· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Eine Forderung kann auch vor Insolvenzeröffnung bereits uneinbringlich i.S. von § 17 UStG sein
von Georg Nieskoven, Troisdorf
Ist seine Entgeltsforderung uneinbringlich geworden, so kann der leistende Unternehmer die nach dem Sollbesteuerungsprinzip bereits im Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung an den Fiskus abgeführte Umsatzsteuer korrigieren, was zur spiegelbildlichen Korrektur des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger führt (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Eine „Uneinbringlichkeit“ in diesem Sinne kann bei Zahlungsunfähigkeit des Leistungsempfängers auch schon vor dessen Insolvenz anzunehmen sein (FG Sachsen 10.1.13, 6 K 1332/10). |
Sachverhalt
Zwischen M und der im Heizungsbau tätigen H-GmbH bestanden eine ertragsteuerliche Betriebsaufspaltung und eine umsatzsteuerliche Organschaft, da M der GmbH wesentliche Anlagegüter für monatlich 10.000 EUR verpachtet hatte. Zum 31.12.07 veräußerte M das Anlagevermögen und beendete das Pachtverhältnis. Infolgedessen ging er zu diesem Stichtag auch von einer Beendigung der Organschaft aus. Im April 08 wurde ein Insolvenzantrag gestellt und im Juni 08 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Die USt-Sonderprüfung ermittelte daraufhin auf Basis der offenen Verbindlichkeiten der GmbH ein Vorsteuerkorrekturvolumen i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG von über 50.700 EUR. Die Prüfer gingen allerdings davon aus, dass dieser Betrag noch von M als Organträger geschuldet werde, da eine „Uneinbringlichkeit“ nicht erst nachorganschaftlich ab der Insolvenzeröffnung, sondern bereits zum 31.12.07 vorgelegen habe, was das FG Sachsen nach erfolglosem Einspruchsverfahren auch bestätigte.
Anmerkungen
M hatte argumentiert, nach der bisherigen Besteuerungspraxis werde in Insolvenzfällen die Uneinbringlichkeit offener Forderungen erst auf den Insolvenzeröffnungszeitpunkt angenommen; die Uneinbringlichkeit könne keinesfalls vor dem Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung (4/08) gelegen haben, da die GmbH in den Monaten Januar bis März 08 noch Zahlungen geleistet habe. Das FG widersprach dem jedoch unter Verweis auf die Ergebnisse der Außenprüfung.
Nach den Feststellungen des FA sei die GmbH nämlich bereits auf den 31.12.07 weitestgehend „zahlungsunfähig“ gewesen, da den liquiden Mitteln von 30.000 EUR fällige Verbindlichkeiten von über 750.000 EUR gegenüber gestanden hätten. Liege die (darin zu sehende) Zahlungsunfähigkeit jedoch deutlich vor dem Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung, so müsse umsatzsteuerlich für Zwecke der Uneinbringlichkeit auf den früheren Zeitpunkt abgestellt werden. Denn Uneinbringlichkeit im Sinne einer Vorsteuerkorrektur beim Leistungsempfänger erfordere nur, dass bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen sei, dass der Leistende seine Forderung jedenfalls auf absehbare Zeit (ganz oder teilweise) nicht werde durchsetzen können. Die nach dem 31.12.07 von der GmbH unbestrittenermaßen noch veranlassten Zahlungen stellten insofern nicht die Uneinbringlichkeit infrage, sondern führten lediglich zu nachträglichen „Rückkorrekturen“ i.S. von § 17 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 UStG.
Praxishinweise
In der Tat gehen die Finanzämter in der Praxis in Insolvenzfällen - wie M argumentiert hatte - von einer Uneinbringlichkeit i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG regelmäßig erst auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung aus und melden diesen Vorsteuerkorrekturanspruch zur Tabelle an. Auch A 17.1 Abs. 15 S. 1 UStAE formuliert, dass „…Entgeltsforderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen … im Augenblick der Insolvenzeröffnung unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich…“ werden. Dies ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass dem „Uneinbringlichkeitszeitpunkt“ in den meisten Insolvenzfällen keine große Relevanz zukommt, da die Vorsteuerkorrekturforderungen auch bei einer Vorverlagerung nur vorinsolvenzliche und damit meist wertlose „Tabellenforderungen“ bleiben.
Wie der Begriff „spätestens“ in A 17.1 Abs. 15 S. 2 UStAE verdeutlicht, will sich jedoch auch die Finanzverwaltung „im Bedarfsfall“ - wie z.B. bei der vorinsolvenzlichen Organschaftsbeendigung - die Möglichkeit einer früheren Uneinbringlichkeitsprüfung offenhalten. Denn für solche „organschaftsberührten Insolvenzfälle“ hatte der BFH sich seinerzeit gegen die Finanzverwaltung gestellt. Danach sei der Organträger - obwohl er die Vorsteuerbeträge für „seine“ Organgesellschaft vom Fiskus vereinnahmt hatte - für die erst nach Organschaftsbeendigung wegen insolvenzbedingter „Uneinbringlichkeit“ bei der Organgesellschaft entstehende Rückzahlungsverpflichtung ebendieser Vorsteuer nicht mehr Steuerschuldner (BFH 7.12.06, V R 2/05).
PRAXISHINWEIS | In Insolvenzfällen ist daher bei beiden Beteiligten zu prüfen, ob der Zeitpunkt der „Uneinbringlichkeit“ nicht vor Insolvenzantragstellung oder -eröffnung liegt. Insofern kommt es nicht auf den (subjektiven) Kenntnisstand des leistenden Unternehmers über die Zahlungsprobleme, sondern auf die objektive Faktenlage bei der Leistungsempfängerin an. Uneinbringlichkeit“ setzt aber nicht zwingend die Zahlungsunfähigkeit des Leistungsempfängers voraus. Auch dessen „substantiiertes Bestreiten“ der Zahlungspflicht (z.B. wegen Mängelrüge) reicht aus. Insofern ist Uneinbringlichkeit nicht immer erst bei Einleitung anwaltlicher oder gar gerichtlicher Schritte - oder gar erst nach Abschluss eines Klage- oder Vergleichsverfahrens - anzunehmen (vgl. ausführlich MBP 12, 202). |
Beachten Sie | Im Streitfall hatte das FG Sachsen aufgrund der bestehenden ertragsteuerlichen Betriebsaufspaltung auch die umsatzsteuerliche Organschaft bejaht. Ausweislich der jüngst geänderten BFH-Rechtsprechung wird bei den meisten Betriebsaufspaltungsfällen jedoch inzwischen eine umsatzsteuerliche Organschaft verneint (vgl. insofern - und zur verwaltungsseitigen Übergangsregelung: BMF 5.7.11, IV D 2 -S 7105/10/10001, BStBl I 11, 703).