03.12.2020 · IWW-Abrufnummer 219316
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 15.10.2020 – IX AR(VZ) 2/19
a) Dem Kommanditisten kann Einsicht in die Akten des Insolvenzeröffnungsverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft nur gewährt werden, wenn er ein rechtliches Interesse hieran glaubhaft macht.
b) Stützt der Kommanditist sein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht auf eine mögliche Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter nach § 171 Abs. 2, § 172 Abs. 4 HGB, so genügt es, wenn er darlegt und glaubhaft macht, dass er entweder eine Einlage nicht vollständig erbracht oder Ausschüttungen von der Gesellschaft erhalten hat.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Grupp, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Schoppmeyer, Röhl und die Richterin Dr. Selbmann
am 15. Oktober 2020
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. September 2019 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller ist in Höhe eines Nominalbetrags von 50.000 € seit dem 17. Oktober 2006 als Kommanditist an der Beteiligungsgesellschaft R. mbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) beteiligt. Mit Schreiben vom 12. April 2019 hat er die Gewährung von Einsicht in die Akten des beim Amtsgericht Hamburg geführten Insolvenzeröffnungsverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, er benötige die Akteneinsicht zur Wahrnehmung seiner Rechte im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 20. Februar 2018 - II ZR 272/16, BGHZ 217, 327). Die Akteneinsicht sei zum jetzigen Zeitpunkt notwendig, um sich mit genügend Vorlaufzeit mit den Mitgesellschaftern abstimmen, auf Gesellschafterebene entsprechende Maßnahmen ergreifen und den vertretungsberechtigten Gesellschaftern Weisungen erteilen zu können im Hinblick auf einen etwaigen Widerspruch gegen die Feststellung von Forderungen im Prüftermin des eröffneten Insolvenzverfahrens. Durch Einsichtnahme in die Insolvenzakte ließen sich zudem Informationen zu Verfügungen über Massegegenstände sowie Zahlungen seitens anderer Kommanditisten erlangen. Der vorläufige Insolvenzverwalter habe sich mit der beantragten Akteneinsicht nicht einverstanden erklärt. Die Einholung von Auskünften und Informationen auf der Grundlage des § 166 Abs. 1 HGB sei bei einer aufgelösten bzw. in Auflösung befindlichen Gesellschaft nicht erfolgversprechend.
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Mit Bescheid vom 18. Juli 2019 hat das Amtsgericht das Akteneinsichtsgesuch des Antragstellers abgelehnt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff EGGVG als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Antrag auf Gewährung von Einsicht in die Akten des Insolvenzeröffnungsverfahrens weiter.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZIP 2020, 881 ff veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dass sich das Akteneinsichtsrecht eines Kommanditisten nicht aus § 4 InsO, § 299 Abs. 1 ZPO ergebe. Beteiligte im Insolvenzeröffnungsverfahren im Sinne der § 4 InsO, § 299 Abs. 1 ZPO seien nur der Schuldner, mithin im hier vorliegenden Fall die Kommanditgesellschaft, vertreten durch den vertretungsberechtigten Gesellschafter, und im Fall des Fremdantrags der antragstellende Gläubiger, nicht jedoch der Kommanditist.
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Ebenso wenig bestehe ein Akteneinsichtsrecht nach § 4 InsO, § 299 Abs. 2 ZPO. Diese Regelung setze voraus, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht darlege und glaubhaft mache. Dem sei der Antragsteller nicht hinreichend nachgekommen. Ein rechtliches Interesse im Sinne der § 4 InsO, § 299 Abs. 2 ZPO ergebe sich nicht bereits aus der Kommanditistenstellung des Antragstellers. Zwar begründe diese einen rechtlichen Bezug des Antragstellers zu dem in Rede stehenden Insolvenzeröffnungsverfahren, belege jedoch für sich genommen noch keine Betroffenheit des Antragstellers in persönlichen Rechten. Der Antragsteller behaupte selbst nicht, durch die Akteneinsicht Informationen über einen gegebenenfalls noch vorhandenen Restwert seiner Kommanditbeteiligung erhalten zu wollen, zumal es sich hierbei auch nur um ein unbeachtliches wirtschaftliches Interesse handeln würde.
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Die Informationsrechte des Kommanditisten nach § 166 HGB könnten ebenfalls kein rechtliches Interesse begründen, weil sie selbständig neben etwaigen verfahrensrechtlichen Einsichtsrechten gemäß § 4 InsO, § 299 Abs. 2 ZPO bestünden und durch den Inhalt der Insolvenzakte nicht berührt würden.
