15.02.2018 · IWW-Abrufnummer 199665
Landgericht Tübingen: Urteil vom 26.01.2018 – 4 O 187/17
Allgemeine Geschäftsbedingungen einer Bank, mit denen bei Sicht-, Termin- und Festgeldeinlagen im Verhältnis zu Verbrauchern Negativzinsen eingeführt werden, sind dann nach § 307 BGB unwirksam, wenn davon auch Altverträge erfasst werden, die ohne eine Entgeltpflicht des Kunden geschlossen wurden.
LG Tübingen
Urteil vom 26.1.2018
4 O 187/17
Tenor
I.
Der Beklagten wird untersagt, gegenüber Verbrauchern gemäß § 13 BGB die
nachfolgenden oder inhaltsgleiche Klauseln in ihren Allgemeinen
Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit Geldanlageverträgen mit Verbrauchern
zu verwenden oder sich auf diese Klauseln zu berufen:
1. VR-FlexGeld ab 10.000 Euro minus 0,500%
2. VR-TerminGeld/VR-AnlageGeld ab 25.000 Euro,
Laufzeit 180 Tage
minus 0,250%
360 Tage
minus 0,150%
720 Tage
minus 0,100%
3. VR-KündigungsGeld ab 25.000 Euro,
Kündigungsfrist 90 Tage
minus 0,350%
II.
Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu
EUR 250.000,00 (ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen) oder Ordnungshaft bis
zu 6 Monaten angedroht.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
IV.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,00
EUR vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen.
2
Der Kläger ist ein in der Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG
geführter gemeinnütziger Verbraucherschutzverein. Er verlangt von der beklagten
Bank im Rechtsverkehr mit Verbrauchern für unterschiedliche Einlagengeschäfte
die Unterlassung der Verwendung eines Preisaushangs mit Negativverzinsung.
3
Die Beklagte verwendete im Zeitraum zwischen dem 17.05.2017 und dem 26.06.2017
einen Preisaushang, in dem es zur Verzinsung bei Einlagengeschäften u.a. heißt
(vgl. Anlage K 2):
4
Die Beklagte wurde vom Kläger mit Schreiben vom 12.06.2017 (Anlage K 3)
abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung
aufgefordert. Sie teilte daraufhin mit Schreiben vom 26.06.2017 (Anlage K 4)
mit, dass die Klauseln zwischenzeitlich wieder geändert seien. Eine
strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Beklagte auch nicht innerhalb der
mit Schreiben vom 27.06.2017 (Anlage K 5) gesetzten Nachfrist abgegeben.
5
Beim VR-FlexGeld handelt es sich um das Tagesgeldprodukt der Beklagten, das für
Verbraucher als online-Variante („VR-FlexOnline“) und in der Grundform
„VR-FlexPrivat“ angeboten wird (vgl. dazu das Produktinformationsblatt gemäß
der Anlage B 2). Über die Einlage kann täglich verfügt werden, die Laufzeit ist
unbefristet. Im Produktinformationsblatt zum VR-FlexPrivat Stand 16.01.2017
heißt es unter „4. Risiken“ u.a.:
6
„Die Verzinsung ist variabel und nach der Höhe der Einlagen gestaffelt. Der
variable Vertragszinssatz ist an den des jeweiligen Neugeschäfts für Einlagen
dieser Art gebunden. Dadurch erhält der Kunde eine an der Marktentwicklung
orientierte Verzinsung seines Guthabens, die zur Berechnung von negativen
Zinsen führen kann.“
7
Unter „6. Verzinsung“ ist zu lesen:
8
„Die Bank wird die Zinssätze an die des jeweiligen Neugeschäfts für Einlagen
dieser Art anpassen, die sich an den Marktverhältnissen orientieren. Dadurch
kann es zur Berechnung negativer Zinsen kommen. Die Zinsen werden jeweils zum
Halbjahresende gutgeschrieben; im Falle der Berechnung negativer Zinsen werden
sie belastet. Die Verzinsung ist variabel und nach der Höhe der Einlage
gestaffelt. Derzeit gilt folgende Zinsstaffel:
9
ab 0,01 EUR 0,00 % pro Jahr
ab 10.000,00 EUR 0,00 % pro Jahr.“
10
Für das VR-KündigungsGeld gilt nach dem Produktinformationsblatt Stand
16.01.2017 (Anlage B 5) eine fest vereinbarte Kündigungsfrist von 90 Tagen für
Kunde und Bank. Dem Kündigungserfordernis entsprechend besteht keine feste
Laufzeit, sondern nur eine Mindestlaufzeit von 90 Tagen. Der
Mindestanlagebetrag beträgt 25.000,00 EUR. Unter „6. Verzinsung“ enthält das
Produktinformationsblatt folgende Hinweise:
11
„Die Verzinsung ist variabel und beträgt derzeit 0,00 % pro Jahr.
12
Die Bank wird die Zinssätze an die des jeweiligen Neugeschäfts für Einlagen
dieser Art anpassen, die sich an den Marktverhältnissen orientieren. Dadurch
kann es zur Berechnung negativer Zinsen kommen. Bei Zinssatzänderungen wird der
neue Zinssatz mit der Bekanntgabe (Aushang in den Geschäftsräumen) wirksam.
