30.03.2012 · IWW-Abrufnummer 121650
BGH: Beschluss vom 08.03.2012 – IX ZB 70/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Fischer
am 8. März 2012 beschlossen:
Tenor:
Der Schuldnerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Baden-Baden vom 11. November 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 908,41 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Schuldnerin beantragte am 25. Februar 2008 die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens über ihr Vermögen und die Bewilligung der Restschuldbefreiung. Ihrem Antrag war ein Vermögensverzeichnis beigefügt, in welchem sie die Frage nach Schenkungen an Dritte in den letzten vier Jahren und Veräußerungen von Vermögensgegenständen an nahestehende Personen in den letzten zwei Jahren vor Antragstellung verneint hatte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete die weitere Beteiligte zu 2 mit Schreiben vom 24. April 2008 eine Forderung aus unerlaubter Handlung zur Insolvenztabelle an. In der beigefügten Begründung bezog sie sich auf einen unentgeltlichen Übertragungsvertrag an einem Waffengeschäft der Schuldnerin und ihres getrennt lebenden Ehemanns zugunsten des Sohnes vom 25. Juli 2006.
2
Das Insolvenzgericht ordnete die Durchführung des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren an. Innerhalb der gesetzten Frist beantragte die weitere Beteiligte zu 2, der Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen, weil sie die unentgeltliche Übertragung ihres Gesellschaftsanteils an dem Waffengeschäft im Eröffnungsantrag verschwiegen habe. Diesen Übergabevertrag habe die Schuldnerin auch nicht nachträglich angezeigt, nachdem die weitere Beteiligte zu 2 mit ihrer Forderungsanmeldung die Schenkung bei ihr wieder in Erinnerung gerufen habe.
3
Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag zurückgewiesen und der Schuldnerin Restschuldbefreiung angekündigt. Auf die dagegen erhobene sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 hat das Beschwerdegericht den Beschluss aufgehoben und der Schuldnerin die Restschuldbefreiung versagt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag auf Restschuldbefreiung weiter.
II.
4
Nach Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe hat die Schuldnerin fristgerecht im Sinne von § 234 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde nach § 575 Abs. 1, 2 ZPO beantragt. Zudem hat sie die versäumten Rechtshandlungen binnen der in § 236 Abs. 2 Satz 2, § 234 Abs. 1 ZPO geregelten Fristen nachgeholt, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.
III.
5
Die nach § 6 Abs. 1, §§ 7, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO in Verbindung mit Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
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1. Das Beschwerdegericht ist der Meinung, dass die sofortige Beschwerde fristgerecht erhoben worden sei. Der Beschwerdeschriftsatz vom 7. Oktober 2009 sei vorab per Telefax übersandt worden. Aufgrund einer Störung des Empfangsgerätes, welches den Eingang des Schriftsatzes fälschlich am 1. Januar 2002 vermerkt habe, könne allerdings nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die sofortige Beschwerde vor Ablauf der Beschwerdefrist am 6. Oktober 2009 eingegangen sei. Dieser fristgerechte Eingang sei jedoch zugunsten der Beschwerdeführerin zu unterstellen. Die sofortige Beschwerde sei auch begründet, weil der Schuldnerin die beantragte Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu versagen sei. Die weitere Beteiligte zu 2 habe in ihrem Versagungsantrag zwar nicht glaubhaft gemacht, dass es die Schuldnerin grob fahrlässig unterlassen habe, in ihrem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die unentgeltliche Übertragung ihrer Anteile am Waffengeschäft auf ihren Sohn anzugeben. Hierauf komme es aber nicht an, weil es ausreiche, dass sie die Schenkung nach Eingang des Versagungsantrags der weiteren Beteiligten zu 2 nicht offengelegt habe, obwohl diesem Antrag eine Kopie des Übergabevertrags beigefügt gewesen sei.
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2. Diese Begründung trägt den angefochtenen Beschluss nicht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts durfte nicht unterstellt werden, dass die weitere Beteiligte zu 2 die sofortige Beschwerde rechtzeitig binnen der zweiwöchigen Beschwerdefrist nach §§ 4, 6 Abs. 2 InsO, § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhoben hat.
