· Fachbeitrag · Außensteuergesetz
Wegfall der Wegzugsbesteuerung durch Rückkehr ‒ auch ohne Rückkehrabsicht zum Wegzugszeitpunkt
von StBin Dipl.-Kffr. Dr. Katrin Dorn, München und StB Frank Niesmann (M. I. Tax), Hamburg
| Der BFH hat jüngst steuerzahlerfreundlich zur bisherigen Fassung des § 6 AStG vor Änderung durch das ATAD-UmsG entschieden, dass eine „nur vorübergehende Abwesenheit“ nach § 6 Abs. 3 S. 1 AStG a. F. auch dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige zunächst ohne Rückkehrabsicht aus Deutschland verzieht und innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens (nach alter Fassung) von fünf Jahren nach dem Wegzug eine Rückkehrabsicht entwickelt und tatsächlich wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird (BFH 21.12.22, I R 55/19). Damit entfällt der Steueranspruch für die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG durch die tatsächliche Rückkehr unabhängig von einer „Rückkehrabsicht“ zum Zeitpunkt des Wegzugs. Für die betroffenen Steuerpflichtigen eine zu begrüßende Entscheidung, auch weil sich damit zugleich die mit dem Nachweis der Rückkehrabsicht verbundenen Schwierigkeiten und die damit einhergehenden Auslegungsfragen künftig erübrigen. |
1. Grundsätze der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG
Die Besteuerung von in Anteilen an Kapitalgesellschaften enthaltenen stillen Reserven erfolgt in der Regel erst bei Realisierung, also insbesondere durch die Veräußerung der Anteile (vgl. §§ 17, 20 Abs. 2 EStG). Die sog. Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG erweitert den Anwendungsbereich von § 17 EStG auf Sachverhalte, bei denen die unbeschränkte Steuerpflicht des Anteilseigners durch Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet. Voraussetzung ist nach Änderung des § 6 AStG, dass der Steuerpflichtige vor seinem Wegzug innerhalb der letzten zwölf Jahre mindestens sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war (§ 6 Abs. 2 AStG n. F.).
In diesen Fällen kommt es, obwohl die Anteile an der Kapitalgesellschaft weiterhin im Eigentum des Steuerpflichtigen sind, allein aufgrund des Wegzugs und damit ohne Anteilsveräußerung zur Aufdeckung der stillen Reserven in den Anteilen an den in- und ausländischen Kapitalgesellschaften. Hintergrund dieser Abschlussbesteuerung ist, dass im Falle der Veräußerung der Anteile an einer Kapitalgesellschaft i. S. d. § 17 EStG Deutschland regelmäßig das Besteuerungsrecht mit dem Wegzug des Steuerpflichtigen verliert. Denn die Mehrzahl der von Deutschland abgeschlossenen DBA weisen das Besteuerungsrecht regelmäßig dem Wohnsitzstaat des Anteilseigners zu (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA 2017). Etwas anderes gilt nur, wenn im einschlägigen DBA eine sog. Immobilienklausel enthalten ist (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA 2017). Denn dann wird das Besteuerungsrecht für Gesellschaften mit überwiegend deutschem Grundvermögen dem Belegenheitsstaat zugewiesen.
Beachten Sie | Neben diesem Grundfall enthält § 6 Abs. 1 S. 2 AStG n. F. noch sog. Ersatztatbestände. Hierzu zählen teil- oder unentgeltliche Übertragungen (Schenkungen / gemischte Schenkungen / Erwerbe von Todes wegen) von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft i. S. d. § 17 EStG von einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Person auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person sowie die Einlage der Anteile in einen Betrieb oder eine Betriebsstätte des Steuerpflichtigen in einem ausländischen Staat.
Sofern der Wegzug des Steuerpflichtigen nur vorübergehender Natur ist, kann unter bestimmten Voraussetzungen der zunächst ausgelöste Steueranspruch rückwirkend aufgehoben werden (sog. Rückkehroption).
Nach bisheriger Rechtslage führte bei Wegzügen in Drittstaaten eine Rückkehr innerhalb von fünf Jahren (mit Verlängerungsoption auf Antrag) zum Entfall des Steueranspruchs. In EU-/EWR-Fällen war die Rückkehr ohne zeitliche Begrenzung möglich (§ 6 Abs. 3 AStG a. F.). Zudem durften
- 1. die Anteile zwischen Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht und der Rückkehr nach Deutschland nicht veräußert, übertragen oder in ein Betriebsvermögen eingelegt worden sein,
- 2. keine Gewinnausschüttung oder Einlagenrückgewähr erfolgen, deren gemeiner Wert 25 % des gemeinen Wertes der Anteile übersteigt und
- 3. das deutsche Besteuerungsrecht an den Anteilen musste nach der Rückkehr wieder in dem Umfang begründet werden, wie es im Zeitpunkt vor Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht bestand.
