· Fachbeitrag · Gewerbliche Infizierung
Personengesellschaften: Abfärbungsregelung auf dem Prüfstand des BFH
von StB Jan Böttcher, LL. M., Nürnberg
| Dem BFH liegen aktuell mehrere Revisionsverfahren zur sog. Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zur Entscheidung vor. Es ist zu erwarten, dass der BFH hierbei auch zu der Frage der Fortgeltung der sog. Bagatellgrenze nach den Änderungen durch das JStG 2019 Stellung nimmt. Die zu erwartenden Entscheidungen werden eine hohe Praxisrelevanz haben, welche auch schon im aktuellen Mandat zwingend beachtet werden sollte. |
1. Zur Ausgangssituation
Eine Personengesellschaft erzielt (originär) gewerbliche Einkünfte, wenn die Gesellschafter in ihrer Verbundenheit als Personengesellschaft ein gewerbliches Unternehmen betreiben. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Gesellschaft einen Gewerbebetrieb gem. § 15 Abs. 2 EStG unterhält. Bereits hier kann es zu steuerlichen Qualifikationsfragen kommen, z. B. ob im Rahmen einer Betriebsaufspaltung ein (originär gewerbliches) Besitzunternehmen begründet wurde oder ob verschiedene Tätigkeiten über eine Verklammerung zu einer einheitlichen Tätigkeit den Bereich der privaten Vermögensverwaltung überschreiten (vgl. BFH 8.6.17, IV R 30/14, BStBl II 17, 1061).
Darüber hinaus kann jedoch auch eine originär vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft kraft Fiktion des § 15 Abs. 3 EStG durch „Abfärbung“ (Nr. 1) oder „Prägung“ (Nr. 2) den Gesellschaftern gewerbliche Einkünfte vermitteln. Während die gewerblich geprägte GmbH & Co. KG i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG in diesem Zusammenhang oftmals gezielt zur Absicherung einer betrieblichen Verstrickung im Rahmen von Ausgliederungsmodellen oder eines Besitzunternehmens im Rahmen einer Betriebsaufspaltung gestalterisch genutzt wird, stellt sich die Abfärbung i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG regelmäßig als in der Praxis oft unterschätzte „Steuerfalle“ dar.
2. Abfärbung i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 EStG gilt die Tätigkeit der Personengesellschaften in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, wenn diese
- neben weiteren Tätigkeiten auch eine gewerbliche Tätigkeit ausüben (Alt. 1, sog. Seitwärtsinfektion) oder
- gewerbliche Einkünfte aus einer Mitunternehmerschaft beziehen (Alt. 2, sog. Aufwärtsinfektion).
Die Erfüllung einer der tatbestandlichen Alternativen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG führt dazu, dass sämtliche Einkünfte ‒ auch die nicht gewerblichen − als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren sind. Für diese gesetzlich angeordnete Umqualifikation der Einkünfte werden die Begriffe der „Abfärbung“ und „Infektion“ synonym verwendet.
MERKE | Von der Umqualifikation sind nicht nur Überschusseinkünfte nach den §§ 20, 21 EStG betroffen, sondern auch Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und freiberufliche Einkünfte. Eine Abfärbung scheidet jedoch bei teils freiberuflicher und teils vermögensverwaltender Tätigkeit aus ‒ § 18 Abs. 4 EStG sieht insoweit keine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 3 EStG vor. |
Insbesondere bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften ist zu beachten, dass die Abfärbung hier auch zu einer steuerlichen Verstrickung der Wirtschaftsgüter im Betriebsvermögen führt. Bei grundbesitzenden Gesellschaften erfolgt die Einlage in das Betriebsvermögen zwar nach dem Grundsatz des § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 EStG zum Teilwert, soweit die Anschaffung/Herstellung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Buchst. a EStG nicht innerhalb der letzten drei Jahre erfolgte; dies stellt jedoch für sich keinen veräußerungsgleichen Vorgang dar, jedoch ist in einer „Schattenrechnung“ die zehnjährige Spekulationsfrist fortzuführen (vgl. § 23 Abs. 1 S. 5 Nr. 1 EStG). Die betriebliche Verstrickung vollzieht sich somit grundsätzlich steuerneutral. Weiter zuwachsende stille Reserven sind jedoch dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG entzogen.
