26.11.2013 · IWW-Abrufnummer 140309
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 24.10.2013 – 6 K 1103/13
Für Fahrten eines Auszubildenden zum Ausbildungsbetrieb,
in dem der praktische Teil der Ausbildung absolviert wird, ist nicht
die Entfernungspauschale anzusetzen; vielmehr sind diese Fahrten
auch im Rahmen einer nicht universitären Ausbildung nach
den Grundsätzen für Reisekosten bei Dienstreisen
als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Tatbestand
Streitig ist, ob im Jahr 2011 der Grenzbetrag für Einkünfte
und Bezüge von 8.004 € überschritten
war.
Der Kläger ist der Vater des am 25.07.1990 geborenen
M.
M absolvierte im Jahr 2011 eine Ausbildung bei der B GmbH.
Die Einkünfte und Bezüge des M betrugen 9.563,89 €.
Die beklagte Familienkasse berücksichtigte Werbungskosten
in Höhe von 1.382,28 € gemäß folgender
Berechnung (Bl. 171 Kg-Akte):
Entfernungspauschale | |
169 Tage, einfache Strecke 12 km | 608,40 € |
Fahrtkosten zur Berufsschule | |
51 Tage, Hin- und Rückfahrt 44 km mit PKW | 673,20 € |
Gewerkschaftsbeitrag | 100,68 € |
Summe | 1.382,28 € |
des Grenzbetrages die Kindergeldfestsetzung für das Jahr
2011 auf und forderte den überzahlten Betrag in Höhe
von 2.280 € zurück.
Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung
vom 11.01.2013 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Einkünfte
und Bezüge des Kindes lägen mit 8.181,61 € über dem
Grenzbetrag.
Mit seiner Klage wendet der Kläger sich gegen den Aufhebungs-
und Rückforderungsbescheid. Zur Begründung trägt
er vor, es seien weitere Werbungskosten für die Anschaffung
von Lehrbüchern in Höhe von 215.40 € (Belege
Bl. 25 u. 26 Prozessakte - PA -) zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über
die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind M vom
11. Dezember 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2013
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt ergänzend zur Einspruchsentscheidung
vor, die im Klageverfahren nachgereichten Belege könnten
nicht anerkannt werden, da aus ihnen nicht ersichtlich sei, ob die
Bücher im Jahr 2011 angeschafft worden seien. Zudem enthielten
die Quittungen keine genauen Angaben über die Art der Schulbücher.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Die Einkünfte und Bezüge des M überschreiten
im Streitjahr 2011 den Grenzbetrag von 8.004 € nicht.
Die nachgereichten Belege können nicht als Werbungskosten
anerkannt werden, da aus ihnen nicht ersichtlich ist, dass die Fachbücher
im Jahr 2011 angeschafft wurden.
Jedoch ist entgegen der bisherigen Praxis auf das Ausbildungsverhältnis
die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nicht anzuwenden,
so dass die Werbungskosten nach Dienstreisegrundsätzen
unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten
für jeden gefahrenen km, bzw. unter Ansatz der Pauschale
von 0,30 € je km zu ermitteln sind.
Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S.d. § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG, liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die
Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind
beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf,
bzw. der Erzielung der steuerpflichtigen Einnahmen besteht und die
Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt
werden. Diese Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen
Bildungsmaßnahmen erfüllt sein.
Als Werbungskosten abziehbar sind sämtliche Kosten,
die im Zusammenhang mit der beruflichen Bildungsmaßnahme
stehen. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten.
Sie sind grundsätzlich gemäß § 9
Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen
(BFH-Urteil vom 9. 2. 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431;
das Urteil betraf Fahrten eines Studenten zur Hochschule). Die Bildungseinrichtung
ist nämlich nach Auffassung des BFH keine regelmäßige
Arbeitsstätte.
Gemäß Urteil des BFH vom 16. Januar 2013 VI R 14/12 (BFHE 240, 125, BStBl II 2013, 449,
Juris) gilt dies auch für einen Studenten, der den praktischen
Teil seiner Hochschulausbildung in einem Betrieb absolviert; in
diesem Fall wird der Betrieb nicht zur regelmäßigen
Arbeitsstätte. Der BFH führt aus, dass die Begrenzung
der Steuererheblichkeit von Wegekosten gemäß § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen
grundsätzlich nicht zu beachten ist, da eine Bildungsmaßnahme regelmäßig
vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt ist.
Das objektive Nettoprinzip erfährt durch § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG insoweit eine Einschränkung, als
die Fahrtkosten zwischen Wohnung und (regelmäßiger)
Arbeitsstätte nicht im tatsächlichen Umfang, sondern
nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale steuerlich
abziehbar sind. Diese Begrenzung ist nach Ansicht des BFH im Grundsatz
sachlich gerechtfertigt. Denn liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit
angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte
vor, so kann sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf
die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der
Wegekosten hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften
und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch
eine entsprechende Wohnsitznahme geschehen. Für diesen
Grundfall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz
3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven
Nettoprinzip. „Regelmäßige Arbeitsstätte” ist
typischerweise der Tätigkeitsmittelpunkt eines Arbeitnehmers,
der in einem Arbeitsverhältnis steht; die Beschränkung
des objektiven Nettoprinzips durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
4 EStG ist auch nur insoweit gerechtfertigt (z.B. BFH-Urteil vom
9. 2. 2012 VI R
44/10, BFHE 236, 431). Es muss sich um den
ortsgebundenen Mittelpunkt einer dauerhaft angelegten beruflichen
Tätigkeit des Arbeitnehmers handeln (z.B. BFH-Urteil vom
9. 2. 2012 VI R
22/10, BFHE 236, 426, BStBl II 2012,
827).
