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  • · Fachbeitrag · Lohnfortzahlung

    Corona-Quarantäne: Keine Entschädigungen für Ungeimpfte ‒ Folgen für Lohnfortzahlungspflicht

    von Rechtsanwältin Dr. Viktoria Winstel, Osborne Clarke, Köln

    | Die meisten Ungeimpften erhalten seit dem 01.11.2021 keine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) mehr, wenn sie ihrer Arbeit aufgrund von Tätigkeitsverboten oder angeordneter Quarantäne nicht nachkommen können. Dies hat die Gesundheitsministerkonferenz am 22.09.2021 beschlossen. Für den Arbeitgeber ist es nun wichtig zu wissen, ob und welche Auswirkungen der Beschluss auf seine Lohnfortzahlungspflicht hat, insbesondere ob er diese nun insgesamt verweigern darf. LGP klärt auf. |

    Der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz

    Das IfSG gewährt in § 56 Abs. 1 eine Entschädigung für Personen, denen von der Behörde die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise untersagt bzw. eine Quarantäne angeordnet wurde. Der Arbeitgeber geht zunächst in Vorleistung und erhält die Beträge auf Antrag von der Behörde zurück (§ 56 Abs. 5). Mit § 56 Abs. 1 S. 4 sieht das IfSG jedoch von der Gewährung einer Entschädigung ab, wenn das Tätigkeitsverbot oder die Quarantäneanordnung durch Inanspruchnahme einer öffentlich empfohlenen Schutzimpfung (oder anderen spezifischen Prophylaxe) hätte vermieden werden können.

     

    Um diese Ausnahmeregelung geht es in dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz: Personen, die als Kontaktpersonen oder Reiserückkehrer aus Risikogebieten einem Tätigkeitsverbot oder einer Quarantäneanordnung unterliegen und dadurch ihrer Arbeit nicht nachkommen können, sollen künftig keine staatliche Entschädigung mehr auf Kosten der Allgemeinheit erhalten, wenn sie trotz einer Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission nicht über einen vollständigen Impfschutz verfügen. Dies wird mit einer mittlerweile flächendeckenden Verfügbarkeit von Impfangeboten begründet.

    Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers?

    Für den Arbeitgeber stellt sich die Frage, ob er im Falle eines behördlichen Tätigkeitsverbots oder einer Quarantäneanordnung trotz Wegfalls der Arbeitsleistung weiter zur Lohnfortzahlung an einen ungeimpften Arbeitnehmer verpflichtet ist. § 3 EFZG und § 616 S. 1 BGB liefern Anknüpfungspunkte:

     

    1. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

    Tritt neben das Tätigkeitsverbot oder die Quarantäneanordnung eine tatsächliche Covid-19 Erkrankung bei einem ungeimpften Arbeitnehmer, muss der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten. Das ergibt sich aus dem Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 EFZG. Beruht die Anordnung dagegen allein auf einem Risikokontakt oder einer Reiserückkehr, liegt keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bei einem ungeimpften Arbeitnehmer vor; und § 3 EFZG scheidet aus.

     

    Wichtig | Der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz ändert also an der rechtlichen Bewertung des § 3 EFZG nichts.

     

    2. Vorübergehende Verhinderung

    Ein anderer Anknüpfungspunkt für die Lohnfortzahlungspflicht bei einem ungeimpften Arbeitnehmer ist § 616 S. 1 BGB. Nach dieser Regelung verliert der zur Dienstleistung Verpflichtete den Anspruch auf die Vergütung nicht dadurch, dass er

    • für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
    • durch einen in seiner Person liegenden Grund
    • ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.

     

    Nach der BGH-Rechtsprechung ist § 616 S. 1 BGB auf Fälle einer behördlichen Quarantäneanordnung anwendbar (BGH, Urteile vom 30.11.1978, Az. III ZR 43/77 und vom 01.02.1979, Az. III ZR 88/77).

     

    Im Zusammenhang mit einem Tätigkeitsverbot oder einer Quarantäneanordnung ist jedoch stets für den Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei dem konkreten Quarantänezeitraum um eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ nach § 616 S. 1 BGB handelt. Das Bundesgesundheitsministerium legt sich bei der Beurteilung dieses Zeitraums nicht fest. Bei fünf Tagen sei im Regelfall unabhängig von anderen Faktoren eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ zu bejahen (www.iww.de/s5692). Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz sieht bei einer Beschäftigungsdauer von mindestens einem Jahr eine höchstens vierzehn Tage andauernde Arbeitsverhinderung infolge einer Absonderung noch als nicht erhebliche Zeit im Sinne des § 616 S. 1 BGB an (VG Koblenz, Urteil vom 10.05.2021, Az. 3 K 108/21.KO, Abruf-Nr. 222706). Hieraus kann jedoch keine allgemeine Regel abgeleitet werden.

     

    Mit Blick auf die Begründung des aktuellen Beschlusses der Gesundheitsministerkonferenz dürften zwar gute Gründe dafür sprechen, dass der Arbeitgeber den Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 S. 1 BGB mit Hinweis auf eine zumutbare, aber schuldhaft unterlassene Schutzimpfung ablehnen darf. Doch hier fehlt noch Rechtsprechung, auch zu Einzelfallfragen wie religiösen Motiven des Arbeitnehmers oder der Erkennbarkeit des Risikos bei der Beurteilung. Von daher besteht das Risiko, dass der Arbeitgeber, der Lohn einbehält, dies unberechtigt tut; Schadenersatz- und Verzugsansprüche drohen.

    Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers und Praxistipps

    Mit Blick auf die offenen Auslegungsfragen im Rahmen des § 616 S. 1 BGB verbietet sich derzeit eine rechtssichere Beurteilung des Lohnfortzahlungsanspruchs ungeimpfter Arbeitnehmer. Vor diesem Hintergrund hat der Arbeitgeber im Moment folgende Handlungsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber

    • könnte prüfen, inwieweit er seine Arbeitnehmer auch im Home-Office sinnvoll einsetzen kann. Mit Blick auf die aktuellsten Entwicklungen zur Wiedereinführung der Home-Office-Pflicht gilt dies ohnehin.
    • könnte § 616 S. 1 BGB abbedingen, sodass für den Fall der vorübergehenden Verhinderung überhaupt kein Lohnfortzahlungsanspruch besteht. Eine solche Regelung kann er individualrechtlich treffen.
    Quelle: Ausgabe 12 / 2021 | Seite 247 | ID 47834316