· Fachbeitrag · Immobilientransaktionen
Gefahr der Doppelbesteuerung mit GrESt bei Share Deals durch das JStG 2022 „eingedämmt“?
von Dipl.-Finw. (FH) Thomas Rennar, Hannover
| Trotz des massiv gestiegenen Kreditzinsniveaus spielen Immobilientransaktionen weiterhin eine tragende Investmentrolle. Hierbei sind auch weiterhin Share-Deal-Transaktionen von praktischer Bedeutung. Die beiden Rechtsvorgänge ‒ sog. Signing und Closing ‒ stellen nach Auffassung der Finanzverwaltung bisher zwei grunderwerbsteuerliche Rechtsvorgänge dar. Nun hat der Gesetzgeber mit dem JStG 2022 aber mit § 16 Abs. 4a GrEStG n. F. eine Verfahrensregelung eingeführt, die auf Antrag zu einer Aufhebung oder Änderung in Share-Deal-Fällen führen soll. Inwieweit das Ziel der Vermeidung einer Doppelbesteuerung in derartigen Einzelfällen durch Implementierung des § 16 Abs. 4a GrEStG n. F. tatsächlich erreicht werden kann oder ob die Vorschrift sogar gegenteilig wirkt, wird nachfolgend kritisch betrachtet. |
1. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf
1.1 Steuerausfallrisiko war Gesetzgeber ein Dorn im Auge
Der Gesetzgeber ging schon lange davon aus, dass das Gestaltungsmodell „Share Deals“ in der bisherigen Rechtslage bei hochpreisigen Transaktionen zu durchaus nennenswerten Steuermindereinnahmen geführt hat. Allerdings konnten die Steuerausfälle nicht genau beziffert werden, da über steuerfreie Transaktionen vonseiten der Länder keine Aufzeichnungen geführt wurden. Zwar dürfte das Gestaltungsmodell durch die jüngsten gesetzgeberischen Maßnahmen in größerem Umfang zurückgedrängt worden sein, da durch die neuen Regelungen erhebliche Planungsunsicherheiten für die Steuerpflichtigen eingetreten sind. Doch der tatsächliche Erfolg bleibt mangels Datensicherheit „im Dunkeln“ (vgl. BT-Drucks. 19/13437).
1.2 Drohende Doppelbesteuerung desselben Lebenssachverhalts
Ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer Gesellschaft begründet, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt würden. Dasselbe gilt, wenn eine solche Anteilsvereinigung in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder Personen oder aber in der Hand von abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen allein erfolgen würde.
Wenn in Erfüllung desselben Rechtsgeschäfts die Übertragung der Anteile an der Gesellschaft zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, unterliegt diese gem. § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG ebenfalls der Grunderwerbsteuer. Der in § 1 Abs. 3 Hs. 1 GrEStG normierte gesetzliche Anwendungsvorrang des § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG gilt hierbei nicht, wenn der Abschluss des Rechtsgeschäfts und die Anteilsübertragung zeitlich auseinanderfallen. Da es sich in einem solchen Fall um zwei Erwerbsvorgänge innerhalb desselben Lebenssachverhalts handelt, ist eine zweimalige Besteuerung mit der Grunderwerbsteuer gesetzgeberisch nicht gewollt.
1.3 Gesetzesinitiative durch das JStG 2022
Der Gesetzgeber hat aus diesem Anlass einen neuen verfahrensrechtlich wirkenden § 16 Abs. 4a GrEStG n. F. implementiert. Dieser ermöglicht nun auf Antrag eine Aufhebung oder Änderung der aufgrund des entsprechenden Rechtsgeschäfts festgesetzten Grunderwerbsteuer. Gleiches gilt für Festsetzungen nach § 1 Abs. 3a GrEStG (sog. Auffangtatbestand). Damit im Falle eines Antrags nach § 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG n. F. nur eine Steuerfestsetzung nach § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG sichergestellt werden kann, wird deren Festsetzungsfrist gem. § 16 Abs. 4a S. 2 GrEStG verlängert. Die Vorschrift des § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG n. F. setzt für ihre Anwendung somit eine fristgerechte und in allen Teilen vollständige Anzeige (vgl. §§ 18 bis 20 GrEStG) voraus. Dies gilt für die neu einzuführende Änderungsvorschrift sowohl in Bezug auf den Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder des § 1 Abs. 3a GrEStG, dessen Festsetzung auf Antrag unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 4a GrEStG n. F. aufzuheben oder zu ändern ist, als auch in Bezug auf den in § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgang (vgl. BT-Drucks. 20/3879, nachfolgend 20/4229).
