26.03.2013 · IWW-Abrufnummer 131036
Bundesgerichtshof: Urteil vom 19.02.2013 – XI ZR 82/11
Bei Höchstbetragsbürgschaften, bei denen sich die Haftung für Nebenforderungen lediglich nach der Bürgschaftssumme und nicht nach der höheren Hauptschuld richtet, ist Maßstab der krassen finanziellen Überforderung des dem Hauptschuldner persönlich besonders nahe stehenden Bürgen die vertragliche Zinslast aus der Bürgschaftssumme und nicht aus der höheren Hauptschuld (Fortführung BGH, Urteile vom 14. Mai 2002 - XI ZR 50/01, BGHZ 151, 34, 38, vom 28. Mai 2002 - XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648, vom 3. Dezember 2002 - XI ZR 311/01, BKR 2003, 157, 158, vom 25. Januar 2005 - XI ZR 28/04, W M 2005, 421, 422 f. und vom 24. November 2009 - XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rn. 13).
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers, die Richter Dr. Grüneberg, Maihold und Pamp sowie die Richterin Dr. Menges für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 24. Januar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Wiedereinsetzung, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Klägerin, eine Sparkasse, nimmt den Beklagten aus einer Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch.
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Die Klägerin gewährte der damaligen Lebensgefährtin des Beklagten im Jahr 1999 für die Finanzierung des Erwerbs eines (Haus-)Grundstücks ein Darlehen über 160.000 DM zu einem Zinssatz von 5% p.a. und ein Darlehen über 200.000 DM zu einem Zinssatz von 5,5% p.a. Neben weiteren von der Darlehensnehmerin gestellten Sicherheiten übernahm der Beklagte, der niemandem unterhaltspflichtig war und zu diesem Zeitpunkt über ein Arbeitseinkommen von netto 2.500 DM verfügte, eine Höchstbetragsbürgschaft über 93.000 DM. Nach Kündigung der Darlehen nahm die Klägerin den Beklagten als Bürgen in Anspruch.
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Das Landgericht hat die Klage auf den Einwand des Beklagten, das Rechtsgeschäft sei wegen seiner krassen finanziellen Überforderung sittenwidrig und nichtig, abgewiesen, wobei es das pfändbare Einkommen des Beklagten bei Übernahme der Höchstbetragsbürgschaft (vom Landgericht unterstellt monatlich 1.291 DM) zu der laufenden Zinsverpflichtung aus den Darlehen (monatlich 1.584 DM) ins Verhältnis gesetzt hat. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung des Höchstbetrages nebst Zinsen verurteilt. Dagegen richtet sich die vom Senat nach Gewährung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
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Der von den Parteien geschlossene Bürgschaftsvertrag sei nicht wegen einer krassen finanziellen Überforderung sittenwidrig und nichtig. Bei der Frage, ob der Bürge, der eine Höchstbetragsbürgschaft übernehme, finanziell krass überfordert sei, sei nicht die monatliche Zinsbelastung aus der Gesamtdarlehenssumme, sondern die den Beklagten neben der Bürgschaftssumme höchstens treffende zusätzliche Belastung mit Verzugszinsen - im konkreten Fall höchstens 581,25 DM monatlich - zu berücksichtigen. Da dieser Betrag unter dem pfändbaren Betrag seines monatlichen Arbeitseinkommens gelegen habe, habe ihn die Übernahme der Bürgschaft nicht überfordert. Zu einer Überrumpelung bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages habe er nicht "plausibel" vorgetragen.
II.
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Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
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1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings eine krasse finanzielle Überforderung des Beklagten und eine daraus resultierende Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages verneint.
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a) Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats liegt eine krasse finanzielle Überforderung eines Bürgen bei nicht ganz geringen Bankschulden grundsätzlich vor, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft allein tragen kann oder - anders gewendet - wenn eine auf den Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung bezogene Prognose ergibt, dass der Bürge allein voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, auf Dauer die laufenden Zinsen der gesicherten Forderung mit Hilfe des pfändbaren Teils seines Einkommens und Vermögens aufzubringen. In diesem Fall ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerleglich zu vermuten, dass der dem Hauptschuldner persönlich besonders nahe stehende Bürge die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (Senatsurteile vom 14. Oktober 2003 - XI ZR 121/02, BGHZ 156, 302, 306, vom 28. Mai 2002 - XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1651, vom 25. April 2006 - XI ZR 330/05, FamRZ 2006, 1024, 1025, vom 16. Juni 2009 - XI ZR 539/07, W M 2009, 1460 Rn. 18 und vom 24. November 2009 - XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rn. 11 mwN).
