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Das neue Qualifizierungsgeld: Das sind die Voraussetzungen und Spielregeln für Unternehmen
von Kerstin Kind, Director und Rentenberaterin, WTS GmbH, Frankfurt
| Das Qualifizierungsgeld ist eine an das Kurzarbeitergeld angelehnte Entgeltersatzleistung, die zum 01.04.2024 mit dem Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung eingeführt wurde. Zielgruppe sind Beschäftigte, denen durch den Strukturwandel der Verlust des Arbeitsplatzes droht, und denen eine Weiterbildung die zukunftssichere Beschäftigung im gleichen Unternehmen ermöglichen kann. LGP erläutert die Voraussetzungen, den Antragsprozess und die lohnsteuerlichen Regelungen. |
Die Voraussetzungen des Qualifizierungsgelds
Das Qualifizierungsgeld, geregelt in §§ 82a bis c SGB III, ist eine staatliche Maßnahme. Arbeitnehmer können bei Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung für die Dauer der Weiterbildungsmaßnahme Qualifizierungsgeld von der Agentur für Arbeit erhalten. Dazu müssen die folgenden vier Grundvoraussetzungen gegeben sein:
- 1. Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen
- 2. Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen
- 3. Erfüllung der Voraussetzungen gegenüber dem Bildungsträger
- 4. Erfüllung der Voraussetzungen an die Weiterbildungsmaßnahme
Nachfolgend erläutern wir die Voraussetzungen im Detail.
Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen
Grundvoraussetzung ist der strukturwandelbedingte Qualifizierungsbedarf eines wesentlichen Teils der Belegschaft. Bei Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten müssen 20 Prozent vom Strukturwandel betroffen sein; bei weniger als 250 Beschäftigten zehn Prozent. Für die Ermittlung des Anteils wird die Gesamtzahl der betroffenen Beschäftigten in dem Betrieb zugrunde gelegt, auch wenn diese später das Qualifizierungsgeld nicht in Anspruch nehmen. Bei der Feststellung der Zahl der Beschäftigten sind Auszubildende, Praktikanten sowie geringfügig Beschäftigte nicht zu berücksichtigen.
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In einem Betrieb mit 300 Beschäftigten sind 75 Beschäftigte von einem strukturwandelbedingten Qualifizierungsbedarf betroffen.
Ergebnis: 75 Beschäftigte entspricht 25 Prozent, also mehr als 20 Prozent der Beschäftigten im Betrieb. Die betrieblichen Voraussetzungen sind also erfüllt. Dies gilt selbst dann, wenn sich letztlich nur 30 Beschäftigte (= zehn Prozent) für die Durchführung der Weiterbildungsmaßnahme und das Qualifizierungsgeld entscheiden. |
Darstellung in Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung
Der „strukturwandelbedingte Qualifizierungsbedarf“ muss in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden. In diesen Dokumenten benennen die Betriebs- und Tarifpartner die Bereiche, in denen die beruflichen Tätigkeiten der Beschäftigten möglicherweise durch Technologien ersetzt werden könnten oder anderweitig vom Strukturwandel betroffen sind. Es ist erforderlich, dass Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag betriebsbezogen darstellen, welche Qualifizierungsmaßnahmen für die betroffenen Beschäftigten geplant sind und warum die Betriebs- bzw. Tarifpartner davon ausgehen, dass diese Maßnahmen eine nachhaltige Beschäftigung im Betrieb sichern. Eine nachvollziehbare Prognose reicht aus.
Wichtig | Bei Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten reicht eine schriftliche Erklärung des Unternehmens.
Finanzierung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber muss zudem die berufliche Weiterbildungsmaßnahme selbst finanzieren, d. h. die Beschäftigten dürfen nicht an den Kosten beteiligt werden. Eine Kostenübernahme durch Dritte ist aber zulässig. Behinderungsbedingt erforderliche Mehraufwendungen trägt die Agentur für Arbeit.
Die Betriebs- und Tarifpartner haben die Möglichkeit, die Entgeltzahlungen teilweise oder vollständig aufzustocken oder alternative Leistungen für die Beschäftigten bereitzustellen. Dabei spielt es keine Rolle, um welchen Gehaltsbestandteil es sich bei der Aufstockung durch den Arbeitgeber handelt. Jedoch darf der Betrag der Aufstockung zusammen mit dem Qualifizierungsgeld das sog. Soll-Entgelt nicht überschreiten.
Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen
Die mit Qualifizierungsgeld zu fördernden Arbeitnehmer müssen die Weiterbildung im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses bei ihrem Arbeitgeber durchführen. Das Arbeitsverhältnis darf für die Dauer der Förderung weder gekündigt noch durch Aufhebungsvertrag aufgelöst werden. Die Arbeitnehmer dürfen in den letzten vier Jahren vor der Antragstellung nicht schon einmal Qualifizierungsgeld von der Agentur für Arbeit erhalten haben.
