12.08.2021 · IWW-Abrufnummer 224070
Bundesgerichtshof: Urteil vom 29.06.2021 – X ZR 29/20
Ist im Reiseprospekt bei der Beschreibung einer Flugpauschalreise der Bahntransfer zum Flughafen ohne Hinweis auf ein zusätzliches Entgelt als "Vorteil" aufgeführt, ist dies aus Kundensicht in der Regel dahin zu verstehen, dass es sich um eine vom Reiseunternehmen angebotene Leistung handelt, die vom genannten Pauschalpreis umfasst ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - Xa ZR 46/10 , RRa 2011, 20).
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 1. April 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Kläger hatten bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Kuba für zwei Personen zum Preis von insgesamt 3.598 Euro gebucht. Der Hinflug sollte am 25. November 2017 um 12:05 Uhr vom Flughafen Düsseldorf starten. Grundlage der Buchung war ein Werbeprospekt, der die Beklagte als Reiseveranstalter nannte. In dem Prospekt wird die Reise optisch hervorgehoben und schlagwortartig wie folgt beschrieben:
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Im kleiner gedruckten Text des Angebots werden nach einer Beschreibung des Reiseverlaufs als "Inklusivleistungen" u.a. der Hin- und Rückflug, der Transfer vom und zum Flughafen Havanna oder Varadero sowie eine Rundreise in Kuba aufgeführt. Unmittelbar anschließend heißt es:
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"Vorteil: Zug zum Flug 2. Klasse incl. ICE-Nutzung".
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In der den Klägern übermittelten Buchungsbestätigung wird die Reise wie folgt beschrieben:
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Die genannte Adresse führt zur Rubrik "Zug zum Flug" auf den Internetseiten der Beklagten. Dort findet sich u.a. folgender Text:
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Nach Zahlung des Reisepreises erhielten die Kläger von der Beklagten die Reiseunterlagen, die als Seiten 11 und 13 zwei "Zug zum Flug Fahrkarten" für den Abreise- und den Ankunftstag umfassten. Die Fahrkarten tragen links oben das Logo der Deutsche Bahn AG und rechts oben das Logo der Beklagten.
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Die Seiten 12 und 14 der Reiseunterlagen enthalten unter der Überschrift
gleichlautende Hinweise zu den Fahrkarten, in denen es u.a. heißt:
8
Für Fahrplanauskünfte wird dort auf Reisebüros, DB-Agenturen und die Internetseite der Deutsche Bahn AG verwiesen.
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Nach der von den Klägern bei der Bahn eingeholten Auskunft sollten sie bei einer Abfahrt vom Heimatbahnhof um 5:29 Uhr um 9:27 Uhr am Flughafen Düsseldorf eintreffen. Tatsächlich erreichten die Kläger den Flughafen erst um 11:35 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt war der Einsteigevorgang bereits abgeschlossen. Die Kläger wurden abgewiesen und konnten das Flugzeug, das pünktlich startete, nicht mehr erreichen. In einem kurz nach dem Start des Flugzeugs geführten Telefonat bot die Beklagte den Klägern die Buchung eines Ersatzflugs für einen Aufpreis von 2.400 Euro an. Die Kläger lehnten dies ab und traten die Heimreise an.
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Die Kläger machen geltend, die Zugverspätung, aufgrund derer sie den Flug verpasst hätten, sei als Mangel der bei der Beklagten gebuchten Reise anzusehen. Sie begehren die Erstattung des Reisepreises und eine Entschädigung für entgangene Urlaubsfreude in Höhe von 50 % des Reisepreises, insgesamt 5.397 Euro.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Kläger ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Da die Reise vor dem 1. Juli 2018 gebucht worden sei, finde auf den Reisevertrag gemäß Art. 229 § 42 EGBGB das bis zum 30. Juni 2018 geltende Recht Anwendung.
