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  • 01.04.2007 | Abgabenordnung

    Der Ablauf der Festsetzungsfrist:Zeitliche Begrenzung gilt auch für das Finanzamt

    von Dipl.-Finw. Karl-Heinz Günther, Übach-Palenberg

    Welcher Steuerpflichtige ärgert sich nicht, wenn er in der Sache zwar Recht hat, aus formalen Gründen aber nicht Recht bekommt, weil er seinen Einspruch verspätet eingelegt hat, sein Änderungsantrag ins Leere geht oder die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist. Letztere zeitliche Begrenzung hat auch die Finanzverwaltung zu beachten. Gleichwohl kommt es immer wieder vor, dass ein Steuerbescheid erlassen wird, obwohl bereits Verjährung eingetreten ist. Der Bescheid ist dann zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (BFH 6.5.94, BFH/NV 95, 275). Der Steuerpflichtige muss die Steuerfestsetzung mithin anfechten und sich auf den Ablauf der Festsetzungsfrist berufen. Denn wird der Steuerbescheid unanfechtbar, ist er auch vollstreckbar. Wie Sie sich davor schützen und welche weiteren Besonderheiten Sie beachten sollten, erfahren Sie in diesem Beitrag. 

    1. Dauer der Festsetzungsfrist und Anlaufhemmung

    Die Festsetzungsfrist beträgt in der Regel 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Bei leichtfertiger Steuerverkürzung sowie bei Steuerhinterziehung kann sie sich auf 5 bzw. 10 Jahre verlängern. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist darf das Finanzamt keinen Steuerbescheid mehr erlassen. Das Finanzamt hat den Fristablauf von Amts wegen zu prüfen (BFH 19.8.99, BStBl II 00, 330), und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen Erstbescheid oder einen Änderungsbescheid handelt. Bei der Berechnung der Festsetzungsfrist ist zunächst die Anlaufhemmung des § 170 AO zu beachten. Die Festsetzungsfrist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer kraft Gesetzes entstanden ist. Bei Veranlagungssteuern beginnt sie jedoch regelmäßig erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht worden ist (§ 170 Abs. 2 AO). Allerdings dauert diese Anlaufhemmung im Höchstfall drei Jahre. 

     

    Beispiel

    A ist Rentner, seine Ehefrau B Arbeitnehmerin. Steuererklärungen haben beide bislang nicht abgegeben. Auf Grund einer Pressemeldung zum Alterseinkünftegesetz geben die Eheleute Ende 06 erstmals eine Einkommensteuererklärung für 02 ab. 

     

    Die ESt 02 entsteht mit Ablauf des 31.12.02, der Drei-Jahres-Zeitraum des § 170 Abs. 2 AO endet mit Ablauf des 31.12.05, d.h. die Festsetzungsfrist beginnt unabhängig von der Erklärungsabgabe mit Ablauf des 31.12.05.  

     

    Hinweis: Eine besondere Anlaufhemmung enthält § 170 Abs. 3 AO z.B. für Antragsveranlagungen nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (dazu ausführlich Kreft in GStB 07, 64 ff.). Da in diesen Fällen keine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, greift § 170 Abs. 1 AO. Wird die Antragsveranlagung dagegen aufgehoben, geändert oder berichtigt, beginnt die Frist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Antrag gestellt worden ist. Dadurch erhält das Finanzamt bei späterer Antragstellung mehr Zeit für eine Änderung. 

    2. Ablaufhemmung

    Der reguläre Ablauf der Festsetzungsfrist wird unter bestimmten Voraussetzungen gehemmt, die der Gesetzgeber abschließend in § 171 AO geregelt hat: 

     

    2.1 Antrag auf Änderung

    § 171 Abs. 3 AO bestimmt, dass bei einem vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellten Antrag auf Steuerfestsetzung, Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO die Festsetzungsfrist insoweit nicht abläuft, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden ist. Damit ist sichergestellt, dass der vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Finanzamt eingegangene Antrag noch im Rahmen seiner betragsmäßigen Reichweite geprüft und ggf. berücksichtigt wird.  

     

    Hinweise

    • Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung führt für sich allein nicht zu einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO, auch dann nicht, wenn mit ihr (bei der Umsatzsteuer) ein Anspruch auf Auszahlung eines Überschusses geltend gemacht wird (BFH 11.5.95, BFH/NV 96, 1).

     

    • § 171 Abs. 3 AO betrifft nur den Fall, wenn der Steuerpflichtige einen Antrag auf Steuerfestsetzung stellt. Dazu gehört ein Antrag auf niedrigere Steuerfestsetzung (§ 163 AO) nicht. Allerdings bewirkt die zu treffende Billigkeitsentscheidung als Grundlagenbescheid die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO (BFH 21.9.00, BStBl II 01, 178; siehe 2.5).

     

     

    2.2 Einspruch oder Klage

    Wird ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten, so läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist (§ 171 Abs. 3a AO). Anders als bei dem Antrag auf Änderung kommt es auch dann zur Ablaufhemmung, wenn der Rechtsbehelf erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt wird. Dies betrifft Fälle, in denen die Finanzverwaltung noch kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist einen Bescheid erlässt. Hier kann der Steuerpflichtige die über die reguläre Festsetzungsfrist hinausgehende Rechtsbehelfsfrist noch voll ausschöpfen (BFH 12.12.00, BStBl II 01, 218). 

     

    Die Ablaufhemmung erstreckt sich auf den gesamten Steueranspruch unabhängig vom Einspruchs- oder Klagebegehren, es sei denn, der Rechtsbehelf ist unzulässig (§ 171 Abs. 3a S. 2 AO). Damit erhält die Finanzbehörde die Gelegenheit, im Rahmen des § 367 Abs. 2 AO zu Lasten des Steuerpflichtigen zu verbösern (ggf. Einspruchsrücknahme prüfen). Allerdings ist bei der Anfechtung von Änderungsbescheiden die Begrenzung durch § 351 Abs. 1 AO („soweit die Änderung reicht“) zu beachten. 

    Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus § 171 Abs. 3a S. 3 AO. Danach endet die Ablaufhemmung erst bei Eintritt der Unanfechtbarkeit eines aufgrund von § 100 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 oder § 101 FGO erlassenen Bescheides. Damit gemeint sind die Fälle der 

    • Gerichtlichen Aufhebung;
    • Übertragung der Ermittlung des festzusetzenden Steuerbetrages auf die Finanzbehörde;
    • Zurückverweisung der Sache an die Finanzbehörde;
    • Verpflichtung zum Erlass eines zuvor abgelehnten Verwaltungsaktes.

     

    Der Regelung liegt die Überlegung zugrunde, dass die Finanzbehörde auch nach Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit haben soll, eine neue Verwaltungsentscheidung zu treffen. Der BFH hat allerdings entschieden, dass § 171 Abs. 3a S. 3 AO nur den Fall der gerichtlichen Kassation eines angefochtenen Bescheides betrifft, die Regelung jedoch keine Anwendung findet, wenn die Finanzbehörde den angefochtenen Bescheid aufhebt (BFH 5.10.04, BStBl II 05, 122). Hebt die Finanzverwaltung den angefochtenen Bescheid jedoch während eines finanzgerichtlichen Verfahrens auf und erlässt sie gleichzeitig einen neuen Bescheid, so ist dieser Bescheid noch innerhalb der nach § 171 Abs. 3a S. 1 AO gehemmten Frist ergangen. 

     

    2.3 Außenprüfung

    Häufiger Streitpunkt in gerichtlichen Verfahren ist die Ablaufhemmung infolge einer vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnenen Außenprüfung (§ 171 Abs. 4 AO). Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Auswertung der Prüfungsergebnisse nicht beeinträchtigt wird und nach Abschluss der Außenprüfung noch Steuerbescheide erlassen, aufgehoben oder geändert werden können.  

     

    Eine Außenprüfung hat erst mit qualifizierten Ermittlungshandlungen des Prüfers/des Finanzamtes begonnen, die für den Steuerpflichtigen erkennbar darauf gerichtet sind, den für die richtige Anwendung der Steuergesetze wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und zu überprüfen (BFH 24.4.03, BStBl II, 739). Erforderlich ist zudem eine förmliche Prüfungsanordnung. Aus diesem Grund hat der BFH die sog. betriebsnahe Veranlagung nicht als ablaufhemmende Außenprüfung anerkannt (BFH 6.7.99, BStBl II 00, 306). Prüfungshandlungen aufgrund einer rechtswidrigen, aber wirksamen Prüfungsanordnung hemmen den Fristablauf, nicht dagegen Prüfungshandlungen, die auf einer unwirksamen oder nach einer Anfechtungsklage aufgehobenen Prüfungsanordnung beruhen (BFH 25.6.92, BFH/NV 93, 457). 

     

    Für die Hemmung des Fristablaufs ist es erforderlich, dass der Prüfer konkrete Ermittlungshandlungen aufnimmt, d.h. die alleinige Übergabe der Prüfungsanordnung oder bloße Vorbereitungshandlungen genügen nicht. Es reicht aber aus, wenn der Betriebsprüfer in den Räumen des Steuerpflichtigen die Prüfungsschwerpunkte und Prüffelder festlegt (Nieders. FG 13.5.04, EFG 04, 1652). Insbesondere bei einer Prüfung an Amtsstelle sind strenge Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Prüfungsbeginns zu stellen. Das Finanzamt trägt insoweit die objektive Feststellungslast (FG Sachsen-Anhalt 27.5.04, EFG 04, 1738). 

     

    Die Ablaufhemmung tritt auch ein, wenn der Beginn der Außenprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird (§ 171 Abs. 4 S. 1 AO). In diesem Fall ist der Ablauf der Festsetzungsfrist vom Tage des Eingangs des Antrages beim Finanzamt an gehemmt. Legt der Steuerpflichtige gegen die Prüfungsanordnung Einspruch ein oder beantragt er deren Aussetzung der Vollziehung, ist hierin kein Antrag auf Hinausschieben des Prüfungsbeginns zu sehen (BFH 10.4.03, BStBl II, 827). Die Ablaufhemmung tritt jedoch nicht ein, wenn das Finanzamt den Beginn der Prüfung aus innerhalb seiner Sphäre liegenden sonstigen Gründen hinausschiebt und wenn der Antrag des Steuerpflichtigen hierfür keine Rolle spielt (BFH 30.3.99, BFH/NV 99, 1145). 

     

    Wird die Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen, so bleibt der Fristablauf nur gehemmt, wenn sie innerhalb von sechs Monaten wieder aufgenommen wird. Überschreitet dagegen die Unterbrechung den Sechsmonatszeitraum aus Gründen, die die Finanzverwaltung zu vertreten hat, greift die Ablaufhemmung nicht (§ 171 Abs. 4 S. 2 AO). Etwas anderes gilt nur, wenn die Außenprüfung nach einer Unterbrechung von mehr als sechs Monaten vor Ablauf der normalen Festsetzungsfrist fortgeführt wird. Hier ist die Verjährung auch dann gehemmt, wenn keine neue Prüfungsanordnung erlassen wurde (BFH 13.2.03, BStBl II, 552). 

     

    Die verjährungshemmende Wirkung einer Außenprüfung erstreckt sich nur auf den von der Außenprüfung betroffenen Steuerpflichtigen. Die Anordnung einer Lohnsteuer-Außenprüfung gegen den Arbeitgeber bewirkt daher keine Ablaufhemmung gegenüber den Arbeitnehmern (BFH 9.3.90, BStBl II, 608). Es sind auch nur die Steuern betroffen, die in der Prüfungsanordnung genannt sind und die der Prüfer auch tatsächlich prüft (BFH 6.7.99, BStBl II 00, 306). Eine unwirksame Prüfungsanordnung kann keine Ablaufhemmung herbeiführen.  

     

    Die Ablaufhemmung dauert an, bis die auf Grund der Außenprüfung ergangenen Bescheide unanfechtbar geworden sind. Ergeht nach einer Außenprüfung ohne Änderung eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 S. 3 AO, endet die Ablaufhemmung drei Monate nach Bekanntgabe der Mitteilung. § 171 Abs. 4 S. 3 AO begrenzt die Ablaufhemmung durch eine Auswertungsfrist. Danach endet die Frist spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat oder bei unterbliebener Schlussbesprechung, seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die Festsetzungsfrist verstrichen ist. 

     

    2.4 Vorläufige Steuerfestsetzungen

    Die Regelung in § 171 Abs. 8 AO ist in der heutigen Besteuerungspraxis, in der fast jeder Einkommensteuerbescheid aus irgendeinem Grund vorläufig (§ 165 AO) ergeht, von beachtenswerter Bedeutung. Danach endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres, nachdem die Ungewissheit, die Grundlage für die vorläufige Steuerfestsetzung war, beseitigt ist und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erlangt hat. Der Umfang der Ablaufhemmung bestimmt sich nach dem Umfang der Vorläufigkeit. Die Finanzbehörde erlangt Kenntnis von der Beseitigung der Ungewissheit, sobald die zur Steuerfestsetzung berufene Person tatsächlich Kenntnis erlangt (BFH 25.7.00, BStBl II 01, 9). In den Fällen des § 165 Abs. 1 S. 2 AO hat die Finanzverwaltung zwei Jahre Zeit, um nach Wegfall der Ungewissheit die Steuerbescheide anzupassen (§ 171 Abs. 8 S. 2 AO).  

     

    2.5 Grundlagenbescheide

    Ist für die Festsetzung einer Steuer ein Grundlagenbescheid (z.B. ein Feststellungsbescheid) bindend, stellt § 171 Abs. 10 AO sicher, dass die Finanzverwaltung nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides zwei Jahre Zeit hat, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO). Maßgebend für die Berechnung der Zweijahresfrist ist allein der Bekanntgabetag des Grundlagenbescheides, nicht dagegen der Zugang der verwaltungsinternen Mitteilung oder der Zeitpunkt, an dem der Grundlagenbescheid unanfechtbar wird. Die Zweijahresfrist wird auch in Gang gesetzt, 

     

    • durch die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung eines Grundlagenbescheids, auch wenn keine sachliche Änderung des Grundlagenbescheids erfolgt (BFH 11.4.95, BFH/NV 95, 943);

     

    • wenn der Grundlagenbescheid durch Einspruchsentscheidung oder Gerichtsentscheidung geändert wird.

     

    Dagegen wird keine Ablaufhemmung bewirkt 

     

    • durch einen Grundlagenbescheid, der einen gleichartigen, dem Inhaltsadressaten wirksam bekannt gegebenen Verwaltungsakt in seinem Regelungsgehalt lediglich wiederholt (BFH 13.12.00, BStBl II 01, 471);

     

    • durch eine Einspruchs- oder Gerichtsentscheidung, die einen Grundlagenbescheid lediglich bestätigt (BFH 30.11.99, BStBl II 00, 173).

     

    Außerdem ist zu beachten, dass die Anfechtung eines Grundlagenbescheides nicht dazu führt, dass die für die Festsetzung der Folgesteuern maßgebende Festsetzungsfrist bis zur Unanfechtbarkeit des (geänderten) Feststellungsbescheides gehemmt wird. Vielmehr gilt auch hier – unabhängig von der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Grundlagenbescheid – die Zweijahresfrist des § 171 Abs. 10 AO (BFH 19.1.05, BStBl II, 242). 

     

    Hinweis: Ist die für den Grundlagenbescheid maßgebende Feststellungsfrist bereits abgelaufen, nicht jedoch die Festsetzungsfrist des Folgebescheides, kommt insoweit unter den Voraussetzungen des § 181 Abs. 5 AO noch eine gesonderte Feststellung in Betracht. 

     

    Die Festsetzungsfrist läuft nach § 171 Abs. 10 S. 2 AO nicht ab, solange der Ablauf der Festsetzungsfrist des von der Bindungswirkung nicht erfassten Teils der Steuer aufgrund einer Außenprüfung nach § 171 Abs. 4 AO (siehe Punkt 2.3) gehemmt ist. Aufgrund dieser Regelung ist es möglich, die Anpassung des Folgebescheides an einen Grundlagenbescheid und die Auswertung der Ergebnisse der Außenprüfung zusammenzufassen. 

    3. Besonderheiten bei anderen Änderungsvorschriften

    Besonderheiten bzw. besondere Ablaufhemmungen ergeben sich zum Teil aus den Änderungsvorschriften der AO selbst, so z.B. bei widerstreitenden Steuerfestsetzungen aus § 174 Abs. 1, 3und 4 AO sowie bei rückwirkenden Ereignissen (§ 175 Abs. 1 S. 2 AO: Beginn der Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt). Von besonderer Bedeutung ist die Regelung in § 164 Abs. 4 AO bei Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Vorbehalt entfällt automatisch, wenn die allgemeine vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 S. 1 AO) abläuft. 

     

    Beispiel

    Die reguläre Festsetzungsfrist endet am 31.12.04. Die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Steuerfestsetzung enthält nicht den bewusst nicht erklärten steuerpflichtigen Gewinn aus der Veräußerung einer Immobilie. Das Finanzamt erfährt hiervon im Juni 04.  

     

    Weil der Sachverhalt noch nicht ausermittelt ist, jedoch andere (unstreitige) Punkte, weshalb der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, erledigt werden sollen, erlässt das FA im August 04 einen Änderungsbescheid nach § 164 Abs. 2 AO, ohne den Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben. Nach vollständiger Sachverhaltsaufklärung im Januar 05 will das Finanzamt den Gewinn aus der Grundstücksveräußerung nun besteuern. 

