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  • 09.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242581

    Bayerisches Oberstes Landgericht: Beschluss vom 31.05.2024 – 101 VA 243/23

    1. Der Inhaber einer Insolvenzforderung steht in einem gegenwärtigen, auf Rechtsnormen beruhenden Verhältnis zum Insolvenzschuldner und damit zum Gegenstand des eröffneten Insolvenzverfahrens.

    2. Demjenigen, der unter Berufung auf seine Gläubigerstellung Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens begehrt, obliegt es, den Sachverhalt und die daraus hergeleitete Insolvenzforderung nachvollziehbar darzustellen und glaubhaft zu machen.

    3. Das sich aus der Gläubigerstellung ergebende rechtliche Interesse an der Akteneinsicht entfällt nicht deshalb, weil mit dem Akteneinsichtsgesuch - möglicherweise sogar vorrangig - das Ziel verfolgt wird, festzustellen, ob Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder der Insolvenzschuldnerin bestehen.


    Bayerisches Oberstes Landesgericht 

    Beschluss vom 31.05.2024

    101 VA 243/23

    In Sachen
    W. GmbH
    - Antragstellerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    XXX
    gegen
    Freistaat Bayern
    - Antragsgegner -
    Weiterer Beteiligter:
    XXX
    wegen Antrags auf gerichtliche Entscheidung

    erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 1. Zivilsenat - durch die Präsidentin des Bayerischen Obersten Landesgerichts xxx, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht xxx und den Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht xxx am 31. Mai 2024 folgenden
    Beschluss

    Tenor:

    I.
    Die Bescheide des Amtsgerichts München vom 10. und 14. November 2023 werden aufgehoben. Der Antragsgegner wird angewiesen, den Antrag der Antragstellerin vom 21. September 2023 auf Bewilligung von Akteneinsicht im Verfahren 1500 IN 1169/23 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

    Im Übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.

    II.
    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    III.
    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgt die Antragstellerin ihr Gesuch um Akteneinsicht weiter.

    Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 1. Juli 2023 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) eröffnet. Dem liegt ein Eigenantrag der Schuldnerin vom 25. April 2023 zugrunde.

    Mit Schreiben vom 21. September 2023 beantragte die Antragstellerin Einsicht in die beim Amtsgericht geführte Insolvenzakte. Ihr Einsichtsgesuch begründete sie nicht.

    Auf gerichtliche Nachfrage teilte der Insolvenzverwalter mit, dass eine Forderungsanmeldung der Antragstellerin nicht vorliege. Daraufhin gab das Gericht der Antragstellerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2023 Gelegenheit, binnen zwei Wochen ihr rechtliches Interesse an der Einsicht darzulegen und glaubhaft zu machen.

    Die Antragstellerin äußerte sich mit Schriftsatz vom 10. November 2023 und führte aus: Ihr habe die Schuldnerin ein Sofa für rund 8.000,00 € verkauft. Um dieses zu erhalten, habe sie, die Antragstellerin, im Rahmen eines Folgeauftrags weitere rund 4.000,00 € zahlen müssen. Sie gehe davon aus, dass sich die Schuldnerin bereits seit geraumer Zeit, insbesondere bereits bei Entgegennahme des Kaufpreises, in finanzieller Schieflage befunden und damit gerechnet habe, den geschlossenen Vertrag nicht erfüllen zu können. Für die Annahme sprächen diverse Medienberichte und der Umstand, dass die Schuldnerin unter Verletzung ihrer gesetzlichen Verpflichtung über die letzten Jahre keine Jahresabschlüsse offengelegt habe. Deshalb dürften Ansprüche gegen die Geschäftsführung der Schuldnerin aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO sowie i. V. m. § 263 StGB bestehen. Zur Prüfung dieser Ansprüche sei die Akteneinsicht erforderlich.