Beachten Sie | Durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD UmsG] vom 25.6.21 wurde die maßgebliche Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht zuletzt von zehn Jahren innerhalb der gesamten Lebensdauer des Steuerpflichtigen vor dem Wegzug auf sieben Jahre innerhalb von zwölf Jahren vor dem Wegzug oder der Verwirklichung eines Ersatztatbestandes nach § 6 Abs. 1 AStG reduziert. Der bisher unbegrenzte Beobachtungszeitraum verkürzt sich damit auf zwölf Jahre. So können nun Steuerpflichtige der Regelung unterfallen, die lediglich sieben Jahre im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind, aber noch vor Vollendung der bislang maßgeblichen zehn Jahresfrist ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt aufgeben wollten.
Wird die unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts beendet oder wird ein Ersatztatbestand verwirklicht, kommt es zu einer fiktiven Veräußerung der Anteile i. S. d. § 17 EStG. Mangels Veräußerungspreis wird der Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert und den Anschaffungskosten der Anteile als Bemessungsgrundlage herangezogen. Der so ermittelte Veräußerungsgewinn unterliegt dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 S. 1c EStG). Die wegzugsbedingte Steuerbelastung ist für die Betroffenen regelmäßig nachteilig, da kein Liquiditätszufluss erfolgt, um die Steuer begleichen zu können (sog. Dry Income). Daher kann die entstandene Steuer gem. § 6 Abs. 4 AStG auf Antrag des Steuerpflichtigen (im Regelfall gegen Sicherheitsleistung) unverzinslich gestundet und dann in sieben gleichen Jahresraten gezahlt werden.
MERKE | Im Hinblick auf die Stundungsregelung wurde durch das ATAD-UmsG die Gleichbehandlung von EU-/EWR- und Drittstaatenfällen eingeführt (sog. One-fits-all-Lösung). Danach kommt es beim wegziehenden Steuerpflichtigen zwingend zum Liquiditätsabfluss. Die zeitlich unbegrenzte zinslose Stundung beim Wegzug in EU-/EWR Staaten ist nicht mehr vorgesehen. |
Die Stundung wird nach § 6 Abs. 4 S. 5 bis. 3 AStG widerrufen, wenn die noch zu entrichtenden Jahresraten nicht fristgerecht gezahlt werden, der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 6 Abs. 5 AStG nicht erfüllt, der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet oder soweit die Anteile veräußert oder übertragen werden, wobei unentgeltliche Übertragungen unbeachtlich bleiben und es insoweit auf den Rechtsnachfolger ankommt. Die gestundete Steuer wird innerhalb eines Monats nach Eintritt des schädlichen Ereignisses fällig. Des Weiteren ist die Steuer grundsätzlich auch dann innerhalb eines Monats fällig, soweit substanzielle Gewinnausschüttungen oder eine Einlagenrückgewähr erfolgen und soweit deren gemeiner Wert insgesamt mehr als 25 % des gemeinen Werts der Anteile beträgt.
2. Urteil des BFH vom 21.12.22 ‒ I R 55/19
Der BFH hatte nun im Zusammenhang mit der Wegzugsbesteuerung zu entscheiden, ob das Tatbestandsmerkmal der nur vorübergehenden Abwesenheit auch dann erfüllt ist, wenn der Steuerpflichtige zwar im Zeitpunkt des Wegzugs die Rückkehrabsicht nicht glaubhaft gemacht hat, allerdings innerhalb des Fünfjahreszeitraums einen Rückkehrwillen bildet und tatsächlich wieder in die unbeschränkte Steuerpflicht eintritt.
2.1 Sachverhalt
Im Streitfall hatte der Kläger im Jahr 2014 seinen inländischen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt aufgegeben und war nach Dubai verzogen. Im Jahr 2016 zog der Kläger für Zwecke der Abwicklung seines Vermögens wieder nach Deutschland, um anschließend im Jahr 2017 dauerhaft in die Vereinigten Arabischen Emirate zu verziehen. Im Zeitpunkt des Wegzugs hielt der Kläger mehrere Beteiligungen an Kapitalgesellschaften i. S. d. § 17 EStG. Das Finanzamt sah die Voraussetzungen der Wegzugsbesteuerung als erfüllt an und setzte steuerpflichtige Veräußerungsgewinne nach § 6 Abs. 1 AStG a. F. i. V. m. § 17 EStG an. Das Tatbestandsmerkmal der nur vorübergehenden Abwesenheit sah das Finanzamt als nicht erfüllt an. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, weil durch seine tatsächliche Rückkehr nach Deutschland der Steueranspruch rückwirkend wieder entfallen sei. Denn der Tatbestand der vorübergehenden Abwesenheit sei mithin erfüllt (§ 6 Abs. 3 AStG a. F.).