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b) Diese Grundsätze gelten bei Höchstbetragsbürgschaften allerdings entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung mit der Einschränkung, dass sich die krasse finanzielle Überforderung aus dem Verhältnis des pfändbaren Teils des laufenden Einkommens zur Zinslast nur aus der Bürgschaftssumme und nicht aus der gesamten Hauptschuld ergeben muss. Der Senat hat die Frage, ob insoweit auf die Zinslast nur aus der Bürgschaftssumme oder aber aus einer je nach Einzelfall höheren Hauptschuld abzustellen ist, bislang nicht ausdrücklich entscheiden müssen, weil sie in den von ihm zu beurteilenden Sachverhalten - anders als hier - nicht entscheidungserheblich war (Senatsurteile vom 14. Mai 2002 - XI ZR 50/01, BGHZ 151, 34, 38, vom 28. Mai 2002 - XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648, vom 3. Dezember 2002 - XI ZR 311/01, BKR 2003, 157, 158, vom 25. Januar 2005 - XI ZR 28/04, WM 2005, 421, 422 f. und vom 24. November 2009 - XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rn. 13). Sie ist im ersten Sinne zu beantworten (so ohne weitere Begründung auch Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 91 Rn. 93; Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 765 Rn. 82; Staudinger/Horn, BGB, Neubearb. 2013, § 765 Rn. 41). Das Berufungsgericht hat das Bürgschaftsformular dahin ausgelegt, die auch absolut auf den Höchstbetrag begrenzte (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 294/00, BGHZ 151, 374, 383) Haftung für Nebenforderungen richte sich nach der Bürgschaftssumme und nicht nach der höheren Hauptschuld. Eine andere als diese von den Parteien im Revisionsverfahren hingenommene Auslegung ist mit dem Sinn der Höchstbetragsbürgschaft, die das Risiko für den Bürgen in überschaubaren Grenzen halten soll, und damit mit den wohlverstandenen Interessen beider Parteien nicht zu vereinbaren. Der Bürge hat bei Übernahme einer Höchstbetragsbürgschaft die berechtigte Erwartung, dass sich nicht nur seine Haftung für die Hauptforderung, sondern auch seine Haftung für die Nebenforderungen wie insbesondere für Zinsen nach der Bürgschaftssumme und nicht nach der möglicherweise wesentlich höheren Hauptschuld richtet. Dem stehen schutzwürdige Interessen des Gläubigers nicht entgegen.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen traf den Beklagten eine Zinslast von 5% jährlich aus 93.000 DM oder jährlich 4.650 DM bzw. eine monatliche Zinslast von 387,50 DM (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 2002 - XI ZR 311/01, BKR 2003, 157, 158). Zinsen in dieser Höhe konnte der Beklagte aus einem pfändbaren Betrag seines Arbeitseinkommens von richtig monatlich 903,70 DM gemäß der im Jahr 1999 gültigen Anlage zu § 850c ZPO ohne weiteres aufbringen, so dass er bei Übernahme der Bürgschaft nicht krass finanziell überfordert war.
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2. Die Revision hat indessen mit einer in Übereinstimmung mit § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO begründeten Verfahrensrüge Erfolg, weil das Berufungsgericht einen erheblichen Beweisantrag des Beklagten auf Vernehmung zweier Zeugen zu den näheren Umständen des Zustandekommens des Bürgschaftsvertrages unter Verstoß gegen § 286 ZPO übergangen hat.
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a) Der insoweit für die Voraussetzungen einer Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages nach § 138 BGB umfassend darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat zu besonders erschwerenden, der Klägerin zurechenbaren und auch ohne krasse finanzielle Überforderung zu einer Sittenwidrigkeit des ihn finanziell belastenden Rechtsgeschäfts führenden Umständen bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages - Beeinträchtigung seiner Willensbildung und Entschließungsfreiheit durch Schaffung einer seelischen Zwangslage bzw. durch Ausübung unzulässigen Drucks (vgl. Senatsurteile vom 17. September 2002 - XI ZR 306/01, ZIP 2002, 2249, 2252 und vom 28. Mai 2002 - XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1649; Michel in Assies/Beule/Heise/Strube, Handbuch des Fachanwalts Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., Kap. 5 Rn. 316) - in erster und zweiter Instanz unter Beweisantritt vorgetragen. Er hat geltend gemacht, die Klägerin habe zur Sicherung der Darlehensverbindlichkeit seiner früheren Lebensgefährtin die Stellung einer Bürgschaft zunächst nicht verlangt. Erst nach Abschluss des notariellen Kaufvertrages habe ein Mitarbeiter der Klägerin den Beklagten, der bei der Unterzeichnung der Darlehensverträge zugegen gewesen sei, zur Übernahme einer Bürgschaft mit dem Bemerken aufgefordert, die Gewährung der Darlehen, auf die seine Lebensgefährtin zur Finanzierung des Kaufpreises angewiesen gewesen sei, hänge von der Übernahme der Bürgschaft ab. Er habe daraufhin aus emotionaler Verbundenheit zu seiner Lebensgefährtin die Bürgschaft übernommen. Zum Beweis der Richtigkeit dieses Vorbringens hat er seine Lebensgefährtin und den Mitarbeiter der Klägerin als Zeugen benannt.
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b) Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Beweisangeboten nicht befasst, sondern bei der Entscheidung der Frage, ob das Vorbringen des Beklagten "plausibel" sei, allein auf die vorgelegten schriftlichen Unterlagen Bezug genommen. Das Nichterwähnen der vom Beklagten benannten Zeugen lässt sich nur damit erklären, das Berufungsgericht habe den Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und sich - wie aber von § 286 ZPO geboten und einer Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 37 ff.; BGH, Urteil vom 11. September 2012 - VI ZR 92/11, WM 2012, 2195 Rn. 19 mwN) - mit dem Prozessstoff nicht umfassend auseinandergesetzt.
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c) Das Berufungsurteil beruht auf dem Verfahrensverstoß (§ 545 Abs. 1 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte, weil der Beklagte den Nachweis einer Überrumpelung bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages mit den von ihm angebotenen Zeugen möglicherweise geführt hätte.
III.
16
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 ZPO) und die nicht zur Endentscheidung reife Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das Gelegenheit erhält, die Beweiserhebung nachzuholen.
Wiechers
Grüneberg
Maihold
Pamp Menges
Von Rechts wegen
Verkündet am: 19. Februar 2013