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  • · Fachbeitrag · Kapitalgesellschaften

    Gewinnabführungsverträge: Strenge Formvorschriften bei der Organschaft

    von Dr. Hansjörg Pflüger, Stuttgart

    | Bei der Beratung von Organschaften kommt es immer wieder zu unliebsamen Überraschungen. Denn im Gegensatz zu „normalen“ Unternehmen, deren Handeln im Regelfall auch von der Finanzverwaltung nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilt wird, gilt es, bei der Organschaft strenge Formvorschriften zu beachten. Die Korrektur einer unvollständigen, unklaren oder gar unzulässigen Formulierung des beim Registergericht hinterlegten Gewinnabführungsvertrages ist im Regelfall ‒ zumindest für die Vergangenheit ‒ nicht möglich und führt praktisch immer zur Versagung der Organschaft mit all den gefürchteten negativen steuerlichen Folgen. Der BFH hat dies in einer Entscheidung jüngst bestätigt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass organschaftliche Gewinnabführungsverträge nicht „ausgelegt“ werden können, sondern aus sich heraus klar verständlich sein müssen (BFH 13.7.22, I R 42/18, Abruf-Nr.  232816 ). |

     

    Sachverhalt

    Die X-GmbH (Organgesellschaft) wurde im Jahr 1991 von der OT-GmbH als alleiniger Gesellschafterin gegründet. Noch im Jahr 1991 schlossen die OT-GmbH und die X-GmbH einen notariellen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag (GAV) der hinsichtlich der Laufzeit der Organschaft die folgende Formulierung enthielt:

     

    • Auszug aus dem GAV
    • 1. Dieser Vertrag wird bis zum 31.12.96 abgeschlossen. Seine Wirksamkeit beginnt mit Errichtung der Organgesellschaft. …
    • 3. Das Organ ist zu einer ordentlichen Kündigung so lange nicht berechtigt, als der Organträger am Organ mit mehr als 50 % des Stammkapitals beteiligt ist.
    • 4. Eine vorzeitige Kündigung ist nur aus wichtigem Grund zulässig.
     

    Der GAV wurde in das Handelsregister eingetragen. Im Zuge der Digitalisierung des Handelsregisters im Jahr 2006 ist der GAV nicht in das digitale Register übernommen worden.

     

    Im Jahr 2012 fertigte der Notar einen „Nachtragsvermerk“ und stellte darin „im Hinblick auf die in § 4 … (GAV) ‒ Dauer des Vertrages ‒ enthaltene offensichtliche Unrichtigkeit des Fehlens des Abs. 2 dieses Paragraphen“ fest, dass § 4 … (GAV) einen Abs. 2 enthält, der lautet: „Wird der Vertrag nicht ein Jahr vor seinem Ablauf schriftlich gekündigt, verlängert er sich um jeweils ein weiteres Jahr.“ Nachdem der Nachtragsvermerk vorgelegt und mit dem GAV beim Registergericht hinterlegt worden war, hat dieses das Bestehen des GAV 2012 von Amts wegen in das nunmehr digitale Handelsregister nachgetragen.

     

    Im Rahmen einer BP erkannte das FA den GAV für die Jahre 2006 bis 2009 nicht an und führte eine Besteuerung nach den allgemeinen Grundsätzen ‒ ohne Beachtung einer Organschaft ‒ durch. FG und BFH gaben dem FA Recht.

     

    Rechtliche Würdigung

    Nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG ist Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft ein auf mindestens fünf Jahre abgeschlossener GAV, der auch zivilrechtlich wirksam ist. Vereinbarungen der Gesellschafter mit korporationsrechtlichem Charakter ‒ zu denen ein GAV als gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag gehört ‒ sind nach ihrem Wortlaut auszulegen. Außerhalb des Vertrags liegende Sachzusammenhänge bei einer Kündigungsklausel eines GAV sind dabei auch dann nicht einzubeziehen, wenn deren Kenntnis bei den Mitgliedern und Organen der beteiligten Unternehmen allgemein vorausgesetzt werden kann.

     

    Beachten Sie | Insbesondere gilt dies für nicht allgemein erkennbare Umstände außerhalb der zum Handelsregister eingereichten Unterlagen, wie beispielsweise der Entstehungsgeschichte sowie Vorstellungen und Äußerungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen.

     

    MERKE | Der aus § 133 des BGB abzuleitende und grundsätzlich auch auf formbedürftige Verträge anzuwendende Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“, nach dem ohne Rücksicht auf einen abweichenden Wortlaut das von den Vertragsschließenden tatsächlich Gemeinte als Inhalt des Vertrags gilt, kann im Bereich der objektiven Auslegung korporationsrechtlicher Vereinbarungen nicht angewendet werden. Findet sich im Vertrag und in den allgemein zugänglichen Unterlagen kein eindeutiger Beleg für den dem Wortlaut entgegenstehenden subjektiven Willen der Vertragsparteien, ist kein Raum für dessen Berücksichtigung.

