12.11.2019 · IWW-Abrufnummer 212217
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 26.08.2019 – 4 W 24/19
Der Begriff Hemmung der Verjährung durch höhere Gewalt i.S.v. § 206 BGB entspricht nicht den Maßstäben für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO.
OLG Frankfurt
4. Zivilsenat
4 W 24/19
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main - 4. Zivilkammer - vom 29.03.2019 i.V.m. dem Nichtabhilfebeschluss vom 08.06.2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger beantragt als in dem auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 07.10.2015 am 01.12.2015 vom Amtsgericht Stadt1 eröffneten Insolvenzverfahren der A mbH bestellter Insolvenzverwalter die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage, mit welcher er gegen den Antragsgegner einen Rückgewähranspruch aufgrund Insolvenzanfechtung i.H.v. 53.801,46 € gemäß §§ 133 Abs. 1, 143 InsO in der bis zum 04.04.2017 geltenden Fassung wegen von der Schuldnerin zwischen dem 28.10.2013 und dem 28.08.2015 gezahlter Steuerbeträge geltend machen will.
Der Prozesskostenhilfeantrag datiert vom 29.12.2018 und trägt einen Eingangsstempel der Justizbehörden Frankfurt am Main mit Datum vom 03.01.2019. Das Landgericht veranlasste am 08.01.2019 die Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags an den Antragsgegner. Dieser wurde ihm am 14.01.2019 zugestellt.
Der Antragsgegner hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Der Antragsteller hat unter Beweisantritt behauptet, der Schriftsatz mit dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe sei am 29.12.2018 in einen Briefkasten vor der Postfiliale in der Friedrich-Ebert-Straße in Kassel gegen 13:30 Uhr und damit vor der letzten Leerung an diesem Samstag um 14:15 Uhr eingeworfen worden. Die Sendung habe deswegen am darauf folgenden Montag, den 31.12.2018, beim Landgericht Frankfurt am Main eingehen müssen. Er hat die Auffassung vertreten, dass er damit alles Notwendige getan habe, damit der Schriftsatz beim Landgericht im ordentlichen Postweg mit normaler Postlaufzeit noch sicher vor dem Ablauf der Verjährungsfrist am 31.12.2018 eingeht.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die Forderung des Antragstellers sei gemäß §§ 146 InsO, 199 Abs. 1, 195 BGB verjährt.
Gegen den dem Antragsteller am 04.04.2019 zugestellten Beschluss hat er am 17.04.2019 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er beantragt, den angefochtenen Beschluss abzuändern und ihm gemäß seinem Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren. Zwar habe die Verjährungsfrist für den von ihm geltend gemachten Anspruch mit dem 31.12.2015 begonnen und die 3-jährige Verjährungsfrist am 31.12.2018 geendet. Allerdings sei die Verjährung durch die Einreichung seines Prozesskostenhilfeantrags vom 29.12.2018 nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB gehemmt worden. Er bestreitet, dass der Eingangsstempel der Justizbehörden korrekt und der Schriftsatz tatsächlich erst am 03.01.2019 beim Landgericht eingegangen sei. Darüber hinaus dürfe eine Partei aber auch grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte brauche eine Partei nicht von einer längeren Postlaufzeit auszugehen. Die insoweit zur Frage des Verschuldens bei der Prüfung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO entwickelten Grundsätze müssten auf den vorliegenden Fall entsprechend angewendet werden.
Der Antragsgegner ist der sofortigen Beschwerde entgegengetreten.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 08.06.2019 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Aufgrund des Eingangsstempels stehe fest, dass der auf den 29.12.2018 datierte Prozesskostenhilfeantrag erst am 03.01.2019 bei Gericht eingegangen sei. Der Antragsteller habe keinen Sachverhalt vorgetragen, nach dem die Unrichtigkeit der Stempeleinstellungen anzunehmen oder bewiesen wäre, die von ihm angeführten üblichen Postlaufzeiten seien hierfür nicht geeignet. Bei Einwurf der Postsendung am Samstagnachmittag, dem 29.12.2018, sei nicht ausreichend sichergestellt gewesen, dass ein in Kassel eingeworfener Brief das Landgericht sicher am Montag, den 31.12.2018 erreichen würde. Dies sei im Hinblick auf die Jahresendsituation und die eingeschränkten Arbeitszeiten bei der Post am Wochenende und am 31.12.2018 auch von vornherein erkennbar gewesen.
