03.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122732
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 20.10.2011 – 4 K 1516/06
1. Wird die vertraglich vereinbarte Weihnachtsgratifikation im Jahr der Gründung nicht gezahlt, kann bei der alleinigen Gesellschaftergeschäftsführerin kein Zufluss der Einnahmen bei Fälligkeit fingiert und eine verdeckte Einlage bei der GmbH angenommen werden, wenn bei der GmbH keine Buchung als Aufwand bzw. als Verbindlichkeit erfolgt.
2. Ob die Geschäftsführerin wirksam auf ihren Anspruch auf Weihnachtsgeld verzichtet hat, ist in diesem Fall ohne Bedeutung.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 4. Senat durch Richter am Finanzgericht … als Berichterstatter gemäß § 79a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Finanzgerichtsordnung ohne mündliche Verhandlung am 20.10.2011
für Recht erkannt:
1. Der Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 09.12.2004 in Gestalt des Bescheides vom 24.02.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 12.07.2006 werden aufgehoben, soweit die Klägerin in Haftung genommen wurde für Lohnsteuer 2002 i.H. von 1.386 EUR, für Solidaritätszuschlag 2002 i.H. von 76,23 EUR sowie für evangelische und römisch-katholische Kirchensteuer 2002 i.H. von jeweils 62,37 EUR.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klage richtet sich gegen die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin im Zusammenhang mit einer nicht bezahlten Weihnachtsgratifikation 2002 für die Geschäftsführerin.
Alleinige Gesellschafterin der mit notariellem Vertrag vom 23.05.2002 errichteten Klägerin und zugleich deren – von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite – Geschäftsführerin war Frau F. Gemäß § 3b des Geschäftsführervertrages vom 01.06.2002 (vgl. Lohnsteuerakten Bl. 48 ff.) stand der Geschäftsführerin – neben einem festen Monatsgehalt von 4.600 EUR brutto – eine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehaltes zu, hinsichtlich derer sich die Gesellschaft das Recht zum Widerruf vorbehielt, der nur bei nachhaltiger Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft möglich sein sollte. Am 04.10.2002 beschloss die alleinige Gesellschafterin, „dass die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation … für das Gründungsjahr 2002 nicht erfolgt” (vgl. Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 04.10.2002, Rechtsbehelfsakte Bl. 6). Dementsprechend fand keine Auszahlung statt. Die Klägerin hatte die Weihnachtsgratifikation in ihren Büchern nicht als Aufwand bzw. Verbindlichkeit gebucht und sie der Geschäftsführerin auch nicht gutgeschrieben (vgl. Schriftsatz der Klägervertreterin vom 10.10.2011, Bl. 40 dA). Ergänzend wird auf die Bilanzakten Bezug genommen.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung behandelte das ursprünglich zuständige Finanzamt … die Weihnachtsgratifikation als verdeckte Einlage bei der Klägerin und als steuerpflichtigen Arbeitslohn bei der Gesellschafter-Geschäftsführerin. Es nahm die Klägerin mit Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 09.12.2004 für auf die Weihnachtsgratifikation entfallende, nicht abgeführte Steuerabzugsbeträge für 2002 in Haftung (Haftungsbeträge: Lohnsteuer 1.386 EUR, Solidaritätszuschlag 76,23 EUR, Kirchensteuer ev. und rk. jeweils 62,37 EUR; gesamter streitiger Haftungsbetrag 1.586,97 EUR). Der Bescheid vom 09.12.2004 wurde im Einspruchsverfahren aus hier nicht streitigen Gründen am 24.02.2005 geändert. Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 12.07.2006). Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf die Bescheide vom 09.12.2004 (Lohnsteuerakten Bl. 141), vom 24.02.2005 (Rechtsbehelfsakte Bl. 23), auf Tz. 3 des Prüfungsberichts des Finanzamtes … vom 07.12.2004 (Lohnsteuerakten Bl. 130 ff.) und auf die Einspruchsentscheidung vom 12.07.2006.
