Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 06.09.2011 · IWW-Abrufnummer 112702

    Landessozialgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 11.05.2011 – L 11 R 1075/11

    Die Ankündigung oder Durchführung einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV schließt eine Statusfeststellung nach § 7a SGB IV noch nicht aus. Anders ist dies jedoch, wenn das konkrete Rechtsverhältnis Gegenstand der Betriebsprüfung ist.


    L 11 R 1075/11 ER-B

    Tenor:
    Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Februar 2011 aufgehoben. Es wird angeordnet, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2010 aufschiebende Wirkung hat.

    Die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

    Der Streitwert für das Antrags- und Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 10.399 € festgesetzt.

    Gründe
    I. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob ein Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid aufschiebende Wirkung hat.

    Die Antragstellerin ist Inhaberin einer Krankengymnastikpraxis in N.. Ab Juni 2004 war Herr N. B. (B) für sie als Physiotherapeut tätig. Bis zum 31. Oktober 2007 erfolgte die Beschäftigung aufgrund eines Arbeitsvertrages. Die Antragstellerin entrichtete bis zu diesem Zeitpunkt für B die fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Für die Zeit ab 1. November 2007 schlossen die Antragstellerin und B einen "Vertrag über freie Mitarbeit" nach einem Muster des ZVK-Landesverbandes Baden-Württemberg e. V. (AS 99 bis 103 der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin). Darin ist ua geregelt, dass B ab 1. November 2007 eine Tätigkeit als freier Mitarbeiter in der Praxis der Antragstellerin aufnimmt (Nr 1 des Vertrages). B übernimmt die Terminierung seiner Patienten bzw bedient sich für die Terminierung seiner Patienten kostenpflichtig des Rezeptionspersonals der Praxis. Er führt eine eigene Patientenkartei, benutzt einen eigenen Briefbogen und Visitenkarten und ist im Rahmen der Praxisgegebenheiten berechtigt, eigenes Therapiematerial anzuschaffen und zu nutzen. Er bestimmt seine Tätigkeitszeit in der Praxis und auch seine Urlaube selbst. Um eine ordnungsgemäße Patienteneinbestellung sicherzustellen, ist er verpflichtet, urlaubsbedingte oder andere vorhersehbare Abwesenheitszeiten rechtzeitig vorher mitzuteilen (Nr 2 des Vertrages). B ist nicht weisungsgebunden und unterliegt nicht den allgemeinen Praxisregelungen (Nr 3 des Vertrages). Die Antragstellerin stellt ihm einen für die physiotherapeutische Tätigkeit ausreichend geeigneten Behandlungsraum zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Darüber hinaus gestattet sie ihm die Nutzung der für eine geregelte Tätigkeit erforderlichen Praxisräume, wie zB sanitäre Anlagen, Anmelde- und Wartebereich (Nr 4 des Vertrages). Die Antragstellerin übernimmt für ihn auf der Basis einer Rechnungsstellung den Abrechnungsverkehr mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern, anderen Kostenträgern und Privatpatienten (Nr 5 des Vertrages). Als Vergütung für die nach dem Vertrag zu erbringenden Leistungen zahlt die Antragstellerin 60 % (Nr 6 des Vertrages) bzw 70 % (Angaben des B vom 14. Mai 2010) des Abrechnungsbetrages der von B innerhalb eines Abrechnungszeitraumes erbrachten Behandlungsleistungen für gesetzlich oder privat Versicherte an B. Nach Abschluss des Vertrages zahlte die Antragstellerin keine Sozialversicherungsbeiträge mehr für B.

    In der Zeit vom 3. Mai bis 12. Juli 2010 führte die Antragsgegnerin eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin für den Prüfzeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2009 durch. Nach Abschluss der Prüfung forderte sie mit Bescheid vom 22. Juli 2010 von der Antragstellerin Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, zur Arbeitsförderung sowie für das Umlageverfahren (U1 und U2) für die Beschäftigung des B, außerdem Säumniszuschläge für den Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Dezember 2009. Die genaue Aufteilung der Beiträge wurde in einer dem Bescheid beigefügten Anlage aufgeführt. Dies gesamte Nachforderung belief sich auf 20.798,27 €, darin enthalten sind Säumniszuschläge in Höhe von 3.032 €. Die Antragsgegnerin stellte fest, dass B aus ihrer Sicht auch in der Zeit ab Dezember 2007 bei der Antragsstellerin versicherungspflichtig beschäftigt war.

    Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 12. August 2010 Widerspruch ein. Am 18. August 2010 stellte er den Antrag, die Vollziehung des Bescheides auszusetzen und mit einem am 23. September 2010 eingegangenen Schriftsatz begründete er den Widerspruch.

    Am 9. August 2010 hatte der Steuerberater des B bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund die Durchführung eines Statusverfahrens nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) beantragt. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2010 teilte die DRV Bund dem B mit, dass dem Antrag nicht entsprochen werden könne, weil die Antragsgegnerin bereits über den sozialversicherungsrechtlichen Status des B entschieden habe.

    Nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 13. Januar 2011 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides abgelehnt hatte, beantragte die Antragstellerin am 28. Januar 2011 beim Sozialgericht Mannheim (SG) festzustellen, dass ihr Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22. Juli 2010 aufschiebende Wirkung hat. Diesen Antrag lehnte das SG mit Beschluss vom 11. Februar 2011, der Antragstellerin zugestellt am 17. Februar 2011, ab. Es vertrat die Auffassung, dass der Widerspruch nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung habe und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs auch nicht anzuordnen sei. Die Antragsgegnerin dürfte zu Recht von einer Beschäftigung ausgegangen sein, eine genauere Prüfung der Sach- und Rechtslage bleibe jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

    Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 15. März 2011 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Beschwerde.

    Während des Beschwerdeverfahrens hat der Widerspruchsausschuss der Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 22. Juli 2010 zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 18. März 2011). Dagegen hat die Antragstellerin am 12. April 2011 Klage vor dem SG erhoben (S 15 R 1314/11).

    II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und zulässig.

    Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG ausgeschlossen, da angesichts des Beschwerdewerts auch in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre. Die Beschwerde ist zudem form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG). Für das einstweilige Rechtsschutzverfahren wird die Vertretungsbefugnis des von der Antragstellerin bevollmächtigten Rentenberaters unterstellt. Die abschließende Prüfung, ob die dem Bevollmächtigten der Antragstellerin erteilte Erlaubnis zur Besorgung fremder Angelegenheiten im Sachbereich Rentenberater auch die Vertretung eines Arbeitgebers bei Widersprüchen und Klagen gegen Beitragsbescheide nach § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV umfasst, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

    Die Beschwerde ist auch begründet. Der Widerspruch und die Klage der Antragstellerin haben allerdings nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung entschieden. Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch (und Klage) ist hier aber anzuordnen. Der Anordnung der aufschiebenden Wirkung (auch) der Klage bedurfte es nicht (vgl zum Folgenden Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 20. März 2006, L 8 AS 369/06 ER-B, veröffentlicht in juris). Denn die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (Beschluss des Senats vom 11. Mai 2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, veröffentlicht in juris; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 86 b Rdnr 19).

    Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die Klage nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG (in der ab 2. Januar 2002 durch Art 1 Nr 35 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes [6. SGGÄndG] vom 17. August 2001 (BGBl I, Seite 2144) geltenden Fassung) haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG jedoch bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Zu den Entscheidungen, die unter § 86a Abs 2 Nr 1 SGG fallen, gehören auch Bescheide der Rentenversicherungsträger, die - wie hier - auf der Grundlage von § 28p SGB IV nach einer Prüfung beim Arbeitgeber ergehen (Beschlüsse des Senats vom 11. Mai 2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, mwN und vom 29. Juli 2010, L 11 R 2595/10 ER-B, beide veröffentlicht in juris).

    Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (so auch Beschluss des Senats vom 6. Mai 2010, L 11 R 1806/10 ER-B). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

    Die formelle Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides vom 22. Juli 2010 steht nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht in Zweifel. Der Zuständigkeit der Antragsgegnerin steht keine vorangehende Zuständigkeit der DRV Bund aufgrund der Vorschrift des § 7a SGB IV (Anfrageverfahren) entgegen. Nach § 7a Abs 1 Satz 1 SGB IV können die Beteiligten eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Zwar begründet die Ankündigung oder Durchführung einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV noch nicht die Anhängigkeit eines Verfahrens zur Feststellung einer Beschäftigung. Anders ist dies jedoch, wenn das konkrete Rechtsverhältnis Gegenstand der Prüfung ist (Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 7a SGB IV, RdNr 5, Stand Februar 2009). Ein solcher Fall lag hier vor. Gegenstand der von der Antragsgegnerin durchgeführten Betriebsprüfung war ausschließlich das Beschäftigungsverhältnis des B. Die Arbeitgeberprüfung war bereits beendet, als B am 9. August 2010 bei der DRV Bund die Einleitung eines Statusverfahrens nach § 7a SGB IV beantragt hat. Der Senat hat ferner entschieden, dass es einen Vorrang des Anfrageverfahrens nach § 7a Abs 1 SGB IV gegenüber anderen Verfahren, deren Gegenstand die Feststellung einer Beschäftigung ist, nicht gibt (Urteile vom 19. Februar 2008, L 11 KR 5528/07; 28. April 2009, L 11 KR 2149/08, und 19. Mai 2009, L 11 KR 3723/08).

    Erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides bestehen aber in materieller Hinsicht. Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 28p SGB IV. Nach Abs 1 dieser Vorschrift prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für den Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Absatz 2 SGB IV sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Absatz 5 des Zehnten Buches nicht.

    Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (st. Rspr. BSG, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 28. Mai 2005, B 12 KR 13/07 R, zit. nach juris).

    Ausgangspunkt der Prüfung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7; Urteil vom 25. Januar 2006, B 12 KR 30/04 R, Die Beiträge, Beil 2006, 149; jeweils mwN) zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht aber der formellen Vereinbarung regelmäßig vor. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie in rechtlich zulässiger Weise von den Vereinbarungen abweichen (vgl Urteil vom 24. Januar 2007, aaO., mwN; zum Ganzen Urteil des Senats vom 28. April 2009, L 11 KR 2495/05, veröffentlicht in juris).

    Gemessen an dem Vertrag, den die Antragstellerin und B mit Wirkung ab 1. November 2007 geschlossen haben, spricht viel für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit des B ab November 2007. Eine Weisungsbefugnis der Antragstellerin gegenüber B wurde in dem Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen und nach den übereinstimmenden Angaben von B und der Antragstellerin auch nicht von der Antragstellerin tatsächlich in Anspruch genommen. Auch die Abrechnungspraxis spricht für eine Tätigkeit des B als sog freier Mitarbeiter. Er bekommt keine feste monatliche Vergütung, sondern nur einen prozentualen Anteil am Honoraraufkommen der von ihm behandelten Patienten. Der Hinweis der Antragsgegnerin, dass B deshalb kein unternehmerisches Risiko trage, weil er für jeden übernommenen Auftrag einen festgelegten Anteil an der vertragsärztlichen Vergütung erhalte, geht fehl. Entscheidend ist, dass er nur dann eine Vergütung erhält, wenn er Aufträge hat. Jeder niedergelassene Vertragsarzt hat die Sicherheit, dass er für die Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ein Honorar erhält. Gleiches gilt für selbständige Physiotherapeuten wie die Antragstellerin. Wäre dieser Gesichtspunkt ausschlaggebend für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung, könnte kein Vertragsarzt und Physiotherapeut selbständig tätig sein. Diese Art der Vergütung bedeutet lediglich, dass die Antragstellerin für die Überlassung von Praxisräumen und ggf die Inanspruchnahme ihres Personals statt eines festen Betrages eine am Umsatz des B orientierte Beteiligung erhält. Die Tatsache, dass B nicht selbst mit den Kostenträgern abrechnet (und ggf auch nicht abrechnen darf), sondern dies die Antragstellerin für ihn übernimmt, schließt eine freie Mitarbeit in einer Praxis nicht aus (BSG, Urteil vom 14. September 1989, 12 RK 64/87, SozR 2200 § 165 Nr 96). Bei einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt hat der Senat eine freie Mitarbeit einer Krankengymnastin bejaht (Urteil vom 14. Oktober 2008, L 11 R 515/08, nv). Daher hat die Klage der Antragstellerin nach dem bislang bekannten Sachverhalt große Aussicht auf Erfolg. Allerdings hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass die endgültige Prüfung der Hauptsache vorbehalten bleibt.

    Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

    Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird nach § 197a SGG iVm §§ 63 Abs 2, 47 Abs 1 und 2, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG) auf die Hälfte der streitigen Beitragsnachforderung und der Säumniszuschläge (zu Letzterem vgl Urteil des Senats vom 20. April 2010, L 11 R 5269/08) festgesetzt. Gleichzeitig wird die Streitwertfestsetzung erster Instanz von Amts wegen geändert (§ 63 Abs 3 GKG).

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

    RechtsgebietSGB IVVorschriften§ 28p Abs. 1 SGB IV § 7 Abs. 1 SGB IV § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV