10.03.2020 · IWW-Abrufnummer 214687
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 26.04.2019 – 9 U 102/18
1. Die pauschale Bezugnahme auf Tabellenwerke zur Darlegung des unfallbedingt entstandenen Haushaltsführungsschadens erfüllt nicht die Anforderungen an eine substantiierte Darlegung eines konkreten Schadens.
2. Eine Ausnahme ist aber dann geboten, wenn der Anspruchsteller vor dem schädigenden Ereignis infolge seines jugendlichen Alters noch gar keinen eigenen Haushalt geführt hat.
Oberlandesgericht Hamm
9 U 102/18
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 08.03.2018 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Detmold teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, einen Betrag in Höhe von insgesamt 21.901,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 13.754,50 Euro seit dem 05.01.2016, auf weitere 5.437,80 Euro seit dem 22.02.2017 und auf weitere 2.708,83 Euro seit dem 26.01.2018 an die Klägerin zu zahlen.
Die weitergehende Berufung und die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin 33 % und der Beklagte 67 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 38 % und dert Beklagte 62 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Gründe
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I.
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Die Klägerin nimmt den beklagten Verein aus einem Unfall in Anspruch, den sie als Vereinsmitglied am 22.03.1991 erlitt. Sie stürzte an besagtem Tag mit ihrem Segelflugzeug aus einer Höhe von 40 ‒ 50 m ab und erlitt multiple Brüche an beiden Füßen sowie ein schweres Schädelhirntrauma und einen Bruch am Lendenwirbel K2. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Detmold vom 20.10.1994 (Aktenzeichen 9 O 269/93) wurde der Klägerin Schadensersatz und Schmerzensgeld zugesprochen sowie die Feststellung getroffen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren entstandenen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen.
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Nach dem Unfall wiederholte die damals 17-jährige Klägerin die 11. Klasse, legte ihr Abitur ab und studierte. Nach verschiedenen beruflichen Tätigkeiten arbeitet sie seit April 2007 als Fachkraft für Integration und Beratung als Arbeitsvermittlerin im Job-Center. Sie übte diese Tätigkeit zunächst in vollem Umfang aus, reduzierte jedoch dann auf zunächst 32 Stunden und ab dem 20.03.2014 auf 25 Stunden Arbeitszeit pro Woche.
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Die hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherung C hat die diversen, von der Klägerin in Anspruch genommenen ärztlichen und physiotherapeutischen Therapien in der Vergangenheit bezahlt, sich jedoch dann aufgrund eines von ihr in Auftrag gegebenen medizinischen Gutachtens von Prof. Dr. A vom 29.04.2013 veranlasst gesehen, die gegenwärtigen Beschwerden der Klägerin nicht mehr als unfallbedingt anzusehen, weil die Begutachtung erhebliche, größtenteils jedoch posttraumatische degenerative Veränderungen in den Sprunggelenken und der Wirbelsäule der Klägerin ergeben hat.
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Mit der Klage verlangt die Klägerin die Erstattung einer Vielzahl von Schadenspositionen wie Physiotherapiekosten, Zuzahlungen zu Medikamenten, Taxifahrten, Verdienstausfall sowie Ersatz eines Haushaltsführungsschadens für die Jahre 2011 ‒ 2013.
