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  • 18.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231847

    Amtsgericht Norderstedt: Beschluss vom 04.05.2022 – 65 IK 9/17

    Eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach fünf Jahren kommt nicht in Betracht, wenn die Verfahrenskosten erst nach Ablauf von fünf Jahren der Abtretungsfrist gedeckt sind.


    Amtsgericht Norderstedt

    Beschluss vom 04.05.2022

    65 IK 9/17

    In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen d.
    - Schuldner -
    Verfahrensbevollmächtigte:

    hat das Amtsgericht Norderstedt am 04.05.2022 durch den Rechtspfleger beschlossen:

    Tenor:

    Der Antrag des Schuldners vom 25.03.2022 auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach 5 Jahren wird zurückgewiesen.

    Gründe

    Das vorliegende Insolvenzverfahren wurde am 18.01.2017 auf hier am 11.01.2017 eingegangenen Antrag eröffnet. Das Insolvenzverfahren wurde am 20.07.2017 zunächst unter Bewilligung der Kostenstundung für das weitere Restschuldbefreiungsverfahren aufgehoben. Seither befindet sich der Schuldner in der Wohlverhaltensphase. Die Stundung der Verfahrenskosten wurde mit Beschluss vom 23.08.2017 vollständig aufgehoben, nachdem sich zur Überzeugung des Insolvenzgerichts herausstellte, dass der Schuldner ganz erhebliche Vermögenswerte unwiederbringlich am Insolvenzverfahren vorbeigeschafft hat. Für die weiter anfallenden jährlichen Treuhändervergütungen ist er folgend selbst bzw. durch Einzahlungen seiner Ehefrau aufgekommen.

    Mit Antrag vom 25.03.2022 bat der Schuldner um vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach fünf Jahren. Er habe die Verfahrenskosten durch Zahlung seiner Ehefrau an den Treuhänder beglichen. Fünf Jahre der Wohlverhaltensphase seien vergangen. Der Treuhänder wurde zu dem Antrag gehört und hat nach Auswertung der Rechtsgrundlagen keine Bedenken gegen die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung erhoben.

    Der Schuldner wird mittlerweile rechtsanwaltlich vertreten. Der Bevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 06.04.2022 den Antrag des Schuldners weiter begründet.

    Der Antrag auf vorzeitige Erteilung ist zulässig, § 300 Abs.1 S.2 Nr. 3 InsO. Es finden die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis zum 30.09.2020 geltenden Fassung Anwendung, § 103k Abs.1 EGInsO. Der Antrag ist aber nicht begründet.

    Unstreitig ist, dass derzeit alle Verfahrenskosten durch den eingezahlten Betrag (1.190,80 €) gedeckt sind.

    Die Einzahlung des Betrags von 1.190,80 € wurde am 24.03.2022 veranlasst, mithin nach Ablauf von fünf Jahren der Abtretungsfrist (18.01.2022). Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Verfahrenskosten noch nicht gedeckt.

    Das Insolvenzgericht ist der Meinung, dass die Restschuldbefreiung nicht vorzeitig erteilt werden kann, weil der für die Verfahrenskostendeckung nötige Betrag nicht innerhalb von fünf Jahren der Abtretungsfrist eingegangen ist.

    Der Bevollmächtigte des Schuldners erklärte, der Gesetzeswortlaut gebe eine solch einschränkende Regelung nicht vor. Ziel dieser Regelung zur Möglichkeit vorzeitiger Restschuldbefreiung sei die Entlastung der Länderhaushalte gewesen. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb dieses Ziel im sechsten Jahr plötzlich wegfallen sollte. Der Schuldner hätte ohne den Anreiz der vorzeitigen Restschuldbefreiung seine Verwandten nicht um Unterstützung gebeten. Es läge eine widersinnige, willkürliche und möglicherweise verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Schuldnern vor, die kurz vor bzw. erst nach Ablauf der fünf Jahre einzahlen.

    Auch der Treuhänder hat sich bei seiner Einschätzung am Wortlaut der zugrunde liegenden Vorschrift orientiert, wo nur in § 300 Abs.1 S.2 Nr. 2 InsO (vorzeitige Erteilung nach drei Jahren) ein ausdrücklicher Zuflusszeitpunkt geregelt wurde.

    In der Tat lässt der Wortlaut des § 300 Abs.1 S.2 Nr.3 InsO auch nach Ansicht des Insolvenzgerichts eher den Schluss zu, dass es für die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach fünf Jahren nicht auf einen Geldzufluss innerhalb von fünf Jahren der Abtretungsfrist ankommt, was sich so auch in Rechtsprechung und Literatur wiederfindet. (LG Darmstadt, 17.06.2021, 5 T 146/21, ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen des vermeintlich eindeutigen Sachverhalts; BeckOK/Riedel InsO, 26. Edition, § 300, Rn. 49a).

    Das wird unter Verweis auf die Gesetzesbegründung (BT.-Drucks. 17/11268) aber auch anders gesehen (AG Dortmund, 20.10.2021, 260 IK 90/16; s.a. Uhlenbruck/Sternal InsO, 15. Auflage, § 300, Rn. 24 ohne nähere Begründung). Die in § 300 Abs.1 S.2 InsO geregelte Tilgung der Kosten gehe allen Möglichkeiten / Zeitpunkten der Verkürzung voran, sodass die Tilgung der Kosten vor den jeweiligen Zeitpunkten als zwingende Voraussetzung zur Erlangung der vorzeitigen Restschuldbefreiung anzusehen sei. Es sei dem Gesetzgeber nicht ausschließlich darum gegangen, Schuldnern einen schnelleren Weg in die Restschuldbefreiung zu ermöglichen. Der Entscheidung des LG Darmstadt (a.a.O.) könne nicht gefolgt werden, weil sich diese nicht mit der Gesetzesbegründung befasst habe.