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a) Der Beschluss des Insolvenzgerichts ist der weiteren Beteiligten zu 2 am 22. September 2009 zugestellt worden, so dass die Beschwerdefrist am 6. Oktober 2009 ablief. Da die auf dem Postwege übersandte Beschwerdeschrift vom 7. Oktober 2009 erst am 10. Oktober 2009 beim Insolvenzgericht eingegangen ist, hängt die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde davon ab, ob das Telefax das Insolvenzgericht fristgerecht erreicht hat. Da das Empfangsprotokoll offenkundig falsch ist, können hieraus keine Rückschlüsse auf den rechtzeitigen Eingang der sofortigen Beschwerde gezogen werden.
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b) In einem solchen Fall kann nicht ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen unterstellt werden, dass die Rechtsmittelfristen gewahrt sind, insbesondere dann nicht, wenn der Beschwerdeschriftsatz - wie im Streitfall - ein Datum trägt, welches außerhalb der Beschwerdefrist liegt.
10
Ist zweifelhaft, ob ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, so muss das Gericht hierüber Beweis erheben (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2002 - I ZB 23/01, NJW-RR 2002, 1070) und gegebenenfalls auf das Erfordernis eines geeigneten Beweisantritts hinweisen (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2007 - VI ZB 80/06, NJW 2007, 3069 Rn. 15 f). Lässt sich der rechtzeitige Eingang nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen, gehen verbleibende Zweifel zu Lasten desjenigen, der sich auf die Fristwahrung beruft (BGH, Beschluss vom 26. März 1981 - IVa ZB 4/81, NJW 1981, 1789, 1790; vom 30. Januar 1991 - VIII ZB 44/90, VersR 1991, 896). Es genügt nicht die Glaubhaftmachung oder gar die bloße Möglichkeit, dass die Frist gewahrt wurde (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2000 - XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., Vor § 230 Rn. 2). Somit hätte das Beschwerdegericht weitere Ermittlungen anstellen müssen, um sich die hinreichende Überzeugung vom rechtzeitigen Eingang der sofortigen Beschwerde zu verschaffen.
IV.
11
Die angefochtene Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben; sie ist nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben. Die Sache ist an das Beschwerdegericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Eine ersetzende Sachentscheidung des Senats nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO kommt nicht in Betracht, weil tatrichterliche Feststellungen fehlen. Sollte der weiteren Beteiligten zu 2 der Beweis des fristgerechten Eingangs ihres Beschwerdeschriftsatzes gelingen, wird für das weitere Verfahren auf Folgendes hingewiesen:
12
1. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, die Versagung der Restschuldbefreiung könne darauf gestützt werden, dass die Schuldnerin nach Erhalt des Versagungsantrags eine weitere Auskunftserteilung über den Übertragungsvertrag unterlassen habe, begegnet Bedenken.
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Dabei geht das Beschwerdegericht allerdings im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Nichtangabe eines verschenkten Vermögenswertes - etwa eines Gesellschaftsanteils - einen Versagungsgrund im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO darstellen kann. Auskunft ist nach §§ 20, 97 InsO über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse zu erteilen. Dieser Begriff ist weit auszulegen und umfasst alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die für das Verfahren in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können. Die Verpflichtung zur Auskunft ist nicht davon abhängig, dass an den Schuldner entsprechende Fragen gerichtet werden. Der Schuldner muss vielmehr die betroffenen Umstände von sich aus, ohne besondere Nachfrage, offen legen, soweit sie offensichtlich für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können und nicht klar zu Tage liegen (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2010 - IX ZB 126/08, WM 2010, 524 Rn. 5; vom 15. April 2010 - IX ZB 175/09, WM 2010, 976 Rn. 9; vom 17. März 2011 - IX ZB 174/08, WM 2011, 760 Rn. 7).
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Zu den Umständen, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können, zählen auch solche, die eine Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff InsO begründen können, weil diese zur Mehrung der Insolvenzmasse führen kann (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2010, aaO Rn. 6; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl., § 290 Rn. 76a). Die Pflicht zur Auskunft setzt in einem solchen Fall nicht voraus, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung tatsächlich vorliegen. Bereits konkrete Anhaltspunkte, die eine Anfechtbarkeit möglich erscheinen lassen, begründen die Pflicht des Schuldners, den Sachverhalt zu offenbaren (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2010, aaO Rn. 6). Somit hätte die Schuldnerin im Streitfall von sich aus auf den Übergabevertrag mit ihrem Sohn vom 25. Juli 2006 hinweisen müssen, weil der Vertrag möglicherweise der insolvenzrechtlichen Rückabwicklung unterlag.