Die Klägerin hält ihre Haftungsinanspruchnahme für fehlerhaft. Der Beschluss der Gesellschafter-Geschäftsführerin vom 04.10.2002, wonach für das Geschäftsjahr 2002 keine Weihnachtsgratifikation bezahlt werde, sei aus Gründen der Gleichbehandlung mit den übrigen Mitarbeitern der Klägerin erfolgt, denen ebenfalls kein Weihnachtsgeld gezahlt werden sollte. Im Übrigen sei der Beschluss der Gesellschafter-Geschäftsführerin entgegen der Auffassung des Beklagten steuerlich wirksam.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 09.12.2004 in Gestalt des Bescheides vom 24.02.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 12.07.2006 aufzuheben, soweit die Klägerin in Haftung genommen wurde für Lohnsteuer 2002 i.H. von 1.386 EUR, für Solidaritätszuschlag 2002 i.H. von 76,23 EUR sowie für evangelische und römisch-katholische Kirchensteuer 2002 i.H. von jeweils 62,37 EUR.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die vertraglich vereinbarte Weihnachtsgratifikation gelte der Gesellschafter-Geschäftsführerin als zugeflossen. Einem beherrschenden Gesellschafter flössen von der Gesellschaft geschuldete Beträge grundsätzlich im Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruches zu, auch wenn sie noch nicht ausgezahlt worden seien. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe und nicht nur vorübergehend nicht zur Auszahlung in der Lage gewesen sei, seien nicht ersichtlich. Der Verzicht auf die Weihnachtsgratifikation sei steuerlich nicht wirksam, weil nach der im Geschäftsführervertrag getroffenen Regelung ein Widerruf nur im Falle einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft möglich sei, welche die Klägerin nicht dargelegt und nachgewiesen habe. Für die Zeit bis 04.10.2002 sei ein Anspruch der beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführerin auf Weihnachtsgeld entstanden. Der unwirksame Verzicht führe zum Anspruch gegenüber der Gesellschaft zu den im Geschäftsführervertrag genannten Bedingungen. Die Gratifikation sei zugeflossen, denn der Anspruch sei Ende 2002 fällig und habe sich gegen eine zahlungsfähige Gesellschaft gerichtet.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Haftungsbescheid ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Zu Unrecht hat der Beklagte die Klägerin für Steuerabzugsbeträge im Zusammenhang mit der nicht ausbezahlten Weihnachtsgratifikation für 2002 der Geschäftsführerin der Klägerin, F., in Haftung genommen. Denn die Klägerin war wegen des streitigen Weihnachtsgeldes nicht zum Lohnsteuerabzug verpflichtet und konnte deshalb nicht in Haftung genommen werden, § 42 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG entsteht die Lohnsteuer jedoch erst in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 03.02.2011 VI R 4/10, BFH/NV 2011, 904 m.w.N.).
Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet, kann das Zufließen i.S. des § 11 EStG nicht fingiert werden. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung hiervon lediglich bei beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben (vgl. hierzu und zum Vorstehenden BFH-Urteil vom 03.02.2011 VI R 4/10, BFH/NV 2011, 904 m.w.N.).
Hingegen sind nach der Rechtsprechung des BFH keine Einnahmen zugeflossen, wenn der Gläubiger (Gesellschafter) gegenüber dem Schuldner (Gesellschaft) auf bestehende oder künftige Ansprüche ohne Ausgleich verzichtet und dadurch eine Vermögenseinbuße erleidet. Etwas anderes gilt nur, wenn der verzichtende Gesellschafter den Erlass gewährt und dadurch eine (verdeckte) Einlage leistet. Denn hierdurch erleidet er keine Vermögenseinbuße, sondern bewirkt eine Umschichtung seines Vermögens (vgl. BFH-Urteil vom 03.02.2011 VI R 4/10, BFH/NV 2011, 904 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen ist der Gesellschafter-Geschäftsführerin F. das streitige Weihnachtsgeld im Streitjahr 2002 weder tatsächlich noch bei Fälligkeit oder im Wege einer verdeckten Einlage zugeflossen.
Die streitige Weihnachtsgratifikation wurde weder bar noch durch Überweisung auf ein Bankkonto bezahlt. Ebenso wenig wurde der streitige Betrag der Geschäftsführerin in den Büchern der GmbH gutgeschrieben. Somit hat die Geschäftsführerin keine Verfügungsmacht über die streitigen Weihnachtsgeldbeträge erlangt.
Die von der Klägerin nicht ausgezahlten Beträge gelten entgegen der Auffassung des Beklagten der Geschäftsführerin auch nicht mit Fälligkeit des Weihnachtsgeldes als zugeflossen. Denn die Grundsätze über den Zufluss von Einnahmen bei einem beherrschenden Gesellschafter sind vorliegend nicht anzuwenden. Zwar war die Geschäftsführerin F. alleinige und damit beherrschende Gesellschafterin. Jedoch haben sich die streitigen Beträge bei der Ermittlung des Einkommens der GmbH nicht ausgewirkt. Denn sie sind unstreitig in den Büchern der Gesellschaft nicht als Gehaltsaufwand erfasst worden. Bereits aus diesem Grund kommt – entgegen der Auffassung des Beklagten – vorliegend ein Zufluss bei Fälligkeit nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 03.02.2011 VI R 4/10, BFH/NV 2011, 904 m.w.N., Juris Rn. 16). Deshalb ist die vom Finanzamt aufgeworfene Frage, ob die Geschäftsführerin rechtzeitig vor Fälligkeit wirksam auf ihren Anspruch auf Weihnachtsgeld verzichtet hat, vorliegend ohne Bedeutung (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 03.02.2011 VI R 4/10, BFH/NV 2011, 904 m.w.N., Juris Rn. 18).
Schließlich hat die alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin durch den Verzicht auf das Weihnachtsgeld keine Zufluss begründende (weil vermögensumschichtende) verdeckte Einlage bewirkt. Der mit Gesellschafterbeschluss vom 04.10.2002 erfolgte Verzicht hat nicht zum Wegfall einer zuvor passivierten Verbindlichkeit bei der Klägerin und damit zu einer Vermehrung ihres Vermögens und ihrer Ertragsfähigkeit geführt. Denn das streitige Weihnachtsgeld war zu keinem Zeitpunkt als Aufwandsposten in die Bücher der Klägerin eingegangen. Damit hat die Gesellschafter-Geschäftsführerin im Streitfall durch den Verzicht nicht ihr Vermögen in Beteiligungskapital umgeschichtet, sondern eine tatsächliche Vermögenseinbuße erlitten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.