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  • 20.03.2014 · IWW-Abrufnummer 140876

    Landessozialgericht Bayern: Urteil vom 15.01.2014 – L 2 U 204/13

    1. Unterbricht ein Versicherter den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit, um eine öffentliche Toilette zur Verrichtung der Notdurft aufzusuchen, endet der Versicherungsschutz spätestens mit Durchschreiten der Außentür der Toilettenanlage, nicht erst mit der Tür der Toilettenkabine.

    2. Es besteht hierbei kein Versicherungsschutz wegen einer besonderen Gefahrensituation innerhalb der Toilettenanlage.


    Bayerisches Landessozialgericht 2. Senat

    Urteil vom 15.01.2014

    L 2 U 204/13

    Tenor

    I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. März 2013 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 13. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2011 abgewiesen.

    II. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

    III. Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

    IV. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    1

    Streitig ist, ob es sich bei dem Ereignis vom 02.08.2010 um einen Arbeitsunfall handelt.

    2

    Die 1960 geborene Klägerin, Berufungsbeklagte und -klägerin, Angestellte bei der Messe B-Stadt, wollte am 02.08.2010 gegen 13.00 Uhr bei der Heimfahrt von ihrer Arbeitsstelle von der U-Bahn kommend ein WC im S-Bahnhof B-Stadt aufsuchen. Im Toilettenbereich rutschte sie auf nassem Fliesenboden aus; sie stürzte auf die linke Seite. Die Klägerin fuhr nach Hause und versorgte sich zunächst selbst. Sie meldete den Schadensfall noch am selben Tag dem M.V.T. (MVV) und schilderte die vorgefundene Situation in der Toilettenanlage. Am 04.08.2010 suchte sie den H-Arzt Dr. B. auf. Nach dem Ergebnis einer Kernspintomographie des linken Schultergelenks vom 05.08.2010 wurde keine Ruptur oder signifikante Teilruptur der Supra- und Infraspinatussehne festgestellt. Eine weitere Kernspintomographie erfolgte am 25.11.2010.

    3

    Mit Bescheid vom 13.01.2011 lehnte die damalige Unfallkasse B-Stadt, deren Rechtsnachfolger die Beklagte ist, die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Durch den Gang zur Toilette sei der Nachhauseweg unterbrochen worden. Bei der Verrichtung der Notdurft und dem dazugehörigen Aufenthalt in der Toilette handele es sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit; zu diesem Zeitpunkt sei der innere Zusammenhang mit der Zurücklegung des Weges von der Arbeit nach Hause nicht mehr gegeben gewesen. Bereits das Durchschreiten der Toilettentür sei nicht mehr als versicherte Tätigkeit anzusehen.

    4

    Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, eine Unterbrechung des versicherten Weges habe nicht vorgelegen. Das Aufsuchen der Bahnhofstoilette zur Verrichtung der Notdurft stelle keine Unterbrechung des Weges dar. Die Rechtsprechung habe für das Verrichten der Notdurft auf der Arbeitsstätte von jeher Versicherungsschutz angenommen. Deshalb müsse diese Entscheidung auch auf den Wegen von und zur Arbeit gelten. Eine Unterbrechung des direkten Weges hätte ebenfalls nicht vorgelegen, da die WC-Räume unmittelbar im S-Bahnhof B-Stadt gelegen hätten.

    5

    Den Widerspruch vom 31.01.2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2011 zurück. Der versicherte Weg endete an der Toilettentür. Folglich stehe erst recht der Aufenthalt bzw. die Verrichtung der Notdurft in der Toilette nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Versicherungsschutz lebe erst mit dem Verlassen der Toilettenräume wieder auf.

    6

    Dagegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht München erhoben und zur Begründung im Wesentlichen auf die im Widerspruchsverfahren Bezug genommen. Der Sturz habe sich im Vorraum der Toilettenkabinen, also auf dem Weg zur Toilettenkabine und zur Verrichtung der Notdurft, ereignet. Der Weg werde nicht durch das Schließen der Tür zum Vorraum der Toilette beendet.

    7

    In der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2013 hat die Klägerin das Sturzereignis näher geschildert. Der MVV habe auf das Vorliegen eines Arbeitsunfalls hingewiesen. Mit Urteil vom 14.03.2013 hat das Sozialgericht festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 02. 08.2010 um einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall handelt. Unstreitig habe sich die Klägerin bei ihrem Weg durch den S-Bahnhof B-Stadt auf einem unmittelbaren Weg von ihrer Arbeitsstelle zu ihrer Wohnung befunden. Das Ereignis im Toilettenvorraum sei in den Versicherungsschutz einbezogen. Grundsätzlich sei zwar die Verrichtung der Notdurft als eigenwirtschaftlich zu betrachten. Eine Zurechnung eines Unfallgeschehens zu dem Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung sei aber gerechtfertigt, wenn der Unfall nicht im Zusammenhang mit typischen, eigenwirtschaftlichen Verrichtungen beim Toilettengang stehe, sondern ein Unfallgeschehen gerade aus der Gefährlichkeit der Örtlichkeit entstehe, an der sich die Klägerin befunden habe. Die Kammer hat insoweit auch auf ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2008 (Az.: L 15 U 30/08) verwiesen. Die Beklagte sei bei solchen Unfällen regelmäßig auf Regressansprüche zurückgeworfen, die sie gegen ggf. verantwortliche Schädiger geltend zu machen habe. Die Klägerin habe glaubhaft dargelegt, dass sie im Bereich des Toilettenvorraums auf einer Wasserlache ausgerutscht sei. Maßgeblich für das Unfallgeschehen sei damit die von der in diesem Zeitpunkt gefährlichen Bodenbeschaffenheit ausgehende Rutschgefahr. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der eigentliche Raum für die Verrichtung der Notdurft noch nicht erreicht worden sei. Eine unmittelbare Vergleichbarkeit mit der Rechtsprechung im Bereich der Nahrungsaufnahme sei nicht gerechtfertigt.

    8

    Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte ausgeführt, dass das Aufsuchen der Toilette eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit darstelle. Hierbei fehle es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem konkreten unfallbringenden Verhalten und dem generell versicherten Tätigkeitsbereich (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Der Versicherungsschutz ende mit dem Betreten der Sanitäranlagen, d.h. mit dem Durchschreiten der Außentür. Der unversicherte Bereich erfasse bei natürlicher Betrachtungsweise auch weitere Handlungen wie das Ordnen der Kleidung oder das Händewaschen. Ein Versicherungsschutz bestehe ausnahmsweise nur dann, wenn die örtlichen Gegebenheiten eine besondere Gefahrenquelle darstelle, die die wesentliche Ursache für den Unfall gewesen sei (Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 06.05.2003, Az.: L 3 U 323/01). Vorliegend resultiere das Unfallgeschehen jedoch nicht aus einer besonderen Gefährlichkeit der Örtlichkeit. Zwar habe sich im Toilettenraum wohl aufgrund einer verstopften und übergelaufenen Toilette eine Wasserpfütze befunden, jedoch müsse aufgrund des allgemein bekannten schlechten Zustands von Bahnhofstoiletten jeder Benutzer regelmäßig mit - auch größeren - Verunreinigungen bzw. mit Wasserpfützen auf dem Boden rechnen. Dies seien Gegebenheiten, auf die sich der Benutzer einer Bahnhofstoilette einstellen könne und müsse. Dies sei der Klägerin auch bekannt, da sie sich bereits in der Vergangenheit über die Missstände der Toiletteneinrichtungen der S-Bahnhöfe geärgert habe.

    9

    Darüber hinaus ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 23.06.1982, Az.: 9b/8 RU 18/81), ergangen zu einem durch Pfirsichsaft verunreinigten Kantinenboden, dass der Arbeitnehmer einer besonderen Betriebsgefahr ausgesetzt gewesen sein müsste. Davon werde man regelmäßig ausgehen können, wenn die Einrichtung typische Merkmale des Betriebs aufweise oder wegen ihrer Beschaffenheit als im besonderen Maße gefahrenträchtige Einrichtung gelte. Die Bahnhofstoilette sei keine betriebliche Einrichtung, bei der eine besondere Nähe zum Unternehmer bestehe. Der Unternehmer könne nicht präventiv eingreifen, um seine betrieblichen Einrichtungen in Ordnung zu halten und Gefahren vorzubeugen.

    10

    Die Argumentation der Klägerin, bei dem Aufsuchen der Toilette habe es sich nur um eine zeitlich ganz kurze Besorgung im Vorbeigehen gehandelt, greife nicht, denn hierfür müsse der direkte Heimweg unstreitig verlassen werden.

    11

    Etwaige Regressansprüche hätten schließlich keinen Einfluss auf das Bestehen bzw. Nichtbestehen des Unfallversicherungsschutzes.

    12

    Die Klägerin hat erwidert, der Toilettenvorraum sei noch zum Arbeitsweg zu rechnen. Die Wasserlache im Vorraum sei ursächlich für den Sturz gewesen. Insoweit sei der Toilettenvorraum als Teil des Arbeitsweges einer betrieblichen Einrichtung gleichzusetzen. Der Zustand dieser betrieblichen Einrichtung habe sich als Unfallursache herausgestellt. Der Unfall beruhe daher auf einer besonderen Gefährdung durch den Zustand der betrieblichen Einrichtung. Dass der Zustand des Toilettenvorraums nicht im Einflussbereich des Arbeitgebers liege, könne an dieser Beurteilung nichts ändern, da der gesamte Arbeitsweg nicht in dessen Einflussbereich liege. Es sei nicht einzusehen, warum ein Teil des Arbeitsweges von diesem Versicherungsschutz ausgenommen werden sollte. Sie hat ferner auf Entscheidungen des BSG zum "Kauf von Kopfschmerztabletten während des Arbeitsweges in einer Apotheke" und zum "Unterstellen wegen schlechten Wetters" aufgeführt. In diesen Fällen bestehe ein innerer Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit in gleicher Weise wie im vorliegenden Fall.

    13

    Mit Schriftsatz vom 30.10.2013 hat die Beklagte ihr Vorbringen mit einem Hinweis auf die Rechtsprechung zum Besuch eines Schnellrestaurants aufgrund eines plötzlich aufgetretenen Hunger- und Durstgefühls während des Heimwegs ergänzt. Diese Verrichtungen stünden nicht unter Versicherungsschutz; Entsprechendes würde auch für das Aufsuchen des Toilettenraums bei dieser Gelegenheit gelten.

    14

    Mit Schriftsatz vom 13.12.2013 hat die Klägerin zuletzt noch auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts B-Stadt, dargestellt unter "Süddeutsche.de" vom 20.03.2012 mit dem Titel: "Dienstunfall beim Wildbieseln", hingewiesen.

    15

    Die Sach- und Rechtslage ist in der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2014 erörtert worden. Der Senat hat hierbei darauf hingewiesen, dass mit dem Urteil des Sozialgerichts München zwar ein Arbeitsunfall festgestellt worden sei, nicht jedoch der Bescheid der Beklagten vom 13.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2011 aufgehoben worden sei. Der Klägerbevollmächtigte hat daraufhin Anschlussberufung erhoben. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

    16

    Die Beklagte beantragt,

    17

    das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.03.2013 aufzuheben, die Klage gegen den Bescheid vom 13.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2011 abzuweisen und die Anschlussberufung zurückzuweisen.

    18

    Die Klägerin beantragt,

    19

    in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 14.03.2013 den Bescheid der Beklagten vom 13.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2011 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

    20

    Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    21

    Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Es liegt kein versicherter Arbeitsunfall im Sinne eines Wegeunfalls nach §§ 7, 8 Abs. 2 Nr. 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) vor. Die ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung erhobene Anschlussberufung (§ 202 SGG in Verbindung mit 524 Zivilprozessordnung - ZPO) der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.

    22

    Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls gemäß §§ 54 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 3 SGG zulässig (BSG vom 15.02.2005, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; BSGE 108, 274 ff Rdnr. 12).

    23

    Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit, § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Ein Arbeitsunfall setzt somit neben dem Unfallereignis voraus, dass die Verrichtung vor dem Unfall den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllte. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (vgl. BSG vom 09.11.2010, Az.: B 2 U 14/10 R) und (subjektiv, wenn auch ggf. in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (BSG vom 13.11.2012, Az.: B 2 U 27/11). Diese auch als "Handlungstendenz" bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist eine innere Tatsache.

    24

    Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sog. objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung oder erst recht eine niedrigere Vorsatzstufe reichen hingegen nicht aus (vgl. BSG vom 13.11.2012, Az.: B 2 U 27/11).