    Dem Schriftsatz waren ein Schreiben des Insolvenzverwalters vom 4. Juli 2023 und der Ausdruck eines E-Mail-Austauschs aus August 2023 beigefügt. Der Insolvenzverwalter hatte die Antragstellerin im genannten Schreiben über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterrichtet und dies mit der Information verbunden, dass Forderungen gegen die Schuldnerin bis 21. August 2023 anzumelden seien. Gleichzeitig hatte er darüber informiert, dass für die voraussichtlich bis zu rund 7.000 Insolvenzgläubiger, zu denen auch die Antragstellerin gehöre, nach derzeitiger Einschätzung keine Aussichten auf Quotenzahlungen bestünden. Zudem könnten unerfüllte Kaufverträge aus der Masse nicht erfüllt werden; gemäß § 103 Abs. 2 InsO lehne er die Vertragserfüllung ab. Die E-Mails betreffen einen Kaufvertrag mit der Nr. ... zwischen Antragstellerin und Schuldnerin. Darin hatte eine Gesellschaft namens XXX der Antragstellerin das Angebot unterbreitet, den mit der Schuldnerin geschlossenen Vertrag zu übernehmen und gegen Leistung einer Zuzahlung von 4.220,76 € die Ware zu liefern.

    Der Rechtspfleger beim Amtsgericht München hat das Begehren der Antragstellerin mit zwei Entscheidungen vom 10. November 2023 zurückgewiesen:

    In einem Beschluss hat er den Antrag auf Akteneinsicht nach § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 1 ZPO abgelehnt mit der Begründung, dass die Antragstellerin nicht zu den Verfahrensbeteiligten gehöre. In einer weiteren als "Beschluss" bezeichneten Entscheidung hat er das Einsichtsgesuch nach § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen mit der Begründung, dass einer am Verfahren nicht beteiligten Person nur dann Einsicht in die Insolvenzakte gestattet werden könne, wenn ein rechtliches Interesse dargelegt und glaubhaft gemacht sei. Eine Antwort auf die gerichtliche Aufforderung, entsprechend vorzutragen, sei nicht eingegangen.

    Mit weiterem "Beschluss" vom 14. November 2023 hat der Rechtspfleger entschieden, den Bescheid vom 10. November 2023, mit dem die Akteneinsicht nach § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO abgelehnt worden sei, nicht aufzuheben. Der Schriftsatz vom 10. November 2023 sei erst am 14. November 2023 vorgelegt worden, rechtfertige aber keine andere Entscheidung. Das Ermitteln und gegebenenfalls Durchsetzen von haftungsrelevanten Ansprüchen gegen "den Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin" erfolge durch den Insolvenzverwalter. Eine Anspruchsverfolgung durch einzelne Insolvenzgläubiger laufe dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens, nämlich der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger, zuwider. Sollten Ansprüche gegen die Geschäftsführung bestehen, müssten diese an die Insolvenzmasse geleistet werden und der quotalen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger dienen. Ein rechtliches Interesse sei daher zu verneinen. Auf den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14. Oktober 2021 zum Az. 102 VA 66/21 werde verwiesen.

    Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2023, bei Gericht am selben Tag eingegangen, wendet sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres als außerhalb des Verfahrens stehende Dritte gestellten Einsichtsgesuchs. Sie beantragt,

    dem Amtsgericht München aufzugeben, die begehrte Akteneinsicht zu gewähren,

    hilfsweise

    das Amtsgericht München zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

    Zur Begründung führt sie aus, ihr rechtliches Interesse ergebe sich aus ihrer Eingabe vom 10. November 2023. Darin habe sie vorgetragen und mit den beigefügten Anlagen glaubhaft gemacht, Insolvenzgläubigerin zu sein. Dies genüge nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, um ein rechtliches Interesse an der Einsicht zu begründen. Die Begründung der ablehnenden Entscheidung und der Verweis auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14. Oktober 2021 seien fehlerhaft.

    Der Antragsgegner beantragt,

    den Bescheid vom 10. November 2023 und die Entscheidung vom 14. November 2023 aufzuheben und

    das Verfahren an das Amtsgericht München zurückzuverweisen zur neuen Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Gerichts sowie der Geheimhaltungsinteressen der Insolvenzschuldnerin.

    Die Antragstellerin habe ihre Gläubigerstellung aufgrund eines mit der Schuldnerin geschlossenen Kaufvertrags und damit Umstände dargelegt sowie glaubhaft gemacht, die ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO begründeten. Ihr stehe es auch zu, einen etwaigen Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsführer der Schuldnerin (gemeint: den Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin) aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO, § 263 StGB zu verfolgen. Weder stehe dieser Anspruch dem Insolvenzverwalter zu noch sei ein etwaiger Schadensersatz an die Insolvenzmasse zu leisten. Mangels Spruchreife sei das Amtsgericht dazu berufen, über das Gesuch - nach Anhörung des Insolvenzverwalters - neu zu entscheiden.