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Den Klägern stehe ein Anspruch auf Erstattung des Reisepreises weder aus § 651e BGB a.F. und § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu noch als Schadenersatzanspruch aus § 651f BGB a.F. Voraussetzung für solche Ansprüche sei ein Mangel der bei der Beklagten gebuchten Pauschalreise. Daran fehle es. Die Anreise zum Flughafen Düsseldorf mit der Bahn sei nicht Bestandteil der von der Beklagten zu erbringenden Reiseleistung gewesen, sondern eine von der Beklagten vermittelte Fremdleistung der Deutsche Bahn AG. Daher habe die Beklagte mit der Vermittlung ihre Pflicht erfüllt und brauche für den Erfolg der Leistung nicht einzustehen. Nach den konkreten Umständen des Streitfalls sei nicht festzustellen, dass die Beklagte aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven und verständigen Empfängers die Anreise per Bahn als eigene Reiseleistung angeboten habe. Der Reiseprospekt sei insoweit nicht eindeutig, doch weise der Umstand, dass die Bahnfahrkarte nicht bei den Inklusivleistungen genannt sei, sondern unter der gesonderten Bezeichnung "Ihr Vorteil" aufgeführt werde, darauf hin, dass es sich bei den Zugfahrkarten um Zusatzleistungen handele, die nicht im Reisepreis eingeschlossen seien. Sowohl in der Buchungsbestätigung als auch auf der dort in Bezug genommenen Internetseite der Beklagten werde jeweils auf die Kooperation mit der Bahn verwiesen, was nicht darauf schließen lasse, dass die Beklagte die Anfahrt mit der Bahn als eigene Leistung erbringe. Ferner könnten aus den den Klägern übermittelten Fahrkarten keine eindeutigen Schlüsse gezogen werden. Der Hinweis auf mögliche Verspätungen öffentlicher Verkehrsmittel und die eigene Verantwortlichkeit des Reisenden für die Planung der Anfahrt mit der Bahn sprächen dafür, dass die Beklagte keine Verantwortung für eine pünktliche Ankunft am Flughafen habe übernehmen wollen.
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II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können Ansprüche der Kläger wegen eines Mangels der Reise nicht verneint werden.
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1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Frage, ob der Bahntransfer der Kläger zum Flughafen Düsseldorf zum Leistungsumfang des mit der Beklagten geschlossenen Reisevertrags gehört, anhand einer Würdigung der Umstände des konkreten Falls zu beurteilen ist.
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a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass Reiseunternehmen einerseits als Vermittler von Reiseleistungen, andererseits als Erbringer solcher Leistungen in eigener Verantwortung tätig werden können, wobei sie sich auch in diesem Fall Dritter als Leistungsträger bedienen können. Handelt es sich um eine Eigenleistung, haftet das Reiseunternehmen für einen Mangel der Leistung. Liegt eine vermittelte Fremdleistung vor, so hat das Reiseunternehmen mit der Vermittlung der Leistung seine Pflichten erfüllt und braucht für den Erfolg der Leistung nicht einzustehen. Welche Art von Tätigkeit vorliegt, hängt entscheidend davon ab, wie sich die Vertragspartner gegenüberstehen, insbesondere, wie das Reiseunternehmen aus der Sicht des Reisenden auftritt ( BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - Xa ZR 46/10 , RRa 2011, 20 Rn. 11; Urteil vom 19. Juni 2007 - X ZR 61/06 , RRa 2007, 221 Rn. 12 f.; Urteil vom 30. September 2003 - X ZR 244/02 , BGHZ 156, 220, 225 ).
