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  • · Fachbeitrag · Gesellschaftsrecht

    Die Notgeschäftsführungsbefugnis des GbR-Gesellschafters: Spielräume und Grenzen

    von RA Dr. Jochen Blöse, FA f. Handels- und Gesellschaftsrecht, Mediator (CfM), Köln

    | In einer BGB-Gesellschaft besteht nach dem gesetzlichen Regelungsmodell sowohl Gesamtgeschäftsführungs- als auch Gesamtvertretungsbefugnis. Ist davon gesellschaftsvertraglich nicht abgewichen worden, sind Entscheidungen gemeinsam zu treffen und umzusetzen. Sind die Gesellschafter hierzu nicht in der Lage, kann das zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen. In bestimmten Fällen kommt hier eine Notgeschäftsführung in Betracht. Doch die Spielräume sind begrenzt. |

    1. Problemstellung

    Im Grundsatz ist diese Konsequenz gewollt. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass Maßnahmen wegen der engen Verbundenheit in der GbR eben gemeinsam beschlossen und umgesetzt werden sollen. Doch was ist, wenn Schäden drohen. Hier kann § 744 Abs. 2 BGB auf den Plan treten; eine Regelung aus dem Recht der Gemeinschaft, die auf die GbR analog angewendet wird. Die grundlegende Problemstellung soll an den folgenden beiden Beispielen verdeutlicht werden:

     

    • Beispiel 1

    Die A-GbR betreibt ihr Unternehmen in einem im Eigentum der Gesellschaft stehenden Bürogebäude. Nach einem heftigen Regenfall kommt es zu einem Wassereintritt in der oberen Etage. Eine Überprüfung ergibt, dass das Dach undicht ist. Der hinzugezogene Bausachverständige stellt fest, dass bei zukünftigen Regenfällen immer wieder Wasser eindringen wird und die Räume in der oberen Etage Schaden nehmen werden.

     

    X ist der Auffassung, dass man für die Reparatur des Dachs derzeit kein Geld ausgeben solle; man stehe am Anfang des Sommers und es sei in den nächsten Monaten kein Starkregen zu befürchten. Eine Entscheidung über die Dachsanierung solle daher auf den Herbst vertagt werden. Y besteht darauf, das Dach reparieren zu lassen. Der beauftragte Sachverständige habe schließlich auf die bestehende Gefährdung der Substanz des Gebäudes hingewiesen.

     

     

    • Beispiel 2

    Die A-GbR steht in Geschäftsbeziehungen mit der B-GmbH. Aus einer Warenlieferung steht der GbR ein Anspruch von 100.000 EUR gegen die B-GmbH zu. Die GmbH zahlt jedoch nur 90.000 EUR und teilt im Übrigen mit, dass man zwar einen Nachlass nicht vereinbart habe, jedoch einen branchenüblichen Rabatt von 10 % der Einfachheit halber vom Rechnungsbetrag abgezogen habe. Auch auf nachdrückliches Bitten der GbR wird die Restsumme nicht gezahlt.

    X vertritt die Auffassung, dass ein gewisser Nachlass ja in der Tat branchenüblich sei, auch wenn dieser nicht bei 10 % liege. Die B-GmbH könne sich zu einem guten Kunden entwickeln, den man nicht dadurch verärgern solle, dass man auf Zahlung des restlichen Kaufpreises bestehe. Y ist demgegenüber der Meinung, man solle die B-GmbH auf Zahlung des offenen Betrags verklagen. Der Kaufpreis sei ohnehin knapp kalkuliert gewesen. Die 10%ige Kürzung führe dazu, dass man mit dem Geschäft einen Verlust mache.

     

    X und Y können sich in beiden Fällen nicht über das weitere Vorgehen verständigen. Da vom gesetzlichen Regelfall der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis nicht durch gesellschaftsvertragliche Regelung abgewichen wurde, bedarf es für beide Entscheidungen der Einstimmigkeit. Dasselbe gilt für deren Umsetzung, d. h. die Beauftragung der Dachreparatur bzw. eines Rechtsanwalts mit der Klageerhebung. Da ein Einvernehmen nicht hergestellt werden kann, unterbleiben beide Maßnahmen. Y meint, dass beides zum Schaden der GbR ist und fragt sich, ob er in diesem Fall ‒ gestützt auf die Regelung des § 744 Abs. 2 BGB ‒ alleine zu handeln berechtigt ist.