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Die Klägerin hat behauptet, ihr Gesundheitszustand habe sich in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Nach den Feststellungen des oben genannten Sachverständigengutachtens seien bei ihr diverse Dauerschäden entstanden. Sie habe einen Grad der Behinderung von 60 %. Seit 2010 hätten sich aufgrund der Beeinträchtigungen aus dem Unfall länger andauernde Arbeitsunfähigkeiten eingestellt, weshalb sie ihre Wochenarbeitszeit sukzessive reduziert habe. Sie sei im alltäglichen Leben aufgrund der ab dem Zeitraum 2010/2011 zugenommenen Schmerzen stark beeinträchtigt. Sie müsse mittlerweile einen Stock als Gehhilfe mitführen. Im Haushalt fielen ihr Tätigkeiten in gebückter Haltung schwer, auch könne sie nicht schwer arbeiten und nicht wischen, staubsaugen und Balkonarbeiten verrichten. Insoweit berechne sich ihr Haushaltsführungsschaden nach einem wöchentlichen Haushaltsführungsaufwand von 19 Stunden, einer Beeinträchtigung von 60 % und einem Stundensatz von 10,00 Euro bei 54 Wochen im Jahr. In den Jahren 2012 und 2013 habe der wöchentliche Aufwand bei 25 Stunden gelegen. Unfallbedingt seien ihr Zuzahlungen für Medikamente, besonderes Schuhwerk, Massagen etc. entstanden, welche der Beklagte zu ersetzen habe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 32.456,82 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB aus einem Betrag in Höhe von 21.584,99 Euro seit Klagezustellung, aus einem Betrag in Höhe von 8.100,00 Euro seit Zustellung der Klageerweiterung vom 23.12.2016 und aus einem Betrag in Höhe von 2.771,83 Euro seit Zustellung der Klageerweiterung vom 02.08.2017 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Beschwerden der Klägerin sowie die Aufwendungen und deren Unfallbedingtheit bestritten, desgleichen eine Einschränkung in der Haushaltsführungstätigkeit sowie den Verdienstausfallausfallschaden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 14.028,83 Euro nebst Zinsen auf Teilbeträge verurteilt und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum Januar 2011 ‒ April 2012 in Höhe von 4.200,00 Euro und für den Zeitraum Mai 2012 ‒ Ende 2013 in Höhe weiterer 7.120,00 Euro zu. Die Kammer schätze das Ausmaß ihrer wöchentlichen Beeinträchtigung in der Haushaltsführung auf 6 Stunden für den erstgenannten Zeitraum und auf 8 Stunden für den Zeitraum, in welchem sie ihrem damaligen Partner und dessen 2 Kindern in einem Einfamilienhaus den Haushalt geführt habe. Die Klägerin sei aufgrund der Unfallfolgen auf die Benutzung eines Gehstocks angewiesen und hierdurch bei der Vornahme von Haushaltstätigkeiten beeinträchtigt. Zu einem weiteren, kleineren Teil sei sie auch durch bestimmte Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule in ihrer Haushaltsführung behindert. Der gerichtliche Sachverständige Dr. B habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Benutzung des Gehstocks sich negativ auf die Lendenwirbelsäule auswirke und somit ein dortiges Leiden verschlimmere, wobei ein konkreter Verursachungsanteil nicht zu benennen sei. Die Benutzung des Gehstocks sei jedoch durch die Schmerzen der Klägerin in den Füßen bedingt und somit auf das Unfallereignis zurückzuführen.
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Der vorgetragenen Berechnung der Klägerin zum Umfang des Haushaltsführungsschadens sei indes nicht zu folgen gewesen, da ein Rückgriff auf pauschale Zeitangaben, wonach für die Führung eines 1-Personenaushalts 19 Wochenstunden und für die Führung eines Haushalts mit 2 Kindern 25 Wochenstunden anfielen, der Grundlage entbehre. Angaben, wonach die Führung der von der Klägerin bewohnten Haushalte tatsächlich einen solchen Zeitaufwand gefordert hätten, seien nicht erfolgt. Auch die Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % oder ein Grad der Behinderung der Klägerin sei nicht mit einer Minderung der Haushaltsführungstätigkeit gleichzusetzen.
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Weiterhin seien der Klägerin Kosten für die Zuzahlung und Anfertigung von speziellem orthopädischen Schuhwerk, für die Zuzahlung von Medikamenten und Anwendungen zur Lymphdrainage sowie für die Schmerztherapie und die dazu nötigen Untersuchungen sowie Fahrtkosten zur Wahrnehmung der Untersuchung des Sachverständigen im hiesigen Rechtsstreit in Höhe von 2.708,83 € zu ersetzen.