3. Seitwärtsinfektion
Eine Personengesellschaft, die neben weiteren Tätigkeiten auch eine gewerbliche Tätigkeit ausübt, kann grds. keine weiteren Einkunftsarten verwirklichen (zur Frage der Abfärbung bei geringfügig gewerblicher Tätigkeit siehe unten).
Insbesondere im Bereich freiberuflicher Gesellschaften ist zu beachten, dass es für das Greifen der gewerblichen Infektion i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 1 EStG reicht, dass nur ein Gesellschafter nicht gem. § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG leitend und eigenverantwortlich tätig ist. So hat aktuell das FG Rheinland-Pfalz (16.9.21, 4 K 1270/19, Rev. BFH: VIII R 4/22) die Einkünfte einer zahnärztlichen PartG als vollständig gewerblich infiziert eingestuft, da es nicht mehr dem Leitbild der selbstständig ausgeübten Tätigkeit als Zahnarzt entspreche, wenn ein Mitunternehmer (Zahnarzt) ganz überwiegend nur noch Organisations-, Verwaltungs- und Managementtätigkeiten ausübt und nur in geringem Umfang eigene zahnärztliche Beratungs- oder Behandlungsleistungen unmittelbar an Patienten erbringt. Entsprechendes gilt, wenn ein Gesellschafter zwar Freiberufler, aber ohne eigenen Tätigkeitsbeitrag nur kapitalmäßig beteiligt ist (vgl. OFD Hannover 1.7.07, G 1401-24-StO 252).
Beachten Sie | Nach dem klaren Wortlaut der Norm werden nur Personengesellschaften erfasst. Einzelunternehmen sind daher von vornherein außen vor.
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Ein Ingenieurbüro in der Rechtsform einer GbR verkauft im Zusammenhang mit der ingenieurmäßigen Beratung ihren Kunden Software zur Verwertung der ausgearbeiteten Lösungen. |
Der Ankauf und Verkauf von Waren ist der freiberuflichen Tätigkeit derart wesensfremd, dass sie zur gewerblichen Prägung der einheitlichen Gesamtbetätigung führt (BFH 24.4.97, IV R 60/95, BStBl II 97, 567). Ein Ingenieur-Einzelunternehmen würde dagegen in zwei betriebliche Sphären aufgeteilt werden und sowohl Einkünfte aus selbstständiger Arbeit gem. § 18 EStG aus der beratenden Tätigkeit als auch gewerbliche Einkünfte gem. § 15 EStG aus dem Verkauf von Computerhardware erzielen. |
Beachten Sie | Ebenso kommt es nicht auf die Grundsätze einer Mitunternehmerschaft nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG an, d. h. Bruchteilsgemeinschaften, Erbengemeinschaften und eheliche Gütergemeinschaften werden grds. nicht von der Abfärbungsregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG umfasst, da es sich hierbei zivilrechtlich nicht um Personengesellschaften handelt.
3.1 Keine Abfärbung aus dem Sonder-BV
Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG muss die Gesellschaft selbst die gewerbliche Tätigkeit ausüben. Gewerbliche Einkünfte im Sonderbereich eines Gesellschafters führen daher nicht zu einer Abfärbung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auf die Einkünfte der Gesellschaft im Gesamthandsbereich (vgl. BFH 28.6.06, XI R 31/05, BStBl. II 07, 378). Eine Abfärbung kann daher gezielt vermieden werden, wenn einzelne Gesellschafter gewerbeverdächtige Tätigkeiten im eigenen Namen und für eigene Rechnung ausüben und von der Gesellschaft mit den dafür entstehenden Kosten belastet werden. Derartige Tätigkeiten sind der Gesellschaft nicht zuzurechnen (vgl. Korn, DStR 95, 1249). Wesentlich ist, dass die Rechnungsstellung, insbesondere bei Freiberuflern, hierbei nicht im Namen der Gesellschaft erfolgt.