1.4 Risiko der Doppelbesteuerung bei Anzeigedefiziten
Die beiden Rechtsvorgänge (Signing und Closing) stellen nach Auffassung der Finanzverwaltung bisher zwei grunderwerbsteuerliche Rechtsvorgänge dar. Die Einführung der neuen Verfahrensregelung des § 16 Abs. 4a GrStG n. F. soll nach den gesetzgeberischen Änderungen insoweit nicht gelten, wenn einer der bezeichneten Erwerbsvorgänge nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt wurde. Damit besteht durch die Rückausnahme des § 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG n. F. zur Korrekturmöglichkeit in Signing-Closing-Fällen weiterhin ein Risiko der Doppelbesteuerung mit GrEStG bei zukünftigen Anzeigedefiziten (regelmäßig fehlende, fehlerhafte oder gar Mehrfachanzeigen bei entsprechenden Erwerbsakten).
Dieses Risiko verstärkt sich durch die umfassenden Anzeigeninhalte bei Share-Deal-Transaktionen. Anzeigen, die sich auf Anteile an einer Gesellschaft beziehen, müssen nach § 20 Abs. 2 GrEStG nämlich enthalten:
- Die Firma, den Ort der Geschäftsführung sowie die Wirtschafts-Identifikationsnummer der Gesellschaft gem. § 139c AO; bis zur Einführung der Wirtschafts-Identifikationsnummer ist die Register- und die für die Besteuerung nach dem Einkommen vergebene Steuernummer der Gesellschaft anzugeben;
- Die Bezeichnung des Gesellschaftsanteils oder der -anteile;
- Bei mehreren beteiligten Rechtsträgern eine Beteiligungsübersicht.
Die Anzeigepflichtigen haben letztlich innerhalb von zwei Wochen, nachdem sie von dem anzeigepflichtigen Vorgang Kenntnis erhalten haben, den Vorgang anzuzeigen. Dies gilt selbst dann, wenn der Vorgang von der Besteuerung ausgenommen ist. Die Frist verlängert sich auf einen Monat für den Steuerschuldner, der eine natürliche Person ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, eine Kapitalgesellschaft ohne Geschäftsleitung oder Sitz im Inland oder eine Personengesellschaft ohne Ort der Geschäftsführung im Inland ist. Die Anzeigen sind an das für die Besteuerung bzw. an das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt zu richten. Ist über den anzeigepflichtigen Vorgang eine privatschriftliche Urkunde aufgenommen worden, so ist der Anzeige eine Abschrift der Urkunde beizufügen. Es handelt sich bei den Anzeigen insoweit um Steuererklärungen i. S. d. AO. Sie sind schriftlich abzugeben. Sie können gem. § 87a AO auch in elektronischer Form übermittelt werden (vgl. § 19 Abs. 3 ff. GrEStG).
MERKE | Ein elektronisches Dokument ist zugegangen, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung es in für den Empfänger bearbeitbarer Weise aufgezeichnet hat. Ob und wann der Empfänger das bearbeitbare Dokument tatsächlich zur Kenntnis nimmt, ist für den Zeitpunkt des Zugangs unbeachtlich (vgl. AEAO zu § 87a AO, Nr. 2.1). |
2. „Signing & Closing“-Fälle in der Praxis
2.1 Allgemeines
Mit Übergang der Anteile (Closing) werden sowohl § 1 Abs. 2b GrEStG als auch § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder 4 GrEStG verwirklicht. Ändert sich der Gesellschafterbestand einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft im Nachgang eines schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts (Signing), fallen die Besteuerungszeitpunkte des § 1 Abs. 2b GrEStG und des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 GrEStG auseinander: Während mit Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts (Signing) der § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 3 GrEStG verwirklicht wird, wird der Tatbestand des § 1 Abs. 2b GrEStG erfüllt, wenn es zum Übergang des Anteils (Closing) an der Kapitalgesellschaft kommt. Die beiden Rechtsvorgänge (Signing und Closing) stellen somit zwei grunderwerbsteuerrechtliche Vorgänge dar (vgl. Oberste Finanzbehörden der Länder 10.5.22, BStBl I 22, 821).
2.2 Verpflichtungsgeschäft (Signing)
Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegen der Grunderwerbsteuer, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG nicht in Betracht kommt, nach § 1 Abs. 3 GrEStG außerdem:
- ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers oder in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen oder in der Hand von abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen allein vereinigt werden würden;
- die Vereinigung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft, wenn kein vorbezeichnet schuldrechtliches Geschäft vorausgegangen ist;
- ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft begründet;
- der Übergang unmittelbar oder mittelbar von mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen, wenn kein vorbezeichnet schuldrechtliches Geschäft vorausgegangen ist.