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Die weitergehende Klage sei indes unbegründet, weil die Klägerin ihren Verdienstausfallschaden nicht schlüssig dargelegt habe, insbesondere dieser sich nicht aus dem von ihr vorgelegten Schreiben ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten ergebe.
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Weitere Einzelpositionen seien ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Insbesondere habe sie die Kosten nicht aufgeschlüsselt, deren Unfallbedingtheit ergebe sich auch nicht ohne Weiteres aus den beigefügten Anlagen.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie letztlich ihre Ausgangsanträge weiterverfolgt, soweit ihnen nicht durch die angefochtene Entscheidung entsprochen wurde.
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Zur Begründung führt sie aus, das Landgericht habe ihr zu Unrecht nicht den vollständigen geltend gemachten Haushaltsführungsschaden zugesprochen, insbesondere ohne nachvollziehbare Begründung eine Einschränkung der Klägerin im Umfang von 6 bzw. 8 Wochenstunden angenommen. Sie habe sich zulässigerweise für die Schätzung ihres Haushaltsführungsschadens auf die Tabellen von Pardey berufen, was auch der BGH für zulässig erachte. Da sie auf die Nutzung einer Gehhilfe angewiesen sei, könne sie nur Tätigkeiten ausüben, die im Sitzen erledigt werden könnten. Demgegenüber sei es ihr nicht möglich, Staub zu saugen, zu wischen, die Wäschewanne zu tragen, Wäsche aufzuhängen, Kochtöpfe zu tragen, Fenster zu putzen, Geschirr zu spülen und abzutrocknen sowie Betten zu machen, Gardinen zu waschen und diese auf und ab zu hängen sowie schwere Einkaufstaschen zu tragen. Hier sei sie zu 100 % in der Führung ihres Haushaltes eingeschränkt.
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Zu Unrecht habe das Landgericht auch den geltend gemachten Verdienstausfallschaden für das Jahr 2012 nicht zugesprochen. Dessen Berechnung ergebe sich aus dem Schriftsatz der vorprozessual tätigen Rechtsanwältin D vom 10.04.2014.
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Unrichtig sei auch die Auffassung des Erstgerichts, die Klägerin habe nicht schlüssig dargelegt, welche der von ihr geltend gemachten Schadenspositionen in welcher Höhe als auf dem Unfallereignis beruhend zu erstatten seien und welche Schadenspositionen durch Leistungen erfüllt worden seien. Dies ergebe sich insbesondere auch aus den vorgelegten Abrechnungsschreiben der Haftpflichtversicherung des Beklagten.
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Alle von ihr eingenommenen und in Rechnung gestellten Medikamente seien unfallbedingt einzunehmen, es handele sich um Schmerzmedikationen. Kosten für Psychopharmaka seien ebenfalls zu erstatten, weil die mittelschwere Depression der Klägerin mitursächlich auf den Unfall vom 22.03.1991 zurückzuführen sei. Die in Rechnung gestellte physikalische Behandlung betreffe nicht Massagen, sondern Lymphdrainage.
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Die Klägerin hat zunächst beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, weitere 21.290,94 Euro nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB aus einem Betrag in Höhe von 20.915,68 Euro ab dem 05.01.2016 und aus einem Betrag in Höhe von 375,26 Euro seit dem 26.01.2018 an sie zu zahlen und die Berufung sodann auf einen Betrag in der Hauptsache in Höhe von 18.427,99 € nebst Zinsen reduziert.
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Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen
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sowie im Wege der Anschlussberufung unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung seiner Anträge hat der Beklagte ausgeführt, die Tatsache, dass die Klägerin unfallbedingt vermeintlich auf die Benutzung eines Gehstockes angewiesen sei, rechtfertige keine Minderung der Haushaltsführungstätigkeit von 6 Stunden pro Woche. Ein Ausgleichsanspruch bestehe nicht dafür, dass die Klägerin möglicherweise unfallbedingt längere Zeit für durchzuführende Haushaltstätigkeiten benötige. Warum ihr bei Benutzung eines Gehstocks das Reinigen von Böden und Oberflächen sowie von Fenstern nicht mehr möglich sei, ebenso wie die Erledigung von Lebensmitteleinkäufen, erschließe sich nicht und werde auch vom Landgericht nicht begründet. Der Stundensatz sei mit 10,00 Euro übersetzt. Ihr sei insbesondere auch kein höherer Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum zuzubilligen, in dem sie ihren Lebenspartner und dessen 2 Kinder versorgt habe, da insoweit ein Unterhaltsanspruch dieser Personen gegenüber der Klägerin nicht bestehe. Das bloße Zitieren von Tabellenwerten ersetze keinen substantiierten Vortrag.
