28.02.2018 · IWW-Abrufnummer 199904
Sozialgericht Detmold: Urteil vom 15.11.2017 – S 5 KR 266/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2017 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 16.10.2016 Krankengeld entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
1
Tatbestand:
2
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 01.10.2016 bis 16.10.2016.
3
Die Klägerin ist am 00.00.1957 geboren und bei der Beklagten auf der Grundlage einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gegen Krankheit versichert.
4
Wegen einer Arbeitsunfähigkeit ab dem 03.06.2016 bezog die Klägerin nach der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber vom 15.07.2016 an Krankengeld. Zuletzt wurde die Arbeitsunfähigkeit mit Bescheinigung vom 19.08.2016 bis zum 30.09.2016 durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. U C bestätigt. Der Arzt hatte der Klägerin während des Krankengeldbezugs die auf dem Muster ausgefüllten Bescheinigungen von Arbeitsunfähigkeit, die zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt sind, nicht ausgehändigt, sondern diese regelmäßig in Freiumschlägen, die ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden waren, an diese auf dem Postweg zugeleitet.
5
Am 30.09.2016 begab sich die Klägerin erneut zu Dr. C. Die Arbeitsunfähigkeit wurde bis zum 31.10.2016 bescheinigt.
6
Die Ausfertigung der AU-Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse ging bei der Beklagten allerdings erst am 17.10.2016 ein. Der Posteingang enthält den handschriftlichen Datumseintrag eines Mitarbeiters der Beklagten. Sämtliche Eingänge werden bei der Beklagten regelmäßig eingescannt, ohne dass ein Absender vermerkt wird.
7
Mit Bescheid vom 17.10.2016 wurde die Klägerin darüber unterrichtet, dass sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu spät übersandt habe. Diese sei erst am 17.10.2016 eingegangen und daher nicht fristgerecht innerhalb einer Woche nach Ausstellung vorgelegt worden. Daher könne für die Tage vom 01.10.2016 bis zum 16.10.2016 kein Krankengeld gezahlt werden.
8
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie die Arbeitsunfähigkeit jeweils fristgerecht von ihrem Arzt habe bescheinigen lassen. Die Weiterleitung sei regelmäßig durch die Praxis C erfolgt. Die Bescheinigung vom 30.09.2016, die für die Beklagte bestimmt war, sei ihr von dem Arzt auch gar nicht ausgehändigt worden. Daher habe sie davon ausgehen müssen, dass eine zusätzliche Meldepflicht entfällt, zumal es sich um eine fortwährende Arbeitsunfähigkeit handelt. Schließlich sei Arbeitnehmern nach § 5 Abs. 1 S. 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) die Verpflichtung abgenommen, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden.
9
Die Klägerin legte zur weiteren Begründung eine Erklärung von Dr. C vom 28.10.2016 vor. Der Arzt äußerte sich dahingehend, dass der Auszahlungsschein der Patientin nicht ausgehändigt und erst mit Verspätung von der Praxis per Post an die Krankenkasse weitergeleitet worden ist. Der Fehler für die nicht zeitgerechte Übermittlung des Auszahlungsscheins sei in der Praxis entstanden.
10
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2017 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit sei die Pflicht des Versicherten. Die Gefahr des Nichteingangs oder des nicht rechtzeitigen Eingangs der Meldung trage der Versicherte. Er habe folglich dafür Sorge zu tragen, dass die Meldung die zuständige Kasse auch zuverlässig erreiche. Die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) greife daher auch dann, wenn die rechtzeitig zur Post gegebene Meldung dort verloren gehe und der Versicherte die Meldung erst später nachhole. Die Regelung aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz finde hingegen keine Anwendung, da der dort genannte Zeitraum nicht betroffen sei. Ein Versehen der Arztpraxis sei nicht der Kasse anzulasten, denn das bloße Übersenden von Freiumschlägen für eine Vielzahl von Fällen setze keine zurechenbare Kausalkette in Gang.
11
Hiergegen richtet sich die am 23.03.2017 erhobene Klage, mit der die Klägerin weiterhin Krankengeld für die Zeit vom 01.10.2016 bis 16.10.2016 begehrt. Die Beklagte habe die verspätete Übersendung der AU-Bescheinigung zu verantworten. Die Vordrucke und Freiumschläge seien der Arztpraxis überlassen worden, damit von dort aus die Weiterleitung direkt an die Beklagte vorgenommen werde, ohne dass der Versicherte hiervon Kenntnis habe oder hierauf habe Einfluss nehmen können. Wenn sich aus dieser Vorgehensweise Organisationsmängel ergäben, dann seien diese dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen.
