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  • · Fachbeitrag · Gesellschafter-Geschäftsführer

    Neue Rechtsprechung zur Sozialversicherungspflicht bei Gesellschafter-Geschäftsführern

    von StB Klaus Esch, AHW Steuerberater Wirtschaftsprüfer Rechtsanwälte, Köln

    | Die Frage, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer (GGf) oder - im Einzelfall - ein leitender Angestellter im sozialversicherungsrechtlichen Sinne als abhängig beschäftigt oder selbstständig gilt, wird seit langem diskutiert und häufig vor den Sozialgerichten ausgestritten. Für den Betroffenen ist die Entscheidung von großer Bedeutung: Gilt er nämlich als Beschäftigter im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV, führt dies in der Regel zur Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. |

    1. Die Rechtsprechung des BSG im Einzelnen

    Mit zwei wichtigen Entscheidungen hat das BSG seine bisherige Rechtsprechung in 2012 fortentwickelt (BSG 29.8.12, B 12 KR 25/10 R, B 12 R 14/10 R). Die Urteile sind in der Praxis bisher wenig beachtet worden, werden jedoch von den Sozialversicherungsträgern im Rahmen von Betriebsprüfungen konsequent umgesetzt, was zu hohen Nachzahlungen für die Betroffenen führen kann. Die beiden Streitfälle betrafen sog. Familiengesellschaften, d.h. Gesellschaften, deren Gesellschafter ganz oder überwiegend aus Familienmitgliedern bestehen. Es war jeweils der sozialversicherungsrechtliche Status des Sohnes des Gesellschafters zu beurteilen. Dieser hielt selbst keine Geschäftsanteile, war jedoch als Geschäftsführer bzw. leitender Angestellter für die Gesellschaft tätig. Urlaub und Arbeitszeiten konnte der Sohn selbst festlegen.

     

    Wichtig | In einem Fall hatte der Vater (Alleingesellschafter einer GmbH) schriftlich auf sein Weisungsrecht zugunsten des Sohnes verzichtet; in dem anderen Fall wurde das Weisungsrecht zwar nicht abbedungen, in der Praxis aber nicht wahrgenommen.

     

    Auf der Grundlage der bis dahin geltenden Rechtsauffassung hatte das LSG Niedersachsen-Bremen entschieden, dass die Söhne in beiden Fällen als selbstständig anzusehen seien. Die Söhne besäßen zwar formal keine (gesellschaftsrechtliche) Rechtsmacht, dies trete jedoch nach dem jeweiligen Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse in den Hintergrund. Wesentliche Argumente für eine selbstständige Tätigkeit waren demnach:

     

    • Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot (§ 181 BGB)
    • Übernahme von unternehmerischem Risiko durch gewährte Bürgschaften
    • Übernahme der Betriebsführung
    • Branchenkenntnis
    • Verzicht auf Weisungsbefugnisse durch die jeweiligen Gesellschafter bzw. deren tatsächliche Nichtausübung
    • familiärer Zusammenhalt und Rücksichtnahme

     

    Im Ergebnis konnten die Söhne nach den Feststellungen des Landessozialgerichts nach eigenem Gutdünken „schalten und walten“.

     

    MERKE | Damit lag das LSG mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich auf einer Linie, auch wenn sich bereits 2006 eine Rechtsprechungsänderung angedeutet hatte. Das BSG hatte in der Vergangenheit entschieden, dass der tatsächliche Einfluss auf eine Gesellschaft eine abhängige Beschäftigung auch dann ausschließe, wenn die gesellschaftsrechtliche Stellung allein einen bestimmenden Einfluss nicht ermögliche (BSG 8.8.90, 11 RAr 77/89). Davon ausgehend war den tatsächlichen Verhältnissen regelmäßig der Vorrang vor der rechtlichen Situation eingeräumt worden, wenn es um den sozialversicherungsrechtlichen Status von Geschäftsführern und leitenden Angestellten ging.

     

    Mit den beiden Urteilen vom 28.8.12 ist das BSG von seiner bisherigen Auffassung deutlich abgerückt. Es hat entschieden, dass jeweils eine abhängige Beschäftigung vorliege, da die zu beurteilenden Söhne ihnen nicht genehme Entscheidungen der Gesellschafter nicht hätten verhindern können. Es komme nicht darauf an, dass solche Situationen tatsächlich nicht eingetreten seien bzw. aufgrund der Vereinbarungen der Parteien (Verzicht auf Weisungsrechte durch den Alleingesellschafter) ausgeschlossen sein sollten. Denn im Konfliktfall komme es nur darauf an, was wirksam vereinbart wurde. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“, die nur so lange gelte, wie keine Meinungsverschiedenheiten aufträten, gebe es nicht. Es sei nicht der Disposition der Parteien überlassen, ob Sozialversicherungspflicht vorliege oder nicht.