Der Antragsteller beruft sich in seiner Stellungnahme zu dem Nichtabhilfebeschluss weiterhin auf die Rechtsprechung zu § 233 ZPO, wonach es einem Anwalt nicht verwehrt ist, die einzuhaltende Frist bis zum letztmöglichen Tag auszunutzen. Er dürfe darauf vertrauen, dass die für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten und im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden kleinen Werktag ausgeliefert würden.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat zu Recht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, weil die von dem Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO). Dem von dem Kläger verfolgten Rückgewähranspruch nach Insolvenzanfechtung steht die Einrede der Verjährung entgegen, welche der Antragsgegner auch erhoben hat.
1. Die Verjährung des Rückgewähranspruchs nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO richtet sich nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 146 Abs. 1 InsO). Die dreijährige Regelfrist des § 195 BGB beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss desjenigen Jahres, in dem der Rückgewähranspruch entstanden ist. Dieser Anspruch entstand mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Denn vorher kann der Anspruch nicht als ein Recht der Insolvenzmasse entstehen. Wegen des Eröffnungszeitpunkts ist auf den im Eröffnungsbeschluss bezeichneten Tag (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 3 oder Abs. 3 InsO) abzustellen. Das Insolvenzverfahren wurde im vorliegenden Fall am 01.12.2015 eröffnet, mithin ist der Anfechtungsanspruch im Jahr 2015 entstanden. Die Verjährung trat daher grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2018 ein. Dies stellt auch der Antragsteller nicht infrage.
2. Die mit Ablauf des 31.12.2018 eintretende Verjährung des Rückgewähranspruchs ist nicht durch die Veranlassung der Bekanntgabe des auf den 29.12.2018 datierten Prozesskostenhilfeantrags an den Antragsgegner gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB gehemmt worden, weil der Antrag ausweislich des Posteingangsstempels der Justizbehörden Frankfurt am Main erst am 03.01.2019 und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist bei Gericht eingegangen ist.
Der Eingangsstempel ist eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO und bescheinigt den Tag, an dem das Schriftstück bei Gericht eingegangen ist. Der durch den Eingangsstempel begründete Beweis kann nach § 418 Abs. 2 ZPO durch Gegenbeweis entkräftet werden (BGH, Beschluss vom 03. März 1983 - IX ZB 4/83 -, Rn. 5, juris). Der Antragsteller hat jedoch keinen geeigneten Gegenbeweis angeboten. Die von ihm unter Beweis gestellte Tatsache, dass der Prozesskostenhilfeantrag nebst Abschriften und Anlagen verteilt auf 2 Briefumschläge am 29.12.2018 in einen der beiden Briefkästen vor der Postfiliale in der Friedrich-Ebert-Straße in Kassel gegen 13:30 Uhr und damit vor der letzten Leerung um 14:15 Uhr eingeworfen wurde, weshalb nach der gewöhnlichen Postlaufzeit mit einem Zugang der Sendung bis zum darauffolgenden Montag, dem 31.12.2018, beim Landgericht Frankfurt am Main zu rechnen gewesen sei, ist nicht geeignet, dafür Beweis zu erbringen, dass die Postsendung tatsächlich schon vor dem 03.01.2019 beim Landgericht Frankfurt am Main eingegangen und damit der Posteingangsstempel unrichtig ist.
3. Die Verjährungsfrist war auch nicht infolge der von dem Antragsteller behaupteten Überschreitung der gewöhnlichen Postlaufzeit gemäß § 206 BGB durch höhere Gewalt gehemmt.