Zinsen werden jährlich zum 31.12. gutgeschrieben; im Falle der Berechnung
negativer Zinsen werden sie belastet.“
13
Beim VR-TerminGeld wird laut dem Produktinformationsblatt Stand 16.01.2017
(Anlage B 3) für die gesamte Laufzeit die Verzinsung fest vereinbart. Eine
Verfügungsmöglichkeit während der Laufzeit besteht nicht. Die Laufzeit beträgt
mindestens 180 Tage, der Anlagebetrag mindestens 25.000,00 EUR. Beim
VR-AnlageGeld beträgt die Laufzeit mindestens ein Jahr. Unter „3. Produktdaten“
heißt es im Produktinformationsblatt u.a.:
14
„Prolongation
15
Bei einer Laufzeit bis zu einem Jahr wird die Anlage bei Fälligkeit zu dem dann
geltenden Zinssatz (positiv oder negativ) um die gleiche Laufzeit verlängert,
sofern der Kunde der Bank keine andere Weisung erteilt.“
16
Weiter ist unter „6. Verzinsung“ zu lesen:
17
„Die Zinsen werden jeweils zum Ende der Laufzeit gutgeschrieben oder im Falle
der Berechnung negativer Zinsen belastet. Ist die Laufzeit länger als ein Jahr,
erfolgt die Zinsberechnung darüber hinaus jeweils nach Ablauf eines
Anlagejahres. Die Verzinsung ist fest vereinbart und beträgt derzeit:
18
Anlagebetrag 25.000,00 EUR
Laufzeit 180 Tage
0,00 %.“
19
Für die streitgegenständlichen Einlagengeschäfte verlangt die Beklagte keine
Kontoführungsgebühr. Die vor dem 16.01.2017 von der Beklagten verwendeten
Produktinformationsblätter enthielten unter der Rubrik „Verzinsung“ keinen
Hinweis darauf, dass es auch zur Berechnung negativer Zinsen kommen kann.
20
Der Kläger ist der Ansicht, die im Preisaushang enthaltenen Klauseln zu
VR-FlexGeld, VR-Termingeld/VR-AnlageGeld und VR-KündigungsGeld seien
rechtswidrig. Sie enthielten dem Wortlaut nach keine Einschränkungen und
umfassten damit auch laufende Verträge.
21
Die Klausel zu VR-FlexGeld verstoße gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2
Nr. 2 BGB. Die unangemessene Benachteiligung von Verbrauchern beruhe auf einem
Verstoß gegen einen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung. Dabei sei insoweit
bei der Beurteilung der Klausel der gesamte Vertragsinhalt mit zu
berücksichtigen, insbesondere auch der Inhalt anderer Regelungen und Klauseln.
Die Beklagte habe gemäß der Anlagen K 6 und K 8 noch am 09.06.2017 VR-FlexGeld
zielgerichtet zur „Geldanlage“ und nicht zur Verwahrung beworben. Die Beklagte
hebe zusätzlich hervor, dass das Konto zum Ansparen diene, wobei der
Verbraucher jederzeit über sein „Erspartes“ verfügen könne (Anlage K 9).
22
Unter diesen Umständen handele es sich bei der Klausel, nach der der
Verbraucher für seine Geldanlage einen Negativzins - somit ein in der Höhe
variierendes Entgelt - zu entrichten habe, um eine überraschende Klausel im
Sinne des § 305c BGB, die insbesondere bei bereits abgeschlossenen laufenden
Verträgen unwirksam sei.
23
In rechtlicher Hinsicht sei ein Vertrag zum VR-FlexGeld als Darlehensvertrag zu
qualifizieren, bei dem die Beklagte als Darlehensnehmerin gemäß § 488 Abs. 1
Satz 2 BGB verpflichtet sei, einen Zins zu zahlen. Im Ergebnis sei die von der
Beklagten verwendete Klausel, die auch laufende Verträge betreffe, darauf
angelegt, das Vertragsverhältnis vollständig zu ändern und die Hauptpflicht
quasi „auf den Kopf zu stellen“. Die beanstandete Klausel führe zur
vollständigen Typusänderung, die nicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
herbeigeführt werden dürfe, da diese lediglich einen Vertragstyp im rechtlich
zulässigen Rahmen ausgestalten könnten. Der abgeschlossene Vertragstypus und
die hierfür vereinbarten essentialia dürften durch nachfolgend eingeführte
Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht nachträglich einseitig zum Vertragsinhalt
gemacht werden. Unter Zugrundelegung eines Darlehensvertrages sei die hier
verwendete Klausel bei abstrakter Betrachtungsweise geeignet, den hierin
enthaltenen Grundsatz des Vorrangs der getroffenen Abrede zu verdrängen bzw.
auszuhöhlen. In dieser Zielrichtung sei die angegriffene Klausel ebenfalls
generell geeignet, die Vertragspartner der Beklagten wider Treu und Glauben
unangemessen zu benachteiligen i.S.v. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.
24
Der Kläger verweist ferner auf den Rechtsgedanken des § 308 Nr. 4 BGB. Die
Zumutbarkeit von Änderungs- und Abweichungsvorbehalten sei von vornherein davon
abhängig, dass diese nicht zu einer wesentlichen Störung des Gleichgewichts von
Leistung und Gegenleistung zu Lasten des anderen Vertragsteils führten. Die
vollständige Änderung des Vertragstypus und die Änderung von Leistung und
Gegenleistung dahingehend, dass der Verbraucher nun, statt Zinsen zu erhalten,
zahlen müsse, sei insoweit über eine Allgemeine Geschäftsbedingung rechtlich
nicht darstellbar.
25
Unerheblich sei, ob die Beklagte mit dem Verbraucher ein einseitiges
Leistungsbestimmungsrecht im Hinblick auf den abgeschlossenen Vertrag
vereinbart habe. Ein Leistungsbestimmungsrecht in einem Vertragstyp erlaube
nicht die Schaffung einseitiger neuer Gegenleistungspflichten, durch die der
Vertragstyp vollständig geändert werde.