    25

    Versicherte Tätigkeiten sind auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit, § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Unstreitig ist, dass die Klägerin auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause war, d.h. es lag grundsätzlich ein versicherter Weg nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vor. Im Rahmen der Heimfahrt suchte sie beim Umsteigen am U- und S-Bahnhof B-Stadt die öffentliche Toilettenanlage am S-Bahnhof auf. Die Toiletten befinden sich auf dem direkten Weg von der U-Bahn zur S-Bahn, so dass ein Umweg nicht zu gehen war. Der Weg zum Aufsuchen einer Toilette steht grundsätzlich unter Versicherungsschutz (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 35). Insoweit wird von der Rechtsprechung ähnlich wie bei der Nahrungsaufnahme von einem - insoweit ausreichenden - mittelbar betriebsbezogenen Handlungsziel ausgegangen (z.B. BSG vom 06.12.1989, Az.: 2 RU 5/89). Unterbricht ein Versicherter den Weg nach oder von der Arbeitsstätte, um in einer nahegelegenen Bedürfnisanstalt seine Notdurft zu verrichten, steht er deshalb auch auf diesem Weg unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (so bereits BSG vom 30.08.1963, SozR Nr. 45 zu § 543 RVO). Nur in diesem Zusammenhang ist auch die von der Klägerin im Berufungsverfahren zitierte Entscheidung des BSG vom 18.10.1997 (Az.: 2 RU 17/96) zum Kauf einer Kopfschmerztablette in einer Apotheke zu sehen. Das BSG hat auch hier nur den "Weg nach und von der Apotheke" (Rdnr. 25) unter Versicherungsschutz gestellt.

    26

    Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von der Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII besteht solange, wie nicht eine auf eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gerichtete Handlungstendenz erkennbar ist. Maßgeblich ist die Handlungstendenz der Klägerin, d.h. ob die Tätigkeit final dem Unternehmen (sog. Fremdwirtschaftlichkeit) oder eigenen Interessen (Eigenwirtschaftlichkeit) zu dienen bestimmt ist. Dabei ist vorwiegend auf die objektive Handlungstendenz abzustellen (zum Ganzen: KassKomm-Ricke, § 8 SGB VII, Rdnr. 10 ff m.w.N. aus der Rechtsprechung). Ein Wechsel in der Handlungstendenz kann durch erkennbare Umstände subjektiv und objektiv ausgedrückt werden. Eine (vorläufige) Beendigung des Versicherungsschutzes ist vorliegend spätestens beim Durchschreiten der Außentür der Toilettenanlage gegeben, da hierbei die Handlungstendenz der Klägerin erkennbar auf eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gerichtet war. Der Senat kann offen lassen, ob eine Beendigung bereits zu einem früheren Zeitpunkt z.B. durch einen Richtungswechsel in der Gehrichtung eingetreten ist, da sich der maßgebliche Unfall erst im Vorraum der Toilettenanlage nach Durchschreiten der Außentür ereignete. Das Bundessozialgericht hat einen Versicherungsschutz für die Verrichtung der Notdurft selbst ausgeschlossen, da es sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit handelt. Ein Versicherungsschutz besteht nur für den Weg zu und von der Toilette, weil ein Versicherter durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte gezwungen ist, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies von seinem häuslichen Bereich aus getan haben würde (vgl. Urteil des BSG vom 12.10.1973 - 2 RU 190/72; vom 27.08.1981 - 2 RU 47/79; BSG vom 06.12.1989 - 2 RU 5/89 - SozR 2200 § 548 Nr. 97 m.w.N.).

    27

    Der 3. Senat des Bayer. Landessozialgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 06.05.2003 (Az.: L 3 U 323/01) dargelegt, dass maßgeblich das Durchschreiten der Außentür der Toilettenanlage und nicht der einzelnen Tür einer Toilettenkabine ist. Die Toilettenanlage mit Vorraum, Waschbecken usw. ist als Gesamtheit zu betrachten. Der Senat schließt sich dieser Bewertung an. Die maßgebliche Handlungstendenz der Klägerin, nun abweichend von dem Heimweg eine Toilette aufzusuchen, wird jedenfalls bereits mit dem Durchschreiten dieser Außentür erkennbar, so dass die Eigenwirtschaftlichkeit der Tätigkeit im Vordergrund steht. Die Ursache des Sturzes war in dem Vorraum begründet.

    28

    Aufgrund der objektiv erkennbaren eigenwirtschaftlichen Handlungstendenz ist ohne Bedeutung, dass die Unterbrechung nur von geringer zeitlicher Dauer war oder die WC-Anlage unmittelbar örtlich erreicht werden konnte.