12
Die Klägerin beantragt,
13
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2017 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 01.10.2016 bis 16.10.2016 Krankengeld entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
14
Die Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Sie ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid entspreche der Sach- und Rechtslage und sei daher nicht zu beanstanden. Zur Begründung nimmt sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 08.03.2016 Bezug. Eine Ausnahmesituation liege nicht vor. Insbesondere komme § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG nicht zur Anwendung, da der Entgeltfortzahlungszeitraum nicht betroffen ist.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
18
Entscheidungsgründe:
19
Die zulässige Klage ist begründet.
20
Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 17.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2017 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn der Bescheid ist rechtswidrig.
21
Die Klägerin hat Anspruch auf Krankengeld in der Zeit vom 01.10.2016 bis 17.10.2016.
22
Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Die an die Vorschrift geknüpften Voraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld sind im Grundsatz gegeben, denn die Klägerin war ausweislich der AU-Bescheinigung von Dr. C vom 30.09.2016 auch in der Zeit ab dem 01.10.2017 und über den 16.10.2017 hinaus arbeitsunfähig. Sie hat sich auch rechtzeitig im Sinne des § 46 S. 2 SGB V erneut bei Dr. C vorgestellt und Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.10.2016 bescheinigen lassen.
23
Ein Ruhen des Anspruchs wegen verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist nach Auffassung der Kammer nicht eingetreten, denn die verspätete Versendung der Bescheinigung durch Dr. C ist dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzuordnen.
24
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird. Der Ruhenstatbestand entfällt, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
25
Ebenso wie bei der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit handelt es sich bei der Meldung gegenüber der Krankenkasse um eine Obliegenheit des Versicherten. So trägt der Versicherte z.B. das Risiko, wenn die Meldung trotz rechtzeitiger Aufgabe auf dem Postweg verloren geht oder wenn er sie an einen unzuständigen Sozialleistungsträger sendet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind diese Obliegenheiten der rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und der Meldung gegenüber der Krankenkasse konsequent zu handhaben. Versäumnisse gehen zu Lasten der Versicherten (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 1 KR 35/14 R).
26
Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Bereits in seinem Urteil vom 08.11.2005 hat das BSG festgestellt, dass ein Ausnahmefall bei fehlender zeitgerechter Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auch dann vorliegen kann, wenn aus nichtmedizinischen Gründen irrtümlich die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit unterbleibt (B 1 KR 30/04 R, www.juris.de).
27
Aus ähnlichen Gesichtspunkten heraus kann die Meldeobliegenheit des Versicherten entfallen, wenn er darauf vertrauen durfte, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse weitergeleitet wird. Dies ist grundsätzlich bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Arbeitslosengeldempfängern der Fall, denn nach § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG muss bei einem Arbeitnehmer, der Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird. Während des Entgeltfortzahlungszeitraums ist daher der die AU feststellende Arzt verpflichtet, die Meldung vorzunehmen, so dass etwaige Versäumnisse in diesem Zeitraum nicht dem Versicherten angelastet werden können. Grundsätzlich kann sich der Vertragsarzt seiner Meldepflicht auch nicht dadurch entziehen, dass er den für die Krankenkasse bestimmten Vordruck dem Versicherten aushändigt (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. August 2004 - L 16 KR 324/03 -, a.A. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2015 - L 5 KR 5457/13 -, juris).
28
In Fortführung des in § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG enthaltenen Rechtsgedankens kann sich die Verantwortung für eine verspätete Übermittlung der AU-Bescheinigung nach Auffassung der Kammer auch dann auf die Krankenkasse verlagern, wenn der Arzt nach Beendigung des Entgeltfortzahlungszeitraums an seinem bisherigen Vorgehen festhält und die AU-Bescheinigung, die zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt ist, nicht dem Versicherten aushändigt, sondern selbst (ungefragt) eine eigenständige Übermittlung an die Krankenkasse vornimmt oder dies beabsichtigt.