Wichtig | Die Beschäftigten müssen der Qualifizierungsmaßnahme zustimmen. Die Zustimmung der Beschäftigten erfolgt gegenüber dem Arbeitgeber.
Ausgeschlossen von einer Förderung nach § 82a SGB III sind
- Auszubildende, Praktikanten, geringfügig Beschäftigte sowie unständig Beschäftigte;
- Personen, die eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder Knappschaftsausgleichleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art als Vollrente beziehen. Ist die Altersrente zwar beantragt, aber noch nicht zuerkannt, kann Qualifizierungsgeld gewährt werden;
- versicherungsfreie Arbeitnehmer in der Arbeitslosenversicherung. Das sind
- z. B. Personen, die die Regelaltersgrenze im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht haben, und zwar ab Beginn des folgenden Monats,
- Personen, denen eine dem Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder eine vergleichbare Leistung eines ausländischen Leistungsträgers zuerkannt ist.
Erfüllung der Voraussetzungen gegenüber Bildungsträger
Qualifizierungsgeld kann nur beantragt werden, wenn die Weiterbildungsmaßnahme durch einen Bildungsträger erfolgt, der für die Förderung nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) zugelassen ist. Ausführliche Informationen liefern die Bildungsträger.
Erfüllung der Voraussetzungen an Weiterbildungsmaßnahme
Die Weiterbildungsmaßnahme muss insgesamt mehr als 120 Stunden umfassen. Diese sind nicht zwingend am Stück zu absolvieren. Bei der Umsetzung können Stunden als Unterrichtseinheiten verstanden werden: bei fachtheoretischem und fachpraktischem Unterricht 45 Minuten, bei betrieblichen Lernphasen 60 Minuten.
Ferner müssen in der Weiterbildung Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die über eine ausschließlich arbeitsplatzbezogene, kurzfristige Anpassungsfortbildung hinausgehen. Nicht gefördert werden Qualifizierungen mit überwiegend betriebsspezifischen Inhalten oder Maßnahmen, zu deren Durchführung der Arbeitgeber aufgrund bundes- oder landesrechtlicher Regelungen verpflichtet sind.
Fortbildungen, die auf ein nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG) förderfähiges Fortbildungsziel vorbereiten, sind ausgeschlossen. Eine Ausnahme gilt jedoch für Fortbildungen, wenn die erste Fortbildungsstufe zum Berufsspezialisten absolviert und diese vor dem 01.04.2028 begonnen wird.
Qualifizierungsgeld richtig und rechtzeitig beantragen
Der Arbeitgeber muss das Qualifizierungsgeld schriftlich oder elektronisch bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen (arbeitsagentur.de). Auch wenn die Beschäftigten selber anspruchsberechtigt sind, kann nur der Arbeitgeber Verfahrensrechte (z. B. Beantragung, Entgegennahme der Zahlung) ausüben.
Dem Antrag sind die Zustimmungen der Beschäftigten in Kopie beizufügen. Außerdem ist dem Antrag eine Abrechnungsliste mit den Daten zur Berechnung des Qualifizierungsgelds und eine Teilnehmerliste beizufügen.
Wichtig | Das Qualifizierungsgeld kann nur für die Zukunft gewährt werden. Der Antrag sollte spätestens drei Monate vor Beginn der Maßnahme gestellt werden (empfohlener Bearbeitungszeitraum der Agentur für Arbeit).
Die Höhe des Qualifizierungsgelds
Das Qualifizierungsgeld beträgt 60 Prozent der sog. durchschnittlichen Nettoentgeltdifferenz. Dabei handelt es sich um einen Betrag, der pauschaliert und mit Bezug auf einen Referenzzeitraum ermittelt wird. Haben Beschäftigte mindestens ein Kind, erhalten sie 67 Prozent der Nettoentgeltdifferenz. Die Nettoentgeltdifferenz wird aus dem Soll- und Ist-Entgelt für den Referenzzeitraum ermittelt.
Der Referenzzeitraum
Die Bemessung wird auf Basis eines abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraums durch den Arbeitgeber vorgenommen. Ein Entgeltabrechnungszeitraum ist abgerechnet und das Arbeitsentgelt erzielt, wenn es dem Arbeitnehmer zugeflossen ist oder es aufgrund der erfolgten Abrechnung nur noch des technischen Überweisungsvorgangs bedarf. Der Entgeltabrechnungszeitraum für den Referenzzeitraum liegt mindestens drei Monate vor dem Anspruchsbeginn und umfasst einen Abrechnungsmonat.
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Beginn der Qualifizierungsmaßnahme: 15.07. Das Qualifizierungsgeld wird am 10.04. beantragt. Der Monat März wurde am 31.03. abgerechnet.
