Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 07.01.2025 · IWW-Abrufnummer 245762

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 06.11.2024 – 7 K 105/24 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster, Urteil vom 06.11.2024, Az. 7 K 105/24 E

    Tenor:

    Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid 2022 vom 31.08.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.01.2024 dahingehend zu ändern, dass aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 3.769 € berücksichtigt werden.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

     
    1
    Tatbestand:

    2
    Streitig ist, ob im Veranlagungszeitraum 2022 (Streitjahr) abgeflossene Ausgaben, die wirtschaftlich den Vorjahren zuzuordnen sind, als Betriebsausgaben bei einer unter § 3 Nr. 72 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fallenden Photovoltaikanlage zu berücksichtigen sind.

    3
    Der Kläger betrieb im Streitjahr eine Photovoltaikanlage mit einer installierten Bruttoleistung von 14,5 kW (peak) auf seinem Familienhaus. Für die Erstellung der Gewinnermittlungen und Umsatzsteuererklärungen der Veranlagungsjahre 2016 bis 2021 durch seinen Prozessbevollmächtigten zahlte der Kläger im Streitjahr einen Betrag in Höhe von 2.277,60 €. Zudem leistete er für die Umsatzsteuern 2016 bis 2020 Zahlungen in Höhe von 1.491,42 € an den Beklagten.

    4
    Neben seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr übermittelte der Kläger für den Betrieb dieser Photovoltaikanlage eine Gewinnermittlung in Form einer Einnahmenüberschussrechnung. Darin erklärte er einen Verlust in Höhe von ./. 8.199 €.

    5
    Mit Einkommensteuerbescheid 2022 vom 31.08.2023 setzte der Beklagte die Einkommensteuer fest. Den erklärten Verlust berücksichtigte der Beklagte dabei unter Verweis auf Tz. 11 des BMF-Schreibens vom 17.07.2023 nicht.

    6
    Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und beantragte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit einem Ausgabenüberschuss in Höhe von nunmehr 3.769,02 € zu berücksichtigen. Die geltend gemachten Betriebsausgaben stünden nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen des Jahres 2022 sondern vielmehr in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerpflichtigen Einnahmen aller Vorjahre. Daher unterlägen diese Betriebsausgaben nicht der Regelung des § 3c Abs. 1 EStG.

    7
    Mit Einspruchsentscheidung vom 08.01.2024 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Einkünfte aus der Photovoltaikanlage fielen unter die ab dem 01.01.2022 anzuwendende Steuerbefreiung des § 3 Nr. 72 EStG, sodass sämtliche geltend gemachten Aufwendungen dem Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG unterlägen. Denn bei Gewinnermittlungen durch Einnahmeüberschussrechnung sei gemäß § 11 Abs. 2 EStG allein der Abfluss der Betriebsausgaben maßgeblich. Laut Rn. 29 des BMF-Schreibens vom 17.07.2023 erfolge die zeitliche Zuordnung der Einnahmen für § 3 Nr. 72 EStG nach der Art der Gewinnermittlung, also bei Einnahmeüberschussrechnungen nach dem Zuflussprinzip. Die Steuerbefreiung umfasse damit alle Einnahmen und Entnahmen, die ab dem 01.01.2022 zufließen. Dies könnten auch Einnahmen sein, die wirtschaftlich den Vorjahren zuzurechnen seien, wenn diese erst im Jahr 2022 zuflössen. Diese typisierende zeitliche Zuordnungsregelung sei auf die Betriebsausgaben im Zusammenhang mit ab 2022 nach § 3 Nr. 72 EStG steuerfreien Photovoltaikanlagen zu übertragen, da eine andere Abgrenzung in diesem besonderen Fall nicht zutreffend sei. Eine Abgrenzung nach der wirtschaftlichen Veranlassung sei in der vorliegenden Konstellation nicht möglich, weil § 3 Nr. 72 EStG gesetzlich ab dem Veranlagungszeitraum 2022 Einnahmen und Entnahmen aus dem Betrieb einer schon älteren Photovoltaikanlage steuerfrei stelle, ohne dass hierfür eine wirtschaftliche Änderung eintreten müsse. Vielmehr seien auch alle Bestands-Photovoltaikanlagen, die die gesetzlichen Voraussetzungen des § 3 Nr. 72 EStG erfüllten, von der Steuerbefreiung ab dem Veranlagungszeitraum 2022 umfasst. Eine echte wirtschaftliche Abgrenzung für Zwecke des § 3c Abs. 1 EStG sei daher nicht möglich. Eine solche Abgrenzung würde darüber hinaus zu keiner zielsicher zutreffenden Aufteilung für Zwecke des § 3c Abs. 1 EStG führen, da die Aussage, dass sämtliche Ausgaben mit wirtschaftlichem Zusammenhang zu Einnahmen der Jahre 2021 und früher mit Einnahmen im Zusammenhang stehen, die steuerpflichtig waren, wegen der Steuerfreistellung der Einnahmen nach Zufluss und damit auch einer potenziellen Steuerbefreiung von Einnahmen, die wirtschaftlich den Jahren vor 2022 zuzurechnen seien, nicht immer zutreffend sei.