    2. Anwendungsbereich des § 744 Abs. 2 BGB

    Nach dem Wortlaut der Vorschrift betrifft die Notgeschäftsführungsbefugnis nur Fälle, in denen die Gefährdung eines bestimmten Gegenstands des Gesellschaftsvermögens droht. Dies würde Beispiel 1 betreffen, in dem es um den Zustand des Gebäudes der GbR geht. Doch auch Beispiel 2 fällt in den Anwendungsbereich des § 744 Abs. 2 BGB, denn die Vorschrift umfasst auch die Geltendmachung von Rechten der Gesellschaft (Palandt-Sprau, BGB, § 744, Rz. 3).

     

    Allerdings ist damit die Reichweite des § 744 Abs. 2 BGB noch nicht erschöpft. Denn auch dann, wenn der Gesellschaft selbst Gefahr droht, kann sich ein Gesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen auf die Vorschrift berufen (BGH 26.6.18, II ZR 205/16, Tz. 24). Voraussetzung ist jedoch, dass die Gefahr akut ist und es zu ihrer Abwehr eines raschen Handelns bedarf.

     

    In Beispiel 2 käme unter diesem Gesichtspunkt eine Notgeschäftsführung nur dann in Betracht, wenn die Nichtgeltendmachung der Restforderung die Existenz der Gesellschaft gefährden würde. Denkbar wäre dies u. U. dann, wenn das Geld benötigt wird, um bestehende Verbindlichkeiten fälligkeitsgerecht zu bedienen. § 744 Abs. 2 BGB ist nicht heranzuziehen, wenn es ausschließlich darum geht, eine Forderung alleine geltend zu machen, weil der andere Gesellschafter die Mitwirkung an der Forderungseinziehung verweigert. Dann ist der klagewillige Gesellschafter darauf beschränkt, seinen Mitgesellschafter auf Mitwirkung zu verklagen (BGH 10.1.63, II ZR 95/61).

    3. Weitergehende Handlungsmöglichkeiten

    In bestimmten Konstellationen kann X allerdings trotz des Umstands, dass § 744 Abs. 2 BGB nicht einschlägig ist, alleine vorgehen. Dies ist ihm dann erlaubt, wenn dies unter Berücksichtigung der Interessenlage gerechtfertigt ist. Eine solche Rechtfertigung liegt insbesondere dann vor,

    • wenn der klagende Gesellschafter an der Geltendmachung der Forderung ein berechtigtes Interesse hat,
    • der andere Gesellschafter sich aus gesellschaftswidrigen Gründen weigert, an der Geltendmachung einer Forderung mitzuwirken und
    • der Schuldner zudem an dem gesellschaftswidrigen Verhalten beteiligt ist (OLG Köln 30.5.17, 22 U 69/16, Tz. 15-19).

     

    Beachten Sie | In einer solchen Konstellation wäre die Notwendigkeit, den anderen Gesellschafter, der mit dem Schuldner kollusiv zusammenwirkt, zu verklagen, ein unnötiger Umweg (BGH 10.1.63, II ZR 95/61, BGHZ 39, 14, 20).

     

    • Beispiel 3

    X und der Gesellschafter-Geschäftsführer der B-GmbH sind befreundet und haben verabredet, dass X einen gewissen Anteil an dem von der B-GmbH einbehaltenen „Zwangsrabatt“ erhalten soll.

     

    Liegt der Fall so, sind die Voraussetzungen für ein alleiniges Handeln des Y gegeben. Insbesondere verweigert X aus gesellschaftswidrigen Gründen die Mitwirkung an der Geltendmachung der Forderung. Dies geschieht, weil er den in Aussicht gestellten Anteil an dem einbehaltenen „Rabatt“ erhalten möchte. Die B-GmbH ist als Schuldnerin an dem gesellschaftswidrigen Verhalten des X beteiligt, denn sie hat diesen letztlich zu dem Verhalten angestiftet.