29
Ebenso wie die Ausschlussregelung des § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V soll die Meldeobliegenheit des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V die Krankenkasse davon freistellen, die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen. Damit soll die Norm der Krankenkasse die Möglichkeit einräumen, die AU zeitnah durch den MDK überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegenzutreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, BSGE 111,18, SozR 4-2500 § 46 Nr. 4). So kann die Gewährung von Krankengeld bei verspäteter Meldung auch dann ausgeschlossen sein, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und den Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung trifft. Dementsprechend sind die Ausschlussregelungen und auch die Melderegelungen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V strikt zu handhaben. Daher erfüllt der Versicherte die ihm vom Gesetz übertragene Obliegenheit, für eine zeitgerechte ärztliche Feststellung und für eine fristgemäße Meldung der AU zu sorgen, wenn er alles in seiner Macht stehende tut, um seinen gesetzlichen Verpflichtungen genüge zu leisten.
30
So hat das BSG bereits in der Vergangenheit einen Krankengeldanspruch nicht am Fehlen der Feststellung der AU scheitern lassen, wenn dies auf der unzutreffenden rechtlichen Bewertung der Krankenkasse beruhte, die Beurteilung der AU habe sich wegen der Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht mehr an der zuletzt ausgeübten Tätigkeit auszurichten (BSGE 85, 271, 277, SozR3-2500 § 49 Nr. 4). Wenn der Versicherte alles in seiner Macht stehende getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert worden ist, kann die Krankenkasse die fehlende Feststellung oder Meldung der AU dem Versicherten ebenfalls nicht entgegenhalten (BSG aaO). Ebenso wie der Versicherte in derartigen Situationen ausnahmsweise auch ohne zeitgerechte Feststellung der AU rückwirkend Krankengeld beanspruchen kann, muss dies für den Fall einer durch eine Fehlentscheidung des Arztes entstandenen verzögerten Meldung der AU gegenüber der Krankenkasse gelten.
31
Zwar obliegt es auch nach der Entscheidung des nunmehr ausschließlich für Krankengeldangelegenheiten zuständigen 3. Senats des BSG vom 11.05.2017 grundsätzlich dem Versicherten, für eine fristgerechte Feststellung der AU zu sorgen. Trotz der strikten Anwendung dieser Regelungen werden jedoch die bereits von der bisherigen Rechtsprechung angesprochenen Ausnahmen anerkannt, wenn die ärztliche Feststellung oder die rechtzeitige Meldung der AU nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, www.juris.de). Die Krankenkasse kann sich daher nicht auf den verspäteten Zugang der Meldung berufen, wenn dieser auf von ihr zu vertretenden Organisationsmängeln beruht und der Versicherte hiervon weder wusste noch wissen musste (BSG, Urteil vom 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, 219-232, SozR4-2500 § 46 Nr. 1).
32
Ein solcher Fall liegt nach Auffassung der Kammer vor.
33
§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V enthält zunächst nur die Verpflichtung des Versicherten, die AU der Krankenkasse zu melden. Eine persönliche Meldung oder eine Verpflichtung zur persönlichen Übersendung der AU-Bescheinigung begründet die Vorschrift hingegen nicht. Dementsprechend kann die Meldung auch durch einen Dritten vorgenommen werden, dessen Säumnis in Abhängigkeit davon zu beurteilen ist, wessen Lager der Dritte angehört. So trägt der Versicherte die Verantwortung für eine verspätete Meldung der AU, wenn er die Übersendung der Bescheinigung einem Angehörigen überträgt oder die Bescheinigung auf dem Postwege verlorengeht. Dritter in diesem Sinne kann auch der Arzt des Versicherten sein, wenn der Versicherte den Arzt mit der Weiterleitung der Bescheinigung beauftragt.
34
Vorliegend hatte die Klägerin jedoch keine Gelegenheit, die ausgestellte AU-Bescheinigung an die Beklagte weiterzuleiten. Denn der behandelnde Arzt Dr. C hat ihr das entsprechende Formular nicht ausgehändigt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und wurde von Dr. C in seiner Erklärung vom 28.10.2016 bestätigt.