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Für den Fall eines vergünstigten Bahntransfers vom Heimatort zum Abflughafen bei einer Pauschalflugreise mittels Rail&Fly-Ticket hat der Bundesgerichtshof in einer früheren Entscheidung unter den dort gegebenen Umständen eine Eigenleistung des Reiseunternehmens angenommen. Diese Würdigung war insbesondere darauf gestützt, dass der Bahntransfer im Reisekatalog als Teil der Reise aufgeführt und mit dem Hinweis beworben wurde, er ermögliche einen entspannten Start in den Urlaub, ferner, dass die Bahnfahrkarten vom Pauschalpreis umfasst waren und das Reiseunternehmen auf den Bahnfahrkarten genannt war (BGH RRa 2011, 20 [BGH 28.10.2010 - Xa ZR 46/10] Rn. 13 ff.).
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Maßgeblich für die Einordnung der Leistung ist das Gesamtverhalten des Reiseunternehmens, dessen Würdigung dem Tatrichter obliegt. Das Revisionsgericht hat insoweit nur zu prüfen, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze gewürdigt worden ist. Allgemeine Geschäftsbedingungen hat es selbst auszulegen.
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b) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einordung des Bahntransfers als Reiseleistung, die die Beklagte nur vermittelt habe, hält der rechtlichen Überprüfung nach diesen Maßstäben nicht stand.
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aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Prospekt aus Kundensicht zu entnehmen, dass die Beklagte den Bahntransfer als eigene, vom Pauschalpreis umfasste Leistung anbietet.
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Der Prospekt, dessen Angaben die Vertragsgrundlage bilden und als Allgemeine Geschäftsbedingungen vom Senat selbst auszulegen sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - Xa ZR 46/10 , NJW 2011, 371 = RRa 2011, 20 Rn. 14; Urteil vom 14. Dezember 1999 - X ZR 122/97 , NJW 2000, 1188 = RRa 2000, 85, juris Rn. 8), führt den Bahntransfer zwar nicht bei den Leistungen auf, die unter dem Stichwort "Inklusivleistungen" genannt sind. Ein Bahntransfer 2. Klasse unter Nutzung des ICE ist aber als "Vorteil" genannt. Ein zusätzliches Entgelt ist dafür im Prospekt nicht vorgesehen. Dies ist aus der maßgeblichen Kundensicht dahin zu verstehen, dass es sich bei dem Bahntransfer um eine vom Pauschalpreis umfasste Leistung handelt.
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Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt die Formulierung "Ihr Vorteil" vor diesem Hintergrund nicht erkennen, dass es sich um eine Zusatzleistung handelt, die die Beklagte nur vermittelt. Eine Zusatzleistung ist typischerweise mit einem zusätzlichen Entgelt verbunden. Wenn das Reiseunternehmen einen "Vorteil" benennt, der vom angebotenen Preis umfasst ist, liegt deshalb die Annahme nahe, dass es sich um einen Teil der angebotenen Leistung handelt.
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bb) Bei dieser Ausgangslage sprechen die Formulierungen in der Buchungsbestätigung ebenfalls dafür, dass die Beklagte den Bahntransfer als Eigenleistung anbietet.
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Der Hinweis auf eine Kooperation mit der Deutsche Bahn AG, der Umstand, dass die in der Bestätigung angegebene Internet-Adresse zu den Internetseiten der Beklagten führt und die dort enthaltene Angabe, die Beklagte biete einen "Anreise-Service" an, deuten aus Kundensicht darauf hin, dass die Beklagte nicht nur als Vermittlerin auftritt, sondern den Bahntransfer als eigene Serviceleistung offeriert.
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Wie das Berufungsgericht im Ansatz zu Recht angenommen hat, mögen die Angaben in der Buchungsbestätigung für sich gesehen auch die Schlussfolgerung zulassen, dass die Deutsche Bahn AG eine eigene Leistung erbringt, die die Beklagte als ihr Kooperationspartner lediglich vermittelt. Dies reicht aber nicht aus, um den durch den Prospekt vermittelten Eindruck zu erschüttern. Vor dem Hintergrund der Prospektangaben bildet der Hinweis auf die Kooperation mit der Deutsche Bahn AG vielmehr eine zusätzliche Bestätigung dafür, dass die Beklagte eine eigene Leistung anbietet.
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cc) Dass die Bahnfahrkarte - anders als in dem früher entschiedenen Fall - nicht nur das Logo der Beklagten, sondern auch das Logo der Deutsche Bahn AG aufweist, rechtfertigt vor diesem Hintergrund keine andere Beurteilung.
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Der durch den Prospekt erweckte und durch die Buchungsbestätigung verstärkte Eindruck, dass die Beklagte eine eigene Leistung anbietet, wird durch den Umstand, dass sie sogar auf der Fahrkarte aufgeführt ist, zusätzlich verstärkt.
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dd) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, steht der Umstand, dass die Auswahl der Bahnverbindung dem Kunden überlassen bleibt, der Annahme, dass das Reiseunternehmen den Bahntransfer als Eigenleistung anbietet, nicht entgegen (BGH RRa 2011, 20 [BGH 28.10.2010 - Xa ZR 46/10] Rn. 21 ff.).
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2. Die gebuchte Reise war danach wegen des verspäteten Bahntransfers und des dadurch verpassten Hinflugs mit einem Fehler im Sinne von § 651c Abs. 2 BGB a.F. behaftet, für den die Beklagte einzustehen hat.
32
Der Einwand der Revisionserwiderung, ein Mangel liege nicht vor, weil die Kläger die in den Reiseunterlagen enthaltene Empfehlung nicht beachtet hätten, die Reiseverbindung so zu wählen, dass sie mindestens zwei Stunden vor dem Abflug am Flughafen eintreffen, greift nicht durch.
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Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kommt dem Umstand, dass der Abflug ursprünglich um 10:20 Uhr vorgesehen war, in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Abflugzeit nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schon vor Reisebeginn auf 12:05 Uhr verlegt worden ist. Die Wahl einer Zugverbindung mit einer planmäßigen Ankunftszeit von 9:35 Uhr entspricht damit den genannten Vorgaben.
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III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif.
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1. Soweit die Kläger Erstattung des Reisepreises nach Kündigung des Reisevertrags begehren, spricht nach den bislang getroffenen Feststellungen allerdings viel dafür, dass die Kläger den Reisevertrag nach § 651e BGB a.F. wirksam gekündigt haben und infolgedessen Erstattung des Reisepreises verlangen können.
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Eine abschließende Entscheidung ist jedoch nicht möglich, weil das Berufungsgericht diesen Sachverhalt bislang nur unter dem Gesichtspunkt eines Rücktritts gewürdigt hat.
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2. Soweit die Kläger eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gemäß § 651f Abs. 2 BGB a.F. begehren, sind ergänzende tatrichterliche Würdigungen zur Höhe erforderlich.
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a) Vorbringen, aus dem sich ergibt, dass die Beklagte, die insoweit gemäß § 278 BGB für das Verhalten der Deutsche Bahn AG einzustehen hat, die Verspätung nicht zu vertreten hat, ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht ersichtlich.
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b) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann ein Mitverschulden der Kläger nicht daraus abgeleitet werden, dass die von ihnen gewählte Zugverbindung drei Umstiege vorsah.
40
Die von der Beklagten erteilten Hinweise enthalten insoweit keine besonderen Vorgaben. Bei dieser Ausgangslage gereicht es den Klägern nicht zum Verschulden, dass sie eine von der Deutsche Bahn AG vorgeschlagene Reiseverbindung gewählt haben.
41
c) Die Bemessung der Höhe des Entschädigungsanspruchs ist dem Tatrichter vorbehalten.
42
Für den Fall einer Vereitelung der Reise hat der Bundesgerichtshof eine Entschädigung in Höhe von 50 % des Reisepreises nicht beanstandet ( BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - X ZR 118/03 , BGHZ 161, 389 Rn. 31 ).
43
IV. Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Bacher
Grabinski
Hoffmann
Deichfuß
Kober-Dehm
Von Rechts wegen