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Berührt werden könne die Rechtsstellung des Antragstellers aber für den Fall seiner Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter wegen Einlagenrückgewähr (§ 172 Abs. 4 HGB). Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die dem Kommanditisten zur Erhaltung seiner Rechte bezüglich seiner Ansicht nach unbegründeter Gläubigerforderungen eine Einflussnahme auf den geschäftsführenden Gesellschafter oder den Insolvenzverwalter abverlange, werde man Kommanditisten, die von einer entsprechenden Inanspruchnahme bedroht seien, nicht stets auf eine Akteneinsicht erst im eröffneten Verfahren verweisen können. Denn eine wirksame Einflussnahmemöglichkeit von Kommanditisten einer Publikums-KG bestehe im Hinblick auf ihre schwache Rechtsstellung und die zeitliche Taktung des Insolvenzverfahrens nur bei frühzeitiger Information und kollektivem Zusammenschluss. Daher werde man als Voraussetzung für eine Akteneinsicht auch nicht fordern können, dass der im Eröffnungsverfahren noch gar nicht bestellte Insolvenzverwalter bereits eine Inanspruchnahme des Kommanditisten angekündigt habe. Zur Darlegung und Glaubhaftmachung eines Akteneinsichtsinteresses sei aber mindestens erforderlich, dass der Kommanditist geltend mache, mit einer Inanspruchnahme nach § 172 Abs. 4 HGB ernsthaft rechnen zu müssen, weil ihm seine Einlage ganz oder teilweise zurückgewährt worden sei oder er möglicherweise als Einlagenrückgewähr zu qualifizierende Ausschüttungen erhalten habe. Daran fehle es im vorliegenden Fall.
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2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.
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a) Das Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, dass sich das Akteneinsichtsrecht des Antragstellers nach § 4 InsO, § 299 Abs. 2 ZPO bestimmt.
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aa) Die Gewährung von Einsicht in die vom Insolvenzgericht geführten Verfahrensakten richtet sich, soweit nicht Spezialvorschriften wie § 66 Abs. 2, § 150 Satz 2, §§ 154, 175 Abs. 1 Satz 2, § 188 Satz 2, § 194 Abs. 3 Satz 1 oder § 234 InsO zur Anwendung kommen, über § 4 InsO nach der allgemeinen Vorschrift des § 299 ZPO.
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bb) Gemäß § 4 InsO, § 299 Abs. 1 ZPO können die Beteiligten die Verfahrensakten einsehen und sich aus ihnen Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Verfahrensbeteiligte des Insolvenzeröffnungsverfahrens sind grundsätzlich nur der (Insolvenz-)Schuldner und im Fall eines Fremdantrags der den Eröffnungsantrag stellende Gläubiger (Musielak/Voit/Huber, ZPO, 17. Aufl., § 299 Rn. 4; Uhlenbruck/I. Pape, InsO, 15. Aufl., § 4 Rn. 26). Im Fall der Insolvenz einer Gesellschaft ist Schuldner im Sinne der Insolvenzordnung gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO die Gesellschaft selbst (BT-Drucks. 12/2443, S. 113), handelnd durch die Vertretungsorgane. Dem nicht zur Vertretung der Gesellschaft berechtigten Kommanditisten steht ein Akteneinsichtsrecht nach § 4 InsO, § 299 Abs. 1 ZPO nicht zu (BayObLG, NZI 2020, 44 Rn. 33; Swierczok, NZI 2020, 315, 316 und Swierczok/Kontny, NZI 2016, 566, 567 jeweils begrenzt auf das Insolvenzeröffnungsverfahren).
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cc) Dem Antragsteller kann im Insolvenzeröffnungsverfahren damit nur ein Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 2 ZPO zukommen. Nach dieser Vorschrift kann dritten Personen die Akteneinsicht ohne Einwilligung der Beteiligten nur gestattet werden, wenn ein rechtliches Interesse dargelegt und glaubhaft gemacht wird. Ist diese Voraussetzung erfüllt, steht die Bewilligung von Akteneinsicht im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands des Gerichts.
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b) Ein Akteneinsichtsrecht des Antragstellers aus § 4 InsO, § 299 Abs. 2 ZPO besteht nicht. Der Antragsteller hat ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.
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aa) § 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache (BGH, Beschluss vom 5. April 2006 - IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rn. 15). Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange des Antragstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (OLG Naumburg, ZIP 2010, 1765, 1766; OLG Frankfurt, ZVI 2006, 30, 31).
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bb) Aus der Kommanditistenstellung des Antragstellers und den damit verbundenen Rechten und Pflichten im Insolvenz(eröffnungs)verfahren folgt für sich genommen noch keine Betroffenheit in eigenen Rechten im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO.