    Der im Verfahren auf gerichtliche Entscheidung angehörte Insolvenzverwalter hat sich nicht geäußert.

    II.

    Der zulässige Antrag führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen vom 10. und 14. November 2023 sowie zur Zurückverweisung an die Justizbehörde, die das Gesuch der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden hat (§ 28 Abs. 2 Satz 2 EGGVG).

    1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG ist zulässig.

    a) Er richtet sich gegen die jeweils als Beschluss bezeichneten Bescheide des Rechtspflegers des Amtsgerichts München vom 10. und 14. November 2023 zum Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin als Dritter gemäß § 299 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO.

    Im ersten Bescheid hat es der Rechtspfleger als Organ der Justizverwaltung abgelehnt, der Antragstellerin Einsicht in die gerichtliche Insolvenzakte zu gewähren. Im zweiten Bescheid hat er es abgelehnt, jenen Bescheid in entsprechender Anwendung des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zurückzunehmen, weil er zwar verfahrensfehlerhaft ohne Beachtung des Schriftsatzes vom 10. November 2023 ergangen, in der Sache aber aufrechtzuerhalten sei.

    b) Der Antrag ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG statthaft, denn die angefochtene Ablehnung der beantragten Akteneinsicht für die Antragstellerin als Dritte nach § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO stellt eine Maßnahme der Justizverwaltung auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts dar (vgl. BGH, Beschl. v. 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 10; BayObLG, Beschl. v. 2. September 2021, 101 VA 100/21, juris Rn. 16; Lückemann in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 23 EGGVG Rn. 12 m. w. N.). Er ist auch im Übrigen zulässig, denn die Antragstellerin rügt mit dem Antrag, der form- und fristgerecht (§ 26 Abs. 1 EGGVG) bei dem gemäß § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist, eine Verletzung ihres subjektiven Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, § 24 EGGVG, nachdem die Justizverwaltung bereits ein rechtliches Interesse verneint und damit keinen Raum für Ermessenserwägungen gesehen hat.

    2. Der Antrag hat mit dem Hilfsbegehren Erfolg.

    a) Die Gewährung von Einsicht in die vom Insolvenzgericht geführte Verfahrensakte richtet sich, soweit nicht Spezialvorschriften wie § 66 Abs. 2, § 150 Satz 2, §§ 154, 175 Abs. 1 Satz 2, § 188 Satz 2, § 194 Abs. 3 Satz 1, § 234 InsO zur Anwendung kommen, über die Verweisungsnorm des § 4 InsO nach der allgemeinen Vorschrift des § 299 ZPO (vgl. BayObLG, Beschl. v. 8. April 2020, 1 VA 132/19, NZI 2020, 491 Rn. 19 [juris Rn. 23]). Gemäß § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO kann am Verfahren nicht beteiligten Dritten ohne Einwilligung der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen Einsicht gewährt werden, wenn ein rechtliches Interesse dargetan und glaubhaft gemacht ist.

    Dass die Antragstellerin "formal" nicht Beteiligte des Insolvenzverfahrens ist, stellt sie nicht in Abrede. Der auf die Ablehnung ihrer Beteiligtenstellung gestützte Beschluss des Amtsgerichts ist bestandskräftig geworden.

    b) Der Rechtspfleger als Organ der Justizverwaltung hat davon abgesehen, die am Insolvenzverfahren Beteiligten zum Akteneinsichtsgesuch gemäß § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO anzuhören und deren Zustimmung zu erfragen. Den Insolvenzverwalter, der im Insolvenzverfahren als Partei kraft Amtes in eigener Verantwortung auch die Rechte der Schuldnerin und der Insolvenzgläubiger an der Masse wahrnimmt (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 27. Oktober 1983, 1 ARZ 334/83, BGHZ 88, 331 [juris Rn. 9]; BayObLG, Beschl. v. 28. April 2023, 101 VA 162/22, juris Rn. 32 m. w. N.; Althammer in Zöller, ZPO, § 51 Rn. 7), hat er nur dazu befragt, ob die Antragstellerin eine Forderung nachgemeldet habe, nicht aber zu der weiteren Frage, ob - wenn das nicht der Fall sein sollte - Einverständnis mit der Bewilligung von Einsicht bestehe. Aus der Akte ergibt sich nicht, dass ein Einverständnis aus spezifischen Gründen des vorliegenden Verfahrens ohnehin nicht zu erwarten gewesen wäre.