3.2 Gestaltung über Schwester-Gesellschaften
Die Rechtsfolge des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 1 EStG kann nach der Rechtsprechung des BFH auch durch gezielte Ausgliederung der gewerblichen Tätigkeit auf eine (personenidentische) zweite Gesellschaft vermieden werden (vgl. BFH 13.11.97, IV R 67/96, BStBl II 98, 254; 19.2.98, IV R 11/97, BStBl II 98, 603). Ein Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO wird insofern nicht angenommen.
MERKE | Die Gründung einer solchen Schwester-GbR ist dem Grunde nach formfrei möglich. Die Finanzverwaltung hat jedoch in ihrem BMF-Schreiben vom 14.5.97 (BStBl I 97, 566) Spielregeln aufgestellt, die in der Praxis zur Vermeidung von Diskussionen mit dem FA unbedingt beachtet werden sollten. Hiernach soll zur eindeutigen Abgrenzung der Tätigkeit der gewerblichen Gesellschaft
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4. Greift (noch) eine Bagatellgrenze?
4.1 Seitwärtsinfektion
Für die Fälle der Seitwärtsinfektion hat der BFH mit Urteil vom 27.8.14 (VIII R 16/11, BStBl II 15, 996) eine Bagatellgrenze definiert, nach welcher bei geringem Umfang gewerblicher Tätigkeit von den Rechtsfolgen der Umqualifikation abzusehen sei. Hierbei dürfen die gewerblichen Nettoumsatzerlöse 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse der Gesellschaft und den Betrag von 24.500 EUR im Veranlagungszeitraum als Obergrenze nicht übersteigen. Die Finanzverwaltung erkennt diese Grundsätze an (vgl. H 15.8 [5]. EStH „Bagatellgrenze“).
MERKE | Unklar ist, was denn in den Fällen des Greifens der Bagatellregelung für die (anteiligen) gewerblichen Einkünfte der Gesellschaft gilt. Der BFH geht in seinem Urteil vom 27.8.14 (VIII R 6/12, BStBl II 15, 1002) offensichtlich von einer „Entfärbung“ der Einkünfte aus. M. E. gibt das Gesetz für eine spiegelbildliche Umqualifizierung nichts her, sodass tatbestandlich der Gesellschaft, wie bei einem Einzelunternehmen, verschiedene Einkünfte zuzurechnen wären. Die FA greifen diese Frage in der Praxis jedoch regelmäßig nicht auf und ordnen die gewerblichen Einkünfte auch den „Haupteinkünften“ zu. |
Unsicher ist, ob der BFH an diesen Grundsätzen weiter festhalten wird bzw. kann. Denn auf die nachfolgende Entscheidung des IV. Senats des BFH, dass negative Einkünfte aus einer gewerblichen Tätigkeit nicht zu einer Umqualifizierung der nicht gewerblichen Einkünfte einer Personengesellschaft führen können (vgl. BFH 12.4.18, IV R 5/15, BStBl II 20, 118), hat der Gesetzgeber mit einem Kontergesetz reagiert und mit dem JStG 2019 den § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG um einen S. 2 ergänzt. Hiernach greift die Abfärberegelung nunmehr ausdrücklich ‒ auch für VZ vor 2019 (vgl. § 52 Abs. 23 S. 1 EStG) ‒ unabhängig davon, ob ein gewerblicher Gewinn oder Verlust erzielt wird.
