu anderen betroffenen Personen eine besondere Schwere aufweist oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirkt. Ob in diesem Sinn eine hoheitliche Maßnahme die Sozialbindungsschwelle überschreitet oder sich noch als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums begreifen lässt, kann nur aufgrund einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden (BGH, U. v. 15.12.2016, Az. III ZR 387/14, zit. nach juris, Rdn. 25; BGHZ 197, 43). Von dem Abverlangen eines Sonderopfers im öffentlichen Interesse und damit einem gleichheitswidrigen, entschädigungspflichtigen staatlichen Verhalten kann regelmäßig keine Rede sein, wenn sich der nachteilig Betroffene freiwillig in eine gefährliche Situation begeben hat, deren Folgen dann letztlich von ihm herbeigeführt und grundsätzlich selbst zu tragen sind. Der Betroffene darf nicht durch eigenes Verhalten, auch wenn dieses rechtlich erlaubt ist, einen vorher noch nicht vorhandenen Interessenkonflikt aktiviert haben; sonst sind die Folgen regelmäßig seiner Sphäre zuzuordnen und stellen kein gleichheitswidriges Sonderopfer dar (BGH, Hinweisbeschluss vom 14.12.2017 - III ZR 48/17 -, Rdn. 13 mwNW).

    Bei Berücksichtigung der hier gegebenen Umstände ist der bei den Klägerinnen eingetretene Nachteil auch ein Sonderopfer. Die nachteilig betroffene, durch Art. 14 GG geschützte eigentumsähnliche Position, nämlich der gegen die Fluggesellschaft bestehende Anspruch auf Beförderung, besteht von vornherein nur in der Weise, dass der Passagier sich der bei allen Flughäfen stattfindenden Zugangskontrolle seiner Person und des mitgeführten Handgepäcks unterzieht und deshalb gezwungen ist, für die notwendige Dauer dieser Kontrolle einschließlich der Wartezeit an der Kontrollstelle zu verweilen. Diese Einschränkung gilt unterschiedslos für jeden Flugreisenden. Auf die Kontrolle und deren Dauer, die erhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann, muss sich der Passagier, da er von vornherein weiß, dass sie erfolgen wird, einstellen. Ein Fluggast muss sich aber nicht auf eine beliebige Dauer einstellen, sondern darf sich nach Empfehlungen des Flughafenbetreibers oder Vorgaben der Fluggesellschaft richten. Wer seinen Flug versäumt, weil er in diesem Sinne nicht rechtzeitig zum Check-In bzw. zur Sicherheitskontrolle erscheint und die Kontrolle nicht mehr vor Abschluss des Boarding passieren kann, erleidet daher keinen besonderen Nachteil; denn jeder, der nicht rechtzeitig erscheint, wird seinen Flug verpassen. Dass die rechtzeitig erschienenen Fluggäste den Flug nicht verpassen, ist keine Ungleichbehandlung. Sie beruht sachgerecht darauf, dass bei diesen Passagieren die erforderliche Kontrolle rechtzeitig durchgeführt werden konnte, bei den verspäteten Personen dagegen nicht. Mit einer nur kurzen Dauer der Kontrolle oder geringer Wartezeit darf ein Fluggast nicht rechnen, weil die Zahl der Kontrollstellen und die Geschwindigkeit der Kontrolle nicht beliebig vermehrbar sind und daher je nach Andrang Wartezeiten entstehen, die jeder Passagier einkalkulieren muss. Kann dagegen bei einem rechtzeitig erschienenen Passagier die Sicherheitskontrolle wegen der Wartezeit nicht so schnell abgeschlossen werden, dass das Boarding noch erreicht wird, liegt ein Sonderopfer vor.