2.3 Anteilsübergang (Closing)
Gehört zum Vermögen einer Kapitalgesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich innerhalb von zehn Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt, dass mindestens 90 % der Anteile der Gesellschaft auf neue Gesellschafter übergehen, gilt dies nach § 1 Abs. 2b GrEStG als ein auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Kapitalgesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft. Mittelbare Änderungen im Gesellschafterbestand von den an einer Kapitalgesellschaft beteiligten Personengesellschaften werden durch Multiplikation der Vomhundertsätze der Anteile der Gesellschaft anteilig berücksichtigt. Ist eine Kapitalgesellschaft an einer Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt, gilt dies entsprechend. Eine unmittelbar beteiligte Kapitalgesellschaft gilt in vollem Umfang als neue Gesellschafterin, wenn an ihr mindestens 90 % der Anteile auf neue Gesellschafter übergehen. Bei mehrstufigen Beteiligungen gilt dieses auf der Ebene jeder mittelbar beteiligten Kapitalgesellschaft entsprechend.
Beachten Sie | Bei der Ermittlung des Vomhundertsatzes bleibt der Erwerb von Anteilen von Todes wegen außer Betracht.
2.4 Verfahrensrechtliche Abläufe
Im Zeitpunkt des sog. Signings erfolgt eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 GrEStG. Im Zeitpunkt des Closings erfolgt hingegen eine Festsetzung nach § 1 Abs. 2b GrEStG und die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 GrEStG (im Zeitpunkt des Signing) ist bei Grundstücksidentität aufzuheben oder zu ändern. Eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 GrEStG ist aber grundsätzlich nur in den Fällen geboten, in denen bis zu einem Jahr nach Kenntnisnahme der Finanzverwaltung von dem steuerbegründenden Sachverhalt eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG nicht zu erwarten ist. Zudem muss der Grundstücksbestand im Zeitpunkt des Closings und Signings identisch sein (vgl. Oberste Finanzbehörden der Länder 10.05.22, BStBl I 22, 821).
Die §§ 172 ff. AO regeln hierbei die Durchbrechung der materiellen Bestandskraft (sog. Verbindlichkeit einer Verwaltungsentscheidung). Sie ist von der formellen Bestandskraft (sog. Unanfechtbarkeit) zu unterscheiden. Diese liegt vor, soweit ein Verwaltungsakt nicht oder nicht mehr mit Rechtsbehelfen angefochten werden kann. Unanfechtbarkeit bedeutet nicht Unabänderbarkeit. Dementsprechend können auch Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung unanfechtbar werden (vgl. bereits BFH 19.12.85, V R 167/82, BStBl II 86, 420). Die Vorschriften über die materielle Bestandskraft gelten demnach für Steuerfestsetzungen i. S. d. § 155 AO sowie für alle Festsetzungen, für die die Vorschriften über das Steuerfestsetzungsverfahren anzuwenden sind. Keine Anwendung finden sie bei der Rücknahme eines rechtswidrigen und dem Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden oder nicht begünstigenden sonstigen Verwaltungsakts.
Die materielle Bestandskraft wird nur durchbrochen, soweit es das Gesetz zulässt. Die Zulässigkeit ergibt sich nicht nur aus der Abgabenordnung selbst, sondern auch aus anderen Steuergesetzen. Die falsche Bezeichnung der Änderungsvorschrift im Änderungsbescheid führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit des geänderten Bescheids (vgl. BFH 21.10.14, VIII R 44/11, BStBl II 15, 593). Für die Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids ist allein maßgeblich, dass er im Zeitpunkt seines Erlasses durch eine Änderungsmöglichkeit gedeckt ist (vgl. AEAO vor §§ 172 bis 177 AO, Nr. 1 ff., m. w. N.).
FAZIT | Durch die grunderwerbsteuerlichen Neuregelungen durch das JStG 2022 droht nunmehr bereits von Gesetzes wegen das Risiko einer Doppelbesteuerung mit Grunderwerbsteuer in Share-Deal-Einzelfällen. Dieses gilt insbesondere vor dem Hintergrund etwaiger Anzeigedefizite entsprechender Erwerbsakte. Die neu regelnde Vorschrift des § 16 Abs. 4a GrEStG n. F. gilt demnach nicht, wenn einer der bezeichneten Erwerbsvorgänge nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt wurde. Im Ergebnis sollte daher in „Signing Closing“-Fällen explizit auf eine fristgemäße und vollständige Anzeigepflicht geachtet werden.
Die Anzeigepflichtigen haben letztlich innerhalb von zwei Wochen, nachdem sie von dem anzeigepflichtigen Vorgang Kenntnis erhalten haben, den Vorgang anzuzeigen, und zwar auch dann, wenn der Vorgang von der Besteuerung ausgenommen ist, wobei die Anzeigen als Steuererklärungen i. S. d. Abgabenordnung gelten (vgl. § 19 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 5 S. 1 GrEStG). Praktische Schwierigkeiten zur Anzeigepflicht ergeben sich daher auch gerade bei einer strittigen Grundstückszurechnung in mehrstufigen Beteiligungsstrukturen (vgl. hierzu detailliert Rennar, ErbStB 22, 371). |