     

    PRAXISHINWEIS | Die bisherige Rechtsprechung zu derartigen Sachverhalten ist damit überholt. Insbesondere betrifft dies Familiengesellschaften, bei denen man bisher davon ausging, dass angestellte Nicht- oder Minderheitsgesellschafter häufig als selbstständig anzusehen waren. Familiäre Rücksichtnahme spielt für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nun keine Rolle mehr, soweit der Betroffene formalrechtlich nicht vor für ihn unliebsamen Entscheidungen geschützt ist.

     

    Die geänderte Rechtsprechung wird auch von den Sozialgerichten in aktuelleren Urteilen angewendet (z.B. LSG Rheinland-Pfalz 10.12.13, L 6 R 65/12, LSG Hamburg 1.8.13, L 1 KR 66/12, SG München 8.10.13, S 4 R 1860/12).

    2. Konsequenzen in der Praxis

    Die Sozialversicherungsträger setzen die neue Rechtslage im Rahmen von Betriebsprüfungen konsequent um: Minderheitsgesellschafter werden regelmäßig als abhängig Beschäftigte eingestuft. Ob die zu beurteilende Person „Kopf und Seele“ des Betriebs, alleiniger Branchenkenner, mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist oder in der Gesellschaft faktisch „frei schalten und walten kann“, spielt keine Rolle mehr. Auch die Übernahme von unternehmerischen Risiken, wie etwa von Bürgschaften, ist danach kein geeignetes Kriterium für die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung (so auch SG München 8.10.13, S 4 R 1860/12).

     

    Beachten Sie | Hierdurch kommt es zum Teil zu erheblichen Nachzahlungen von Beiträgen an die Träger der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Da die Rechtsprechung des BSG vom 28.8.12 nach Lesart der Sozialversicherungsträger lediglich eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung aus 2006 und keine Änderung der Rechtsprechung darstellt, kommt ein Vertrauensschutz für die Zeit vor dem 28.8.12 nicht in Betracht. Es gilt somit die allgemeine Verjährungsfrist von vier Jahren. Bei einem Einkommen des Minderheitsgesellschafters oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze ergeben sich Haftungsrisiken in Höhe von mehr als 60.000 EUR je Arbeitnehmer für diesen Zeitraum.

     

    MERKE | Hinsichtlich der Kranken- und Pflegeversicherung entsteht keine Nachzahlungslast des Arbeitgebers, wenn das Einkommen des Minderheitsgesellschafters die Beitragsbemessungsgrenze überschritten hatte. Allerdings hat der Arbeitnehmer in Folge seiner geänderten Einstufung Ansprüche auf steuerfreie Zuschüsse zu seiner Krankenversicherung, was aufseiten des Arbeitgebers zu zusätzlichen Belastungen führt. Sofern das Einkommen des Minderheitsgesellschafters die Beitragsbemessungsgrenze jedoch nicht überschritten hatte, kommt es auch hinsichtlich der Kranken- und Pflegeversicherung zu Nachzahlungen. War der Minderheitsgesellschafter in der privaten Krankenversicherung versichert, führt dies zu einer Doppelbelastung mit Krankenversicherungsbeiträgen.

     

    Von der neuen Rechtsprechung des BSG sind vor allem Minderheits-GGf betroffen, auch wenn sie sich selbstverständlich auf alle leitenden Angestellten auswirkt. Denn Fremdgeschäftsführer oder Minderheits-Gesellschafter ohne Geschäftsführungsbefugnis wurden in der Praxis in der Vergangenheit ohnehin regelmäßig als sozialversicherungspflichtig eingestuft, was durch die Rechtsprechung des BSG nun weiter untermauert worden ist. Vorstände einer Aktiengesellschaft sind von den Änderungen nicht betroffen (s.u.).