26
Die von der Beklagten zu VR-TerminGeld/VR-AnlageGeld verwendete Klausel
verstoße ebenfalls gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB. Insoweit
sei die Situation nicht anders zu beurteilen als beim VR-FlexGeld. Es komme
hinzu, dass aufgrund der vorgegebenen Anlagelaufzeit befristete Einlagen
(Termineinlagen) und damit echte Gelddarlehensverträge gemäß § 488 BGB
begründet würden. Hier sei die Beklagte Darlehensnehmerin, der Verbraucher
Darlehensgeber. Ein Darlehensvertrag beinhalte aber die Verpflichtung, dass der
Darlehensnehmer einen Zins zu zahlen und seinerseits kein Entgelt zu
vereinnahmen habe. Auch hier könne und dürfe durch eine Klausel kein
vollständiger Vertragstypenwechsel von einem zeitlich befristeten Darlehen zu
einem regelmäßigen entgeltlichen Verwahrungsvertrag erfolgen - erst recht nicht
in laufenden Verträgen.
27
Die Klausel zu VR-KündigungsGeld verstoße aus den gleichen Erwägungen heraus
gleichfalls gegen § 307 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Nr. 2 BGB.
28
Der Kläger beantragt:
I.
29
Der Beklagten wird untersagt, gegenüber Verbrauchern gemäß § 13 BGB die
nachfolgenden oder inhaltsgleiche Klauseln in ihren Allgemeinen
Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit Geldanlageverträgen mit Verbrauchern
zu verwenden oder sich auf diese Klauseln zu berufen:
30
1. VR-FlexGeld ab 10.000 Euro minus 0,500%
2. VR-TerminGeld/VR-AnlageGeld ab 25.000 Euro,
Laufzeit 180 Tage
minus 0,250%
360 Tage
minus 0,150%
720 Tage
minus 0,100%
3. VR-KündigungsGeld ab 25.000 Euro,
Kündigungsfrist
90 Tage
minus 0,350%
II.
31
Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu
EUR 250.000,00 (ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen) oder Ordnungshaft bis
zu 6 Monaten angedroht.
32
Die Beklagte stellt den Antrag,
33
die Klage abzuweisen.
34
Sie macht im Wesentlichen geltend, der Klageantrag Ziff. I. sei zu unbestimmt
und daher unzulässig. Der Kläger begehre auch die Unterlassung der Verwendung
von „inhaltsgleichen“ Klauseln und damit, dass die Beklagte im Einlagengeschäft
für alle Zeiten auf negative Zinsen verzichten solle. Für welche künftigen
Verträge das begehrte Verbot von „Negativzinsen“ darüber hinaus gelten soll,
bleibe unklar.
35
Das Produktinformationsblatt zum Tagesgeldangebot für Verbraucher VR-FlexPrivat
(Anlage B 2) informiere über die maßgeblichen Produkteigenschaften. Wenn ein
Verbraucher ein Tagesgeldkonto eröffnen wolle, werde ihm mit der Bestätigung
seines Auftrages zur Kontoeröffnung von der Beklagten unter anderem mitgeteilt
(vgl. dazu die anonymisierte Kontoanlagebestätigung vom 15.05.2017 als Anlage B
1):
36
„Durch Orientierung des Vertragszinssatzes an den Marktverhältnissen kann es
zur Berechnung negativer Zinsen kommen. Hierdurch kann es zu einer Verringerung
des eingezahlten Kapitals kommen. Soweit nichts anderes vereinbart, ergeben
sich die Zinsen und Entgelte aus dem Preisaushang bzw. dem Preis- und
Leistungsverzeichnis.“
37
Das VR-TerminGeld/VR-AnlageGeld stelle eine Termineinlage mit fest vereinbarter
Verzinsung (,‚Festgeld“) dar. Die Laufzeit könne 180, 360 und 720 Tage
betragen. Der für die Laufzeit unveränderliche Zins ergebe sich aus dem bei
Vertragsschluss gültigen Preishaushang. Bei der Eröffnung eines Festgeldkontos
durch einen Verbraucher teile die Beklagte diesem mit der Bestätigung seines
Auftrages zur Kontoeröffnung u.a. mit (vgl. anonymisierte Bestätigung
Kontoeröffnung VR-TerminGeld vom 23.01.2017 als Anlage B 4):
38
„Durch Orientierung des Vertragszinssatzes an den Marktverhältnissen kann es
zur Berechnung negativer Zinsen kommen. Hierdurch kann es zu einer Verringerung
des eingezahlten Kapitals kommen. Soweit nichts anderes vereinbart, ergeben
sich die Zinsen und Entgelte aus dem Preisaushang bzw. dem Preis- und
Leistungsverzeichnis.“
39
Beim VR-KündigungsGeld handele es sich ebenfalls um eine variabel verzinste
Termineinlage. Sowohl im Produktinformationsblatt (Anlage B 5) als auch bei der
Kontoeröffnung werde - auch während der Geltung des Preisaushanges vom
17.05.2017 (Anlage K 2) - stets auf die Möglichkeit von negativen Zinsen und
der damit einhergehenden, möglichen Verringerung des Kapitals hingewiesen (vgl.
dazu das anonymisierte Bestätigungsschreiben Kontoeröffnung VR-KündigungsGeld
als Anlage B 6).