35
Die seit dem 01.01.2016 gültige Vordruckvereinbarung sieht zur Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit einen vierseitigen Formularsatz vor, wobei das Muster 1a zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt ist, das Muster 1b zur Vorlage beim Arbeitgeber und das Muster 1c die Ausfertigung für den Versicherten darstellt. Bei dem Muster 1d handelt es sich um die bei dem Arzt verbleibende Durchschrift. (vgl. Anlage 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte - BMV-Ä -) Diese Vordrucke wurden unabhängig davon verwandt, ob ein Versicherter sich noch im Zeitraum der Entgeltfortzahlung befindet oder nicht. Bei Arbeitsunfähigkeit während des Entgeltfortzahlungszeitraums enthält § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG die Verpflichtung des Arztes, die Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse weiterzuleiten. Das bis Ende 2015 gültige Muster 1b enthielt vor diesem Hintergrund noch den Hinweis "Der angegebenen Krankenkasse wird unverzüglich eine Bescheinigung über die AU mit Angaben über die Diagnose sowie die voraussichtliche Dauer der AU übersandt". Mit der Neugestaltung der Vordrucke wurde sodann der bis dahin notwendige Auszahlschein in die klassische AU-Bescheinigung integriert. Auf dem angepassten Formular 1a) wird die Arbeitsunfähigkeit sowohl während der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber als auch während der Krankengeldzahlung durch die Krankenkasse bescheinigt, so dass die Ärzte nicht mehr krankenkasseneigene Vordrucke ab der 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit ausfüllen, sondern nur noch ein einheitliches Formular verwenden müssen (http://www.kbv.de/html/1150 18128.php). Aus welchen Gründen der sich offensichtlich an § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG orientierende Hinweis nicht mehr Bestandteil des Vordrucks ist, lässt sich weder der Vordruckvereinbarung noch den Erläuterungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entnehmen.
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Wenn der Arzt nun vor dem Hintergrund der Regelung in § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG und der früher gängigen Praxis irrtümlich davon ausgeht, auch über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus verpflichtet zu sein, die AU der Krankenkasse zu melden und den hierfür vorgesehenen Vordruck an diese weiterzuleiten, kann eine Verletzung der Obliegenheit des Versicherten jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn der Arzt aufgrund eines Organisationsmangels in seiner Praxis die Bescheinigung zu spät weiterleitet und die Frist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V überschritten wird. In diesem Fall hat nämlich der Versicherte - wie auch die Klägerin vorliegend - keine Möglichkeit, auf den Weiterleitungsprozess Einfluss zu nehmen. Insbesondere hat die Klägerin nicht den Arzt beauftragt, die Meldung für sie zu übernehmen, denn sie durfte allein aufgrund des Umstandes, dass ihr das entsprechende Muster 1a von dem Arzt nicht ausgehändigt wurde, davon ausgehen, dass der Arzt die Meldung für sie übernimmt. Damit hat ihr der Arzt gewissermaßen ohne Einverständnis die Meldeobliegenheit abgenommen.
37
Dabei durfte der Arzt seinerseits davon ausgehen, dass er sich mit diesem Verhalten im Rahmen seiner vertragsärztlichen Befugnisse bewegt. Schließlich hat die Beklagte seiner Praxis im Vorfeld regelmäßig Freiumschläge zukommen lassen, um Postsendungen für die Versicherten der Beklagten kostenfrei zu übermitteln. Ob diese lediglich für andere Zwecke wie z. B. Befundanfragen oder Stellungnahmen zu Leistungsanträgen gedacht waren oder auch für die Übersendung von AU-Bescheinigungen genutzt werden sollten, kann dabei offen bleiben. Jedenfalls hat die Beklagte hiermit zum Ausdruck gebracht, dass eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kasse und Arztpraxis gewünscht ist. Wenn der Vertragsarzt in dieser Situation fälschlicherweise die für den Versicherten zur Vorlage bei der Krankenkasse ausgestellten AU-Bescheinigung nicht diesem persönlich aushändigt, sondern entsprechend der gesetzlichen Konzeption (jedenfalls für den Entgeltfortzahlungszeitraum) einbehält, um sie weiterzuleiten, so stellt sich dieses Verhalten als rechtliche Fehleinschätzung dar, die von der Krankenkasse zu verantworten ist. Auch aus den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (in der Fassung vom 14. November 2013, zuletzt geändert am 17. Dezember 2015, in Kraft getreten am 17. März 2016) ergibt sich keine Verpflichtung des Arztes, das Formular nur an den Patienten und nicht direkt an die zuständige Krankenkasse weiterzuleiten.
38
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Klägerin von der Praxis eine AU-Bescheinigung (Vordruck 1c) ausgehändigt worden ist, die für den Versicherten bestimmt ist. Zwar befindet sich auf dieser Bescheinigung der Hinweis, dass bei verspäteter Vorlage der Bescheinigung der Anspruch auf Krankengeld verlorengehen kann. Aber aus dem Formular ergibt sich nicht, dass die Vorlage durch den Versicherten persönlich etwa durch Weiterleitung eben dieser Ausfertigung der AU-Bescheinigung zu erfolgen hat. So durfte die Klägerin darauf vertrauen, dass die beim Arzt verbliebene Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse auch tatsächlich dort hingelangt. Ebenso wie in dem Fall, dass trotz Arzt-Patienten-Kontakt durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung des Arztes eine AU-Bescheinigung nicht ausgestellt wird (BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R), war auch die Klägerin gehindert, die für die Krankenkasse vorgesehene AU-Bescheinigung weiterzuleiten. Im Rahmen ihrer Obliegenheiten war sie auch nicht verpflichtet, bei der Krankenkasse den fristgerechten Zugang der Meldung zu erfragen, denn durch die Einbehaltung der AU-Bescheinigung und der damit verbundenen Zusicherung des Arztes, die Bescheinigung unverzüglich weiterzuleiten, hat der Vertragsarzt zwar seiner Verpflichtung nach § 31 BMV-Ä genüge geleistet, er hat aber irrtümlich angenommen, er könne den Vordruck 1a einbehalten und selbst weiterleiten, obgleich dies lediglich mit der letzten Durchschrift der AU-Bescheinigung (Muster 1d) zu geschehen hat. Das für den Arzt nicht auf den ersten Blick und für die Klägerin erst recht nicht erkennbare Fehlverhalten ist dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen ist, denn sie hat dafür zu sorgen, dass sich die Leistungserbringer an die vereinbarten Vorgaben halten und dass das Vordruckwesen in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen steht. Bei Unklarheiten sind die Beteiligten des Bundesmantelvertrages gehalten, eindeutig festzulegen, welche Pflichten sich insbesondere bei Veränderungen ergeben.
39
Das Risiko der nicht zeitgerechten Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei unterlassener Aushändigung des Vordrucks 1a dem Versicherten aufzubürden und ihm den Anspruch auf Krankengeld zu versagen, würde nicht dem Schutzbedürfnis des Versicherten in der sozialen Krankenversicherung entsprechen, wie es der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 SGB I ausdrücklich klargestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, juris, Rdnr. 28). Auch vorliegend war bei der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen sicherzustellen, dass die sozialen Rechte der Klägerin möglichst weitgehend verwirklicht werden.
40
Der Anspruch auf Krankengeld war daher für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 16.10.2016 ebenfalls zu bejahen.
41
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2017 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 16.10.2016 Krankengeld entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
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Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 01.10.2016 bis 16.10.2016.
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Die Klägerin ist am 00.00.1957 geboren und bei der Beklagten auf der Grundlage einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gegen Krankheit versichert.
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Wegen einer Arbeitsunfähigkeit ab dem 03.06.2016 bezog die Klägerin nach der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber vom 15.07.2016 an Krankengeld. Zuletzt wurde die Arbeitsunfähigkeit mit Bescheinigung vom 19.08.2016 bis zum 30.09.2016 durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. U C bestätigt. Der Arzt hatte der Klägerin während des Krankengeldbezugs die auf dem Muster ausgefüllten Bescheinigungen von Arbeitsunfähigkeit, die zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt sind, nicht ausgehändigt, sondern diese regelmäßig in Freiumschlägen, die ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden waren, an diese auf dem Postweg zugeleitet.
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Am 30.09.2016 begab sich die Klägerin erneut zu Dr. C. Die Arbeitsunfähigkeit wurde bis zum 31.10.2016 bescheinigt.
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Die Ausfertigung der AU-Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse ging bei der Beklagten allerdings erst am 17.10.2016 ein. Der Posteingang enthält den handschriftlichen Datumseintrag eines Mitarbeiters der Beklagten. Sämtliche Eingänge werden bei der Beklagten regelmäßig eingescannt, ohne dass ein Absender vermerkt wird.
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Mit Bescheid vom 17.10.2016 wurde die Klägerin darüber unterrichtet, dass sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu spät übersandt habe. Diese sei erst am 17.10.2016 eingegangen und daher nicht fristgerecht innerhalb einer Woche nach Ausstellung vorgelegt worden. Daher könne für die Tage vom 01.10.2016 bis zum 16.10.2016 kein Krankengeld gezahlt werden.
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Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie die Arbeitsunfähigkeit jeweils fristgerecht von ihrem Arzt habe bescheinigen lassen. Die Weiterleitung sei regelmäßig durch die Praxis C erfolgt. Die Bescheinigung vom 30.09.2016, die für die Beklagte bestimmt war, sei ihr von dem Arzt auch gar nicht ausgehändigt worden. Daher habe sie davon ausgehen müssen, dass eine zusätzliche Meldepflicht entfällt, zumal es sich um eine fortwährende Arbeitsunfähigkeit handelt. Schließlich sei Arbeitnehmern nach § 5 Abs. 1 S. 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) die Verpflichtung abgenommen, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden.
