· Fachbeitrag · Schmerztherapie
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie: Den Schmerzpatienten ernst nehmen!
Interview von PPA-Redakteur Stefan Lemberg mit Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie
| Als größte Fachgesellschaft für Schmerztherapie in Europa hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie die Schmerztherapie in den letzten 30 Jahren entscheidend geprägt. Über die wachsende Zahl der Schmerz-patienten, die Therapiemöglichkeiten und darüber, welche Rolle die Hausarztpraxis in der Betreuung von Patienten mit chronischen Schmerzen spielt, sprach die Redaktion mit dem Präsidenten der Fachgesellschaft Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe. |
Frage: Herr Dr. Müller-Schwefe, wie hat sich die Zahl der Schmerzpatienten in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt?
Antwort: Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland 17 bis 23 Prozent der Bevölkerung an chronischen Schmerzen leiden. Die Tendenz ist eher steigend, sodass wir von mindestens 15 Mio. Patienten mit chronischen Schmerzen ausgehen, davon etwa 10 Prozent mit schwersten problematischen chronischen Schmerzerkrankungen.
Frage: Was ist der Grund dafür?
Antwort: Einerseits haben wir eine immer älter werdende Bevölkerung, die mit steigendem Lebensalter eine höhere Chance hat, Schmerzchronifizierung zu erfahren. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit chronische Schmerzerkrankungen zu erleiden. Typisch für das höhere Lebensalter sind vor allem neuropathische Schmerzen bei Stoffwechselstörungen, wie Diabetes mellitus oder Post-Zoster-Neuralgien. Darüber hinaus gibt es mit effizenterer Tumortherapie mehr überlebende Patienten, die infolge der onkologischen Therapie häufiger neuropathische Schmerzen entwickeln.
Frage: Welche Rolle spielt die Hausarztpraxis in der Schmerztherapie?
Antwort: Der Hausarzt ist immer die erste Anlaufstelle für alle Erkrankungen. Auch für schmerzhafte Erkrankungen und für chronifizierte Schmerzen. Entscheidend ist, dass er die Kenntnisse besitzt, Chronifizierungsrisiken zu erkennen und frühzeitig effektive Strategien einzuschlagen. Wo dies in der Hausarztpraxis nicht möglich ist, muss der Hausarzt für eine schnelle zielgerichtete Therapie sorgen können.
Frage: Was sollte die MFA beim Umgang mit Schmerzpatienten besonders beachten?
Antwort: Patienten mit chronischen Schmerzen machen oft die Erfahrung, dass man ihnen nicht glaubt und ihre Schmerzerkrankung nicht ernst nimmt, weil oft keine ausgeprägten körperlichen Veränderungen sichtbar sind. Deshalb ist es entscheidend, diesen Patienten zu signalisieren, dass sie ernst genommen werden. Bereits bei der Ankunft in der Praxis oder in der Ambulanz kommt es darauf an, ihre Bedürfnisse zu erfragen bzw. wahrzunehmen.
Frage: Was können das für Bedürfnisse sein?
Antwort: Einige Patienten können zum Beispiel keinen Umgebungslärm ertragen, andere brauchen eine liegende Position in der Wartezeit und Ähnliches. Entscheidend ist auch, dass die MFA Grundverständnis über chronische Schmerzerkrankungen hat, da sie häufig diejenige ist, die wesentlich mehr Zeit mit Patienten zubringt als Ärzte und deshalb im Nachgang zu ärztlichen Gesprächen nochmals Schmerzmodelle erklären und auch Therapien verständlich vermitteln muss.
Frage: Wie sollte eine sinnvolle Schmerztherapie aussehen?
Antwort: Sinnvolle Schmerztherapie basiert immer auf einer sorgfältigen Analyse. Hierbei spielt nicht nur die Schmerzintensität eine Rolle, sondern vor allem die zugrunde liegenden Mechanismen, die Qualitäten des Schmerzes und die unterhaltenden Mechanismen. Auf der Grundlage dieser Analyse finden sich häufig körperliche und auslösende oder unterhaltende Faktoren, aber auch psychische und soziale Komponenten. Sinnvolle Schmerztherapie muss alle diese Komponenten einbeziehen. Idealerweise bedeutet dies, dass Schmerzchronifizierungs- und Lernprozesse verhindert oder - wenn schon aktiv - durchbrochen werden.
Frage: Welche Therapieverfahren sind dafür geeignet?