    Die Klägerinnen sind rechtzeitig erschienen. Sie haben unwidersprochen vorgetragen, dass es eine Empfehlung des Frankfurter Flughafens für internationale Abflüge gebe, sich 2 Stunden vor Abflug zum Check-In einzufinden. Dem Senat ist aus anderen Verfahren bekannt, dass zuweilen auch eine Zeitspanne von 2 bis 3 Stunden vor Abflug genannt wird. Unabhängig davon wird in Art. 3 Abs. 2 der FluggastrechteVO für buchungsbestätigte Flüge vorausgesetzt, dass die Fluggesellschaft dem Passagier zuvor schriftlich mitteilt, zu welcher Zeit er sich zur Abfertigung, also zum Check-In, einfinden soll, und dass, wenn eine solche Mitteilung nicht erfolgt, der Passagier sich 45 Minuten vor Abflug einfinden soll. Es ist daher gemessen an den für die Klägerinnen verfügbaren Informationen jedenfalls sachgerecht gewesen, dass sie, wie sie vorgetragen und durch die Zeugin A nachgewiesen haben, gegen 8.15 Uhr am Flughafen eingetroffen sind, sich zum Check-In begeben haben und das Check-In an dem nicht stark frequentierten Schalter ihrer Fluglinie zwischen 8.45 Uhr und 9.00 Uhr absolviert hatten. Sie haben sich alsdann zur Sicherheitskontrolle begeben und sich in die dort befindliche Warteschlange spätestens um 10.00 Uhr eingereiht. Auch das war rechtzeitig. Denn von 10.00 Uhr bis zum Ende der Boardingzeit um 11.30 Uhr waren es 90 Minuten. Hinweise oder Erfahrungswerte, dass dieser Zeitraum nicht hinreicht und ein Passagier deshalb einen noch größeren Zeitpuffer einplanen muss, sind dem Senat nicht bekannt und sind insbesondere im vorliegenden Verfahren auch nicht vorgetragen. Den Klägerinnen kann nicht vorgeworfen werden, sie hätten sich nach dem Check-In zu lange verweilt. Ein erhebliches Vertrödeln der nach dem Check-In bis 10.00 Uhr verbleibenden Zeit ist nicht feststellbar. Der Zeuge B hat bekundet, dass der Fußweg vom Abfertigungsschalter der Fluggesellschaft bis zur Sicherheitskontrolle in ca. 15 Minuten bewältigt werden kann. Hier kam hinzu, dass den Klägerinnen das Gate, also der Flugsteig, zu dem sie sich nach der Sicherheitskontrolle zu begeben hatten, beim Check-In noch nicht mitgeteilt wurde. Dies ergibt sich auch aus der zur Akte gereichten Kopie der Bordkarte, auf der das Gate nicht aufgedruckt ist. Daher ist es verständlich, dass die Klägerinnen auf dem Weg vom Abfertigungsschalter zur Sicherheitskontrolle noch darauf geachtet haben, ob und wann das für sie gültige Gate auf den Anzeigetafeln angezeigt wird. Vorher bestand für sie kein Anlass, sich sofort zur Sicherheitskontrolle zu begeben, da jedenfalls für einen nicht näher instruierten Passagier dann nicht sicher gewesen wäre, über welche Kontrollstelle der für den Flug zutreffende Flugsteig zu erreichen war. Damit erklärt sich, dass die Klägerinnen erst um ca. 9.30 Uhr in dem Bereich vor der Kontrollstelle eingetroffen sind. Es steht aufgrund der Beweisaufnahme fest, dass die Klägerinnen sich an dem Bistro in diesem Bereich mit Kaffee und Gebäck versorgt haben und die Toilette aufgesucht haben. Der Zeitpunkt des Erwerbs im Bistro kann anhand des von der Zeugin A vorgelegten Kassenbelegs auf 9.36 Uhr eingegrenzt werden. Soweit die Zeugin angegeben hat, dass sich die Klägerinnen sofort an der Warteschlange angestellt hätten und die einen Mitglieder der Gruppe bei gleichzeitigem weiteren Anstehen der Anderen abwechselnd den Einkauf beim Bistro und den Gang zur Toilette erledigt hätten, haben die Klägerinnen selbst das nicht so dargestellt und in ihrer Zeugenaussage in dem Parallelverfahren, die hier als persönliche Anhörung behandelt wird, geschildert, dass es sich um eine Reihenfolge gehandelt habe, man also erst nach Einkauf und Toilettenbesuch sich angestellt habe, dass aber beides jeweils nicht besonders viel Zeit beansprucht habe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Zeugin A sich in diesem Detail nicht richtig erinnert und geht daher von der Schilderung der Klägerinnen und deren Angabe aus, dass sie sich spätestens um 10.00 Uhr angestellt hätten. Der Zeitraum zwischen 9.30 Uhr und 10.00 Uhr kann aber, soweit er für die Erledigung menschlicher Bedürfnisse benötigt wurde, jedenfalls nicht als vorwerfbare Verzögerung beurteilt werden und ist im Übrigen, soweit er für den Einkauf beim Bistro verwendet wurde, insgesamt zu kurz, um von einer bewusst herbeigeführten Gefahr, den Flug zu versäumen, vernünftigerweise sprechen zu können, da im Übrigen ab 10.00 Uhr noch ein hinreichender Zeitraum verfügbar war, um den Flugsteig innerhalb der Boardingzeit zu erreichen. Der Senat hat in einem anderen Fall, in dem die Dauer der Kontrolle des Handgepäcks zur Versäumung des Flugs geführt hatte, angenommen, dass ein Fluggast, der nur 55 Minuten vor Abflug und höchstens 40 Minuten vor Abschluss des Boardings bei der Sicherheitskontrolle erscheint, verspätet ist und deshalb kein Sonderopfer erleidet (Senat, U. v. 19.1.2017 - Az. 1 U 139/15; vgl. dazu auch Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs vom 14.12.2017 - III ZR 48/17). Hier stand aber noch mehr als das Doppelte dieser Zeit bis zum Abschluss des Boardings zur Verfügung.