    8
    Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben

    9
    Er ist der Ansicht, die geltend gemachten Betriebsausgaben stünden nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Einnahmen des Veranlagungszeitraums 2022. Vielmehr sei ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit denjenigen Betriebseinnahmen, die in den Vorjahren steuerpflichtig gewesen seien gegeben.

    10
    Der Kläger beantragt,

    11
    den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2022 vom 31.08.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.01.2024 dahingehend zu ändern, dass die negativen Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 3.769,02 € berücksichtigt werden.

    12
    Der Beklagte beantragt,

    13
    die Klage abzuweisen.

    14
    Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

    15
    Der Senat hat am 06.11.2024 in der Sache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung wird verwiesen.

    16
    Entscheidungsgründe:

    17
    18
    I.                  Die zulässige Klage ist begründet.

    19
    Der Einkommensteuerbescheid 2022 vom 31.08.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.01.2024 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)).

    20
    Der Beklagte hat den Betriebsausgabenabzug zu Unrecht versagt. Die geltend gemachten Aufwendungen sind Betriebsausgaben (1.) für die das Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG nicht eingreift (2.). Auch aus § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG ergibt sich kein Abzugsverbot für diese Aufwendungen (3.).

    21
    22
    1.                Bei den geltend gemachten Aufwendungen für die Erstellung der Gewinnermittlungen und der Umsatzsteuererklärungen 2016 bis 2021 sowie den Umsatzsteuerzahlungen für 2016 bis 2020 handelt es sich um Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 EStG, da diese Aufwendungen durch den Betrieb der Photovoltaikanlage veranlasst wurden.

    23
    Der erkennende Senat zieht ebenso wie die Beteiligten nicht in Zweifel, dass der Kläger die Photovoltaikanlage mit der erforderlichen Gewinnerzielungsabsicht betrieben hat. Zum einen spricht bei dem Betrieb einer Photovoltaikanlage der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass sie in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird. Denn der Betrieb einer Photovoltaikanlage erfolgt regelmäßig nicht, um ‒ vergleichbar einem Hobby - persönliche Neigungen zu befriedigen (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg Urteil vom 09.02.2017 1 K 841/15, EFG 2017, 913). Zum anderen kann von den vorliegenden Gewinnermittlungen der Vorjahre 2016 bis 2021 nicht auf eine diesen Anscheinsbeweis widerlegende negative Totalgewinnprognose geschlossen werden. Denn der Kläger hat nur geringfügige Verluste (2016: ./. 125,45 €; 2017: ./. 168,30 €) erwirtschaftet, denen zudem kleinere Gewinne (2018: 152,00 €; 2019: 57,00 €; 2020: 62,33 €) gegenüberstehen; dem Jahr 2021 mit einem Verlust in Höhe von ./. 1.712,31 € misst der Senat dabei keine Bedeutung zu, da die entsprechenden Betriebseinnahmen durch den Netzbetreiber erst im September 2022 gezahlt wurden. Darüber hinaus wurden Investitionen in Photovoltaikanlagen (z.B. in Fachpublikationen) in dem Jahr 2013, in dem auch der Kläger seine Anlage installieren ließ, nicht als Steuersparmodelle, sondern vor dem Hintergrund der deutlich höheren Einspeisevergütungen gegenüber Neuanlagen, die das Jahressteuergesetz (JStG) 2022 im Blick hat, als potentielle Geldanlage bewertet (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg a.a.O.).

