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  • · Fachbeitrag · Partielle Gewinnthesaurierung

    Neues vom BFH zu Steuerfolgen einer inkongruenten bzw. gespaltenen Gewinnverwendung

    von StB Frank Niesmann (M. I. Tax), Hamburg

    | Der BFH hat jüngst entschieden, dass ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss über eine inkongruente bzw. gespaltene Gewinnverwendung (nachfolgend: gespaltene Gewinnverwendung) nicht zwingend zum Zufluss von Kapitalerträgen bei einem beherrschenden Gesellschafter einer KapG führt (BFH 28.9.21, VIII R 25/19). Denn auch bei der von der Rechtsprechung entwickelten Fiktion des Zuflusses von Kapitalerträgen bei beherrschenden Gesellschaftern muss grundsätzlich ein auf die Gewinnausschüttung ausgerichteter Gewinnverwendungsbeschluss vorliegen, der sodann zu einem Forderungsanspruch führt und letztlich in einem Auszahlungsanspruch mündet, dessen Erfüllung im Machtbereich des beherrschenden Gesellschafters selbst liegt. Fehlt es an einem solchen Beschluss für den betreffenden Gesellschafter, kann mangels entstandener Forderung kein Zufluss beim beherrschenden Gesellschafter fingiert werden. |

    1. Hintergrund und Streitfrage

    Die Gesellschafter einer KapG erzielen durch Gewinnausschüttungen im Kalenderjahr des Zuflusses Einnahmen aus Kapitalvermögen (§§ 20, 11 EStG). Ein Zufluss liegt vor, sobald der Gesellschafter über die Gewinnausschüttung wirtschaftlich verfügen kann (Auszahlung oder Gutschrift auf Verrechnungskonto). Aufgrund der Stellung eines beherrschenden Gesellschafters bei einer KapG wird bei ihm der Zufluss bereits mit Entstehung des Gewinnauszahlungsanspruchs fingert, da dieser den Auszahlungszeitpunkt regelmäßig selbst bestimmen kann. Der Auszahlungsanspruch entsteht in diesen Fällen somit bereits zum Beschlusszeitpunkt.

     

    MERKE | Ein Gesellschafterbeschluss bezüglich der erwirtschafteten Gewinne im Nachgang der Jahresabschlusserstellung einer KapG umfasst insbesondere die Gewinnverteilung und die Gewinnverwendung. Jeder Gesellschafter hat entsprechend seiner kapitalmäßigen Beteiligung einen Anspruch auf den von der KapG erwirtschafteten Gewinn (Gewinnbezugsrecht). Die Verteilung dieses Gewinns erfolgt grundsätzlich im Verhältnis der Geschäftsanteile der Gesellschafter (§ 29 Abs. 3 GmbHG). Davon zu differenzieren ist die Gewinnverwendung. Die Gewinnverwendung regelt, inwieweit der erwirtschaftete Gewinn an die Gesellschafter ausgeschüttet werden oder zur Innenfinanzierung in der KapG verbleiben soll (Gewinnvortrag oder Einstellung in die Gewinnrücklage).

     

    Abweichend von diesem Grundsatz kann im Gesellschaftsvertrag oder durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss, sofern der Gesellschaftsvertrag eine dafür notwendige Öffnungsklausel vorsieht, ein anteilsabweichender Gewinnverteilungsmaßstab oder eine zeitlich gespaltene Gewinnverwendung beschlossen werden. Letzteres ermöglicht es, gesellschafterbezogene Gewinnvorträge oder Gewinnrücklagen für den betreffenden Gesellschafter zu bilden.

     

    Beachten Sie | Durch das in dieser Hinsicht äußerst „flexible“ Gesellschaftsrecht wird den Gesellschaftern einer KapG die individuelle Gewinnrücklagenbildung durch Unterkonten ‒ ähnlich wie bei Personengesellschaften ‒ ermöglicht. So kann beispielsweise eine Gewinnverwendung beschlossen werden, bei der für die Minderheitsgesellschafter eine Gewinnausschüttung und für den Mehrheitsgesellschafter ein personenbezogener Gewinnvortrag oder eine Gewinnrücklage vorgesehen ist (sog. gespaltene Gewinnverwendung). Die ausgeführten zivil- bzw. gesellschaftsrechtlichen Abbedingungen sind grundsätzlich für steuerliche Zwecke anzuerkennen.

     

    Der BFH hatte nun zu klären, ob auch die Einstellung einer gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage für einen beherrschenden Gesellschafter dazu führt, dass bei ihm ein Zufluss von Kapitalerträgen nach §§ 20, 11 EStG zu fingieren ist.

    2. Sachverhalt

    Im Streitfall erfolgte zwar die Gewinnverteilung, wie gesetzlich normiert, nach den Verhältnissen der Geschäftsanteile. Allerdings machten die Gesellschafter vom oben ausgeführten Recht der gespaltenen Gewinnverwendung Gebrauch. Der Gesellschaftsvertrag beinhaltete eine entsprechende Öffnungsklausel, die eine abweichende Gewinnausschüttung und somit Gewinnverwendung ermöglichte. Im Gesellschafterbeschluss wurden sodann ‒ abweichend vom Grundsatz ‒ eine Gewinnausschüttung für den Minderheitsgesellschafter und die Einstellung einer personenbezogenen Gewinnrücklage für den Mehrheitsgesellschafter bzw. beherrschenden Gesellschafter (Kläger) mit einer einfachen Stimmenmehrheit beschlossen. Folglich wurde von der KapG keine Kapitalertragsteuer einbehalten und für Rechnung des beherrschenden Gesellschafters abgeführt.