40
Mit negativen Zinsen würden lediglich die von der Europäischen Zentralbank
verlangten Kosten für die Verwahrung von Liquidität an die Verursacher
weitergegeben. Inflation und Zinsniveau seien eng verwobene
volkswirtschaftliche Phänomene außerhalb des Einflussbereiches der Beklagten.
Verbraucher stünden nicht außerhalb des aktuellen Zinsumfeldes. Die typischen
Interessen der Vertragsparteien eines Einlagengeschäfts hätten sich durch die
anhaltende und beispiellose Niedrigzinsphase fundamental verändert.
Insbesondere müssten Banken momentan 0,4 % an die Zentralbanken im Rahmen der
Einlagenfazilität bezahlen. Das Interesse der Kunden an einer sicheren
Verwahrung bei kurz- oder mittelfristiger Fälligkeit bestehe unverändert fort.
Unter diesen Umständen gehe das Interesse der Banken dahin, die Entstehung der
0,4% „Strafzinsen“ zu vermeiden oder diese an den verursachenden Kunden
weiterzugeben. Die Umlage auf alle Kunden sei vor dem Hintergrund der
Rechtsprechung des BGH problematisch. Dass bei einer Negativverzinsung das Geld
der Verbraucher auf einem an sich „sicheren“ Einlagenkonto an Wert verliere,
stelle ein Risiko dar, welches nicht die Kreditwirtschaft zu verantworten habe
oder steuern könne. Zinsniveau und Inflation könnten nicht isoliert betrachtet
werden. Wer Negativzinsen im Einlagengeschäft für unzulässig halte, verkenne
z.B. auch, dass bei einer Deflation (Verteuerung des Geldes, steigender
Realwert, kein Anreiz für Konsum) nur Negativzinsen noch den Anreiz setzen
können, weiter Geld auszugeben und damit die Wirtschaft „in Schwung“ zu halten,
anstatt das Geld dem Kreislauf zu entziehen.
41
Soweit der Kläger darauf abhebe, VR-FlexGeld diene dem „Ansparen“, könne dies
der Klage nicht zum Erfolg verhelfen, weil Sparen kein Wachstum durch Zinsen
voraussetze. Bei keinem der Produkte, die durch die drei streitgegenständlichen
Klauseln ausgestaltet werden könnten, handele es sich um Sparprodukte. Als
Spareinlagen könnten nur unbefristete Gelder ausgewiesen werden, für die nach §
21 Abs. 4 Nr. 1 RechKredV eine Urkunde auszufertigen sei. Dies sei bei den hier
in Rede stehenden Produkten nicht der Fall.
42
Eine sichere Zinsprognose könnten allein die Festgeldprodukte VR-TerminGeld und
VR-AnlageGeld bieten, weil der Preisaushang im Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses einen konstanten Zins für die gewünschte Laufzeit ausweise.
Eine Änderung des Preisaushanges könne nicht in Verträge mit bereits
vereinbarter Festverzinsung eingreifen, sondern ausschließlich Neuverträge
betreffen.
43
Die streitgegenständlichen Klauseln seien auch im Übrigen nicht zur Änderung
bestehender laufender Verträge verwendet worden.
44
Die Produkte VR-FlexGeld und VR-KündigungsGeld seien mit einer variablen
Verzinsung ausgestaltet, weshalb der Preisaushang grundsätzlich Einfluss auf
die Verzinsung laufender Verträge habe, weil aus ihm der jeweils aktuelle
Zinssatz ersichtlich sei. Aus dem Produktinformationsblatt und den
Bestätigungsschreiben für Kontoeröffnungen gehe insoweit ohne weiteres hervor,
dass Negativzinsen nicht ausgeschlossen, sondern grundsätzlich möglich seien
und zu einer Verringerung des eingelegten Kapitals führen könnten. Der
Preisaushang fülle daher nur in den Verträgen angelegte Möglichkeiten aus.
45
Die Beklagte geht von der Wirksamkeit der angegriffenen Klauseln aus. Die drei
streitgegenständlichen Klauseln unterlägen nicht der Inhaltskontrolle nach §§
307 Abs. 2, 308 und 309 BGB, da sie nur den Preis einer vertraglichen
Hauptleistung regelten. In allen Verträgen sei die Möglichkeit von negativen
Zinsen angelegt gewesen. Der Preisaushang vom 17.05.2017 setze diese
Möglichkeit nur um. Eine Abweichung oder Ergänzung zwingenden Rechts liege
nicht vor. Das Gesetz enthalte keine wesentlichen Grundgedanken zur
Negativverzinsung. Das Einlagengeschäft sei nicht gesondert zivilrechtlich
geregelt. Da das Bürgerliche Gesetzbuch zinspolitisch neutral sei, finde sich
kein Rechtssatz, der negativen Zinsen entgegenstehe. Vielmehr lasse die
privatrechtliche Privatautonomie die Vereinbarung von negativen Zinsen zu.
46
Zu einer unangemessenen Benachteiligung von Verbrauchern führten die
angegriffenen Klauseln nicht. Für eine Verwahrdienstleistung ein Entgelt zu
verlangen, sei wegen § 689 BGB unbedenklich. Dies sei auch nicht überraschend
in Anbetracht der vorvertraglichen Informationen und der erteilten Bestätigungsschreiben.