     

    Obwohl sich die Festsetzungsfrist wegen der Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängert, hat das Finanzamt ein „Änderungsproblem“. Denn § 164 Abs. 2 AO steht infolge des Wegfalls des Vorbehalts der Nachprüfung mit Ablauf des 31.12.04 nicht mehr zur Verfügung. Auch eine Änderung wegen neuer Tatsachen (§ 173 Abs. 1 AO) kommt nicht in Betracht, da die Tatsache bei Erlass des auf § 164 Abs. 2 AO gestützten Änderungsbescheides bereits bekannt war und jetzt nicht mehr „neu“ im Sinne von § 173 AO ist. Da versäumt wurde, den im August 04 ergangenen Änderungsbescheid hinsichtlich der Grundstücksveräußerung mit einem Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) zu versehen, kommt eine Bescheidänderung aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr in Betracht. 

     

    Hinweis: Der Vorbehalt der Nachprüfung bleibt auch nach Ablauf der allgemeinen Festsetzungsfrist bestehen, wenn und soweit Ablaufhemmungen nach § 171 Abs. 1 bis 6, 9, 11 bis 14 AO eingreifen. Dies gilt insbesondere, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag nach § 164 Abs. 2 AO gestellt (§ 171 Abs. 3 AO) oder mit einer Außenprüfung begonnen wurde (§ 171 Abs. 4 AO). 

    4. Verlängerung der Festsetzungsfrist

    Die regulär vierjährige Festsetzungsfrist verlängert sich auf fünf Jahre bei leichtfertiger Verkürzung und auf zehn Jahre bei Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO). Hier liegt in der Besteuerungspraxis häufig ein beträchtliches Problem, da die Finanzbehörde die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der leichtfertigen Steuerverkürzung bzw. der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (BFH 2.4.98, BStBl II, 530) nachzuweisen hat (BFH 12.3.92, BStBl II 93, 36). Dabei ist sie an Entscheidungen im strafgerichtlichen Verfahren nicht gebunden (BFH 10.10.72, BStBl II 73, 68), obwohl sie sich in aller Regel deren Erkenntnisse zu eigen machen wird. Besonders heikel sind die Fälle, in denen das Strafverfahren eingestellt wird, wenn der „Steuerhinterzieher“ verstorben ist. Denn naturgemäß wird sich die Feststellung, ob der Verstorbene subjektiv in hinterzieherischer Absicht gehandelt hat, schwierig gestalten. 

     

    Hinweis: Verweigert der Steuerpflichtige seine Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts, ist es nach Auffassung des FG Düsseldorf (4.11.04, EFG 05, 246; Rev. BFH VIII R 81/04) für die Annahme einer Steuerhinterziehung gleichwohl unerlässlich, dass das Finanzamt und ggf. das Finanzgericht auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens von der Höhe der Steuerhinterziehung überzeugt sind. Nicht behebbare Zweifel dürfen deshalb selbst dann nicht im Rahmen der grundsätzlich zulässigen Schätzung des Hinterziehungsbetrages zu Lasten des Steuerpflichtigen gewürdigt werden, wenn die Unsicherheit hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten auf der unterbliebenen Mitwirkung des Steuerpflichtigen beruht (Beachtung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ sowie des „nemo-tenetur“-Prinzips auch im Steuerfestsetzungsverfahren). 

    5. Besonderheiten bei Gesellschaftern

    Durch das JStG 2007 wurde mit dem neuen § 32a KStG eine ablaufhemmende Qualifikationsverkettung für vGA`s eingeführt. Der Neuregelung liegt der Sachverhalt zugrunde, dass die Veranlagung eines GmbH-Gesellschafters im Regelfall nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht und eine Vorbehaltsfestsetzung wegen einer möglichen vGA der GmbH nicht erfolgen darf (vgl. BMF 29.9.05, BStBl I, 903). Wird bei der GmbH nun im Rahmen einer Betriebsprüfung eine vGA entdeckt, die dem Gesellschafter zuzurechnen ist, konnte dieser bislang nur unter der Voraussetzung vom Halbeinkünfteverfahren profitieren, dass ihn kein grobes Verschulden i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 trifft.  

     

    Durch § 32a KStG ist aber nun eine Änderungsmöglichkeit für Bescheide des Anteilseigners geschaffen worden. Die Neuregelung durchbricht die Bestandskraft des ESt-Bescheides der Gesellschafter für ein Jahr nach Änderung des KSt-Bescheides der GmbH, völlig unabhängig davon, welchen verfahrensrechtlichen Stand der ESt-Bescheid tatsächlich hat (zu den Einzelheiten siehe Pflüger in GStB 06, 392). Die Regelung gilt erstmals für solche KSt-Festsetzungen, die am Tag nach der Verkündung des JStG 2007 (12.12.06) ergehen. 

    Quelle: Ausgabe 04 / 2007 | Seite 148 | ID 87376