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Die Klägerin legte zur weiteren Begründung eine Erklärung von Dr. C vom 28.10.2016 vor. Der Arzt äußerte sich dahingehend, dass der Auszahlungsschein der Patientin nicht ausgehändigt und erst mit Verspätung von der Praxis per Post an die Krankenkasse weitergeleitet worden ist. Der Fehler für die nicht zeitgerechte Übermittlung des Auszahlungsscheins sei in der Praxis entstanden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2017 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit sei die Pflicht des Versicherten. Die Gefahr des Nichteingangs oder des nicht rechtzeitigen Eingangs der Meldung trage der Versicherte. Er habe folglich dafür Sorge zu tragen, dass die Meldung die zuständige Kasse auch zuverlässig erreiche. Die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) greife daher auch dann, wenn die rechtzeitig zur Post gegebene Meldung dort verloren gehe und der Versicherte die Meldung erst später nachhole. Die Regelung aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz finde hingegen keine Anwendung, da der dort genannte Zeitraum nicht betroffen sei. Ein Versehen der Arztpraxis sei nicht der Kasse anzulasten, denn das bloße Übersenden von Freiumschlägen für eine Vielzahl von Fällen setze keine zurechenbare Kausalkette in Gang.
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Hiergegen richtet sich die am 23.03.2017 erhobene Klage, mit der die Klägerin weiterhin Krankengeld für die Zeit vom 01.10.2016 bis 16.10.2016 begehrt. Die Beklagte habe die verspätete Übersendung der AU-Bescheinigung zu verantworten. Die Vordrucke und Freiumschläge seien der Arztpraxis überlassen worden, damit von dort aus die Weiterleitung direkt an die Beklagte vorgenommen werde, ohne dass der Versicherte hiervon Kenntnis habe oder hierauf habe Einfluss nehmen können. Wenn sich aus dieser Vorgehensweise Organisationsmängel ergäben, dann seien diese dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2017 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 01.10.2016 bis 16.10.2016 Krankengeld entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, der angefochtene Bescheid entspreche der Sach- und Rechtslage und sei daher nicht zu beanstanden. Zur Begründung nimmt sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 08.03.2016 Bezug. Eine Ausnahmesituation liege nicht vor. Insbesondere komme § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG nicht zur Anwendung, da der Entgeltfortzahlungszeitraum nicht betroffen ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 17.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2017 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn der Bescheid ist rechtswidrig.
21
Die Klägerin hat Anspruch auf Krankengeld in der Zeit vom 01.10.2016 bis 17.10.2016.
22
Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Die an die Vorschrift geknüpften Voraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld sind im Grundsatz gegeben, denn die Klägerin war ausweislich der AU-Bescheinigung von Dr. C vom 30.09.2016 auch in der Zeit ab dem 01.10.2017 und über den 16.10.2017 hinaus arbeitsunfähig. Sie hat sich auch rechtzeitig im Sinne des § 46 S. 2 SGB V erneut bei Dr. C vorgestellt und Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.10.2016 bescheinigen lassen.
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Ein Ruhen des Anspruchs wegen verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist nach Auffassung der Kammer nicht eingetreten, denn die verspätete Versendung der Bescheinigung durch Dr. C ist dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzuordnen.
24
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird. Der Ruhenstatbestand entfällt, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
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Ebenso wie bei der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit handelt es sich bei der Meldung gegenüber der Krankenkasse um eine Obliegenheit des Versicherten. So trägt der Versicherte z.B. das Risiko, wenn die Meldung trotz rechtzeitiger Aufgabe auf dem Postweg verloren geht oder wenn er sie an einen unzuständigen Sozialleistungsträger sendet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind diese Obliegenheiten der rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und der Meldung gegenüber der Krankenkasse konsequent zu handhaben. Versäumnisse gehen zu Lasten der Versicherten (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 1 KR 35/14 R).
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Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Bereits in seinem Urteil vom 08.11.2005 hat das BSG festgestellt, dass ein Ausnahmefall bei fehlender zeitgerechter Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auch dann vorliegen kann, wenn aus nichtmedizinischen Gründen irrtümlich die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit unterbleibt (B 1 KR 30/04 R, www.juris.de).