    29

    Die Klägerin kann sich aus den dargelegten Gründen nicht auf das auch vom Verwaltungsgericht B-Stadt in seiner Entscheidung vom 20.03.2012 (Az.: M 5 K 11.5039) angesprochene Urteil des BSG vom 30.08.1963 (Az.: 2 RU 112/62) berufen. In diesen Entscheidungen erfolgte der Unfall auf dem Weg zu der "Bedürfnisanstalt", nicht innerhalb der Toilettenanlage.

    30

    Aus der Entscheidung des BSG zum Versicherungsschutz beim Unterbrechen eines Weges zum Unterstellen bei schlechtem Wetter (BSG, Urteil vom 25.01.1973, Az.: 2 RU 171/70) ergibt sich vorliegend nichts Abweichendes. Das BSG hat hierin lediglich ausgeführt, dass Versicherungsschutz auch während einer Unterbrechung des Weges von dem Ort der Tätigkeit besteht, "wenn die Unterbrechung nicht privaten Verrichtungen dient, sondern - wie beim Unterstellen wegen schlechten Wetters - im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht". Die Verrichtung der Notdurft stellt nämlich, wie ausgeführt, eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit dar.

    31

    Das Sozialgericht hat vorliegend ausnahmsweise einen Versicherungsschutz angenommen, weil das Unfallgeschehen gerade aus der Gefährlichkeit der Örtlichkeit entstanden ist. Es ist nach Ansicht des Senats glaubhaft - u.a. durch die Schilderungen der Klägerin und die schriftliche Meldung des Unfalls am 02.08.2010 gegenüber dem MVV -, dass sich auf dem Boden im Toilettenvorraum eine Wasserlache befand, verursacht durch eine vollständig verstopfte und bis an den Rand mit Wasser gefüllte Toilette - dies wird auch von der Beklagten nicht bestritten. Die dadurch entstandene erhöhte Rutschgefahr stellt eine besondere Gefahrenlage dar, die weit höher als bei der häuslichen Toilette ist.

    32

    Allein das Bestehen einer "besonderen Gefahrenquelle" ist jedoch nach Ansicht des Senats für die ausnahmsweise Bejahung eines Versicherungsschutzes zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ausreichend. In eng begrenzten Ausnahmefällen hat das BSG den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit anerkannt, sofern betriebliche Interessen bzw. Umstände die eigenwirtschaftliche Tätigkeit wesentlich beeinflusst haben (vgl. BSG vom 10.10.2002, Az.: B 2 U 6/02) und sich die betriebsbezogenen Umstände auf den Unfallhergang unmittelbar ausgewirkt haben (vgl. BSG vom 31.10.1968, Az.: 2 RU 173/66). Zur Essenseinnahme in einer Betriebskantine hat das BSG beispielsweise ausgeführt, dass diese ausnahmsweise mitversichert ist, wenn besondere Umstände eine so enge Beziehung zu der betrieblichen Tätigkeit schaffen, dass das Moment der "Eigenwirtschaftlichkeit" als unwesentlich zurücktritt (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 20; BSG vom 23.06.1982, Az.: 9b/8 RU 18/81). Davon könne man regelmäßig ausgehen, wenn die Gefahr typische Merkmale des Betriebes aufweist oder wegen ihrer Beschaffenheit als im besonderen Maße gefahrenträchtige Einrichtung gilt (BSG, a.a.O.).

    33

    Ein ausnahmsweise bestehender Versicherungsschutz - obwohl es sich um einen Unfall während einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit gehandelt hat - ist in der Rechtsprechung dann angenommen worden, wenn die örtlichen Gegebenheiten eine besondere Gefahrenquelle dargestellt haben, die die wesentliche Ursache des Unfalls der Klägerin waren. Diese Ausnahme ist aber nur gerechtfertigt unter dem Gesichtspunkt "besondere Gefahrenmomente einer Betriebseinrichtung". Zum Teil wird eine betriebliche Gefahr angenommen, wenn sich in der Verunreinigung des Bodens eine besondere betriebliche Gefahr verwirklicht hat (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.10.2001, Az.: L 10 U 1968/00; verneinend beim Ausrutschen auf einer verschütteten Salatsoße auf einem Betriebskantinenboden: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2012, Az.: L 6 U 1735/12). Keine besondere Betriebsgefahr stellt aber beispielsweise die gewöhnliche Härte des Fußbodens dar (zum Ganzen mit weiteren Beispielen: Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 06.05.2003, Az. L 3 U 323/01 zu einem Unfall in einer Betriebstoilette). Diese Rechtsprechung ist vor dem Hintergrund der Freistellung des Arbeitgebers von der Haftung bei Unfällen im Betrieb für Fahrlässigkeit durch die Gewährung von Ansprüchen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gerechtfertigt (vgl. § 104 Abs. 1 SGB VII). Eine Haftung auch für besondere Gefahrensituationen in einer Toilette kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber seinen Verkehrssicherungspflichten nicht nachgekommen ist.

