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  • 27.05.2009 · IWW-Abrufnummer 091780

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 22.12.2008 – C-549/07

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    22. Dezember 2008(*)

    „Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 5 – Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste bei Annullierung von Flügen – Befreiung von der Ausgleichspflicht – Annullierung aufgrund von außergewöhnlichen Umständen, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“

    In der Rechtssache C‑549/07

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Handelsgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 30. Oktober 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Dezember 2007, in dem Verfahren

    Friederike Wallentin-Hermann

    gegen

    Alitalia – Linee Aeree Italiane SpA

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter T. von Danwitz, E. Juhász, G. Arestis und J. Malenovský (Berichterstatter),

    Generalanwältin: E. Sharpston,

    Kanzler: R. Grass,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    – von Frau Wallentin-Hermann, Rechtsanwältin,
    – der Alitalia – Linee Aeree Italiane SpA, vertreten durch Rechtsanwalt O. Borodajkewycz,
    – der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
    – der griechischen Regierung, vertreten durch S. Chala und D. Tsagkaraki als Bevollmächtigte,
    – der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
    – der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,
    – der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von D. Beard, Barrister,
    – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Vidal Puig und M. Vollkommer als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1).

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Wallentin-Hermann und der Alitalia – Linee Aeree Italiane SpA (im Folgenden: Alitalia) nach deren Weigerung, der Klägerin des Ausgangsverfahrens, deren Flug annulliert wurde, Ausgleich zu leisten.

    Rechtlicher Rahmen

    Völkerrecht

    Das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossene Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal) wurde von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und in ihrem Namen mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. L 194, S. 38) genehmigt. Dieses Übereinkommen ist für die Gemeinschaft am 28. Juni 2004 in Kraft getreten.

    Die Art. 17 bis 37 des Übereinkommens von Montreal bilden Kapitel III („Haftung des Luftfrachtführers und Umfang des Schadensersatzes“) dieses Übereinkommens.

    Art. 19 („Verspätung“) dieses Übereinkommens bestimmt:

    „Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entsteht. Er haftet jedoch nicht für den Verspätungsschaden, wenn er nachweist, dass er und seine Leute alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung des Schadens getroffen haben oder dass es ihm oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen.“

    Gemeinschaftsrecht

    Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält u. a. folgende Erwägungsgründe:

    „(1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

    (2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.



    (12) Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, sollten … verringert werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.



    (14) Wie nach dem Übereinkommen von Montreal sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.

    (15) Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“

    Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung Nr. 261/2004 lautet:

    „(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

    a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungs­leistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

    b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungs­leistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und

    c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

    i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

    ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

    iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.



    (3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

    …“

    Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt:

    „Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

    a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

    b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

    c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

    …“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

    Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau Wallentin-Hermann für sich, ihren Ehemann und ihre Tochter bei Alitalia drei Plätze für einen Flug von Wien (Österreich) über Rom (Italien) nach Brindisi (Italien) buchte. Der Abflug ab Wien war für den 28. Juni 2005 um 6.45 Uhr vorgesehen und die Ankunft in Brindisi am selben Tag um 10.35 Uhr.

    Nach der Abfertigung wurde den drei Fluggästen fünf Minuten vor der geplanten Abflugzeit mitgeteilt, dass ihr Flug annulliert sei. Sie wurden sodann auf einen Flug der Gesellschaft Austrian Airlines nach Rom umgebucht, wo sie um 9.40 Uhr ankamen, d. h. 20 Minuten nach der Abflugzeit ihres Anschlussflugs nach Brindisi, den sie deshalb versäumten. Frau Wallentin-Hermann und ihre Familie erreichten Brindisi um 14.15 Uhr.

    Die Annullierung des Fluges von Alitalia ab Wien ging auf ein komplexes Motorgebrechen in der Turbine zurück, das am Vorabend bei einer Überprüfung entdeckt worden war. Alitalia war davon in der Nacht vor dem Flug um 1.00 Uhr informiert worden. Die Reparatur des Flugzeugs, die die Beischaffung von Ersatzteilen und den Einflug von Technikern erforderte, wurde am 8. Juli 2005 abgeschlossen.

    Frau Wallentin-Hermann forderte von Alitalia wegen der Annullierung ihres Fluges eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 sowie den Ersatz von 10 Euro Telefonkosten. Alitalia wies diese Forderung zurück.