Zwar ging der Gesetzgeber selbst von einer Fortgeltung der Bagatellgrenze aus (vgl. BT-Drucks. 19/13436, 96), jedoch findet sich eine Geringfügigkeitsgrenze nicht im Wortlaut des Gesetzes wieder ‒ die Abfärbung durch gewerbliche Verluste aber sehr wohl. Es wirkt systematisch nicht gerade überzeugend, wenn jegliche positiven und negativen gewerblichen Einkünfte eine Abfärbewirkung auslösen sollen, dieses jedoch nur dann, wenn diese die obigen Umsatzgrenzen übersteigen.
In der Literatur stehen daher namhafte Vertreter einer Fortgeltung der durch die Rechtsprechung entwickelten Bagatellgrenze auch kritisch gegenüber (vgl. Stapperfend u. a., H/H/R, § 15 EStG Rz. 1426, „Bisherige Geringfügigkeitsgrenze nicht mehr haltbar“; Wendt FR 22, 473 „Wo bleibt da noch Raum für eine umsatzbezogene Grenze?“). Die weitere Rechtsentwicklung bleibt hier abzuwarten.
4.2 Sonderfall Liebhaberei bei PV-Anlagen
Tatbestandsmerkmal des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ist eine mit Einkünfteerzielung unternommene Tätigkeit. Stellt man m. E. in zutreffender Weise auf den Zeitpunkt vor der Umqualifizierung der Einkünfte ab (vgl. Eisgruber, DStR 95, 1569), könnten sich aktuell Personengesellschaften mit PV-Anlagen, für welche das Wahlrecht zur Liebhabereioption nach dem BMF-Schreiben vom 29.10.21 wirksam wahrgenommen wurde, im „sicheren Hafen“ wähnen ‒ unabhängig von der aktuellen Diskussion der Fortgeltung der obigen Bagatellgrenzen.
M. E. ist dies ein Trugschluss! Eine gesetzliche Regelung ist auch nach den aktuellen Diskussionen um eine Erhöhung der maßgeblichen „Unschädlichkeitsgrenze“ auf Anlagen mit bis 30 kWp nicht in Sicht. Vielmehr befindet sich hier eine entsprechende kodifizierte Umsetzung (z. B. durch Aufnahme eines Unschädlichkeitskatalogs entsprechend § 9 Nr. 1 S. 3 Buchst. b GewStG i. d. F. des FoStoG in die Regelungen des § 21 EStG) weiterhin in der parlamentarischen Diskussion (vgl. Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Klimaschutz und Energie, BT-Drs. 20/2580, S. 10 unter Pkt. 7). § 15 EStG kennt ein solches „Abwahlrecht“ jedoch nicht, de facto liegen daher in entsprechenden Fällen ‒ nach wie vor ‒ originär gewerbliche Einkünfte i. S. d. § 15 Abs. 2 EStG bei Einspeise-Anlagen vor. Die Aussage, durch eine wirksame Antragstellung auf Liebhaberei werde kein Einkunftstatbestand gem. § 15 Abs. 2 S. 1 EStG (mehr) erfüllt, ist daher de lege lata unzutreffend.
Aufgrund der engen Auslegung des Wahlrechts hinsichtlich der Schädlichkeit weitergehender Verpachtungseinkünfte der Gesellschaft auch bei reinen Einspeiseanlagen (vgl. Merkblatt des BayLfSt, Stand: Januar 2022), dürfte die Praxisrelevanz jedoch gering sein.
4.3 Aufwärtsinfektion
Eine (nicht gewerblich tätige) Personengesellschaft erzielt gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte, soweit diese gewerbliche Einkünfte aus einer Mitunternehmerschaft bezieht. In diesem Fall infizieren die gewerblichen Einkünfte der Untergesellschaft die nicht gewerblichen Einkünfte der Obergesellschaft (Aufwärtsinfektion).