Ergebnis: Referenzzeitraum ist März (mindestens: drei Monate vor Anspruchsbeginn). |
Das Soll-/Ist-Entgelt
Das Soll-Entgelt umfasst das Bruttoarbeitsentgelt, das als beitragspflichtige Einnahme für die Sozialversicherung gilt. Zusätzliche Leistungen wie Zulagen oder andere Vergünstigungen (wie bspw. vermögenswirksame Leistungen oder Stellenzulagen) werden ebenfalls einbezogen. Nicht einberechnet wird jedoch das Bruttoarbeitsentgelt, das die monatliche Beitragsbemessungsgrenze für die Arbeitslosenversicherung (2024: 7.550 Euro/Monat) übersteigt, da Beiträge nur bis zu dieser Grenze entrichtet werden müssen.
Das Ist-Entgelt stellt das hypothetische beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelt dar, das sich unter der Annahme eines Entgeltausfalls infolge der Weiterbildung im Referenzzeitraum ergibt. Der angenommene Entgeltausfall aufgrund der Weiterbildung entspricht dem durchschnittlichen monatlichen Umfang des Ausfalls während der gesamten Maßnahme. Dieser wird berechnet, indem der zeitliche Umfang aller Bausteine der Maßnahme durch die Anzahl der Monate der Weiterbildung geteilt wird.
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Referenzzeitraum: April; Dauer der Qualifizierungsmaßnahme: zwölf Monate; Gesamtumfang der Qualifizierungsmaßnahme: 300 Stunden
Ergebnis: Für den Referenzzeitraum April werden fiktiv 25 Qualifizierungsstunden (300 Stunden : 12) angesetzt. Anschließend wird für die Beschäftigten das Arbeitsentgelt für den April fiktiv festgelegt. Dieses berücksichtigt die 25 Stunden Teilnahme an der Qualifizierungsmaßnahme, für die kein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Der errechnete Betrag stellt dann das fiktive Ist-Entgelt dar. |
Bei einer Nebenbeschäftigung wird das erzielte Nettoeinkommen angerechnet abzüglich eines Freibetrags von 165 Euro. Bei einer nebenherlaufenden selbstständigen Tätigkeit werden bei Anrechnung pauschal 30 Prozent der Betriebseinnahmen als Betriebsausgaben abgesetzt. Allerdings erfolgt keine Anrechnung von Einkommen aus bereits bestehender Tätigkeit.
Zahlt der Arbeitgeber während der Qualifizierungsmaßnahme das Entgelt (teilweise) fort, wird dies nicht angerechnet, soweit dies zusammen mit dem Qualifizierungsgeld das Soll-Entgelt nicht übersteigt.
Qualifizierungsgeld wird für die Dauer der Teilnahme an einer förderfähigen Weiterbildungsmaßnahme gezahlt, längstens für die Dauer von maximal 42 Monaten. Damit können auch längerfristige Maßnahmen (wie Umschulungen) mit dem Qualifizierungsgeld gefördert werden.
Das Procedere bei Berechnung und Auszahlung
Arbeitgeber müssen das Qualifizierungsgeld selbst berechnen und an die Beschäftigten auszahlen. Dabei darf eine Auszahlung nicht für Zeiten vor der Antragstellung erfolgen. Die Agentur für Arbeit erstattet dem Arbeitgeber das Qualifizierungsgeld monatlich nachträglich.
Bei der Antragstellung und auf Verlangen muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit die Voraussetzungen für die Erbringung von Qualifizierungsgeld nachweisen. Die Nachweispflicht schließt auch die Berechnung des Qualifizierungsgelds ein.
Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Spielregeln
Im Rahmen des Wachstumschancengesetzes ist das Qualifizierungsgeld lohnsteuerlich flankiert worden. Das Qualifizierungsgeld ist
- 1. lohnsteuerfrei (§ 3 Nr. 2 Buchst. a EStG) und
- 2. unterliegt dem Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG).
Damit entspricht das Qualifizierungsgeld steuerlich bestehenden Vorschriften zu Lohnersatzleistungen, wie z. B. dem Kurzarbeitergeld. Auch versicherungs- und beitragsrechtlich wird das Qualifizierungsgeld wie das Kurzarbeitergeld behandelt: Während des Bezugs von Qualifizierungsgeld besteht für die Beschäftigten das Versicherungsverhältnis in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung fort. Die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung werden aus einem fiktiven Arbeitsentgelt in Höhe von 80 Prozent des Unterschiedsbetrags zwischen dem Soll-Entgelt und dem Ist-Entgelt gezahlt und sind vom Arbeitgeber aufzubringen. Zur Arbeitslosenversicherung fallen keine Beiträge an.