    24
    25
    2.                Die geltend gemachten Aufwendungen unterliegen nicht dem Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG.

    26
    Danach dürfen Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden.

    27
    28
    a.                Zwar sind die im Streitjahr aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage erzielten Einnahmen nach § 3 Nr. 72 a) EStG steuerfrei, da der Kläger auf seinem Familienhaus eine Photovoltaikanlage mit einer installierten Bruttoleistung 14,5 kW (peak) betreibt und damit den Grenzwert von 30 kW (peak) nicht überschreitet.

    29
    b.                Die geltend gemachten Aufwendungen stehen aber nicht mit steuerfreien Einnahmen des Jahres 2022 in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang, sondern mit steuerpflichtigen Einnahmen der Vorjahre.

    30
    Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne von § 3c Abs. 1 EStG ist anzunehmen, wenn die Ausgaben und die steuerfreien Einnahmen durch dasselbe Ereignis veranlasst sind (vgl. BFH-Urteil vom 29.08.2017 VIII R 17/13, BStBl II 2018, 408; BFH-Urteil vom 28.05.1998 X R 32/97, BStBl II 1998, 565). Das ist der Fall, wenn die Ausgaben und die Erträge nach der Entstehung und Zweckbestimmung so verbunden sind, dass die Ausgaben ursächlich und unmittelbar auf Vorgänge zurückzuführen sind, die die Erträge betreffen (vgl. BFH-Urteil vom 18.07.1980 VI R 97/77, BStBl II 1981, 16). Nicht erforderlich ist ein finaler Zusammenhang zwischen Ausgaben und Einnahmen. Die Ausgaben müssen nicht erbracht werden, um dadurch Einnahmen zu erzielen (vgl. BFH-Urteil vom 26.03.2002 VI R 26/00, BStBl II 2002, 823). Ein bloßer Veranlassungszusammenhang durch den Gewerbebetrieb wie bei § 4 Abs. 4 EStG genügt dagegen nicht. Nicht ausschlaggebend ist zudem ein zeitlicher Zusammenhang (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.2012 IV R 51/09, BStBl II 2013, 203).

    31
    Die Ausgaben für die Erstellung der Gewinnermittlungen und der Umsatzsteuererklärungen 2016 bis 2021 sowie die Umsatzsteuerzahlungen für 2016 bis 2020 betreffen nicht die im Veranlagungszeitraum 2022 erzielten steuerfreien Einnahmen. Vielmehr resultieren sie aus der gewerblichen Tätigkeit und betreffen die steuerpflichtigen Einnahmen der Vorjahre. Diese steuerpflichtigen Einnahmen begründen eine Verpflichtung zur Gewinnermittlung und zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen für die Vorjahre. Für die Umsatzsteuerzahlungen ergibt sich dieser Zusammenhang daraus, dass sich die Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 2016 bis 2020 nach den in den Vorjahren erzielten steuerpflichtigen Einnahmen bzw. getätigten Umsätzen bemisst. Dem steht nicht entgegen, dass die Einnahmen und Ausgaben unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen zuzuordnen sind. Auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ausgaben und Einnahmen kommt es grundsätzlich nicht an.

    32
    33
    c.                Auch das BMF-Schreiben vom 17.07.2023 legt § 3c Abs. 1 EStG nicht abweichend aus. Nach Rn. 21 dieses Schreibens sind alle Betriebsausgaben, die in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem (ggf. zukünftigen) Betrieb von nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG begünstigten Photovoltaikanlagen stehen, nach Maßgabe des § 3c Abs. 1 EStG nicht abzugsfähig. Hieraus ergibt sich jedoch kein generelles Betriebsausgabenabzugsverbot auf für in den Vorjahren begründete nachlaufende Betriebsausgaben. Erforderlich ist auch nach dem BMF-Schreiben vielmehr eine Prüfung, ob im jeweiligen Einzelfall die Voraussetzungen des § 3c Abs. 1 EStG ‒ insbesondere der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen ‒ vorliegen. Auch in der Literatur wird aus dem BMF-Schreiben vom 17.07.2023 zutreffend kein generelles Abzugsverbot nach § 3c Abs. 1 EStG hergeleitet. Den Wortlaut des BMF-Schreibens aufnehmend wird lediglich ein Abzugsverbot nach Maßgabe des § 3c Abs. 1 EStG angenommen, welches ‒ wie bereits ausgeführt ‒ eine Prüfung der Norm zwingend voraussetzt (vgl. von Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, 345. Lieferung, 8/2024, § 3 Rn. 72/6; Tormöhlen in Korn, EStG, 154. Ergänzungslieferung, Juli 2024, § 3 Rn. 5; Valta in Brandis/Heuerman, Ertragsteuerrecht, 172. Ergänzungslieferung, Juli 2024, § 3 EStG Rn. 18; Schiffers/Seifert, DStZ 2023, 122 ‒ nach denen unabhängig vom BMF-Schreiben das Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG nicht greift für in 2022 in zeitlicher Hinsicht nach § 11 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende Ausgaben, die durch noch steuerpflichtige Einnahmen in 2021 verursacht sind).