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Der Verdienstausfallschaden sei nicht substantiiert dargestellt, insbesondere könne nicht auf inhaltlich bestrittene Berechnungen ihrer damaligen Rechtsanwältin Bezug genommen werden. Objektive Belege würden bezeichnenderweise weiterhin nicht vorgelegt.
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Die Berechnungen des materiellen Schadens seien unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar, worauf der Beklagte wiederholt hingewiesen habe. Es sei weder seine Aufgabe noch die des erkennenden Gerichts, sich aus Anlagenkonvoluten Belege für die geltend gemachten Schadenspositionen herauszusuchen. Fahrtkosten, die die Klägerin zur Wahrnehmung des Termins bei dem gerichtlich bestellten Sachverständigen aufgewendet habe, könnten nur nach der Quote des gegenseitigen Obsiegens bzw. Unterliegens erstattet werden, da es sich um für den Prozess notwendige Kosten handele.
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Wegen des weiteren gegenseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
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II.
34
Die Berufung der Klägerin hat einen Teilerfolg, weil der Klägerin nach Auffassung des Senats der Erwerbsschaden sowie ein weiterer Haushaltsführungsschaden zu ersetzen ist, während die Anschlussberufung insgesamt unbegründet ist.
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1.
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Die Klägerin kann ihren Schadensersatzanspruch auf die §§ 611, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 249, 252, 842 BGB sowie den hierzu ergangenen rechtskräftigen Feststellungsausspruch stützen.
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1.1
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Der Senat schätzt den der Klägerin entstandenen Haushaltsführungsschaden gem.
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§ 287 ZPO entsprechend den Berechnungen der Klägerin aus ihrer Klageschrift mit 11,4 Stunden pro Woche für den streitgegenständlichen Zeitraum Januar 2011 ‒ Dezember 2013. Allerdings setzt der Senat, anders als das Landgericht, in ständiger Rechtsprechung einen Nettostundenlohn von 9,00 Euro an, der angemessen und ausreichend ist, um die Arbeit einer professionellen Haushaltskraft zu vergüten.
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Somit sind für die Dauer von insgesamt 159 Wochen wöchentlich 11,4 Stunden Minderung der Haushaltstätigkeit zu ersetzen. Bei einem vom Senat angesetzten Stundensatz von 9,00 Euro ergibt sich ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von 16.313,40 Euro.
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Dabei geht der Senat davon aus, dass für die Führung des Ein-Personenhaushaltes der Klägerin 19 Stunden in der Woche aufzuwenden sind. Zwar ist dem Beklagten im Grundsatz darin zuzustimmen, dass eine pauschale Bezugnahme auf Tabellenwerke wie das von Pardey unzulässig ist. Der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof die Auffassung, dass der Umfang der vom Geschädigten vor dem schädigenden Ereignis zu leistenden Haushaltsarbeit im Einzelnen substantiiert darzustellen ist, denn bei einem Haushaltsführungsschaden handelt es sich um einen nicht zu pauschalierenden Schaden, der auf die individuellen Verhältnisse des Geschädigten und seine Fähigkeiten vor und nach dem Schadensereignis abstellt. Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof stets betont, dass ein Rückgriff auf Tabellenwerke nur dann zulässig sei, wenn es an anderen Anhaltspunkten für die Berechnung des Haushaltsführungsschadens fehle (BGH, Urteil vom 03.02.2009, VI ZR 183/08 und Urteil vom 29.03.1988, VI ZR 87/87).
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Im vorliegenden Fall hält der Senat nach Maßgabe dieser Entscheidungen auch im vorliegenden Fall den Rückgriff auf die Tabelle von Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl. 2013, ausnahmsweise für zulässig, weil die Klägerin außerstande ist, zum Umfang ihrer vor dem Unfall ausgeübten Haushaltstätigkeit vorzutragen. Denn der Unfall ereilte die Klägerin im Alter von 17 Jahren und somit zu einem Zeitpunkt, als sie noch keinen eigenen Haushalt führte, sondern im Haushalt ihrer Eltern lebte. Es ist ihr daher nicht möglich, vorzutragen, in welchem Umfang sie ihren Haushalt ohne die unfallbedingten Einschränkungen geführt hätte.
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Allerdings ist es der Klägerin verwehrt, sich zur Darlegung der unfallbedingten Einschränkung ihrer Haushaltsführungstätigkeit auf den Grad der Minderung ihrer Erwerbstätigkeit oder Behinderung zu beziehen, da beide nicht gleichgesetzt werden können. Hierzu hat sie vielmehr im Einzelnen vorzutragen, was letztlich in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht und auch vor dem Senat nachgeholt worden ist. Vor dem Landgericht hat die Klägerin ausgeführt, dass ihre unfallbedingten Schmerzen im Zeitraum 2010/2011 zugenommen haben und sie aufgrund dessen sowohl in ihrer Berufstätigkeit als auch in ihrer Haushaltsführungstätigkeit eingeschränkt gewesen sei. Besonders schwer sei es ihr gefallen, sich zu bücken, auch habe sie schwerere Sachen nicht mehr tragen können. Sie habe einen Rucksack benutzen müssen, um Sachen zu transportieren. Bei der Hausarbeit sei es ihr schwer gefallen, Staub zu saugen oder den Boden zu wischen. Sie könne praktisch die Fenster nicht mehr putzen und auch Arbeiten auf dem Balkon nicht verrichten. Weiterhin hat sie vor dem Senat angegeben, dass ihre Arthrose im Laufe der Zeit derart fortgeschritten sei, dass nicht mehr nur auf die Nutzung eines Stocks, sondern auch einer Gehstütze und an schlimmen Tagen sogar auf zwei Gehstützen angewiesen sei. Ab 2011 habe sie alle Tätigkeiten, bei denen sie sich habe bücken müssen, nicht ausführen können. Nachdem ihr Zustand sich verschlechtert habe, habe sie die Grundreinigung der Wohnung überhaupt nicht mehr „hinbekommen“. Mittlerweile sei ihr Zustand so schlecht, dass sie kaum noch koche, weder staubsaugen noch Fenster putzen noch Arbeiten ausführen könne, bei denen sie sich bücken müsse. In der Küche habe sie eine Sitzhilfe.
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Nach diesen Ausführungen, die sowohl den damaligen Zeitraum als auch die gegenwärtige Situation der Klägerin betreffen, hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Haushaltsführungstätigkeit der Klägerin unfallbedingt deutlich eingeschränkt ist. Dies folgt allein aus dem Erfordernis der Benutzung einer Gehhilfe, die dazu führt, dass Arbeiten, die in freiem Stand mit beiden Händen ausgeführt werden müssen, nur unter sehr erschwerten Bedingungen oder gar nicht möglich sind. Ebenso leuchtet ein, dass die Klägerin unfallbedingt Schwierigkeiten bei allen Tätigkeiten hat, die in gebückter Haltung ausgeführt werden müssen.
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Insoweit stimmt der Senat den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in allen Punkten zu. Insbesondere ist er gem. § 529 Abs. 1 ZPO an die zugrunde liegenden Feststellungen des Landgerichts zum Gesundheitszustand der Klägerin gebunden. Der Senat stimmt mit diesen Feststellungen in vollem Umfang überein. Insoweit kann auf die Ausführungen in dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B vom 19.05.2017, welche er mündlich beim Landgericht ergänzend erläutert hat, vollumfänglich Bezug genommen werden. Diese werden auch von der Anschlussberufung nicht angegriffen. Ebenfalls zutreffend ist die Feststellung des Landgerichts, dass auch die Beschwerden in der Lendenwirbelsäule, die der Klägerin die Haushaltstätigkeit erheblich erschweren, auf den Unfall zurückzuführen sind, da durch die komplexen Brüche in beiden Füßen eine Fehlhaltung (zusätzlich begünstigt durch die Benutzung eines Stockes) eingetreten ist, die sich ungünstig auf die Lendenwirbelsäule auswirkt. Insgesamt unfallbedingt ist auch nach den Feststellungen des Sachverständigen das Schmerzsyndrom, unter dem die Klägerin erheblich leidet. Die Einschränkung ihrer Haushaltstätigkeit um 11,4 Stunden pro Woche ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Aufgrund des fortschreitend sich verschlechternden Gesundheitszustandes der Klägerin ist deren Angabe, zunächst nur noch 10 ‒ 13 Stunden pro Woche im Haushalt gearbeitet zu haben und nach einer weiteren Verschlechterung ihres Zustandes die Grundreinigung der Wohnung überhaupt nicht mehr hinbekommen zu haben, für den Senat glaubhaft und nachvollziehbar. Er geht daher auch ohne Rückgriff auf prozentuale Angaben in der Klageschrift davon aus, dass die Klägerin in der Tat nur noch 7 ‒ 8 Stunden pro Woche in ihrem Haushalt tätig sein kann.
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Allerdings ist der Anschlussberufung insoweit zu folgen, dass die Klägerin für den Zeitraum, in welchem sie ihrem damaligen Lebensgefährten und dessen beiden Kindern den Haushalt geführt hat, keine höhere Minderung ihrer Haushaltsführungsfähigkeit geltend machen kann. Bei dem Haushaltsführungsschaden handelt es sich, soweit der eigene Haushalt betroffen ist, um einen Anspruch wegen vermehrter Bedürfnisse i. S. d. § 843 Abs. 1 BGB. Soweit hingegen die Haushaltsführung anderer Personen betroffen ist, liegt ein erstattungsfähiger Schaden nur dann vor, wenn gegenüber diesen Personen eine Unterhaltspflicht besteht, welche durch die Haushaltsführung erfüllt wird. Ein solcher Unterhaltsanspruch besteht im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft indes nicht.
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1.2
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Der Klägerin steht weiterhin ein Anspruch auf Erstattung ihres im Jahre 2012 erlittenen Erwerbsschadens von noch 2.878,90 Euro zu. Die Berechnung dieses Anspruchs ergibt sich aus dem Schreiben der Rechtsanwältin D vom 10.04.2014, das allerdings erst als Anlage R1 zur Berufungsschrift vorgelegt worden ist. Das in erster Instanz in Bezug genommene Schreiben gleichen Datums war an die Klägerin gerichtet und ist offensichtlich bei Einreichung der Klageschrift versehentlich statt des maßgeblichen Schreibens zur Akte gereicht worden. Hier hätte das erstinstanzliche Gericht die Pflicht gehabt, gem. § 139 ZPO auf den Irrtum hinzuweisen.