Höhere Gewalt liegt vor, wenn die Verhinderung auf Ereignissen beruht, die auch durch die äußerste, billigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht vorhergesehen und verhütet werden konnten (Palandt-Ellenberger, 78. Aufl., zu § 206 BGB, Rn. 4; Schmidt-Räntsch in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 206 BGB, Rn. 4). Anders als im Fall der Wiedereinsetzung wegen der Versäumung einer prozessualen Frist gemäß § 233 ZPO ist aber nicht nur darauf abzustellen, ob der Gläubiger ohne Verschulden an der Geltendmachung seines Anspruchs gehindert war. Es müssen vielmehr weitere Voraussetzungen vorhanden sein, die über ein fehlendes Verschulden hinausgehen (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 206 BGB, Rn. 2). Der Gesetzgeber ist bei der Neufassung der Verjährungsregelungen im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts ausdrücklich nicht dem Vorschlag von Peters/Zimmermann (in BMJ [Hrsg], Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd I, 1981, 252, 308) gefolgt, den Begriff der höheren Gewalt an § 233 Abs. 1 ZPO anzugleichen, weil die beiden Fallgruppen zu verschieden und eine Übertragung auf die Hemmung der Verjährung mit zu großen Unsicherheiten verbunden seien. Die Fälle des § 233 ZPO und die des früheren § 203 Abs. 2 BGB (jetzt § 206 BGB) sei nicht ohne weiteres vergleichbar, weil es bei § 233 ZPO darum gehe, ob ein Träger öffentlicher Gewalt einen Rechtsbehelf wegen Versäumung einer regelmäßig sehr kurzen Frist a limine zurückweise, bei der Frage der Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt dagegen darum, ob ein Schuldner einem Gläubiger deshalb, weil dieser eine regelmäßig viel längere Frist versäumt habe, eine an sich geschuldete Leistung verweigern könne. Bei § 233 ZPO verengte sich zudem in der großen Mehrzahl der Fälle die Frage dahin, weshalb eine bestimmte Erklärung in einem bereits anhängigen Verfahren nicht vor Ablauf einer Frist eingegangen sei, während die Bandbreite bei der Frage, warum ein Gläubiger durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert sei, erheblich größer sei (BT-Drs 14/6040, 118 f.).
4. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist im vorliegenden Fall auch nicht deswegen geboten, weil die Entscheidung des Rechtsstreits von einer schwierigen, noch nicht geklärte Rechtsfrage abhängen würde.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung in aller Regel bereits dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhängt. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Sache wegen klärungsbedürftiger Fragen des materiellen Rechts grundsätzliche Bedeutung zukommt (BGH, Beschluss vom 07. März 2007 - IV ZB 37/06 -, Rn. 7, juris, mwN.).
Zwar hat das OLG Karlsruhe mit Urteil vom 31.07.2001 (17 U 93/00, NJW 2001,357) einen Fall höherer Gewalt gemäß § 203 Abs. 2 BGB a. F. bei einem verspäteten Zugang der Klageschrift aufgrund verzögerter Postlaufzeiten bejaht. Die gleiche Auffassung vertritt auch Staudinger/Peters/Jacoby (2014) BGB § 206, Rn. 14.
Der BGH hat allerdings schon mit Urteil vom 26.06.1962 (VersR 1962, 809, 811) entschieden, dass eine Verhinderung durch höhere Gewalt ausscheidet, wenn ein Kläger, obwohl ihm ausreichend Zeit zur Verfügung stand, den von der Verjährung bedrohten Anspruch erst in einem Zeitpunkt und unter Umständen gerichtlich geltend macht, die keine Gewähr dafür boten, dass die Klageschrift rechtzeitig bei Gericht einging. Dem lag ein Fall zugrunde, in welchem die Klageschrift erst am vorletzten Tag der Verjährungsfrist abgesandt wurde. Zudem hat sich der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Verjährungsrechts zum 01.01.2002 im Rahmen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes - wie bereits dargelegt - ausdrücklich dagegen entschieden, den Begriff der höheren Gewalt i.S.d. § 206 BGB n.F. an § 233 Abs. 1 ZPO anzugleichen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs.4 ZPO, KV 1812 GKG.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs.2 ZPO nicht vorliegen.
RechtsgebietKindergeldVorschriften§ 66 EStG, 114 ZPO, § 206 BGB