    34
    d.                Sofern der Beklagte unter Bezugnahme auf Rn. 29 des BMF-Schreibens vom 17.07.2023 die Auffassung vertritt, dass bei einer Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung gemäß § 11 Abs. 2 EStG allein der Abfluss der Betriebsausgaben maßgeblich sei, ist dies allein für die Beantwortung der Frage, welchem Veranlagungszeitrum die Aufwendungen steuerlich zuzuordnen sind, zutreffend. Nicht überzeugend ist allerdings, wenn daraus ein Abzugsverbot nach § 3c EStG hergeleitet werden soll. Damit würde allein das zeitliche Zusammenfallen der Aufwendungen und der steuerfreien Einnahmen im Veranlagungszeitraum 2022 maßgebend sein. Wie bereits ausgeführt, begründet allein ein zeitliches Zusammenfallen von Aufwendungen und steuerfreien Einnahmen im selben Veranlagungszeitraum keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang im Sinne von § 3c Abs. 1 EStG. Vielmehr ist der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang periodenübergreifend zu verstehen und zu prüfen (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.2012 IV R 51/09, BStBl. II. 2013, 203). Im Streitfall besteht ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang nur zu den steuerpflichtigen Einnahmen der Vorjahre.

    35
    Zwar wird die Ansicht des Beklagten auch in der Literatur vertreten (vgl. als einziger Niklaus in BeckOK, EStG, 19. Edition, Stand: 01.07.2024, § 3 Nr. 72 Rn. 119 ‒ Abflusszeitpunkt in Verbindung mit § 3c EStG unter Bezugnahme auf Rn. 21 des BMF-Schreibens). Der Beklagte und Niklaus verkennen hierbei jedoch, dass Rn. 29 lediglich eine Regelung zur zeitlichen Anwendung der Grundsätze dieses BMF-Schreibens trifft. Danach gelten die Grundsätze für alle Einnahmen und Entnahmen die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden (§ 52 Abs. 4 Satz 27 EStG). Sofern das BMF in Absatz 2 der Rn. 29 ausführt, die zeitliche Zuordnung richte sich nach der Art der Gewinnermittlung (z.B. nach dem Zu- und Abflussprinzip bei Einnahmenüberschussrechnung), bezieht sich dies allein auf die Fälle eines vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahrs, für die die zeitliche Anwendungsregelung ‒ alle Einnahmen und Entnahmen die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden ‒ ebenfalls gilt. Dies folgt zum einen daraus, dass die Zuordnungsregelung der Erklärung über die zeitliche Anwendung des BMF-Schreibens auch auf die Fälle eines vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres nachfolgt. Zum anderen stünde eine andere Interpretation im Widerspruch zu der oben unter c. dargestellten Regelung der Rn. 21, wonach alle Betriebsausgaben, die in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem (ggf. zukünftigen) Betrieb von nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG begünstigten Photovoltaikanlagen stehen, nach Maßgabe des § 3c Abs. 1 EStG nicht abzugsfähig sind.

    36
    37
    e.                Der erkennende Senat kann sich daher auch nicht der Ansicht des Beklagten anschließen, dass die typisierende zeitliche Zuordnungsregelung auf die Betriebsausgaben im Zusammenhang mit ab 2022 nach § 3 Nr. 72 EStG steuerfreien Photovoltaikanlagen zu übertragen sei, da eine andere Abgrenzung in diesem besonderen Fall nicht zutreffend sei.