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Grundsätzlich kann dezidierter und substantiierter Vortrag zu einer Forderung zwar nicht durch die Bezugnahme auf Anlagen ersetzt werden. Eine Ausnahme ergibt sich allerdings dann, wenn auf eine aus sich heraus verständliche Darstellung in der Anlage Bezug genommen wird (BGH, Urteil vom 02.10.2018, VI ZR 213/17), wie es vorliegend der Fall ist. In besagtem Schreiben wird das ohne den Unfall erzielte Bruttogehalt der Klägerin errechnet und für jeden einzelnen Monat ermittelt, wie hoch der Schaden unter Berücksichtigung erbrachter Ersatzleistungen anzusetzen ist. Auf Seite 5 des Schreibens ist der Schaden insgesamt tabellarisch aufgeführt und auf einen Betrag in Höhe von 7.503,02 Euro addiert. Im Folgenden wird der Schaden der Klägerin in der betrieblichen Altersvorsorge bei der E, der ebenfalls erstattungsfähig und insbesondere vom Rentenschaden in der gesetzlichen Rentenversicherung zu unterscheiden ist, mit 471,40 Euro errechnet, sodass sich ein Gesamterwerbsschaden für das Jahr 2012 in Höhe von 7.974,42 Euro errechnet. Hierauf hat die Versicherung des Beklagten 5.000,00 Euro gezahlt, sodass der mit der Klage noch beanspruchte Restbetrag jedenfalls zuzusprechen ist. Soweit der Beklagte bemängelt, dass ihm entsprechende Unterlagen über das Einkommen der Klägerin im Prozess nicht vorgelegt worden sind, kann er hiermit nicht gehört werden. Denn aus dem Schreiben der Rechtsanwältin D ergibt sich gleichfalls, dass der Haftpflichtversicherung sämtliche Unterlagen vorgelegt worden sind, sodass sich der Beklagte entsprechend kundig machen und sich nicht auf ein bloßes Bestreiten der Einkommensverhältnisse zurückziehen kann.
50
2.
51
Die weitergehende Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie hat einen weiteren Schadensersatzanspruch auf Ersatz von Zuzahlungskosten für Medikamente, physikalische Therapie, Fahrtkosten etc. nicht schlüssig dargelegt. Bereits das Landgericht hat darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin in Bezug genommenen Anlagen nicht aus sich heraus verständlich sind und der Erläuterung und Darlegung bedürfen. Gerichte sind nicht verpflichtet, umfangreiche, ungeordnete Anlagen-konvolute durchzuarbeiten, um die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren (BGH a.a.O. LS).
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Schon bei oberflächlicher Durchsicht der Anlagen fällt auf, dass etwa die Kosten für eine Impfung mit 80,00 Euro geltend gemacht werden, die sicherlich nichts mit den unfallbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin zu tun hat. Andere Arzneimittel, für die Zuzahlungskosten begehrt werden, beziehen sich offensichtlich auf die Darmerkrankung der Klägerin, die ebenfalls nichts mit dem Unfall zu tun hat. Unklar und zumindest der Erläuterung bedürftig ist es, warum der Beklagte die Kosten für die Schuhe der Klägerin insgesamt tragen soll. Diese Punkte werden nur beispielhaft herausgegriffen, um zu verdeutlichen, dass ohne eine ins Einzelne gehende Darlegung der verschiedenen Einzelpositionen und ihrer Unfallbedingtheit der Schadensersatzanspruch nicht schlüssig nachvollzogen werden kann. Es bedurfte auch keines weiteren Hinweises des Senats, weil bereits der Beklagte in erster Instanz und auch das Landgericht in seinem Urteil auf die Mangelhaftigkeit des Vortrages hingewiesen haben. Die einzig aus sich heraus nachvollziehbaren Positionen hat das Landgericht mit einem Gesamtbetrag von 2.708,83 Euro zutreffend zugesprochen.
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3.
54
Die Anschlussberufung ist ohne Erfolg. Die Begründung ergibt sich weitgehend aus den obigen Ausführungen des Senats zu den einzelnen Positionen der Berufung. Soweit die Anschlussberufung angreift, dass der Klägerin Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Termins beim Gerichtssachverständigen zugesprochen worden sind, führt auch dieser Einwand nicht zum Erfolg. Der Klägerin steht ein Wahlrecht zu, ob sie derartige Kosten als solche des Rechtsstreits nach § 91 ZPO anmelden oder als materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch geltend machen will (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 32.Aufl. 2018, vor § 91, Rn. 12).
55
4.
56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO i. V. m. § 711 ZPO.
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5.
58
Der Senat lässt die Revision nicht zu, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die hier zur Entscheidung anstehenden Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.
RechtsgebietSchadenersatzVorschriften§ 823 Abs. 1, BGB, § 287 ZPO