    3. Rechtssicherheit durch formales Statusfeststellungsverfahren

    Um Rechtssicherheit zu erlangen, gibt es auch bisher schon die Möglichkeit eines Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a SGB IV). Hierin entscheidet die Rentenversicherung Bund, ob im Einzelfall eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Die Entscheidung bindet die Sozialversicherungsträger jedoch nur solange, bis eine andere Entscheidung getroffen wurde. Ein Vertrauensschutz derart, dass eine einmal getroffene Statusfeststellung solange gültig ist, wie das Beschäftigungsverhältnis unverändert fortgesetzt wird, besteht nicht. Mit Wirkung für die Zukunft kann sich der Status eines Arbeitnehmers also - z.B. aufgrund einer Feststellung im Rahmen einer Betriebsprüfung nach einer geänderten Rechtsprechung - ändern.

     

    Hinweis | Die Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit eines Minderheits-GGf, die auf der früheren Rechtsprechung beruhte, kann also geändert werden. Lediglich für die Zeit der Gültigkeit der Statusfeststellung besteht Vertrauensschutz, sodass es nicht zu einer Nachforderung von Beiträgen käme.

    4. Vermeidung der Sozialversicherungspflicht

    Da der sozialversicherungsrechtliche Status von Minderheits-GGf zunehmend in den Fokus der Rentenversicherung Bund gerückt ist, muss damit gerechnet werden, dass deren Status im Rahmen der nächsten Betriebsprüfung überprüft wird und in diesen Fällen die Feststellung der Versicherungspflicht droht. Es stellt sich die Frage, wie diese Konsequenz für die Zukunft vermieden werden kann, soweit dies gewünscht ist:

     

    4.1 Strategie Nr. 1: Beendigung des Arbeitsvertrags

    Eine Möglichkeit der zukünftigen Sozialversicherungspflicht zu entgehen ist es, das in Rede stehende Beschäftigungsverhältnis zu beenden. Zum einen ist das Vorliegen eines Arbeitsvertrags ein gewichtiges Indiz für eine abhängige Beschäftigung, zum anderen ist das Arbeitsentgelt - also das Gehalt - die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge.

     

    PRAXISHINWEIS | Diese Gestaltung ist in der Regel jedoch nur geeignet, wenn es sich bei der Gesellschaft um eine Personengesellschaft handelt: Anstelle des bisherigen Gehalts tätigt der Gesellschafter Gewinnentnahmen. Dies setzt lediglich voraus, dass die Gesellschaft entsprechend hohe Gewinne erzielt und der Gesellschaftsvertrag die Entnahmen gestattet, bzw. in Verlustjahren auch Entnahmen zulässig sind, durch die das Kapitalkonto des Kommanditisten negativ wird.

     

    Beachten Sie | Bei einer GmbH sind solche Entnahmen nicht möglich. Hier wären Gewinnausschüttungen vorzunehmen. Neben dem Umstand, dass dadurch die Gesamtsteuerbelastung (GmbH und Gesellschafter) in der Regel ungünstig beeinflusst wird, ist zu bedenken, dass die sozialversicherungsrechtliche Problematik in der Regel lediglich einzelne Gesellschafter betrifft, Gewinnausschüttungen jedoch grundsätzlich allen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung zufließen. Im Einzelfall mag dieses Ergebnis nicht gewünscht sein, insbesondere in solchen Fällen, in denen ein Minderheits-GGf gegenüber nicht in der Gesellschaft tätigen Gesellschaftern durch die Zahlung der Geschäftsführervergütung über seinen Anteil an der Gesellschaft hinaus an den Erträgen der Gesellschaft partizipieren soll.

     

    4.2 Strategie Nr. 2: Inkongruente Gewinnausschüttungen

    Eine Minderung der Sozialversicherungsbeiträge lässt sich bei GmbHs im Einzelfall durch sog. inkongruente Gewinnausschüttungen erreichen. Hierbei erhält der betroffene Minderheitsgesellschafter eine Gewinnausschüttung, die seine Beteiligungsquote übersteigt. Durch die gleichzeitige Reduzierung seines Gehaltes kommt es zur Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung. Laut BMF sind solche inkongruenten Gewinnausschüttungen dem Grunde nach anzuerkennen (BMF 17.12.13, BStBl I 14, 63).