     

    Dem folgte das Finanzamt nicht mit der Begründung, dass dem beherrschenden Gesellschafter im Zeitpunkt der Beschlussfassung Kapitalerträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugeflossen seien, da dieser bereits ab Beschlusszeitpunkt wirtschaftlich über einen konkreten und auszahlbaren Gewinnanspruch verfügen konnte. Der Beschluss über die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage sei daher als Verbindlichkeit der KapG gegenüber ihrem beherrschenden Gesellschafter zu passivieren.

     

    Das Finanzgericht folgte der Auffassung des Finanzamtes und entschied, dass die wirtschaftliche Verfügungsmöglichkeit über die Kapitalerträge zu einer Zuflussfiktion beim beherrschenden Gesellschafter führt. Der BFH sah das jedoch anders und hat die Entscheidung des Finanzgerichts aufgehoben.

    3. Die Entscheidung des BFH ‒ VIII R 25/19

    Zunächst stellte der BFH die allgemeinen Grundsätze der Besteuerung von Gewinnausschüttungen dar. Im Zuge dessen stellte er fest, dass einer Gewinnausschüttung regelmäßig ein Gewinnverwendungsbeschluss zugrunde liegen muss. In einem weiteren Schritt wurde der Unterschied zwischen der Gewinnverteilung und der Gewinnverwendung herausgearbeitet und unterstrichen, dass zivilrechtlich wirksame Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich steuerrechtlich anzuerkennen sind.

     

    Im Streitfall lag ein wirksamer Gesellschafterbeschluss über gespaltene Gewinnverwendung vor, der lediglich für die Minderheitsgesellschafter eine Gewinnausschüttung vorsah. Für den Mehrheitsgesellschafter bzw. beherrschenden Gesellschafter wurde keine Gewinnausschüttung, sondern zulässigerweise die Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage beschlossen. Folglich ist beim beherrschenden Gesellschafter im Streitfall kein Gewinnauszahlungsanspruch entstanden, dessen Auszahlung er jederzeit hätte herbeiführen können. Zum Zufluss kommt es erst, wenn ein neuer auf die Gewinnausschüttung des betreffenden Gesellschafters ausgerichteter Gewinnverwendungsbeschluss gefasst wird. Folgt man der Ansicht des Finanzamtes, bestünde für alleinige Gesellschafter einer KapG keine Möglichkeit der Gewinnthesaurierung.

     

    Beachten Sie | Auch wenn ‒ wie im Streitfall ‒ eine einfache Stimmrechtsmehrheit für einen neuen Beschluss ausreicht, ist kein Zufluss anzunehmen, da die Realisierung der Gewinnausschüttung zu einem späteren Zeitpunkt aus der gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage ‒ z. B. wegen der Verrechnung mit in der Zwischenzeit entstandenen Verlusten ‒ nicht gesichert ist. Dementsprechend stellte sich im Streitfall die Frage des Zuflusses von Kapitalerträgen erst gar nicht.

     

    Im Übrigen steht die Entscheidung im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zum Zufluss von Kapitalerträgen bei beherrschenden Gesellschaftern. Letztlich kann in solchen gespaltenen Beschlüssen grundsätzlich somit auch kein Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO gesehen werden, sofern wirtschaftliche Motive zur Begründung herangezogen werden können.

    4. Bedeutung der Rechtsprechungsänderung für die Praxis

    Bei der Entscheidung handelt es sich um die erste höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anerkennung von individuellen bzw. gesellschafterbezogenen Gewinnrücklagekonten bei Kapitalgesellschaften. Die Entscheidung des BFH ist zu begrüßen, da sie zum einen für Rechtssicherheit sorgt und zum anderen vielseitige Gestaltungsspielräume hinsichtlich der individuellen Gewinnthesaurierung bei einer KapG ermöglicht. Zukünftig kann bei unterschiedlichen Interessen bezüglich der Ausschüttungspolitik oder in dem Fall, dass eine wirtschaftliche und bilanzielle Abgrenzung der Gewinne gewünscht ist, die gespaltene Gewinnverwendung in Betracht gezogen werden. Ferner ergeben sich durch die gespaltene Gewinnverwendung interessante Gestaltungsoptionen im Rahmen der strategischen Nachfolgeplanung. Der BFH hat in seiner Entscheidung auch klargestellt, dass für die Anwendung vernünftige wirtschaftliche Motive vorliegen müssen, wie z. B. gesellschaftsinterne Finanzierungsgründe.

     

    In der Praxis ist Steuerpflichtigen und insbesondere Familienkapitalgesellschaften daher dringend zu empfehlen, die Gründe und Motive für die gespaltene Gewinnverwendung hinreichend zu dokumentieren und ggf. in Absprache mit ihren steuerlichen Beratern eine verbindliche Auskunft i. S. d. § 89 AO zu beantragen, um das Gewünschte möglichst rechtssicher zu erreichen.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 196 | ID 48106374