     

    An diesen strengen Auslegungskriterien ist festzuhalten. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Vertrag insoweit unstimmig ist, als die entsprechende konkrete Regelung zwar die Abs. 1, 3 und 4 enthält, jedoch keinen Abs. 2. Zwar mag der Schluss in Betracht kommen, dass hier eine weitere Regelung und womöglich eine Verlängerungsmöglichkeit für den Vertrag gewollt war. Ebenso ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Verlängerung des Vertrags nicht beabsichtigt war und die Abs. 3 und 4 versehentlich in den Vertrag aufgenommen worden sind. Insoweit kann die Frage, ob der GAV einen Abs. 2 enthalten sollte und welchen Inhalt dieser hätte haben sollen, aus dem GAV heraus nicht durch Auslegung ermittelt werden.

     

    Selbst wenn man ungeachtet des Fehlens eines Abs. 2 auf den Willen der Vertragsparteien zur Vereinbarung einer Vertragsverlängerung schließen wollte, ist anhand der Vertragsurkunde nicht zu ermitteln, für welchen Zeitraum und unter welchen Voraussetzungen die Verlängerung nach dem Willen der Vertragsparteien hätte eintreten sollen. So enthält der beurkundete Vertragstext keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich der Vertrag jeweils um ein weiteres Jahr verlängern sollte, wenn er nicht ein Jahr vor dessen Ablauf schriftlich gekündigt würde. Ebenso könnte der Wille der Vertragsparteien z. B. dahin gegangen sein, dass zur Vertragsverlängerung eine ausdrückliche Erklärung erforderlich sein oder dass sich der Vertrag nach Ablauf der fünfjährigen Mindestvertragslaufzeit auf unbestimmte Zeit fortsetzen sollte, mit der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung durch eine der Vertragsparteien.

     

    Ergebnis: Dementsprechend wurde durch den GAV keine Verlängerung vereinbart, sodass in den Jahren 2006 bis 2009 kein GAV existierte und deshalb eine Besteuerung nach den allgemeinen Regeln durchzuführen ist.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der Gesetzgeber hat im Jahr 2013 mit dem „Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts“ vom 20.2.13 (BStBl I, 188) einige Änderungen im Bereich der Organschaft vorgenommen. Insbesondere wurden in § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 ff. KStG Heilungsmöglichkeiten bei fehlerhafter Gewinnabführung geschaffen. Danach gilt der GAV auch als durchgeführt, wenn der abgeführte Gewinn oder ausgeglichene Verlust auf einem Jahresabschluss beruht, der fehlerhafte Bilanzansätze enthält, sofern

     

    • a) der Jahresabschluss wirksam festgestellt ist,

     

    • b) die Fehlerhaftigkeit bei Erstellung des Jahresabschlusses unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hätte erkannt werden müssen und

     

    • c) ein von der Finanzverwaltung beanstandeter Fehler spätestens in dem nächsten nach dem Zeitpunkt der Beanstandung des Fehlers aufzustellenden Jahresabschluss der Organgesellschaft und des Organträgers korrigiert und das Ergebnis entsprechend abgeführt oder ausgeglichen wird, soweit es sich um einen Fehler handelt, der in der Handelsbilanz zu korrigieren ist.

     

    Die Voraussetzung des S. 4 Buchst. b gilt bei Vorliegen eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks nach § 322 Abs. 3 des HGB zum Jahresabschluss, zu einem Konzernabschluss, in den der handelsrechtliche Jahresabschluss einbezogen worden ist, oder über die freiwillige Prüfung des Jahresabschlusses oder der Bescheinigung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers über die Erstellung eines Jahresabschlusses mit umfassenden Beurteilungen als erfüllt.

     

    Die Korrekturmöglichkeit greift allerdings nur bei fehlerhaften Bilanzansätzen. Wenn ein Jahresabschluss wirksam festgestellt ist und die Fehlerhaftigkeit von einem ordentlichen Kaufmann nicht erkannt werden musste bzw. der uneingeschränkte Bestätigungsvermerk nach § 322 Abs. 3 HGB zum Jahres- oder Konzernabschluss oder über die freiwillige Prüfung oder Bescheinigung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers über die Erstellung eines Jahresabschlusses mit umfassenden Beurteilungen vorliegt, gilt ein GAV somit auch dann, wenn er nicht wirksam vereinbart wurde, als durchgeführt.

     

    Ob diese Regelung auch im Fall eines nicht wirksam abgeschlossenen GAV gilt, ist allerdings fraglich, denn wenn für das Streitjahr gar kein GAV abgeschlossen wurde, dann kann ein solcher auch nicht angewendet werden. Bei obigem Sachverhalt hätte die Neuregelung des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 ff. KStG also wohl nicht geholfen.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2023 | Seite 48 | ID 48983828