    Bereits deshalb ist die Ablehnung des Einsichtsgesuchs rechtsfehlerhaft ergangen, denn nach dem Gesetz kann mit Einwilligung der Verfahrensbeteiligten Einsicht auch bei Fehlen eines rechtlichen Interesses gewährt werden. Eine Ablehnung des Einsichtsgesuchs kommt danach nur in Betracht, wenn beide nach dem Gesetz alternativ vorgesehenen Grundlagen für eine Bewilligung nicht greifen.

    c) Darüber hinaus hat der Rechtspfleger zu Unrecht das für § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse verneint und deshalb die ihm nach der genannten Vorschrift obliegende Ermessensentscheidung unterlassen, die nunmehr - im Fall verweigerter Zustimmung der von einer Einsicht Betroffenen - nachzuholen sein wird.

    aa) Die Annahme eines rechtlichen Interesses setzt voraus, dass persönliche Rechte der antragstellenden Person durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben. Allgemein wird als Mindestbedingung für die Annahme eines rechtlichen Interesses ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache gefordert. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange der Einsicht begehrenden Person von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (vgl. BGH, Beschl. v. 15. Oktober 2020, IX AR [VZ] 2/19, NZI 2021, 123 Rn. 14; Beschl. v. 5. April 2006, IV AR [VZ] 1/06, ZIP 2006, 1154 Rn. 15; Beschl. v. 22. Januar 1952, IV ZB 82/51, BGHZ 4, 323 [juris Rn. 15 f.]; BayObLG, Beschl. v. 21. Dezember 2022, 102 VA 174/21, NZI 2023, 99 Rn. 34 [juris Rn. 36]; Beschl. v. 24. Oktober 2019, 1 VA 92/19, NZI 2020, 44 Rn. 36 [juris Rn. 44], jeweils m. w. N.).

    bb) Entgegen der Ansicht der Justizbehörde genügt der glaubhaft gemachte Vortrag der Antragstellerin, um ein rechtliches Interesse zu begründen, das nach der Bestimmung in § 299 Abs. 2 ZPO für die Akteneinsicht durch eine dritte Person verlangt wird.

    (1) Bereits die Stellung eines Insolvenzgläubigers verschafft diesem eine unmittelbare rechtliche Beziehung zum Schuldner (BGH ZIP 2006, 1154 Rn. 16 ff.). Denn als Inhaber einer Insolvenzforderung steht der Gläubiger in einem auf Rechtsnormen (§ 38 InsO i. V. m. den Normen des jeweiligen Anspruchs) beruhenden Verhältnis zum Schuldner und damit zum Gegenstand des Insolvenzverfahrens, in dem das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört oder das er während des Verfahrens erlangt, die Insolvenzmasse bildet (§ 35 Abs. 1 InsO). Dies gilt auch dann, wenn der Gläubiger davon abgesehen hat, seine Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden. Während des laufenden Verfahrens sind die Gläubiger zwar daran gehindert, ihre Forderungen gegen den Insolvenzschuldner auf anderem Weg als durch Feststellung zur Tabelle titulieren zu lassen, §§ 179 ff. InsO. Die Beschränkungen gelten jedoch nur während der Dauer des Verfahrens und entfallen mit einer Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Vollzug der Schlussverteilung (Hintzen in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2019, § 200 Rn. 1, § 201 Rn. 1). Die materielle Rechtslage ändert sich durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht. Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens können die Gläubiger, die sich nicht am Insolvenzverfahren beteiligt haben, ihre ursprüngliche Forderung gegen den Schuldner weiter durchsetzen, soweit nicht ein rechtskräftig bestätigter Insolvenzplan (§ 254 InsO) vorliegt oder dem Schuldner die Restschuldbefreiung (§ 301 Abs. 1 InsO) erteilt wurde (vgl. Jungmann in Karsten Schmidt, Insolvenzordnung, 20. Aufl. 2023, § 201 Rn. 2; Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl. 2019, § 38 Rn. 3; Hintzen in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 201 Rn. 17). Für die Frage des rechtlichen Interesses ist es ohne Belang, ob oder mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad eine Forderungsrealisierung nach Abschluss des Insolvenzverfahrens möglich erscheint.