     

    Beachten Sie | Durch die Reduzierung des Gehaltes des Gesellschafters kommt es bei der GmbH zu einer entsprechenden Gewinnerhöhung, was bei dieser eine höhere Körperschaft- und Gewerbesteuer auslöst. Wird die Gewinnausschüttung so bemessen, dass der Vorgang bei der GmbH liquiditätsneutral bleibt, kommt es beim Gesellschafter zu einem Vorteil in Höhe von etwa 50 % der auf die Gehaltsreduzierung entfallenden Sozialversicherungsbeiträge. Liegt das Gehalt des Gesellschafters sowohl vor als auch nach der Umgestaltung oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze, ergibt sich kein Vorteil.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Voraussetzungen, die das o.g. BMF-Schreiben nennt, müssen beachtet werden. So dürfen für die inkongruente Gewinnausschüttung keine steuerlichen Motive ausschlaggebend sind. Ob das FA die Einsparung von Sozialversicherungsbeiträgen als ausreichende Begründung anerkennen wird, ist fraglich. Es empfiehlt sich daher, andere wirtschaftliche Gründe zu dokumentieren.

     

     

    4.3 Strategie Nr. 3: Sperrminoritäten und Stimmrechts-Poolverträge

    Nach dem Kern der neueren Rechtsprechung des BSG liegt eine abhängige Beschäftigung stets dann vor, wenn sich ein GGf aufgrund seiner Minderheitsbeteiligung in den für die Geschäftsführung relevanten Belangen formal nicht durchsetzen und negative Entscheidungen nicht verhindern kann.

     

    GESTALTUNGSHINWEIS | Zur Vermeidung der Sozialversicherungspflicht kann es daher sinnvoll sein, dass Minderheitsgesellschaftern Veto-Rechte gewährt werden oder die Stimmrechte der Gesellschafter schuldrechtlich so gestaltet werden, dass Entscheidungen stets einstimmig erfolgen müssen.

     

    Neben dem Erfordernis, dass eine solche Vereinbarung gesellschaftsrechtlich zulässig sein muss, um auch die gewünschte Wirkung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu entfalten, sollte auch bedacht werden, dass die Vereinbarung von gesellschaftsvertraglichen oder schuldrechtlichen Veto-Rechten oder von Einstimmigkeitsklauseln den Mehrheits-Gesellschafter auch tatsächlich an diese Regelung bindet. Mit anderen Worten:

     

    Dem Mehrheitsgesellschafter, der einer solchen Vereinbarung zustimmt, muss bewusst sein, dass er seine persönlichen Interessen gegen den Willen der übrigen Gesellschafter (in der Regel seine Kinder) nicht mehr durchsetzen kann, wenn es zum Streit kommt. Er wird abwägen müssen, ob ihm die Sozialversicherungsfreiheit der Minderheitsgesellschafter diesen „Preis“ wert ist.

     

    4.4 Strategie Nr. 4: Wechsel in die Rechtsform der AG

    Vorstände einer AG sind von der Renten- und Arbeitslosenversicherung stets befreit (§ 27 Abs. 3 Nr. 5 SGB III). Dies wird damit begründet, dass sich ein Vorstand einer größeren AG selbst ausreichend um seine Altersvorsorge kümmern kann und somit auf die Solidargemeinschaft nicht angewiesen ist.

     

    Tatsächlich gilt die Rentenversicherungsfreiheit jedoch für alle Vorstände einer AG, ohne dass es auf die Größe der Gesellschaft oder die Einkommenssituation des Vorstands ankommt. Ebenso ist irrelevant, ob der Vorstand an der Gesellschaft beteiligt ist. Ein Rechtsformwechsel stellt somit einen rechtssicheren Weg dar, die Versicherungsfreiheit der Minderheitsgesellschafter zu gestalten.

     

    Hinweis | Allerdings darf man nicht übersehen, dass eine AG erhöhten formalen Aufwand erfordert, z.B. die Einrichtung eines Aufsichtsrats. Ob dieser Aufwand sich im Verhältnis zu den Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung lohnt, muss von Fall zu Fall entschieden werden.

     

    FAZIT | Die Rechtsprechung des BSG ist zwar grundsätzlich aufgrund ihrer Klarheit begrüßenswert. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Beitragsnachforderungen, die derzeit durch die Sozialversicherungsträger im Rahmen der aktuellen Betriebsprüfungen erhoben werden, im Einzelfall existenzvernichtend wirken können. Will man diese Auswirkungen künftig vermeiden, bieten sich m.E. zwei Möglichkeiten an: Bei Personengesellschaften die Beendigung des Arbeitsvertrags und die Sicherstellung des Lebensunterhalts des Gesellschafters mittels Entnahmen bzw. bei der GmbH der Wechsel in die Rechtsform der AG.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 119 | ID 42566977