    38
    Zwar mag es ungerecht erscheinen, wenn nachlaufende Einnahmen des Jahres 2022, die wirtschaftlich den Vorjahren zuzurechnen sind (z. B. Einspeisevergütung für 2021 nach Endabrechnung), bei nicht bilanzierenden Gewerbetreibenden aufgrund des Zuflussprinzips nach § 11 Abs. 1 EStG und der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG in 2022 nicht mehr besteuert werden können, während nachlaufende Betriebsausgaben als negative Einkünfte nach dem hiesigen Normverständnis noch abgezogen werden können. Die darin ggf. zu sehende fehlende Abstimmung zwischen § 3c Abs. 1 EStG und § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG kann jedoch nicht ohne eine gesetzgeberische Korrektur des § 3c Abs. 1 EStG beseitigt werden. Insbesondere spricht der Umstand, dass der enge Wortlaut des § 3c Abs. 1 EStG und die sich daraus für periodenübergreifende Betrachtungen ergebenden Konsequenzen in der BFH-Rechtsprechung klar benannt wurden (vgl. dazu BFH vom 13.12.2012 IV R 51/09, BStBl. II. 2013, 203), auch nicht dafür, dass insoweit überhaupt eine gesetzgeberische „Regelungslücke“ besteht, die beispielsweise durch die Annahme eines Gewinnermittlungsverbotes nach § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG zu schließen ist.

    39
    Die im Jahr 2022 zugeflossenen Einnahmen sind gemäß § 11 Abs. 1 EStG dem Kalenderjahr 2022 zuzurechnen und können damit nicht Gegenstand der Gewinnermittlung des Vorjahres sein. Ebenso würden diese Einnahmen als Umsätze im Rahmen der jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldung des Jahres 2022 anzumelden sein. Die hier geltend gemachten Umsatzsteuernachzahlungen für die Veranlagungszeiträume 2016 bis 2020 beruhen dagegen ausschließlich auf den im Vorjahr getätigten Umsätzen, auf die die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 72 EStG nicht anzuwenden war. Deshalb kann ‒ wie bereits ausgeführt wurde - ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang nur zu Einnahmen der Vorjahre gesehen werden, die steuerbar waren.

    40
    41
    3.                Ein Abzugsverbot ergibt sich auch nicht aus § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG.

    42
    Danach ist kein Gewinn zu ermitteln, wenn Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erzielt werden und die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt nach § 3 Nr. 72 Abs. 1 Satz 1 EStG steuerfrei sind.

    43
    44
    a.                Das Finanzgericht Nürnberg legt die Norm in seinem Urteil vom 19.09.2024, Az. 4 K 1440/23, dahingehend aus, dass diese ein Gewinnermittlungsverbot und nicht nur eine Befreiung von einer Gewinnermittlungspflicht beinhalte, mit der Folge, dass ein Betriebsausgabenabzug ausscheidet. Zwar spreche die Gesetzesbegründung davon, bei Einkünften aus einer steuerbefreiten Photovoltaikanlage „braucht hierfür kein Gewinn mehr ermittelt und damit auch z.B. keine Anlage EÜR mehr abgegeben zu werden“. Diese Formulierung könne jedoch auch so verstanden werden, dass sie nur die Folge des Gewinnermittlungsverbots, nämlich den Wegfall der Verpflichtung zur Ermittlung des Gewinns und Abgabe der Erklärung EÜR beschreibe. Zudem spreche der in erster Linie maßgebliche Wortlaut des Gesetzestextes eindeutig davon, dass bei Vorliegen steuerbefreiter Einnahmen kein Gewinn zu ermitteln „ist“. Diese Formulierung sei als verbindlich und nicht als bloße Wahlmöglichkeit für den Steuerpflichtigen zu verstehen. Auch die Gesetzessystematik spreche für ein ab dem 01.01.2022 geltendes Gewinnermittlungsverbot. Der Gesetzgeber habe gerade nicht auf den Mechanismus des § 3c Abs. 1 EStG vertraut, der zahlreiche Ausnahmen für u.a. Umsatzsteuernachzahlungen und Steuerberatungskosten zulasse. Stattdessen habe er sich zu einem klaren Schnitt entschieden und diesen mit den zulässigen Zielsetzungen der Förderung erneuerbarer Energien und des Abbaus bürokratischer Hemmnisse begründet. Dieser Systematik würde es zuwiderlaufen, nachlaufende Betriebsausgaben vom Abzugsverbot auszunehmen und im Einzelfall einen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einkünften vor oder nach dem Jahreswechsel 2021/2022 prüfen zu müssen (vgl. Finanzgericht Nürnberg Urteil vom 19.09.2024 4 K 1440/23, juris).