    Im Rahmen des sodann von Frau Wallentin-Hermann angestrengten Gerichtsverfahrens gab das Bezirksgericht für Handelssachen Wien ihrem Antrag auf Ausgleichszahlung u. a. mit der Begründung statt, dass die technischen Gebrechen der betroffenen Maschine keine „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 seien, die die Ausgleichspflicht entfallen ließen.

    Alitalia erhob gegen diese Entscheidung Berufung an das Handelsgericht Wien, das beschlossen hat, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1. Liegen außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 unter Bedachtnahme auf Abs. 14 der Präambel der Verordnung vor, wenn ein technisches Gebrechen am Flugzeug, insbesondere ein Triebwerksschaden, die Annullierung des Fluges zur Folge hat, und ist die Interpretation der Entschuldigungsgründe gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung im Sinne der Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal (Art. 19) vorzunehmen?

    2. Wenn die Frage 1 bejaht werden sollte: Liegen bei Luftfahrtunternehmen, bei denen überdurchschnittlich häufig Annullierungen von Flügen mit technischen Gebrechen begründet werden, allein aufgrund von deren Häufigkeit außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung vor?

    3. Wenn die Frage 1 bejaht werden sollte: Hat ein Luftfahrtunternehmen alle „zumutbaren Maßnahmen“ gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ergriffen, wenn es die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten am Flugzeug nachweist, und ist dies ausreichend, um das Luftfahrtunternehmen von der Pflicht zur Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung zu befreien?

    4. Wenn die Frage 1 verneint werden sollte: Sind außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Fälle höherer Gewalt oder Naturereignisse, die nicht in einem technischen Gebrechen gelegen sind und sohin außerhalb der Sphäre des Luftfahrtunternehmens liegen?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten und zur vierten Frage

    Mit seiner ersten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 im Licht des 14. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass ein technisches Problem eines Flugzeugs, das zur Annullierung eines Fluges führt, unter den Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne dieser Vorschrift fällt, oder ob dieser Begriff vielmehr Situationen anderer Art abdeckt, die nicht in einem technischen Problem gelegen sind. Außerdem fragt es, ob die in dieser Vorschrift genannten Befreiungsgründe im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal, insbesondere seinem Art. 19, auszulegen sind.

    Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände gehört nicht zu denen, die in Art. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt werden. Er wird auch in den anderen Artikeln dieser Verordnung nicht definiert.

    Nach ständiger Rechtsprechung sind Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Gemeinschaftsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen. Stehen diese Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von einem Grundsatz oder, spezifischer, von gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellt, so sind sie außerdem eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2005, easyCar,C‑336/03, Slg. 2005, I‑1947, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem können die Erwägungsgründe eines Gemeinschaftsrechtsakts seinen Inhalt präzisieren (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA,C‑344/04, Slg. 2006, I‑403, Randnr. 76).

    Die Ziele, die mit Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgt werden, der die Verpflichtungen des ausführenden Luftfahrtunternehmens im Fall der Annullierung eines Fluges festlegt, ergeben sich insoweit klar aus dem ersten und dem zweiten Erwägungsgrund dieser Verordnung, wonach die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs u. a. darauf abzielen sollten, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung zu tragen, da die Annullierung von Flügen für die Fluggäste ein Ärgernis ist und ihnen große Unannehmlichkeiten verursacht (vgl. in diesem Sinne Urteil IATA und ELFAA, Randnr. 69).

    Wie aus dem zwölften Erwägungsgrund und Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 hervorgeht, wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, verringern, indem er die Luftfahrtunternehmen veranlasst, Annullierungen im Voraus anzukündigen und unter bestimmten Umständen eine anderweitige Beförderung anzubieten, die bestimmten Kriterien entspricht. Für den Fall, dass die Luftfahrtunternehmen solche Maßnahmen nicht sollten ergreifen können, wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber, dass sie den Fluggästen einen Ausgleich leisten, sofern die Annullierung nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

    In diesem Zusammenhang zeigt sich klar, dass, wenn Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 den Grundsatz aufstellt, dass Fluggäste bei Annullierung eines Fluges Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben, Art. 5 Abs. 3, der die Voraussetzungen festlegt, unter denen das ausführende Luftfahrtunternehmen von der Zahlung des entsprechenden Ausgleichs befreit ist, als Ausnahme von diesem Grundsatz anzusehen ist. Demzufolge ist diese letztgenannte Bestimmung eng auszulegen.

    Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat, wie aus dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 hervorgeht, dazu angegeben, dass solche Umstände insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten können.

    Aus dieser Angabe in den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 261/2004 geht hervor, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die genannten Vorkommnisse, deren Aufzählung im Übrigen nur Hinweischarakter hat, nicht selbst als außergewöhnliche Umstände angesehen hat, sondern nur ausdrücken wollte, dass sie solche Umstände eintreten lassen können. Daraus folgt, dass nicht alle Umstände, die mit solchen Vorkommnissen einhergehen, unbedingt Gründe für eine Befreiung von der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung niedergelegten Ausgleichspflicht darstellen.

    Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber „unerwartete Flugsicherheitsmängel“ in die entsprechende Aufzählung aufgenommen hat und ein technisches Problem eines Flugzeugs zu solchen Mängeln gezählt werden kann, können die Umstände im Zusammenhang mit einem solchen Vorkommnis nichtsdestoweniger nur dann als „außergewöhnlich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 qualifiziert werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das wie die im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung aufgezählten nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist.

    Angesichts der besonderen Bedingungen, unter denen der Luftverkehr durchgeführt wird, und des Maßes an technologischer Komplexität der Flugzeuge ist festzustellen, dass die Luftfahrtunternehmen sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit gewöhnlich verschiedenen technischen Problemen gegenübersehen, die der Betrieb solcher Maschinen unausweichlich mit sich bringt. Zur Vermeidung solcher Probleme und zum Schutz vor Zwischenfällen, die die Flugsicherheit in Frage stellen, unterliegen die entsprechenden Maschinen im Übrigen regelmäßigen und besonders strikten Kontrollen, die Bestandteil der gewöhnlichen Betriebsbedingungen der Luftfahrtunternehmen sind. Die Behebung eines technischen Problems, das auf die fehlerhafte Wartung einer Maschine zurückzuführen ist, ist daher Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens.

    Folglich können technische Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, als solche keine „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen.

    Indessen lässt sich nicht ausschließen, dass technische Probleme zu solchen außergewöhnlichen Umständen zu rechnen sind, soweit sie auf Vorkommnisse zurückzuführen sind, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. So verhielte es sich z. B. dann, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrtunternehmens besteht, oder eine zuständige Behörde entdeckte, dass diese bereits in Betrieb genommenen Maschinen mit einem versteckten Fabrikationsfehler behaftet sind, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Gleiches würde bei durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen gelten.

    Das vorlegende Gericht hat somit zu prüfen, ob die technischen Probleme, auf die sich das im Ausgangsverfahren betroffene Luftfahrtunternehmen beruft, auf Vorkommnisse zurückzuführen sind, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

    In Bezug auf die Frage, ob der in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 genannte Befreiungsgrund im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal, insbesondere seinem Art. 19, auszulegen ist, ist festzustellen, dass dieses Übereinkommen integraler Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist. Im Übrigen geht aus Art. 300 Abs. 7 EG hervor, dass die von der Gemeinschaft geschlossenen Abkommen für ihre Organe verbindlich sind und daher Vorrang vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts haben (vgl. Urteil vom 10. Juli 2008, Emirates Airlines, C‑173/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 43).

    Nach Art. 19 des Übereinkommens von Montreal kann ein Luftfrachtführer von seiner Haftung für einen Verspätungsschaden befreit sein, „wenn er nachweist, dass er und seine Leute alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung des Schadens getroffen haben oder dass es ihm oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen“.

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 auf den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ Bezug nimmt, während dieser Begriff weder in Art. 19 des Übereinkommens von Montreal noch in einer anderen Vorschrift dieses Übereinkommens enthalten ist.

    Ferner ist festzustellen, dass dieser Art. 19 sich auf Verspätungen bezieht, während Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 Fälle der Annullierung eines Fluges betrifft.