    Das Insolvenzgericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach fünf Jahren der Abtretungsfrist setzt die Einzahlung eines die Verfahrenskosten deckenden Betrags vor Ablauf von fünf Jahren der Abtretungsfrist voraus.

    Wie bereits das AG Dortmund (a.a.O.) ausgeführt hat, hat sich die Gegenmeinung (insb. LG Darmstadt, a.a.O.) nicht mit der Gesetzesbegründung auseinandergesetzt. Diese ist vorliegend aber von entscheidender Bedeutung.

    Zwar ist es richtig, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur vorzeitigen Restschuldbefreiung auch mit der Erwartung verknüpfte, die Staatskasse dadurch zu entlasten, dass Schuldner durch die Möglichkeiten der vorzeitigen Restschuldbefreiung zu auch überobligatorischen Bemühungen um die Verfahrenskostendeckung motiviert werden sollten (BT.-Drucks. 17/11268, S. 20, 30). Und wie der Bevollmächtigte des Schuldners geht auch das Insolvenzgericht davon aus, dass dieser Effekt im sechsten Jahr der Abtretungsphase nicht plötzlich entfällt, eine Erhaltung der schuldnerischen Zahlungsmotivation auch im sechsten Jahr mithin sinnvoll sein könnte.

    Jedoch hat sich nach Ansicht des Gerichts der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, dass auch im Falle der vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung nach fünf Jahren der Abtretungsfrist die Verfahrenskosten innerhalb dieses Zeitraums beglichen sein müssen. So ermöglicht der Gesetzesentwurf "Schuldnern erstmals, das Restschuldbefreiungsverfahren vorzeitig nach drei bzw. fünf Jahren zu beenden, wenn sie innerhalb der genannten Zeiträume neben den Verfahrenskosten eine Mindestbefriedigungsquote erfüllen oder zumindest die Kosten des Verfahren tragen" (BT.-Drucks. 17/11268, S. 13). § 300 Abs.1 S.2 Nr.3 InsO sehe "eine vorzeitige Beendigung des Restschuldbefreiungsverfahrens vor, wenn der Schuldner innerhalb von fünf Jahren zumindest seine Verfahrenskosten begleicht" (BT.-Drucks. 17/11268, S. 30). Im sechsten Jahr des Restschuldbefreiungsverfahrens hat der Gesetzgeber keine nennenswerten Quotenzahlungen für die Gläubiger erwartet, "wenn es dem Schuldner - möglicherweise unter Einsatz von Drittmitteln - lediglich gelingt, innerhalb der fünf Jahre die Verfahrenskosten zu begleichen" (BT.-Drucks. 17/11268, S. 31).

    So mag man zu dem Schluss kommen, dass der Gesetzeswortlaut in § 300 Abs.1 S.2 InsO nicht klar genug ist, der gewollten Regelung Ausdruck zu verleihen. Mit den obigen Ausführungen ist aber nach Ansicht des Gerichts von einem insoweit klaren gesetzgeberischen Willen auszugehen. So lässt sich § 300 Abs.1 S.2 InsO nur dahin verstehen, dass der Gesetzgeber durch die Voranstellung der Kostentragungspflicht vor alle Alternativen der vorzeitigen Restschuldbefreiung den Gesetz gewordenen Wortlaut als ausreichende Formulierung betrachtet hat (vgl. AG Dortmund a.a.O.).

    Soweit schuldnerseits vorgetragen wird, der Schuldner hätte sich ohne Anreiz einer vorzeitigen Restschuldbefreiung nicht über seine Verwandten um die Verfahrenskostendeckung bemüht, kann das nur sehr eingeschränkt zutreffen. Er hätte die Unterstützung durch seine Verwandtschaft vielleicht nicht mehr im sechsten Jahr erbeten. Bis zum Ablauf der fünf Jahre ist die Motivation aber nicht entfallen, nur schlicht vom Schuldner nicht umgesetzt worden.

    Und auch im sechsten Jahr der Wohlverhaltensphase kann einem Schuldner an der Begleichung der Verfahrenskosten gelegen sein, um sich nicht nach Verfahrensbeendigung den Nachforderungen der Landeskasse ausgesetzt zu sehen.

    Die vom Bevollmächtigten des Schuldners vorgetragene Ungleichbehandlung von Schuldnern, die kurz vor Ablauf der Zeiträume einerseits bzw. erst nach Ablauf andererseits gezahlt haben, wohnt der gesetzlichen Regelung insbesondere auch in § 300 Abs.1 S.2 Nr.2 InsO inne. Das ist gewollt und kann mithin nicht beanstandet werden.

    Im vorliegenden Fall tritt noch hinzu, dass die dem Schuldner bewilligte Kostenstundung aufgehoben wurde. Das vom Bevollmächtigten des Schuldners vorgetragene Argument, es gehe bei der Regelung zur vorzeitigen Restschuldbefreiung um Entlastung der Landeskassen, indem Schuldner zur Zahlung der Verfahrenskosten animiert werden, geht daher vorliegend teilweise fehl. Die Landeskasse hat vorliegend insbesondere keine Vergütungen des Treuhänders aufzubringen. Der Schuldner allein hat hier ein Interesse daran, die Treuhändervergütungen zügig zu begleichen, um seine Restschuldbefreiung nicht durch einen Versagungsantrag nach § 298 InsO zu gefährden.

    Nach Allem war der Antrag auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung zurückzuweisen.

    RechtsgebietInsolvenzVorschriften§ 300 InsO