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Bereits im Rahmen der werbenden Gesellschaft ist die Rechtsstellung des Kommanditisten gegenüber derjenigen des Komplementärs eingeschränkt. Gemäß § 164 Satz 1 HGB sind die Kommanditisten von der Führung der Geschäfte der Gesellschaft ausgeschlossen; sie können einer Handlung der persönlich haftenden Gesellschafter nicht widersprechen, es sei denn, diese geht über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinaus. Im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb steht dem Kommanditisten kein Stimmrecht, kein Widerspruchsrecht und kein Weisungsrecht gegenüber den persönlich haftenden Gesellschaftern zu (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1980 - II ZR 41/79, ZIP 1980, 369, 370; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, 39. Aufl., § 166 Rn. 1). Der Kommanditist muss sowohl die vom Komplementär eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft als auch deren konkrete prozessuale Durchsetzung durch den Komplementär als vertretungsberechtigten Gesellschafter grundsätzlich hinnehmen. Über das gemäß § 166 Abs. 1 HGB auf die Kontrolle des Jahresabschlusses beschränkte Einsichtsrecht in die Bücher und Papiere der Gesellschaft hinaus hat der Kommanditist nur bei Vorliegen eines von ihm darzulegenden und glaubhaft zu machenden wichtigen Grundes gemäß § 166 Abs. 3 HGB ein auch Auskünfte über die Geschäftsführung des Komplementärs erfassendes außerordentliches Informationsrecht (Baumbach/Hopt/Roth, aaO § 166 Rn. 8). Schließlich kann der Kommanditist mit der Leistung seiner Einlage seine Haftung gemäß § 171 Abs. 1 HGB ausschließen; aber auch im Fall einer nicht geleisteten oder zurückgewährten Einlage haftet der Kommanditist gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft nur begrenzt bis zur Höhe des noch offenen Einlagebetrags.
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Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft sind mit der Stellung als Kommanditist nur eingeschränkte Rechte und Pflichten verbunden. Dem Kommanditisten steht jedenfalls im gesetzlichen Regelfall weder ein Antragsrecht nach § 15 InsO noch ein Widerspruchsrecht nach § 178 Abs. 1 InsO zu (BGH, Urteil vom 20. Februar 2018 - II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 Rn. 33). Auch die Stellung der Anträge auf Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO (MünchKomm-InsO/Kern, 4. Aufl., § 270 Rn. 30 f; Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl., § 270 Rn. 6) und auf Einstellung des Verfahrens nach § 213 InsO (Uhlenbruck/Ries, InsO, 15. Aufl., § 213 Rn. 3) sowie das Planinitiativrecht nach § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO (MünchKomm-InsO/Eidenmüller, aaO, § 218 Rn. 82; Uhlenbruck/Lüer/Streit, aaO § 218 Rn. 12) stehen nur dem persönlich haftenden Gesellschafter, nicht aber dem Kommanditisten zu. Die im Insolvenzverfahren die Gesellschaft als Insolvenzschuldnerin treffenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 97 Abs. 2, § 20 InsO und Anwesenheitsund Bereitschaftspflichten nach § 97 Abs. 3, § 20 InsO sind ebenfalls nur von dem persönlich haftenden Gesellschafter zu erfüllen (Uhlenbruck/Zipperer, aaO § 20 Rn. 10).
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cc) Ein Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 2 ZPO kommt allerdings dann in Betracht, wenn der Kommanditist zu seiner Verteidigung gegen eine mögliche Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter nach § 171 Abs. 2, § 172 Abs. 4 HGB Informationen aus der Insolvenzakte benötigt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn er gesellschaftsintern auf die Erhebung des Widerspruchs gegen festzustellende Forderungen hinwirken will (BGH, Urteil vom 20. Februar 2018 - II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 Rn. 20; Thole, ZGR 2019, 301, 308) oder wenn er sich auf Gutgläubigkeit nach § 172 Abs. 5 HGB beruft und hierzu Kenntnis darüber benötigt, ob und mit welchem Ergebnis Bilanzen der Gesellschaft für einzelne Jahre erstellt worden sind (OLG Hamburg, ZInsO 2019, 401, 402).
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Zur Beantragung von Akteneinsicht ist es in den vorgenannten Fällen ausreichend aber auch erforderlich, dass der Kommanditist darlegt und glaubhaft macht, seine Einlage nicht vollständig erbracht oder Ausschüttungen von der Gesellschaft erhalten zu haben. Weitergehende Ausführungen zur Qualifizierung etwaiger Ausschüttungen als Einlagenrückgewähr im Sinne des § 172 Abs. 4 HGB können von dem Kommanditisten demgegenüber nicht verlangt werden. Entsprechenden Vortrag hat der Antragsteller nicht gehalten.
Grupp
Möhring
Schoppmeyer
Röhl
Selbmann