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Aus ähnlichen Gesichtspunkten heraus kann die Meldeobliegenheit des Versicherten entfallen, wenn er darauf vertrauen durfte, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse weitergeleitet wird. Dies ist grundsätzlich bei Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Arbeitslosengeldempfängern der Fall, denn nach § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG muss bei einem Arbeitnehmer, der Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird. Während des Entgeltfortzahlungszeitraums ist daher der die AU feststellende Arzt verpflichtet, die Meldung vorzunehmen, so dass etwaige Versäumnisse in diesem Zeitraum nicht dem Versicherten angelastet werden können. Grundsätzlich kann sich der Vertragsarzt seiner Meldepflicht auch nicht dadurch entziehen, dass er den für die Krankenkasse bestimmten Vordruck dem Versicherten aushändigt (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. August 2004 - L 16 KR 324/03 -, a.A. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2015 - L 5 KR 5457/13 -, juris).
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In Fortführung des in § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG enthaltenen Rechtsgedankens kann sich die Verantwortung für eine verspätete Übermittlung der AU-Bescheinigung nach Auffassung der Kammer auch dann auf die Krankenkasse verlagern, wenn der Arzt nach Beendigung des Entgeltfortzahlungszeitraums an seinem bisherigen Vorgehen festhält und die AU-Bescheinigung, die zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt ist, nicht dem Versicherten aushändigt, sondern selbst (ungefragt) eine eigenständige Übermittlung an die Krankenkasse vornimmt oder dies beabsichtigt.
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Ebenso wie die Ausschlussregelung des § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V soll die Meldeobliegenheit des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V die Krankenkasse davon freistellen, die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen. Damit soll die Norm der Krankenkasse die Möglichkeit einräumen, die AU zeitnah durch den MDK überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegenzutreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, BSGE 111,18, SozR 4-2500 § 46 Nr. 4). So kann die Gewährung von Krankengeld bei verspäteter Meldung auch dann ausgeschlossen sein, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und den Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung trifft. Dementsprechend sind die Ausschlussregelungen und auch die Melderegelungen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V strikt zu handhaben. Daher erfüllt der Versicherte die ihm vom Gesetz übertragene Obliegenheit, für eine zeitgerechte ärztliche Feststellung und für eine fristgemäße Meldung der AU zu sorgen, wenn er alles in seiner Macht stehende tut, um seinen gesetzlichen Verpflichtungen genüge zu leisten.
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So hat das BSG bereits in der Vergangenheit einen Krankengeldanspruch nicht am Fehlen der Feststellung der AU scheitern lassen, wenn dies auf der unzutreffenden rechtlichen Bewertung der Krankenkasse beruhte, die Beurteilung der AU habe sich wegen der Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht mehr an der zuletzt ausgeübten Tätigkeit auszurichten (BSGE 85, 271, 277, SozR3-2500 § 49 Nr. 4). Wenn der Versicherte alles in seiner Macht stehende getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert worden ist, kann die Krankenkasse die fehlende Feststellung oder Meldung der AU dem Versicherten ebenfalls nicht entgegenhalten (BSG aaO). Ebenso wie der Versicherte in derartigen Situationen ausnahmsweise auch ohne zeitgerechte Feststellung der AU rückwirkend Krankengeld beanspruchen kann, muss dies für den Fall einer durch eine Fehlentscheidung des Arztes entstandenen verzögerten Meldung der AU gegenüber der Krankenkasse gelten.
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Zwar obliegt es auch nach der Entscheidung des nunmehr ausschließlich für Krankengeldangelegenheiten zuständigen 3. Senats des BSG vom 11.05.2017 grundsätzlich dem Versicherten, für eine fristgerechte Feststellung der AU zu sorgen. Trotz der strikten Anwendung dieser Regelungen werden jedoch die bereits von der bisherigen Rechtsprechung angesprochenen Ausnahmen anerkannt, wenn die ärztliche Feststellung oder die rechtzeitige Meldung der AU nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, www.juris.de). Die Krankenkasse kann sich daher nicht auf den verspäteten Zugang der Meldung berufen, wenn dieser auf von ihr zu vertretenden Organisationsmängeln beruht und der Versicherte hiervon weder wusste noch wissen musste (BSG, Urteil vom 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, 219-232, SozR4-2500 § 46 Nr. 1).
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Ein solcher Fall liegt nach Auffassung der Kammer vor.