    (2) Die Antragstellerin hat ihre Gläubigerstellung dargelegt und glaubhaft gemacht.

    Insolvenzgläubiger sind diejenigen persönlichen Gläubiger, die zur Zeit der Verfahrenseröffnung einen begründeten Vermögensanspruch gegen die Schuldnerin haben (§ 38 InsO). Dabei genügt es, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs also schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 22. September 2011, IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rn. 3). Für die Eigenschaft als Insolvenzgläubiger kommt es zudem nicht darauf an, ob die geltend gemachte Forderung besteht oder nicht, sondern allein darauf, ob sie - ihr Bestehen unterstellt - zur Teilnahme an der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger berechtigt (vgl. BayObLG NZI 2020, 44 Rn. 28 [juris Rn. 36]; Andres in Römermann, Insolvenzordnung, Werkstand: 48. EL Mai 2023, § 38 Rn. 2 f.; Ehricke/Behme in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 38 Rn. 8; Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, § 38 Rn. 1).

    Im Schriftsatz vom 10. November 2023 hat die Antragstellerin hinreichend dargelegt, dass sie mit der Schuldnerin in einer kaufvertraglichen Beziehung stehe und den Kaufpreis für die Ware, ein Sofa, bereits entrichtet, die Schuldnerin hingegen ihre eigene Hauptleistungspflicht, die Lieferung und Übereignung der Ware, nicht erfüllt habe. Dies genügt, um ein gegenwärtiges, auf Rechtsnormen beruhendes Verhältnis der Antragstellerin zur Schuldnerin bzw. zur Insolvenzmasse im beschriebenen Sinn darzutun. Damit ist die Antragstellerin hinreichend der Obliegenheit nachgekommen, den Sachverhalt und die daraus hergeleitete Insolvenzforderung nachvollziehbar darzustellen, die denjenigen trifft, der Akteneinsicht unter Berufung auf seine Gläubigerstellung begehrt (vgl. BayObLG NZI 2020, 44 Rn. 32 [juris Rn. 40]). Dass der behauptete Anspruch mangels Anmeldung eines bezifferten Betrags (§ 179 Abs. 2 InsO) nicht im Insolvenzverfahren tituliert werden kann, steht dem rechtlichen Interesse an der Akteneinsicht ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass der von der Antragstellerin dargelegte Anspruch nicht tituliert ist (dazu: BGH ZIP 2006, 1154 Rn. 18).

    Die beigefügten Unterlagen sind geeignet, die behauptete rechtliche Beziehung zwischen der Antragstellerin und der Schuldnerin glaubhaft zu machen, § 4 InsO i. V. m. § 294 ZPO. Das Anschreiben des Insolvenzverwalters ist hinreichendes Indiz dafür, dass aus den Geschäftsunterlagen der Schuldnerin eine vertragliche Beziehung zwischen der Antragstellerin und der Schuldnerin hervorgeht, aufgrund derer die Antragstellerin berechtigt wäre, eine Insolvenzforderung im Verfahren geltend zu machen. Jedenfalls sah der Insolvenzverwalter selbst Veranlassung dazu, die Antragstellerin als Insolvenzgläubigerin anzusehen und sie auf die Möglichkeit der Anspruchsanmeldung hinzuweisen. Die E-Mails lassen es als glaubhaft erscheinen, dass es sich bei der Vertragsbeziehung um den behaupteten Warenkauf bei der Schuldnerin handelt. Hierzu geht aus den E-Mails hervor, dass die gekaufte Ware vertragswidrig seitens der Schuldnerin nicht geliefert und übereignet worden war, denn es wurde im Sinne einer Schadensbegrenzung nach einer Möglichkeit gesucht, die ausstehende Leistung durch Einschaltung eines anderen Unternehmens und gegen Zuzahlung zu bewerkstelligen.