    34

    Diese Rechtsprechung, soweit man der zuletzt genannten weiten Auslegung einer Haftung bei betrieblicher Gefahr folgt, ist nach Ansicht des Senats nicht auf die Benutzung einer öffentlichen Bahnhofstoilette im Rahmen des Weges von oder zur Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII anwendbar. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass hierauf der Unternehmer keinen Einfluss hat und er nicht präventiv tätig werden kann. Es besteht keine eventuelle Haftungssituation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht mit einer vertraglichen oder deliktischen Haftung. Es verwirklichte sich damit keine besondere Gefahrenquelle "der Betriebsstätte".

    35

    Allerdings steht auch der Weg nach und von der Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII unter Versicherungsschutz, obwohl auch hier der Unternehmer regelmäßig keinen Einfluss nehmen kann. Der Versicherungsschutz bei Wegeunfällen ist vom Gesetzgeber in Absatz 2 weit gefasst, so z.B. bei Familienheimfahrten nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII. Beim Aufsuchen einer Toilette handelt es sich jedoch um eine Wegeunterbrechung durch Einschieben einer eigenwirtschaftlichen Handlung, so dass die fremdwirtschaftliche Handlungstendenz insoweit nicht mehr gegeben ist. Da kein Bezug mehr zur betrieblichen Tätigkeit besteht, ist es nicht gerechtfertigt, die Grundsätze der besonderen Gefahrenmomente auf öffentliche Toilettenanlagen im Rahmen des Heimweges entsprechend anzuwenden. Der Senat lässt jedoch ausdrücklich offen, ob dies auch für den Betriebsweg im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII gilt; ein derartiger Weg lag unstreitig hier nicht vor.

    36

    Soweit die Rechtsprechung einen Versicherungsschutz auf dem Weg zu oder von der Arbeitsstätte bei unvorhergesehenen Ereignissen wie einer notwendigen Reparatur am Kfz oder bei leerem Tank angenommen hat, ist dies nach Ansicht des Senats nicht auf die Notwendigkeit, die Notdurft zu verrichten, anzuwenden. Bei Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung hat das BSG ein Fortbestehen des Versicherungsschutzes bejaht, wenn kein Zurücklegen des restlichen Weges ohne Behebung der Störung in angemessener Zeit auf andere Weise (z.B. zu Fuß) möglich ist, die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen steht und der Versicherte sich auf Maßnahmen beschränkt, die zur Fortsetzung des Weges notwendig sind (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 mit Verweis auf BSGE 16, 245 zu § 543 RVO aF: Reinigen der Zündkerzen). Es handelt sich bei dem Drang, die Toilette aufzusuchen, nämlich nicht um eine wegespezifische Störung wie das Auftreten eines Defekts an dem Fahrzeug, sondern um einen natürlichen alltäglichen Vorgang, der nach der Rechtsprechung der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen ist.

    37

    Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des Sozialgerichts München daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    38

    Das Urteil des Sozialgerichts stellt ein Feststellungsurteil dar, ohne dass der von der Beklagten erlassene Bescheid vom 13.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2011 aufgehoben wurde. Da die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten aber aus den dargelegten Gründen rechtmäßig waren, war die Anschlussberufung der Klägerin, gerichtet auf die Aufhebung dieser Bescheide, zurückzuweisen.

    39

    Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

    40

    Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage des Versicherungsschutzes im Rahmen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bei besonderer Gefahrensituation in einer öffentlichen Toilette von grundsätzlicher rechtlicher Bedeutung ist.

    RechtsgebietSGB 7Vorschriften§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7