MERKE | Nach Ansicht des BFH genügt für den Eintritt der Abfärbewirkung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG nicht bereits eine mitunternehmerische Beteiligung der Ober- an der Untergesellschaft. Erforderlich sei nach dem Wortlaut der Regelung gerade, dass die Gesellschaft Gewinnanteile i. S. v. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 „bezieht“ (vgl. BFH 26.6.14, IV R 5/11, BStBl II 14, 972). Durch das JStG 2019 wurde zwar auch für die Fälle der Aufwärtsabfärbung die Regelung in das Gesetz aufgenommen, dass diese unabhängig davon eingreift, ob die Beteiligungseinkünfte positiv oder negativ sind. Damit wurde jedoch nicht die Voraussetzung abgeschafft, dass überhaupt ein Bezug von Einkünften im maßgeblichen Veranlagungszeitraum erfolgen muss (vgl. FG Berlin-Brandenburg 11.3.21, 6 K 6322/17, Rev. BFH: IV R 10/21). |
Anders als in den Fällen der Seitwärtsabfärbung sieht der BFH jedoch keinen Grund, in die Regelung eine Bagatellgrenze hineinzulesen. Danach führt jede Beteiligung, aus der die Gesellschaft gewerbliche Einkünfte bezieht, zu einer Umqualifizierung aller weiteren Einkünfte dieser Gesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG.
Beachten Sie | Das soll nach Ansicht des IV. Senats des BFH jedoch nicht für die Gewerbesteuer gelten. Denn § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG soll verfassungskonform dahin auszulegen sein, dass ein Unternehmen, welches nur aufgrund der Abfärbung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte erzielt, nicht gleichsam als nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt (vgl. BFH 6.6.19, IV R 30/16).
Die Finanzverwaltung nahm diesen Spielball gerne auf und wendet das Urteil (nur) insoweit an, als dass es unabhängig vom Umfang der Einkünfte, welche der Personengesellschaft aus einer Mitunternehmerstellung zugerechnet werden, in vollem Umfang gewerbliche Einkünfte annimmt. Dieser Grundsatz gilt auch in Verlustfällen. Da der BFH jedoch in der obigen Entscheidung nicht über gewerbesteuerliche Fragen zu entscheiden hatte, seien die vom IV. Senat des BFH getroffenen Feststellungen (= kein gewerbliches Unternehmen i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG) nicht allgemein anzuwenden (vgl. gleichlautende Ländererlasse v. 1.10.20, BStBl I 20, 1032).
Also im Ergebnis: Keine Anwendung der Bagatellgrenze in Fällen der Aufwärtsinfektion und in der Folge auch volle GewSt-Pflicht der Gesellschaft.
5. Aktuelle Revisionsverfahren vor dem BFH
Nunmehr liegen dem BFH gleich zwei „Klassiker“ der Aufwärtsinfektion zur Entscheidung vor:
- Beteiligungseinkünfte einer freiberuflichen Personengesellschaft: Der VIII. Senat muss darüber entscheiden, ob geringfügige gewerbliche Beteiligungseinkünfte einer Freiberufler-Personengesellschaft dazu führen, dass die Gesellschaft insgesamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt und auch der Gewerbesteuer unterliegt. Klägerin ist eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB). Diese war zur Refinanzierung einer Pensionszusage an einer GmbH & Co. KG beteiligt; die hieraus erzielten Beteiligungseinkünfte machten nicht einmal 0,2 % des Gesamtumsatzes der Kanzlei aus. Das Revisionsverfahren ist unter VIII R 1/22 beim BFH anhängig.
- Beteiligungseinkünfte einer Vermietungs-GbR: Der IV. Senat des BFH muss entscheiden, ob die Aufwärtsabfärbung bei einer GbR, welche Einkünfte i. S. d. § 21 EStG aus der Vermietung eines Mehrfamilienhauses mit einem Ladenlokal erzielt, greift, wenn diese sich an einer GmbH & Co. KG beteiligt und hieraus gewerbliche Einkünfte erzielt. Die Besonderheit liegt in dem Fall darin, dass die GbR aus der (Fonds-)Beteiligung nur Verluste erlitt, welche jedoch aufgrund des § 15a EStG nicht als laufende steuerliche Einkünfte anzusetzen waren. Das Revisionsverfahren ist unter IV R 18/22 beim BFH anhängig.