Es werde weder nachträglich eine essentiala verändert noch in die vertraglichen
Pflichten im Nachhinein eingegriffen. Die Zinsanpassungsklausel entspreche den
Vorgaben der Rechtsprechung. Insbesondere sei die Orientierung des Zinssatzes
an sich ändernde Marktverhältnisse unbedenklich. Nichts anderes könne dann
gelten, wenn der variable Zinssatz zu einer negativen Verzinsung führe. Das
Darlehensrecht lasse eine Negativverzinsung zu. Die Zulässigkeit einer
Negativverzinsung sei zu bejahen, egal ob die Regelungen über den
Darlehensvertrag oder die Bestimmungen über den Verwahrungsvertrag anzuwenden
seien.
47
Wegen § 275 Abs. 3 BGB erscheine das Verlangen des Klägers auf Unterlassung
unzumutbar. Eine derart weitreichende Verpflichtung stehe in ihrer sachlichen
und zeitlichen Reichweite vollkommen außer Verhältnis zum Anlass der Klage.
48
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten
Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
49
Die zulässige Klage ist begründet. Die von der Beklagten in der Vergangenheit
im Wege eines Preisaushangs verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind
im Rechtsverkehr mit Verbrauchern unwirksam, woraus sich ein
Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt (§ 1 UKlaG).
I.
50
Die Klage ist zulässig.
1.
51
Das Landgericht Tübingen ist nach § 5 UKlaG, § 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1
GVG sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem
ausschließlichen Gerichtsstand des § 6 Abs. 1 S. 1 UKlaG. Die gewerbliche
Niederlassung der Beklagten liegt im Bezirk des Landgerichts Tübingen
2.
52
Der Kläger ist nach §§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4 UKlaG klagebefugt. Der Kläger ist
eine qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 4 UKlaG (vgl. BGH NJW-RR 2014,
476; BGH WRP 2014, 319; BGH NJW 2013, 593; BGH NJW 2008, 2495).
3.
53
Der Einwand der Beklagten, der Antrag sei in Bezug auf die begehrte Versagung
der Verwendung inhaltsgleicher Klauseln zu unbestimmt, geht fehl. Der Antrag
orientiert sich an § 9 Nr. 3 UKlaG, wonach die Urteilsformel bei begründeten
Klagen auch das Gebot zu enthalten hat, die Verwendung oder Empfehlung
inhaltsgleicher Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu
unterlassen. Zulässiger Streitgegenstand einer Verbandsklage ist jede
inhaltlich selbständige Klausel in der vom Anspruchsgegner konkret verwendeten
Fassung zusammen mit dem dazugehörigen Lebenssachverhalt (BGH NJW 1993, 2052),
sodass der Antrag zulässig ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
II.
54
Zum Antrag Ziff. I:
55
Unwirksam ist der zwischen dem 17.05.2017 und 26.06.2017 verwendete
Preisaushang der Beklagten mit Negativverzinsung zum VR-FlexGeld (1.), zum
VR-KündigungsGeld (2.) und zum VR-TerminGeld bzw. VR-AnlageGeld (3.). Bei
diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist ein Verstoß gegen § 307 Abs. 3 S.1
i.V.m. Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 BGB zu bejahen, weil sie in Bezug auf
Verträge, die bereits vor Änderung der Produktinformationen zum 16.01.2017
geschlossen wurden (Altverträge), von wesentlichen Grundgedanken der
gesetzlichen Vorschriften abweichen und zudem als überraschend i.S.v. § 305c
Abs. 1 BGB anzusehen sind.
1.
56
VR-FlexGeld
57
Der Preisaushang zum VR-FlexGeld, der im Zusammenwirken mit der von der
Beklagten verwendeten Zinsanpassungsklausel zu betrachten ist, ist unwirksam.
a)
58
Bei der Einlageform VR-FlexGeld handelt es sich um ein unbefristetes
Tagesgeldkonto mit täglicher Verfügungsmöglichkeit ohne Kündigungsfrist mit
einer variablen Staffelverzinsung, welches nicht für den direkten
Zahlungsverkehr geeignet ist (vgl. Anlage B 2). Sie ist eine Sichteinlage,
welche üblicherweise als unregelmäßiger Verwahrungsvertrag gemäß § 700 Abs. 1
BGB klassifiziert wird (Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 700 Rn.1; Peterek in
Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., 8. Teil, E. Spargeschäft,
Anm. 8.21). Dies gilt jedenfalls für Altverträge, die vor dem 16.01.2017
geschlossen wurden und bei denen sich die Beklagte keine Negativverzinsung
vorbehalten hat. Danach finden bei Geld die Vorschriften über den
Darlehensvertrag gemäß § 488 BGB Anwendung.
b)
59
Der am 17.05.2017 durch die Beklagte veröffentlichte Preisaushang (Anlage K 2)
enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Der
Preisaushang ist für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und wird vom
Verwender, der Beklagten, gestellt. Im Verhältnis eines Unternehmers zu einem
Verbraucher genügt die Verwendungsabsicht, wenn also diese Vertragsbedingungen
nur zur einmaligen Verwendung gedacht sind. Hier sollte der Preisaushang sogar
auf eine Vielzahl von Verträgen Anwendung finden. Unerheblich ist, dass die
Beklagte zu keinem Zeitpunkt Negativzinsen verlangt hat (vgl. BGH WM 2014, 1325
zum Preisaushang). Die Beklagte hat das Vorliegen von AGB nicht streitig gestellt
c)
60
Als Preisabrede ist die Vereinbarung einer negativen Verzinsung für Neuverträge
der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB grundsätzlich entzogen.