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Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann allerdings nicht auf eine Auskunftsverpflichtung der Schuldnerin nach Erhalt des Versagungsantrags der weiteren Beteiligten zu 2 abgestellt werden. Zum einen wäre eine Offenbarungspflicht über Umstände, welche nunmehr allen Beteiligten bekannt waren, ohne Sinn. Zum anderen stützt das Beschwerdegericht die Versagung der Restschuldbefreiung damit entgegen der gefestigten Rechtsprechung des Senats (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2007 - IX ZB 88/06, WM 2007, 661 Rn. 8; vom 25. Oktober 2007 - IX ZB 187/03, WM 2007, 2252 Rn. 3) von Amts wegen auf Umstände, welche im Versagungsantrag der weiteren Beteiligten zu 2 nicht genannt waren. Diese hatte sich nur auf das Verschweigen des Übergabevertrages im Zeitpunkt des Eröffnungsantrags und des Erhalts ihrer Forderungsanmeldung bezogen. Auf ein späteres Fehlverhalten der Schuldnerin hätte das Beschwerdegericht daher bei der Prüfung des Versagungsgrundes nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht abstellen dürfen.
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2. Das Beschwerdegericht hat es allerdings bislang unterlassen, den Versagungsantrag unter dem geltend gemachten Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung nach Erhalt der Forderungsanmeldung der weiteren Beteiligten zu 2 zu überprüfen. Die Schuldnerin hat im Verfahren nicht bestritten, die schriftliche Forderungsanmeldung der weiteren Beteiligten zu 2 erhalten zu haben. Dieser Anmeldung war eine Begründung des Vorwurfs der unerlaubten Handlung sowie ein Hinweis auf den Übergabevertrag zugunsten des Sohnes beigefügt. Die Schuldnerin widersprach daraufhin nur der Anmeldung dieser Forderung der weiteren Beteiligten zu 2 als Forderung aus unerlaubter Handlung, ohne sich zur unentgeltlichen Weitergabe ihres Anteils am Waffengeschäft an den Sohn zu äußern. Die weitere Beteiligte zu 2 weist mit Recht darauf hin, dass die Schuldnerin hierzu in der Lage war, nachdem ihr der Vertrag nunmehr wieder in Erinnerung gerufen worden war. Selbst wenn die Angaben der Schuldnerin zutreffen sollten, den Vertrag nur unter Druck und in Unkenntnis seines genauen Inhalts unterschrieben zu haben, wäre es angezeigt gewesen, spätestens jetzt auf den Übergabevertrag einzugehen.
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Nach den bisherigen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Pflichtverletzung der Schuldnerin zumindest auf grober Fahrlässigkeit beruhte. Hierunter ist ein Handeln zu verstehen, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was sich im gegebenen Fall jedem aufgedrängt hätte (BGH, Beschluss vom 17. März 2011, aaO Rn. 8 f). Die bisherigen Angaben der Schuldnerin, wonach sie der Auffassung gewesen sei, nur formal am Waffengeschäft des Ehemannes beteiligt gewesen zu sein, ohne hieraus eine eigene Vermögensposition erworben und diese an den Sohn weitergegeben zu haben, hindert die Annahme eines grob fahrlässigen Pflichtverstoßes jedenfalls nicht. Grundsätzlich ist es nicht Sache des Schuldners, seine Aktiva zu bewerten und vermeintlich "für die Gläubiger uninteressante" Positionen zu verschweigen (vgl. näher BGH, Beschluss vom 23. Juli 2004 - IX ZB 174/03, WM 2004, 1840, 1841; vom 7. Dezember 2006 - IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96 Rn. 8; vom 10. Februar 2011 - IX ZB 250/08, WM 2011, 503 Rn. 11; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl., § 290 Rn. 76a). Es müssten deshalb hier besondere Umstände hinzukommen, aufgrund derer die Schuldnerin darauf vertrauen durfte, Angaben zur Übertragung ihrer Anteile am Waffengeschäft gegenüber dem Insolvenzgericht verschweigen zu dürfen.
Kayser
Gehrlein
Vill
Lohmann
Fischer