In beiden Verfahren wird der BFH die Frage beantworten müssen, ob die Bagatellgrenze auch bei Beteiligungseinkünften i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG greift. Aufgrund der Einfügung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 EStG ist es nicht auszuschließen, dass der VIII. und/oder IV. Senat die Gelegenheit nutzen wird, zur generellen Anwendbarkeit einer Geringfügigkeitsgrenze im Rahmen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG Stellung zu nehmen.
Dem VIII. Senat liegt darüber hinaus (ausdrücklich) die Frage zur Entscheidung vor, ob ein gewerbliches Unternehmen i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt. Allerdings hat der VIII. Senat über eine „infizierte“ freiberufliche Personengesellschaft zu entscheiden, der IV. Senat sah (lediglich) bei einer vermögensverwaltenden Gesellschaft keinen gewerbesteuerlichen Gewerbebetrieb gem. § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG.
FAZIT | Die Abfärbungsregelungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG werfen in der Praxis zahlreiche ungelöste Fragen auf. Insbesondere die Anwendung einer Bagatellgrenze nach den Änderungen des JStG 2019 ‒ und zwar für Fälle der Aufwärts- als auch der Seitwärtsinfektion ‒ ist hier aktuell höchst unsicher.
Der Praktiker darf hier keineswegs auf die „alte“ Rechtsprechung vertrauen. Die Finanzverwaltung erkennt diese lediglich in den EStH an, die Versagung einer Geringfügigkeitsgrenze bei den abzufärbenden Einkünften nach der Einfügung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 EStG wäre keine Änderung der Rechtsprechung des BFH.
Kurzum: Ein Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 oder 2 AO wird für aktuelle Fälle kaum zu erreichen sein. Auch in aktuellen Fällen der Erzielung gewerblicher Einkünfte einer sonst nicht gewerblich tätigen Personengesellschaft im Bagatellbereich sollte daher m. E. aktiv Vorsorge gegen eine Seitwärtsinfektion nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 1 EStG betrieben werden. Die Mittel hierfür sind vom BFH abgesegnet und i. d. R. unproblematisch umsetzbar (siehe oben: Zuordnung gewerbl. Einkünfte zum Sonderbereich der Gesellschafter, Auslagerung der Tätigkeiten auf personenidentische Schwestergesellschaft).
Äußerst kritisch sind mitunternehmerische Beteiligungen freiberuflicher oder vermögensverwaltender Personengesellschaften einzuschätzen. Nach aktuellem Stand sind hier auch „Zwergbeteiligungen“ schädlich und infizieren gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG sämtliche Einkünfte der Personengesellschaft. Dies unabhängig, in welcher Höhe aus der Beteiligung Gewinne oder Verluste erzielt werden.
Insbesondere bei den beliebten Gestaltungen eines vermögensverwaltenden Familienpools in der Rechtsform einer GbR oder KG ist durch entsprechende Tax CMS oder (dokumentierte) Mandanteninformationen sicherzustellen, dass keine Investments in GmbH & Co. KG-Fondsstrukturen o. Ä. erfolgen. Es sei denn, diese Gestaltung soll gezielt genutzt werden, um privates Immobilienvermögen zunächst gewerblich zu verstricken, um dann anschließend eine Entnahme ins Privatvermögen durch Beendigung der Abfärbung durchzuführen. Dies könnte angestrebt werden, um den höheren Entnahmewert künftig (wieder) im Privatvermögen abzuschreiben (vgl. BFH 22.2.21, IX R 13/19). |