61
§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB beschränkt die Inhaltskontrolle auf solche Bestimmungen
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften
abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Hierunter
fallen weder Bestimmungen über den Preis der vertraglichen Hauptleistung noch
Klauseln über das Entgelt für eine rechtlich nicht geregelte zusätzlich
angebotene Sonderleistung (BGH NJW 2010, 150; BGH NJW-RR 2015, 181), da die
Vertragsparteien nach dem im bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der
Vertragsfreiheit Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei regeln können
(BGH MDR 2012, 983). Dies gilt nicht für Preisnebenabreden, die sich - wie
insbesondere Preis- und Zahlungsmodifikationen - mittelbar auf den Preis
auswirken, an deren Stelle aber bei Fehlen einer wirksamen vertraglichen
Regelung dispositives Gesetzesrecht treten kann (BGH NJW 2009, 3570; BGH NJW
2014, 2078). Um Preisnebenabreden handelt es sich bei Klauseln, die keine echte
(Gegen-)Leistung zum Gegenstand haben, sondern mit denen der Klauselverwender allgemeine
Betriebskosten, Aufwand für die Erfüllung gesetzlich oder nebenvertraglich
begründeter eigener Pflichten oder für sonstige Tätigkeiten auf den Kunden
abwälzen will, die der Verwender im eigenen Interesse erbringt (BGH NJW 2014,
2420; BGH NJW 2013, 995).
62
Im vorliegenden Fall liegt keine Preisnebenabrede, sondern eine echte
Preisabrede vor. So ist bei einem Sparvertrag die Zahlung von Zinsen als
Preisabrede anzusehen, nämlich als Hauptleistungspflicht des Schuldners gemäß §
488 Abs. 1 S. 2 BGB (vgl. BGH NJW 2010, 1742; Palandt/Grüneberg, BGB, 76.
Aufl., § 307 Rn. 46). Nichts anderes kann bei einem unregelmäßigen
Verwahrvertrag im Falle der Vereinbarung eines Entgelts des Einlegers in Form
einer negativen Verzinsung gelten.
d)
63
Der Preisaushang zum VR-FlexGeld verstößt aber gegen § 307 Abs. 3 S. 1 BGB
i.V.m. Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 BGB, weil das Klauselwerk der Beklagten es
ermöglicht, auch bei vor dem 16.01.2017 zustande gekommenen Verträgen
Negativzinsen zu verlangen und damit in einer Weise von den für diese Verträge
geltenden gesetzlichen Regelungen abweicht, die mit deren wesentlichen
Grundgedanken nicht vereinbar ist.
64
Wegen des Verweises in § 700 Abs. 1 S. 1 BGB finden bei Altverträgen über
Tagesgelder die Regelungen zum Darlehensvertrag Anwendung. Das Darlehensrecht
kennt keine Entgeltpflicht für den Darlehensgeber. Davon abweichend hat die
Beklagte durch den Preisaushang mit Negativverzinsung im Zusammenspiel mit der
im Tatbestand wiedergegebenen Zinsanpassungsklausel auch bei Verträgen, die vor
dem 16.01.2017 abgeschlossen wurden, eine Entgeltpflicht für Bankkunden
begründet. Dadurch hat sie nachträglich in das Gefüge der
Hauptleistungspflichten eingegriffen, was einseitig im Wege von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen nicht zulässig ist.
65
Richtig ist zwar, dass eine gesetzliche Definition des Zinses fehlt und dass
dieser nach dem Gesetz nicht auf ein positives Vorzeichen festgelegt ist. Unter
dem Darlehenszins wird allgemein die „gewinn- und umsatzunabhängige,
laufzeitabhängige, in Geld oder anderen vertretbaren Sachen zu entrichtende
Vergütung für die Möglichkeit des Kapitalgebrauchs“ verstanden (BGH WM 2014,
1224; Canaris, NJW 1978, 1891). Eine Aussage dazu, ob die „Vergütung“ des
Kapitalgebrauchs zwingend positiv zu sein hat, kann der Definition nicht klar
entnommen werden.
66
Dennoch bewirkt der Übergang von einer positiven bzw. einer Nullverzinsung hin
zu einem Negativzins bei Altverträgen über Sichteinlagen - und darauf ist
entscheidend abzustellen - eine Änderung des Vertragscharakters hin zu einer
Umkehr der Zahlungspflichten. Denn durch eine negative Verzinsung wird der
Bankkunde entgegen § 488 BGB verpflichtet, der Bank (neben der
Zurverfügungstellung der vereinbarten Summe) zusätzlich ein Entgelt zu
entrichten.
67
Die Statuierung einer Negativverzinsung im Wege von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen auf der Basis einer Zinsanpassungsklausel, die - wie hier
- auch laufende Verträge erfasst, hält die Kammer bei Sichteinlagen für
unwirksam (so zutreffend Tröger in ifo Schnelldienst, ifo Institut, Ausgabe
2/2015, S. 11 ff.). Sie bewegt sich nicht mehr im Rahmen des billigen Ermessens
nach § 315 BGB. Das Leistungsbestimmungsrecht setzt die prinzipielle Einigung
der Beteiligten über die Begründung einer konkretisierungsbedürftigen
Leistungspflicht voraus. Die im Regelfall darlehensrechtliche Typologie des
Einlagengeschäfts bedingt, dass die Depositen nehmende Bank die Verzinsung der
Einlagen als Entgelt für die Finanzierungsleistung des Kunden schuldet. Der
Einleger ist demgegenüber regelmäßig gerade nicht zu einer selbständigen
Vergütung der Verwahrungsleistung der Bank verpflichtet. Mit negativen Zinsen
in Altverträgen erhebt die Bank deshalb faktisch ein Entgelt für eine von ihr
im Rahmen des unregelmäßigen Verwahrvertrages ohnehin geschuldete bzw. im
Darlehensvertrag überhaupt nicht zu erbringende Leistung, welches im
einvernehmlich festgelegten Pflichtenprogramm der Einlagebeziehung nicht
vorgesehen ist und daher nicht Teil der essentialia negotii des ursprünglich
geschlossenen Altvertrages war. In früheren Versionen der Informationsblätter
war, wie die Beklagte im Termin vom 08.12.2017 eingeräumt hat, der Hinweis auf
eine Negativverzinsung noch nicht enthalten.
68
Eine andere Betrachtung ist nicht deswegen geboten, weil in den
Produktinformationen der Beklagten auch schon vor dem 16.01.2017 von einer
variablen Verzinsung die Rede war. Dadurch wurde der Bank nicht die
Berechtigung eingeräumt, ein Entgelt für Einlagen zu verlangen (§§ 133, 157
BGB). Schon nach dem Wortlaut der Klausel verbietet sich eine solche
Interpretation, weil eine Entgeltpflicht nicht mit einer Verzinsung
gleichgesetzt werden kann. Aber auch vom Sinn und Zweck der Klausel ist eine
solche Berechtigung abzulehnen: Bei einem unregelmäßigen Verwahrungsvertrag
bezieht sich die Verzinsung immer nur auf die Pflichtenlage der Bank (§§ 700
Abs. 1 S. 1 , 688 BGB), nicht auf diejenige des Bankkunden. Jedenfalls ist die
Klausel unklar i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB. Diese Unklarheit gehen zu Lasten des
Klauselverwenders (BGH NJW 2013, 291).
e)
69
Ferner stellt der Preisaushang mit der Zinsanpassungsmöglichkeit bei vor dem
16.01.2017 begründeten Sichteinlagen eine überraschende Klausel dar, § 305c
Abs. 1 BGB.
70
Mit einem Übergang von positiven/neutralen Zinsen zu Negativzinsen bei schon
abgeschlossenen Verträgen über Sichteinlagen rechnet der Verbraucher nicht und
muss damit auch nicht rechnen. Vielmehr hat der Verbraucher den Vertrag in der
Vorstellung abgeschlossen, entweder eine geringe oder im schlechtesten Fall gar
keine Verzinsung seiner Einlage zur erhalten. Hingegen ist die Heranziehung zu
Negativzinsen im Sichteinlagengeschäft atypisch, weil sie der Pflichtenlage bei
unregelmäßigen Verwahrungsverträgen - wie bereits dargelegt worden ist -
widerspricht.
f)
71
Bei dieser Betrachtung kann dahinstehen, ob darüber hinaus ein Verstoß gegen
das Transparenzgebot (BGH NJW 2014, 1658; BGH NJW 2016, 1575) oder eine
unangemessene Benachteiligung entgegen dem Gebot von Treu und Glauben gemäß §
307 Abs. 1 S. 1 BGB anzunehmen ist.
g)
72
Weil der Preisaushang Altverträge nicht von der Negativverzinsung ausnimmt,
erstreckt sich der Unterlassungsanspruch des Klägers auf die gesamte Klausel
bzgl. VR-FlexGeld. Wegen des Verbots geltungserhaltender Reduktion (BGH NJW
2005, 1774; BGH WM 2010, 1861) scheidet die Rückführung der Klausel auf einen
zulässigen Inhalt aus.
h)
73
Mit der vorliegenden Entscheidung wird der Beklagten im Übrigen keineswegs
dauerhaft die Einführung von Negativzinsen untersagt. Aus diesem Grund sind die
Erwägungen der Beklagten zur Unzumutbarkeit nicht tragfähig.
2.
74
VR - KündigungsGeld
75
Die Klausel zum VR-KündigungsGeld teilt das Schicksal der Klausel zum
VR-FlexGeld
a)
76
Das VR-KündigungsGeld ist eine Termineinlage ab 25.000,00 EUR mit einer
Kündigungsfrist von 90 Tagen. Nach dem Produktinformationsblatt (Anlage B 5)
ist der Zinssatz variabel. Die Beklagte hat sich das Recht vorbehalten, den
Zins während der Vertragslaufzeit anzupassen (dort § 6). Die
Zinsanpassungsklausel entspricht der Regelung unter Ziff. 6. zur Verzinsung
beim VR-FlexGeld (Anlage B 2).
77
Typischerweise dienen Einlagengeschäfte den Banken regelmäßig zur Ansammlung
von Kapital als Grundlage des Aktivgeschäfts. Verträge mit positiver Verzinsung
über eine Festgeldanlage werden von der Rechtsprechung als Darlehensverträge
i.S.v. § 488 BGB behandelt (BGHZ 131, 60 (63); BGH NJW-RR 2009, 979).
b)
78
Da der Preisaushang im Zusammenspiel mit der zitierten Zinsanpassungsklausel es
der Beklagten in gleicher Weise wie beim VR-FlexGeld ermöglichen, einseitig
nachträglich den Vertragscharakter von Altverträgen mit positiver oder ohne
Verzinsung zu ändern, indem ein Entgelt vom Bankkunden verlangt wird, welches
ursprünglich nicht vereinbart war, so dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Beklagten im Ergebnis zu wesentlichen Abweichungen von Grundgedanken der
gesetzlichen Regelungen beim Darlehensvertrag bzw. beim unregelmäßigen
Verwahrungsvertrag führen, ist auch beim VR-KündigungsGeld von einem Verstoß
gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auszugehen. Außerdem liegt eine überraschende
Klausel vor (§ 305c Abs. 1 BGB). Zur Begründung kann auf die vorstehenden
Überlegungen zum VR-FlexGeld Bezug genommen werden.