    Die Behauptung der Beklagten, die Klägerinnen hätten sich noch später als 10.00 Uhr, nämlich erst nach 11.00 Uhr an der Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle angestellt, hält der Senat für widerlegt. Die Beklagte gründet diese Behauptung auf den Vortrag, dass die Wartezeiten vor der Sicherheitskontrolle an Tagen mit erhöhten Fluggastzahlen händisch von Mitarbeitern des Flughafens, den sogenannten Kollegen in Rotjacken, festgestellt würden, indem ein einzelner Passagier vom Beginn des Anstehens bis zum Erreichen des Bandes, auf das die persönlichen Gegenstände zur Kontrolle gelegt werden, beobachtet und die Wartezeit gemessen werde. Solche Einzelmessungen sollen im fraglichen Zeitraum eine Wartezeit von 30-35 Minuten ergeben haben. Weil die Uhrzeit der Bordkartenkontrolle gespeichert werde und die Bordkarten der Klägerinnen um 11.22 Uhr erfasst worden seien, sei es nicht möglich, dass sich die Klägerinnen bereits um 10.00 Uhr angestellt hätten. Denn sie hätten bei den festgestellten Wartezeiten die Sicherheitskontrolle dann schon um spätestens 10.40 Uhr erreicht. Da nach der Bordkartenkontrolle bis zum Erreichen des Bandes eine Wartezeit von 15-20 Minuten üblich sei, die gesamte Wartezeit aber ca. 35 Minuten betragen habe, sei rückrechnend anzunehmen, dass die Klägerinnen sich nicht vor 10.50 Uhr, also erst zu Beginn der Boardingzeit, angestellt hätten.

    Diese Berechnung der Beklagten kann der Senat nicht zugrunde legen, weil nicht nachvollziehbar ist, wie verlässlich die Flughafenmitarbeiter die Wartezeiten ermitteln. Diese Beobachtungen werden von der Bundespolizei nicht veranlasst. Ihre Durchführung wird von der Bundespolizei nicht überwacht, das hiermit betraute Personal nicht von ihr ausgewählt. Es handelt sich daher um Fremdangaben, deren Validität weder für die Bundespolizei noch für den Senat nachvollziehbar ist. Zweifel an der ermittelten Wartezeit ergeben sich daraus, dass der Zeuge B als Erfahrungswert für die Wartezeit von der Bordkartenkontrolle bis zum Erreichen des Kontrollbandes 15-20 Minuten angegeben hat, dass es aber an Tagen, an denen viel los sei, auch länger dauern könne. Da der 17.3.2018 jedenfalls ein solcher Tag gewesen ist, ist es naheliegend, dass dann die übliche Zeit von 15-20 Minuten überschritten wurde. Dafür spricht auch der von der Klägerin zu 1 geschilderte Ablauf. Denn nach ihrer Darstellung erreichte sie nach Passieren der Kontrolle das Gate erst um ca. 12.00 Uhr, wobei ihr dieser Zeitpunkt wegen eines sofort geführten Telefonats mit dem Reiseveranstalter deutlich in Erinnerung geblieben war. Zieht man davon noch wenige Minuten Fußweg von der Kontrolle zum Gate und die Zeit der Kontrolle ab, so ergeben sich ab 11.22 Uhr mehr als 20 Minuten für die Wartezeit. Wenn die Wartezeit nach der Bordkartenkontrolle aber länger als 20 Minuten und die Gesamtzeit höchstens 35 Minuten betragen haben soll, muss sie vorher entsprechend kürzer gewesen sein und könnte dann nur um 10 Minuten betragen haben. Warum bei einer so kurzen Wartezeit vor der Bordkartenkontrolle überhaupt das sog. Lining, also die für Wartende vor der Bordkartenkontrolle nach den Angaben des Zeugen B bestehenden Absperrungen, nicht ausgereicht haben sollen, weshalb es ja erst zu den händischen Messungen gekommen sein soll, ist nicht verständlich.