    cc) Das sich aus der Gläubigerstellung ergebende rechtliche Interesse entfällt nicht deshalb, weil die Antragstellerin mit ihrem Akteneinsichtsgesuch - möglicherweise sogar vorrangig - das Ziel verfolgt, festzustellen, ob ihr Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft der Insolvenzschuldnerin zustehen.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (ZIP 2006, 1154 Rn. 19 f.) lässt sich das Gläubigerinteresse nicht aufspalten in ein rechtliches Interesse i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO an der Feststellung, ob noch Vermögen bei der Schuldnerin vorhanden ist, und ein - von § 299 Abs. 2 ZPO nicht geschütztes - rein wirtschaftliches Interesse an der Prüfung der Erfolgsaussichten von Schadensersatzansprüchen gegen Dritte, insbesondere Organe der Schuldnerin. Vielmehr stehen solche Schadensersatzansprüche meist in einem rechtlich untrennbaren Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Forderung des Gläubigers.

    So liegt es auch hier. Ein Schadensersatzanspruch der Antragstellerin gegen Organe der Schuldnerin wegen verspäteter Stellung des Insolvenzantrags oder wegen Eingehens einer Verbindlichkeit sowie Entgegennahme der Gegenleistung in Kenntnis eigener Leistungsunfähigkeit ist rechtlich untrennbar damit verbunden, dass die Antragstellerin einen Anspruch gegen die Schuldnerin auf Lieferung und Übereignung von Ware hat, der infolge der Insolvenz nicht realisiert werden kann.

    Fehl geht die im Bescheid vom 14. November 2023 geäußerte Ansicht, ein solcher Schadensersatzanspruch sei vom Insolvenzverwalter zu verfolgen und durch Leistung an die Masse zu befriedigen. Diese Ansicht berücksichtigt nicht, dass der Insolvenzverwalter nur das Vermögen der Schuldnerin verwaltet. Er ist berechtigt, Erstattungsansprüche nach §§ 15a, 15b InsO wegen Zahlungen, die vom Vertretungsorgan der Schuldnerin nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung geleistet worden sind, zu verfolgen. Darum geht es vorliegend jedoch nicht. Für Gläubigeransprüche gegen die Organe der Schuldnerin ist der Verwalter des Vermögens der Schuldnerin nicht zuständig. Hierauf kommt es aber für die Entscheidung aus den dargelegten Gründen ohnehin nicht an.

    dd) Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der im Bescheid vom 14. November 2023 in Bezug genommenen Entscheidung vom 14. Oktober 2021 (102 VA 66/21, ZIP 2021, 2496).

    In jenem Verfahren wurde ausgeführt, dass ein rechtliches Interesse an der Einsicht in die Insolvenzakte nicht stets daraus hergeleitet werden kann, dass der Insolvenzverwalter Ansprüche gegen die um Akteneinsicht nachsuchende Person verfolgt. Zwar liege das erforderliche rechtliche Interesse dann vor, wenn der inmitten stehende Anspruch aus Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO hergeleitet werde, denn in diesem Fall habe die Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter ihren Rechtsgrund im Insolvenzverfahren (unter Bezugnahme auf BayObLG, Beschl. v. 2. September 2021, 101 VA 100/21, juris Rn. 21; Beschl. v. 3. Dezember 2019, 1 VA 70/19, ZInsO 2020, 2209 [juris Rn. 14]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 11. Januar 2021, 14 VA 15/20, NZI 2021, 274 Rn. 21; vgl. auch BGH NZI 2021, 123 Rn. 14). Davon zu unterscheiden seien indes Ansprüche, die unabhängig vom Insolvenzverfahren in der Person des Insolvenzschuldners entstanden seien und nunmehr vom Insolvenzverwalter geltend gemacht würden; diese begründeten kein rechtliches Interesse i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO (unter Bezugnahme auf OLG Hamburg, Beschl. v. 19. Mai 2008, 2 Va 3/08, juris Rn. 16; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25. Februar 2021, 3 VA 14/19, NZI 2021, 508 Rn. 24; OLG Stuttgart, Beschl. v. 11. Januar 2021, 14 VA 15/20, NZI 2021, 274 Rn. 20 [juris Rn. 21] a. E.).

    Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor, weil nicht der Insolvenzverwalter gegen die Antragstellerin Ansprüche erhebt. Um die Einordnung eines solchen Anspruchs in Bezug auf die Frage, ob ein rechtlicher Bezug zum Insolvenzverfahren besteht, geht es vorliegend nicht. Vielmehr ist es die Antragstellerin, die einen Anspruch gegen die Schuldnerin (auf Lieferung und Übereignung von vor Insolvenzeröffnung gekaufter Ware) behauptet.

    3. Da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und die Antragstellerin durch Versagung der beantragten Akteneinsicht in ihren Rechten verletzt, ist er gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG aufzuheben.

    Der Senat kann über das Einsichtsgesuch aber nicht abschließend entscheiden. Denn aus der Bejahung des rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht folgt noch kein Anspruch auf Einsicht. Das Vorliegen des rechtlichen Interesses eröffnet vielmehr erst den Weg für eine Ermessensentscheidung der Justizverwaltung nach § 299 Abs. 2 ZPO (BGH, Beschl. v. 18. Februar 1998, IV AR [VZ] 2/97, ZIP 1998, 961 a. E.; BayObLG NZI 2020, 491 Rn. 32; OLG Frankfurt, Beschl. v. 21. Juni 2016, 20 VA 20/15, juris Rn. 47). Da der Senat sein Ermessen nach ständiger Rechtsprechung nicht an die Stelle der Justizbehörde setzen kann, ist die Sache noch nicht spruchreif (§ 28 Abs. 2 Satz 2 EGGVG).

    Der Antrag kann daher keinen Erfolg haben, soweit er darauf gerichtet ist, dass der Senat die Verpflichtung des Amtsgerichts zur Gewährung von Akteneinsicht ausspricht. Insoweit ist er zurückzuweisen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 3. Dezember 2019, 1 VA 70/19, juris Rn. 17; auch Decker in BeckOK VwGO, 59. Ed. Stand 1. April 2024, § 113 Rn. 77; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 49 mit Rn. 51, jeweils zu der im Wesentlichen mit § 28 Abs. 2 EGGVG übereinstimmenden Vorschrift des § 113 Abs. 5 VwGO).

    Die Sache ist auf den Hilfsantrag an die Justizbehörde zurückzugeben, die über das Einsichtsgesuch der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden hat.

    Im Rahmen der - nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten gegebenenfalls anzustellenden - Ermessensentscheidung kann auch zu erwägen sein, unter Berücksichtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung der möglicherweise zahlreichen Verfahrensbeteiligten einerseits und des mit der Einsicht verfolgten Interesses andererseits nur beschränkte Einsicht in die Akte zu gewähren (dazu: BayObLG, Beschl. v. 2. September 2021, 101 VA 100/21, juris Rn. 33 m. w. N).

    4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 30 EGGVG. Insbesondere liegen keine besonderen Umstände vor, die es angemessen erscheinen ließen, ausnahmsweise die Staatskasse mit den außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin nach § 30 Satz 1 EGGVG zu belasten. Der Umstand, dass ein Antrag Erfolg hat, reicht für sich genommen hierfür nicht aus (vgl. vgl. BGH, Beschl. v. 30. Januar 2008, IV AR [VZ] 3/05, juris Rn. 1; BayObLG, Beschl. v. 8. Mai 2024, 101 VA 18/24, juris Rn. 37 m. w. N.; KG, Beschl. v. 18. November 2014, 4 VAs 29/14, juris Rn. 8 und Beschl. v. 20. Mai 2014, 1 VA 7/14, juris Rn. 4; Schultzky in Zöller, ZPO, § 30 EGGVG Rn. 2; Köhnlein in BeckOK GVG, 22. Ed. Stand: 15. Februar 2024, § 30 EGGVG Rn. 8; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 30 EGGVG Rn. 5).

    Für den überwiegend erfolgreichen Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG sind Gerichtskosten nicht angefallen (vgl. Nr. 15300 KV GNotKG und Nr. 15301 KV GNotKG; § 25 Abs. 1 GNotKG), weshalb es keiner Geschäftswertfestsetzung bedarf.

    Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor.

    RechtsgebietInsolvenzVorschriften§ 4 InsO