     

    Beachten Sie | Nicht zu verkennen ist allerdings, dass sich in der praktischen Anwendung erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Will Y im vorliegenden Fall ohne Mitwirkung des X die B-GmbH verklagen, so muss er die vorgenannten Voraussetzungen darlegen und im Bestreitensfall beweisen. Insbesondere die Mitwirkung der B-GmbH am gesellschaftswidrigen Verhalten des X wird dabei schwer darzulegen sein, da die Abrede zwischen X und dem Geschäftsführer der B-GmbH selbstverständlich im Stillen getroffen wurde. Richtig schwierig wird es, wenn schon unklar ist, ob das Verhalten eines Gesellschafters überhaupt objektiv gesellschaftswidrig ist.

     

    • Beispiel 4

    Die A-GbR hat Waren an die C-oHG geliefert. Diese verweigert die Zahlung des Kaufpreises wegen angeblicher Mangelhaftigkeit der erhaltenen Ware. X und Y diskutieren, ob die C-oHG auf Kaufpreiszahlung verklagt werden soll. X ist der Überzeugung, die oHG sei lediglich kaufreuig geworden. Y hingegen hält es für durchaus denkbar, dass tatsächlich ein Mangel gegeben sei.

     

    In einem solchen Fall, in dem tatsächlich die Möglichkeit besteht, dass die Einwendungen des Schuldners zutreffend sind, wird man regelmäßig nicht davon ausgehen können, dass die Verweigerung der Mitwirkung an der klageweisen Geltendmachung gesellschaftswidrig ist. Gleiches gilt auch in der folgenden Konstellation:

     

    • Beispiel 5

    Die Ausgangssituation entspricht dem Beispiel 4, jedoch ist diesmal auch Y der Meinung, dass die Ware mit großer Wahrscheinlichkeit mangelfrei gewesen sei. Er gibt aber zu bedenken, dass zur C-oHG eine bereits lang andauernde lukrative Geschäftsbeziehung besteht. Es sei zu befürchten, dass diese Kundenbeziehung Schaden nimmt, wenn man die Gesellschaft verklagt.

     

    Diese Überlegung des Y dürfte sich als unternehmerisches Kalkül im Rahmen seines Ermessensspielraums halten. Das heißt, seine Haltung wird auch dann nicht als gesellschaftswidrig anzusehen sein, wenn er Unrecht hat, die C-oHG also ‒ aus welchen Gründen auch immer ‒ die Geschäftsbeziehung auf jeden Fall, d. h. unabhängig von einer etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzung, aufrecht erhalten würde.

    4. Zusammenfassung

    • 1. Im Hinblick auf die im GbR-Recht angeordnete Gesamtgeschäftsführungs- und Gesamtvertretungsbefugnis müssen die Gesellschafter grundsätzlich zusammenwirken, um für die Gesellschaft Maßnahmen zu beschließen und umzusetzen.

     

    • 2. Kann Einvernehmen nicht herbeigeführt werden, kann dies zur Blockade der Gesellschaft führen.

     

    • 3. In bestimmten Fällen kann diese Blockade mithilfe der Vorschrift des § 744 Abs. 2 BGB überwunden werden. Danach kann ein Gesellschafter allein handeln, wenn einem Gegenstand aus dem Gesellschaftsvermögen ein Schaden droht.

     

    • 4. Über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehend kommt eine Handlungsbefugnis eines Gesellschafters auch dann in Betracht, wenn der Gesellschaft selbst ein Schaden droht.

     

    • 5. Über den Anwendungsbereich des § 744 Abs. 2 BGB hinausgehend kann ein Gesellschafter auch dann bei der Einziehung einer Forderung der Gesellschaft alleine tätig werden, wenn er daran ein berechtigtes Interesse hat, wenn die Verweigerung der Mitwirkung durch Mitgesellschafter gesellschaftswidrig ist und der Gesellschaftsschuldner an dem gesellschaftswidrigen Verhalten beteiligt ist.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Manfred Bengel, Die Notgeschäftsführung bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und bei der Erbengemeinschaft, ZEV 02, 484
    • Helmar Fichtelmann, Die „führungslose“ GmbH: Das sollte man bei der Bestellung von Notgeschäftsführern wissen!, GStB 18, 29
    Quelle: Ausgabe 11 / 2018 | Seite 402 | ID 45475534