Antwort: Die Symptome können durch medikamentöse Therapie, therapeutische Lokalanästhesie oder topische Therapien bekämpft werden. Auch die Aktivierung körpereigener Schmerzkontrolle ist von großer Bedeutung. Dies geschieht zum Beispiel durch Gegenirritationsverfahren wie transkutane elektrische Nervenstimulation und Akupunktur. Auch die aktive Selbstkontrolle der Patienten durch Erlernen von Entspannungsverfahren, Biofeedback zur Steuerung unbewusster Vorgänge, Achtsamkeitstraining und Verhaltenstherapie kann hier außerordentlich hilfreich sein und eine wichtige Komponente darstellen. Die Aktivierung der gestörten Körperfunktionen durch Übungsbehandlungen ist ein weiteres Standbein und schließlich ist die psychische und soziale Reintegration eine weitere Säule sinnvoller Schmerztherapie.
Frage: Das sind ja eine Menge Disziplinen. An wen sollten sich Patienten wenden?
Antwort: Da es zurzeit noch keinen Facharzt für Schmerzmedizin gibt, kann der Therapieerfolg zurzeit nur durch die enge Kooperation verschiedener Fachgebiete erreicht werden. Idealerweise sollten Patienten mit chronischen Schmerzen aber auf einen Ansprechpartner treffen, der eine umfassende Kompetenz aufweist und damit die Komplexität der chronischen Schmerzerkrankungen diagnostisch und therapeutisch in weiten Teilen abdecken kann.
Frage: Welche Erfolge hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie in den letzten Jahren erzielt?
Antwort: Schmerzmedizinische Versorgung ist in den letzten 30 Jahren wesentlich von der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie geprägt worden. Neben den Definitionen und Standards in der Schmerzmedizin haben wir erstmalig strukturierte qualitätsgebundene Versorgungsverträge mit Krankenkassen abgeschlossen. Wir haben dafür gesorgt, dass qualitätsgesicherte Schmerztherapie in das Leistungsverzeichnis für gesetzlich Versicherte aufgenommen wird und bundesweit verfügbar ist. Im letzten Jahr ist es endlich gelungen, Schmerzmedizin als Querschnittsfach in die ärztliche Ausbildung und damit als Prüfungsfach in die Approbationsordnung zu bringen. In über 130 regionalen Schmerzzentren bieten wir bundesweit interdisziplinäre Schmerzkonferenzen an. Unsere regionalen Zentren leisten hervorragende Arbeit in der Diagnostik und Therapie komplexer chronischer Schmerzerkrankungen.
Frage: Was ist in der Schmerztherapie die größte Herausforderung für die Hausarztpraxis?
Antwort: Für die Hausarztpraxis ist die größte Herausforderung, Patienten mit einem hohen Schmerzchronifizierungsrisiko zu identifizieren und zielgerichtete Therapien einzuleiten. Viele Hausärzte unterziehen sich hierfür umfangreichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Aus unserer Sicht ist hier ein Fachkundenachweis Schmerzmedizin mit entsprechender Qualifikation adäquat, um diesen besonderen Aufwand auch entsprechend abzubilden und zu vergüten. Darüber hinaus besteht eine besondere Herausforderung, durch eine gute Vernetzung zu den regionalen Diagnose- und Therapieangeboten Patienten zielgerichtet in einer abgestuften Versorgung weiter zu steuern und so zeitnah effizienten schmerzmedizinischen Therapien zuzuführen.
Frage: Wie sollte das Betreuungsnetzwerk gegen den Schmerz weiter ausgebaut werden?
Antwort: In allen Bereichen der Medizin kennen wir von der persönlichen Kompetenz sowie von der Ausstattung her eine abgestufte Versorgung. Nur in der Schmerzmedizin endet sie zurzeit mit der Zusatzbezeichnung „spezielle Schmerztherapie“. Als fachgebundene Zusatzbezeichnung kann sie die komplexen Bedürfnisse von Patienten mit chronischen Schmerzen nicht erfüllen. Dem kann zurzeit nur durch ein komplexes Netzwerk aus primär versorgenden Ärzten (Hausärzten, Fachärzten, speziellen Schmerztherapeuten, Psychologen und Physiotherapeuten) begegnet werden. Neben der regelmäßigen Teilnahme an interdisziplinären Schmerzkonferenzen ist der persönliche Kontakt zu den gemeinsam betreuenden Disziplinen von entscheidendem Vorteil.
Frage: Was erwarten Sie dabei von den Hausärzten?
Antwort: Hausärzte sollten in unserem System weiterhin eine Steuerfunktion haben. Dafür brauchen sie entsprechende Kenntnisse, aber auch Kommunikationsmittel und eine gemeinsame Dokumentationsplattform für den schnellen und unkomplizierten Informationsfluss.