    Gegenüber diesen letztlich nicht nachprüfbaren Angaben hält der Senat die Bekundungen der Zeugin A und der Klägerinnen jedenfalls in dem zentralen Punkt, dass man sich nämlich nicht erst mit Beginn der Boardingzeit, sondern spätestens um 10.00 Uhr, angestellt habe, für glaubhaft. Der vorgelegte Beleg über den Einkauf beim Bistro lässt jedenfalls nicht darauf schließen, dass die Klägerinnen sich bei dieser Gelegenheit mit einem zum gemütlichen Verzehr über den Zeitraum von mehr als einer Stunde bestimmten Frühstück eindecken wollten. Es handelt sich vielmehr um Artikel, die man typischerweise auch im Stehen oder Gehen, also „to go“ verzehrt. Das entspricht auch der Schilderung der Klägerinnen und der Zeugin. Die Klägerinnen und die Zeugin wollten sicherlich auch den Flug erreichen; es wäre daher ein nicht nachvollziehbarer Leichtsinn, wenn sie die Zeit ab 9.30 Uhr bis 10.50 Uhr mutwillig verbummelt hätten. Es entspricht aber auch nicht dem insgesamt glaubwürdigen Eindruck, den die Zeugin und die Klägerinnen gemacht haben, ihnen zuzutrauen, dass sie einen zu Schaden führenden Leichtsinn nunmehr durch einen Prozessbetrug und Falschaussagen wettmachen wollen. Die Zeugin und die Klägerin waren jedenfalls sichtlich bemüht, die Einzelheiten so wiederzugeben, wie sie sie noch in Erinnerung hatten. Eine Tendenz, nachteilige Umstände zu verbergen, war nicht erkennbar. Eine in allen Einzelheiten deckungsgleiche Darstellung, die auf eine Absprache hindeuten könnte, ist auch nicht erfolgt. Gut nachvollziehbar haben die Zeugin und die Klägerin auch geschildert, wegen der zunehmenden Aufregung nicht auf jedes Detail geachtet zu haben.

    Nach allem steht den Klägerinnen der in der Hauptsache zuerkannte Anspruch zu.

    Zinsen gebühren den Klägerinnen wegen Verzugs der Beklagten; mit dem Anwaltsschreiben vom 9.7.2018 war der Beklagten eine Zahlungsfrist bis 25.7.2018 gesetzt worden.

    Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten können die Klägerinnen nicht beanspruchen. Die Kosten sind den Klägerinnen durch das Forderungsschreiben vom 9.7.2018 entstanden; bis dahin befand sich die Beklagte noch nicht im Verzug. Rechtsverfolgungskosten werden zwar von einem Anspruch auf Schadensersatz umfasst. Der Anspruch aus Aufopferung bzw. aus enteignendem Eingriff ist aber nicht auf Schadensersatz gerichtet, sondern nur auf angemessene Entschädigung wegen Eingriffs in einen bestimmten vermögenswerten Gegenstand. Auf den Ausgleich aller mit dem Eingriff zusammenhängenden Vermögenseinbußen im Sinne der Differenztheorie ist er nicht gerichtet (BGH NJW 1982, 1277; Staudinger-Wöstmann (2020), § 839 BGB Rdn. 480).

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da die Zuvielforderung, also der Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten, verhältnismäßig geringfügig war und keine besonderen Kosten verursacht hat. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

    RechtsgebietFluggastrechteVorschriften§ 839 BGB, Art. 34 GG