    45
    b.                Die überwiegende Meinung in der Literatur sieht in der Regelung des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG dagegen eine mittelbare Bestätigung des Abzugsverbots des § 3c Abs. 1 EStG (vgl. Tormöhlen in Korn, EStG, 154. Ergänzungslieferung, Juli 2024, § 3 Rn. 21; von Beckerath in Kirchhof/Seer, EStG, 23. Auflage 2024, § 3 Rn. 215) bzw. vermutet in der Normierung dieser Selbstverständlichkeit eine Art politischen Signals, denn in der Begründung zum Gesetzesentwurf sei davon die Rede, dass in der Praxis die Installation von Photovoltaikanlagen häufig durch bürokratische Hürden erschwert werde, insbesondere durch die mit dem Betrieb einer Photovoltaikanlage verbundenen steuerlichen Pflichten (vgl. Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 327. Lieferung, 8/2024, § 3 EStG Rn. 7). Levedag dagegen vertritt die Auffassung, dass aus § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG abweichend von § 3c Abs. 1 EStG ein vollständiges Abzugsverbot für alle ab dem Veranlagungszeitraum 2022 abfließenden Betriebsausgaben folge (vgl. Levedag in Schmidt, EStG, 43. Auflage 2024, § 3 Rn. 239).

    46
    c.                Der erkennende Senat vermag der Entscheidung des Finanzgerichts Nürnberg nicht zu folgen, sondern qualifiziert § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG mit der überwiegenden Literatur als rein deklaratorische Regelung.

    47
    48
    aa.            Da der Wortlaut des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG nicht eindeutig ist ‒ die Gesetzesformulierung „[…] ist kein Gewinn zu ermitteln“ kann sowohl dahingehend verstanden werden, dass kein Gewinn ermittelt werden darf, als auch dahingehend, dass eine Gewinnermittlung nicht mehr zwingend erforderlich ist ‒ ist die Norm auszulegen. Dabei entspricht die Auslegung, dass eine Gewinnermittlung nicht mehr zwingend erforderlich ist, dem Wortlaut der Gesetzesbegründung. Danach braucht kein Gewinn mehr ermittelt werden und damit z.B. auch keine Anlage EÜR abgegeben werden, wenn in einem Betrieb nur steuerfreie Einnahmen aus dem Betrieb von begünstigten Photovoltaikanlagen erzielt werden (vgl. BT-Drucks 20/3879, S. 91).

    49
    ab.            Gegen ein Gewinnermittlungsverbot spricht zudem die Gesetzessystematik, denn Regelungsgegenstand des § 3 EStG sind lediglich die steuerfreien Einnahmen. Dies wird bezogen auf § 3 Nr. 72 EStG durch § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG (ursprünglich Satz 27) bestätigt, wonach § 3 Nr. 72 EStG erstmals für „Einnahmen und Entnahmen“ anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden. Eine die Erklärungs- bzw. Gewinnermittlungspflichten betreffende konstitutive Regelung in Satz 2 erschiene danach systemfremd. Insbesondere darf Satz 2 nicht vom Ergebnis gedacht ausgelegt werden, um mit der Annahme eines Gewinnermittlungsverbotes ein ‒ wegen der Steuerfreiheit nachlaufender Betriebseinnahmen ab 2022 für gerecht(er) empfundenes - Betriebsausgabenabzugsverbot herzuleiten. Ob Ausgaben, die mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen oder nicht, regelt § 3c Abs. 1 EStG.