3.
79
VR-Termingeld/VR-AnlageGeld
80
Auch insoweit hat der Unterlassungsantrag des Klägers Erfolg.
a)
81
Das Produkt VR-TerminGeld/VR-AnlageGeld stellt eine zeitlich befristete
Festgeldeinlage dar mit unterschiedlicher Laufzeit, für welche vor
Vertragsabschluss die Zinshöhe für die gesamte Laufzeit zwischen der Bank und
dem Kunden fest vereinbart wird (vgl. dazu die Anlagen B 3 und B 4). Das
VR-AnlageGeld unterscheidet sich vom VR-TerminGeld mit einer Mindestlaufzeit von
180 Tagen nur dadurch, dass die Laufzeit 1 Jahr beträgt.
82
Bei Verträgen mit positiver oder ohne Verzinsung schuldet der Bankkunde der
Beklagten kein Entgelt für die Einlage.
b)
83
Der Preisaushang der Beklagten zu VR-Termingeld bzw. VR-AnlageGeld, der
ebenfalls allgemeine Geschäftsbedingungen enthält, ist nach der Methode der
kundenfeindlichsten Auslegung (BGH NJW 2013, 291; BGH NJW 2009, 2051; BGH NJW
2008, 2172) dahin zu interpretieren, dass er nicht nur für Neuverträge gilt (§§
133, 157 BGB).
84
Zwar handelt es sich bei dem Produkt VR-TerminGeld bzw. VR-AnlageGeld, wie
bereits dargestellt worden ist, um eine zeitlich befristete Festgeldeinlage,
die dadurch gekennzeichnet ist, dass bereits vor Vertragsabschluss die Zinshöhe
für die gesamte Laufzeit zwischen der Bank und dem Kunden fest vereinbart wird.
85
Jedoch verlängern sich Termingelder bis zu einem Jahr nach Ziff. 3 des
Produktinformationsblattes zu dem dann geltenden Zinssatz (positiv oder
negativ) um die gleiche Laufzeit, sofern der Kunde der Bank keine andere
Weisung erteilt. Danach kann es sein, dass Altverträge über Termingelder mit
einer Laufzeit bis zu einem Jahr, die mit oder ohne Verzinsung vereinbart und -
u.U. mehrfach - prolongiert worden sind, mit Negativzinsen gemäß dem
Preisaushang vom 17.05.2017 belegt werden. Somit besteht die Möglichkeit, dass
die Beklagte auch bei Altverträgen über Termingelder von ihren Kunden ein
Entgelt für ihre Leistungen erhebt, die ohne eine derartige Entgeltpflicht
geschlossen wurden. In diesem Fall würde wie beim VR-FlexGeld und beim
VR-KündigungsGeld nachträglich in unzulässiger Weise durch AGB in das Gefüge
der Hauptleistungspflichten eingegriffen.
86
Insoweit enthält der Preisaushang auch beim VR-TerminGeld bzw. VR-AnlageGeld
eine von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichende
Bestimmung (§ 307 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 BGB).
c)
87
Der beanstandete Preisaushang nimmt Altverträge mit einer Laufzeit bis zu einem
Jahr nicht aus und ist, weil eine geltungserhaltende Reduktion gleichfalls
ausscheidet, insgesamt unzulässig. Zwar gelten die obigen Überlegungen nicht
für Verträge, die mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr geschlossen
wurden, da es insoweit an einer Prolongationsvereinbarung fehlt. Eine solche
Differenzierung lässt sich der im Preisaushang für diese Anlageform vorgesehene
Zinsregelung jedoch nicht entnehmen.
88
Diese unterscheidet nur den für eine bestimmte Anlagezeit gültigen Zins, nicht
jedoch danach, ob es sich um einen prolongierten oder einen neuen Vertrag
handelt. Die Zinsregelung zum VR-TerminGeld bzw. VR-AnlageGeld ist als eine AGB
zu betrachten.
d)
89
Die Kammer hält den Preisaushang hinsichtlich dieser Verträge überdies für
überraschend gemäß § 305c Abs. 1 BGB.
4.
90
Die für einen Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG erforderliche
Wiederholungsgefahr liegt vor. Aus der vertraglichen Einbeziehung der AGB in
der Vergangenheit resultiert die tatsächliche Vermutung ihrer zukünftigen
Verwendung und ihrer Anwendung bei der Vertragsdurchführung (vgl. BGH NJW 1992,
1108; BGH NJW-RR 2001, 485; BGH NJW 2002, 2386). An die Widerlegung dieser
Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH NJW 1987, 3251).
Diese sind hier nicht erfüllt. Die Beklagte hält die Klauseln im Preisaushang
mit Negativverzinsung für zulässig und hat daher die für eine Widerlegung
regelmäßig erforderliche Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung
verweigert, was die Vermutung nicht entkräften kann (BGH VersR 2012, 1149).
II.
91
Zum Antrag Ziff. II.:
92
Die Androhung von Ordnungsgeld im Falle der Zuwiderhandlung findet ihre Rechtsgrundlage
in § 890 ZPO.
B.
93
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
94
Der Streitwert war auf 30.000,00 EUR festzusetzen. In Anbetracht der hohen
wirtschaftlichen Bedeutung, die die Einführung von Negativzinsen im
Einlagengeschäft für die betroffenen Rechtskreise hat, hält die Kammer den vom
Kläger in Ansatz gebrachten Streitwert von 15.000,00 EUR für zu gering (vgl.
BGH ZIP 2014, 255).