Das Finanzamt folgte der Auffassung des Klägers nicht, weil der Kläger im Zeitpunkt seines Wegzugs dem Finanzamt gegenüber keinen Willen zur Rückkehr erklärt hatte. Nachdem sowohl der Einspruch als auch die Klage beim zuständigen Finanzgericht (FG Münster 31.10.19, 1 K 3448/17 E) erfolglos blieben, gab der BFH der Klage statt und folgte der Auffassung des Klägers. Die Entscheidung des FG wurde insoweit aufgehoben.
2.2 Die Entscheidung des BFH, I R 55/19
Der BFH entschied mit Urteil vom 21.12.22, dass im Streitfall die Voraussetzungen für eine Rückausnahme zur Wegzugsbesteuerung durchaus erfüllt seien und somit der durch den Wegzug ausgelöste Steueranspruch nach § 6 AStG a. F. i. V. m. § 17 EStG entfallen sei. Der Steuerpflichtige habe durch Wiedereintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht den Tatbestand der „nur vorübergehenden Abwesenheit“ erfüllt.
Zwar kann aus dem Gesetzeswortlaut das Erfordernis einer Rückkehrabsicht abgeleitet werden, allerdings kann aus der Vorschrift nicht konkret entnommen werden, bis zu welchem Zeitpunkt der Wille der Rückkehr gebildet und angezeigt werden muss (§ 6 Abs. 3 S. 1 AStG a. F.). Die bloße Absicht zur Rückkehr und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit sollen laut Gesetzesbegründung genügen (Drucks. 19/286252 vom 19.4.21, S. 49).
Etwas anderes gilt nach Auffassung des BFH für die einzelfallbezogene Verlängerung der Rückkehroption. Denn in diesen Fällen muss der Wille zur Rückkehr bereits vor Antragstellung gebildet und gegenüber dem Finanzamt glaubhaft gemacht werden, dass der bereits gebildete Rückkehrwille unverändert fortbesteht. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Rückkehrabsicht und die Glaubhaftmachung bereits im Zeitpunkt des Wegzugs aus Deutschland bestanden haben müssen. Folglich kann die Rückkehrabsicht bzw. der Wille zur Rückkehr innerhalb des Fünfjahreszeitraums nach Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts gebildet werden. Mit der Folge, dass bei tatsächlicher Rückkehr und Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens von fünf Jahren der Steueranspruch wieder entfällt.
Gesetzgeberisches Motiv sei es, dass der Steueranspruch bei einer lediglich vorübergehenden Entstrickung der in den Anteilen ruhenden stillen Reserven entfällt, was ungeachtet der Rückkehrabsicht des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Wegzugs beurteilt werden muss. Daher muss die tatsächliche Rückkehr als Indiz für den Rückkehrwillen berücksichtigt werden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Verhältnismäßigkeit, da eben durch die Rückkehr das Besteuerungsrecht Deutschlands wieder eintritt, so der BFH.
MERKE | Der Rückkehrzeitraum kann auf Antrag um fünf Jahre auf insgesamt zwölf Jahre verlängert werden, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass die Rückkehrabsicht unverändert fortbesteht (§ 6 Abs. 3 S. 3 AStG n. F.). |
3. Bedeutung der Entscheidung des BFH für die Praxis
Die Entscheidung des BFH ist zu begrüßen, da sich zukünftig die Auslegungsfragen hinsichtlich der Rückkehrabsicht im Zeitpunkt des Wegzugs erübrigen. Der BFH hat klargestellt, dass betroffene Steuerpflichtige keine Vorkehrungen im Wegzugszeitpunkt treffen mussten und zukünftig müssen. Insbesondere die Darlegung eines Rückkehrwillens gegenüber dem Finanzamt im Wegzugszeitpunkt war somit nicht erforderlich. Ausreichend war allein die tatsächliche Rückkehr innerhalb des maßgebenden Zeitraums von bislang fünf (nunmehr sieben) Jahren, sofern auch die weiteren o. g. Voraussetzungen erfüllt sind. Zu beachten ist, dass die Entscheidung des BFH vom 21.12.22 zur alten Fassung von § 6 AStG ergangen ist und somit lediglich Sachverhalte bis einschließlich 31.12.21 betrifft. Dennoch dürfte die Entscheidung auf die neue Rechtslage insofern übertragbar sein, dass die tatsächliche Rückkehr ausreicht und keine Rückkehrabsicht im Zeitpunkt des Wegzugs glaubhaft zu machen ist. Zu beachten ist, dass nach den Ausführungen des BFH für eine Verlängerung der Rückkehroption ein entsprechender Rückkehrwille nachzuweisen sein dürfte.