Ausbildung ist nach den vom BFH mit Urteilen vom 09.02.2012 - VI R 44/10 (a.a.O.)
und vom 16. Januar 2013 VI
R 14/12 (a.a.O.) aufgestellten Grundsätzen
regelmäßig vorübergehend und nicht auf
Dauer angelegt. Damit ist eine Ausnahme von dem sonst geltenden
Grundsatz der unbeschränkten Abzugsfähigkeit von
Werbungskosten in den Fällen der vollzeitigen Aus- und
Fortbildung nicht gerechtfertigt.
Dies gilt für die berufspraktische Ausbildung in gleicher
Weise wie für den theoretischen Teil der Ausbildung. Für
den Fall praktischer Studiensemester im Rahmen einer Hochschulausbildung
hat der BFH dies mit Urteil vom 16. 1. 2013 VI R 14/12 (a.a.O.)
entschieden. Danach gilt die Begrenzung von Wegekosten gemäß § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen
grundsätzlich nicht, da Bildungsmaßnahmen stets
vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt sind.
Bei einer Ausbildung handelt es sich stets um eine befristete
Maßnahme, ungeachtet dessen, ob es sich um praktische Ausbildungszeiten
im Rahmen eines Hochschulstudiums oder um eine nicht universitäre
Ausbildung handelt.
Die vom BFH entwickelten Grundsätze gelten in gleicher
Weise für den hier zu entscheidenden Fall einer nicht universitären
dualen Ausbildung. Entsprechendes gilt deshalb auch für
die Ausbildungsstätte in der Firma B GmbH, in der der Sohn
des Klägers seine berufspraktischen Ausbildungszeiten absolvierte.
Dabei handelt es sich um eine Ausbildungs- und nicht um eine Arbeitsstätte.
Auch das FG Mecklenburg-Vorpommern hat in seinem Beschluss vom
19. Juni 2012 1
V 30/12 (EFG 2012, 54) darin kein Differenzierungskriterium
gesehen.
Das FG Nürnberg hat hingegen mit Urteil vom 15. Mai
2013 3 K 1588/12 (EFG 2013, 1599)
entschieden, dass im Rahmen einer dualen Ausbildung die Fahrten
zum Ausbildungsplatz nur mit der Entfernungspauschale zu berücksichtigen
seien. Das Urteil betraf den Fall einer Ausbildung zum Krankenpfleger
an einem Klinikum, das auch die theoretische Ausbildung an einer
eigenen Schule durchführte.
Das FG Nürnberg hat einen entscheidenden Unterschied
zu dem vom BFH entschiedenen Fall berufspraktischer Studienzeiten
darin gesehen, dass im letzteren Fall das Unternehmen, in dem die
praktischen Studienzeiten absolviert werden, nicht in die Hochschule
integriert, sondern rechtlich selbstständig sei. Der Student
bleibe immatrikuliert, womit die Hochschule der Mittelpunkt der Ausbildung
bleibe. Im Fall der dualen Ausbildung finde dagegen die Ausbildung
im Betrieb des Ausbilders statt; dieser sei Mittelpunkt der Ausbildung. Der
Ausbilder zahle auch die Ausbildungsvergütung.
Der Senat erachtet diese vom FG Nürnberg angeführten
Unterscheidungskriterien nicht als entscheidend. Auf die Ausbildungsvergütung
kann nicht abgestellt werden; eine solche wird auch an Studenten
dualer Studiengänge gezahlt. Auch kommt es nicht darauf
an, ob die Schule oder der Ausbildungsplatz den Mittelpunkt der
Ausbildung darstellt.
Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um eine Bildungsmaßnahme
handelt, die ihrer Natur nach vorüber gehenden Charakter
hat.
Mit Urteil vom 29. 3. 2012 5 K 2160/11 (EFG 2012, 1247)
hat das FG Rheinland-Pfalz für den Fall eines Zeitsoldaten
entschieden, dass auch eine auf zwei Jahre befristete Tätigkeit
nur vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt ist und deshalb
der Werbungskostenabzug für die Fahrten zur Dienststelle
nicht auf die Entfernungspauschale beschränkt ist (Revision VI R 27/12).
Die Situation sei der eines auf wechselnden Einsatzstellen beschäftigten
Arbeitnehmers vergleichbar. Das Gericht schließt sich hinsichtlich
der Behandlung einer von vornherein befristeten Tätigkeit
an einem Ausbildungsplatz dieser Sichtweise des 5. Senats an.
Ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen ergibt
sich nach Aktenlage (Berechnung gemäß Einspruchsentscheidung)
folgende Berechnung der Werbungskosten:
Fahrtkosten zur Ausbildungsstelle | |
169 Tage, Hin- und Rückfahrt 24 km | 1.216,80 € |
Fahrtkosten zur Berufsschule | |
51 Tage, Hin- und Rückfahrt 44 km | 673,20 € |
Gewerkschaftsbeitrag | 100,68 € |
Summe | 1.990,68 € |
Einkünfte von 7.573,21 €, so dass der Grenzbetrag
von 8.004 € unterschritten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten und der Abwendungsbefugnis
beruht auf §§ 151 Abs. 2 und 3, 155 FGO in Verbindung
mit §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung und
zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Zu einem Ausbildungsverhältnis
ist noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob die Grundsätze
des Urteils vom 16.01.2013 VI R 14/12 zu übertragen
sind. Gegen das Urteil des FG Nürnberg ist unter dem Aktenzeichen III R 35/13
ein Revisionsverfahren anhängig.
Die Rechtsfrage ist entscheidungserheblich, denn ausgehend von
der bisherigen Praxis wäre die Berechnung durch die Familienkasse
zutreffend; im Streitjahr 2011 wäre der Grenzbetrag von
8.004 € überschritten.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 90
Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten
sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden
erklärt hatten.