    Wie aus den Randnrn. 43 bis 47 des Urteils IATA und ELFAA hervorgeht, stehen zudem Art. 19 des Übereinkommens von Montreal und Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in einem jeweils anderen Kontext. Denn die Art. 19 ff. des genannten Übereinkommens regeln die Voraussetzungen, unter denen die betroffenen Fluggäste im Fall der Verspätung eines Fluges auf Schadensersatz als individualisierte Wiedergutmachung klagen können. Dagegen sieht Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 standardisierte und sofortige Wiedergutmachungsmaßnahmen vor. Diese Maßnahmen, die unabhängig von den Maßnahmen sind, für die das Übereinkommen von Montreal die Durchführungsvoraussetzungen festlegt, greifen somit vor diesem Übereinkommen. Daraus folgt, dass die in Art. 19 des Übereinkommens vorgesehenen Gründe für die Befreiung des Luftfrachtführers von der Haftung nicht unterschiedslos auf Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 übertragen werden können.

    Somit kann das Übereinkommen von Montreal für die Auslegung der Befreiungsgründe nach Art. 5 Abs. 3 nicht ausschlaggebend sein.

    Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste und die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Das Übereinkommen von Montreal ist für die Auslegung der Befreiungsgründe nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht ausschlaggebend.

    Zur zweiten Frage

    Bei einer Gesamtbetrachtung der vorgelegten Fragen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage wissen möchte, ob es allein die Häufigkeit der technischen Probleme ausschließt, diese zu den „außergewöhnlichen Umständen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 zu rechnen, wenn Luftfahrtunternehmen aufgrund der genannten Probleme überdurchschnittlich viele Flüge annullieren.

    Wie in Randnr. 27 des vorliegenden Urteils dargelegt worden ist, hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die technischen Probleme, auf die sich das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Luftfahrtunternehmen beruft, auf Vorkommnisse zurückzuführen sind, die nicht Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Daraus folgt, dass die Häufigkeit der bei einem Luftfahrtunternehmen festgestellten technischen Probleme als solche kein Umstand ist, anhand dessen sich auf das Vorliegen oder Fehlen „außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 schließen ließe.

    Angesichts dessen ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass die Häufigkeit der bei einem Luftfahrtunternehmen festgestellten technischen Probleme als solche kein Umstand ist, anhand dessen sich auf das Vorliegen oder Fehlen „außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 schließen ließe.

    Zur dritten Frage

    Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Luftfahrtunternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ergriffen hat, wenn es die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an dem Flugzeug, dessen Flug annulliert wurde, nachweist, und ob dieser Nachweis ausreicht, um das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung zur Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung zu befreien.

    Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht alle außergewöhnlichen Umstände als Gründe für eine Befreiung von der Verpflichtung, den Fluggästen im Fall der Annullierung eines Fluges Ausgleich zu leisten, festlegen wollte, sondern nur diejenigen, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

    Da nicht alle außergewöhnlichen Umstände zu einer Befreiung führen, obliegt es demnach demjenigen, der sich darauf berufen möchte, darüber hinaus den Nachweis zu führen, dass sie sich jedenfalls nicht durch der Situation angepasste Maßnahmen hätten vermeiden lassen, d. h. solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die entsprechenden außergewöhnlichen Umstände auftreten, für das betroffene Luftfahrtunternehmen insbesondere in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind.

    Dieses hat nämlich nachzuweisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, ohne angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung des Fluges geführt haben.

    Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob das betroffene Luftfahrtunternehmen unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, also diejenigen, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die von ihm nachzuweisenden außergewöhnlichen Umstände aufgetreten sein sollen, für dieses Unternehmen insbesondere in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar waren.

    Nach alledem ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass allein der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an einem Flugzeug durchgeführt hat, nicht für den Nachweis, dass dieses Unternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ergriffen hat, und somit für seine Befreiung von der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung ausreicht.

    Kosten

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

    1. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossene Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr ist für die Auslegung der Befreiungsgründe nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht ausschlaggebend.

    2. Die Häufigkeit der bei einem Luftfahrtunternehmen festgestellten technischen Probleme ist als solche kein Umstand, anhand dessen sich auf das Vorliegen oder Fehlen „außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 schließen ließe.

    3. Allein der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an einem Flugzeug durchgeführt hat, reicht nicht für den Nachweis, dass dieses Unternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ergriffen hat, und somit für seine Befreiung von der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung aus.

    Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

    RechtsgebieteLuftverkehr, VerbraucherschutzVorschriftenArt. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) 261/2004