    50
    ac.             Schließlich deckt sich das Normenverständnis des Senats auch mit dem vom Gesetzgeber mit § 3 Nr. 72 EStG angestrebten Ziel. Die Steuerbefreiung soll die Energiewende beschleunigen und den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern, indem sie es privaten Immobilienbesitzern erleichtert, sich für die Installation einer Photovoltaikanlage zu entscheiden. In der Praxis werde die Installation von Photovoltaikanlagen häufig durch bürokratische Hürden erschwert, insbesondere durch die mit dem Betrieb einer Photovoltaikanlage verbundenen steuerlichen Pflichten (vgl. BT-Drucks 20/3879, S. 90). Die Möglichkeit, nachlaufende Betriebsausgaben aus den Vorjahren bei Abfluss erst in 2022 mit Belegnachweis steuerlich geltend machen zu können, zählt nicht zu den dort angesprochen bürokratischen Hürden.

    51
    Die im Streitfall aufgetretene steuerrechtliche Fragestellung betrifft ausschließlich Altanlagen, da nur bei diesen in Veranlagungszeiträumen ab 2022 Ausgaben anfallen können, die mit in Veranlagungszeiträumen vor 2022 zugeflossenen steuerpflichtigen Einnahmen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. In diesen Fällen haben die Immobilienbesitzer aber bereits eine Entscheidung für die Installation einer Photovoltaikanlage getroffen. Dementsprechend steht ein Abzug nachlaufender Betriebsausgaben nicht im Widerspruch zu dem Gesetzeszweck, erneuerbare Energien zu fördern und bürokratische Hemmnisse abzubauen. Für Neuanlagen folgt dagegen schon aus dem Zusammenspiel von § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG und ‒ dem dann ausnahmslos einschlägigen ‒ § 3c Abs. 1 EStG, dass eine Gewinnermittlung obsolet ist. Eines Gewinnermittlungsverbotes bedarf es daher für die vom Gesetzgeber erkennbar (BT-Drucks 20/2879, S. 87) allein in den Blick genommenen Neuanlagen gerade nicht.

    52
    53
    ad.           Vor diesem Hintergrund teilt der erkennende Senat nicht die Auffassung des Finanzgerichts Nürnberg, dass der Gesetzgeber nicht auf den Mechanismus des § 3c Abs. 1 EStG vertraut habe und sich stattdessen zu einem klaren Schnitt entschieden habe; zumal sich für diese Auffassung keinerlei Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung wiederfinden. Sofern in der Literatur als weiteres Ziel ein (ggf. genereller) Bürokratieabbau und die Förderung der Verwaltungsökonomie bei der Besteuerung kleiner Photovoltaikanlagen angeführt wird (vgl. Olland/Wessels in Bordewin/Brandt, EStG, 464. Lieferung, 10/2024, § 3 Rn. 95), lässt sich auch dieses Ziel der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Eine Entlastung der Finanzämter oder Finanzgerichte von Verfahren, in denen nachlaufende Betriebsausgaben geltend gemacht und streitig werden könnten, hatte das JStG 2022 jedenfalls nicht im Blick.

    54
    ae.            Zu beachten ist darüber hinaus, dass im Hinblick auf Umsatzsteuernachzahlungen ohne nachlaufenden Betriebsausgabenabzug eine Doppelbesteuerung (Einkommensteuer auf Umsatzsteuer) nicht ausgeglichen werden könnte.

    55
    af.               Die Annahme eines Gewinnermittlungsverbots mit der Folge eines faktischen Betriebsausgabenabzugsverbots stünde zudem im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu nachlaufenden Betriebsausgaben nach einer Betriebsaufgabe. In jenen Fällen können ‒ obschon keine Gewinnermittlung mehr durchzuführen ist ‒ die nachlaufenden Betriebsausgaben in entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 3 EStG geltend gemacht werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11.02.1999 XI S 14/98, BFH/NV 1999, 926).

    56
    ag.            Dem hiesigen Normverständnis scheint auch die Entscheidung des III. Senates des BFH im Verfahren III B 24/24 (BFHE nn) zu entsprechen. So führt der BFH nach einer summarischen Prüfung im Rahmen eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung im Zusammenhang mit der Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrages (IAB) im Sinne des § 7g EStG aus, dass die Regelung des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG eine gewinnerhöhende Hinzurechnung des IAB im Anschaffungsjahr 2022 nicht notwendig ausschließe.

    57
    58
    AI.               Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    59
    60
    BI.             Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    61
    62
    IV.            Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, da die Rechtssache aufgrund der Vielzahl der betroffenen Steuerpflichtigen grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Entscheidung des Finanzgerichts Nürnberg vom 19.09.2024 (4 K 1440/23) eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (Nr. 2).