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§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V enthält zunächst nur die Verpflichtung des Versicherten, die AU der Krankenkasse zu melden. Eine persönliche Meldung oder eine Verpflichtung zur persönlichen Übersendung der AU-Bescheinigung begründet die Vorschrift hingegen nicht. Dementsprechend kann die Meldung auch durch einen Dritten vorgenommen werden, dessen Säumnis in Abhängigkeit davon zu beurteilen ist, wessen Lager der Dritte angehört. So trägt der Versicherte die Verantwortung für eine verspätete Meldung der AU, wenn er die Übersendung der Bescheinigung einem Angehörigen überträgt oder die Bescheinigung auf dem Postwege verlorengeht. Dritter in diesem Sinne kann auch der Arzt des Versicherten sein, wenn der Versicherte den Arzt mit der Weiterleitung der Bescheinigung beauftragt.
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Vorliegend hatte die Klägerin jedoch keine Gelegenheit, die ausgestellte AU-Bescheinigung an die Beklagte weiterzuleiten. Denn der behandelnde Arzt Dr. C hat ihr das entsprechende Formular nicht ausgehändigt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und wurde von Dr. C in seiner Erklärung vom 28.10.2016 bestätigt.
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Die seit dem 01.01.2016 gültige Vordruckvereinbarung sieht zur Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit einen vierseitigen Formularsatz vor, wobei das Muster 1a zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt ist, das Muster 1b zur Vorlage beim Arbeitgeber und das Muster 1c die Ausfertigung für den Versicherten darstellt. Bei dem Muster 1d handelt es sich um die bei dem Arzt verbleibende Durchschrift. (vgl. Anlage 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte - BMV-Ä -) Diese Vordrucke wurden unabhängig davon verwandt, ob ein Versicherter sich noch im Zeitraum der Entgeltfortzahlung befindet oder nicht. Bei Arbeitsunfähigkeit während des Entgeltfortzahlungszeitraums enthält § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG die Verpflichtung des Arztes, die Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse weiterzuleiten. Das bis Ende 2015 gültige Muster 1b enthielt vor diesem Hintergrund noch den Hinweis "Der angegebenen Krankenkasse wird unverzüglich eine Bescheinigung über die AU mit Angaben über die Diagnose sowie die voraussichtliche Dauer der AU übersandt". Mit der Neugestaltung der Vordrucke wurde sodann der bis dahin notwendige Auszahlschein in die klassische AU-Bescheinigung integriert. Auf dem angepassten Formular 1a) wird die Arbeitsunfähigkeit sowohl während der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber als auch während der Krankengeldzahlung durch die Krankenkasse bescheinigt, so dass die Ärzte nicht mehr krankenkasseneigene Vordrucke ab der 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit ausfüllen, sondern nur noch ein einheitliches Formular verwenden müssen (http://www.kbv.de/html/1150 18128.php). Aus welchen Gründen der sich offensichtlich an § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG orientierende Hinweis nicht mehr Bestandteil des Vordrucks ist, lässt sich weder der Vordruckvereinbarung noch den Erläuterungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entnehmen.
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Wenn der Arzt nun vor dem Hintergrund der Regelung in § 5 Abs. 1 S. 5 EntgFG und der früher gängigen Praxis irrtümlich davon ausgeht, auch über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus verpflichtet zu sein, die AU der Krankenkasse zu melden und den hierfür vorgesehenen Vordruck an diese weiterzuleiten, kann eine Verletzung der Obliegenheit des Versicherten jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn der Arzt aufgrund eines Organisationsmangels in seiner Praxis die Bescheinigung zu spät weiterleitet und die Frist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V überschritten wird. In diesem Fall hat nämlich der Versicherte - wie auch die Klägerin vorliegend - keine Möglichkeit, auf den Weiterleitungsprozess Einfluss zu nehmen. Insbesondere hat die Klägerin nicht den Arzt beauftragt, die Meldung für sie zu übernehmen, denn sie durfte allein aufgrund des Umstandes, dass ihr das entsprechende Muster 1a von dem Arzt nicht ausgehändigt wurde, davon ausgehen, dass der Arzt die Meldung für sie übernimmt. Damit hat ihr der Arzt gewissermaßen ohne Einverständnis die Meldeobliegenheit abgenommen.
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Dabei durfte der Arzt seinerseits davon ausgehen, dass er sich mit diesem Verhalten im Rahmen seiner vertragsärztlichen Befugnisse bewegt. Schließlich hat die Beklagte seiner Praxis im Vorfeld regelmäßig Freiumschläge zukommen lassen, um Postsendungen für die Versicherten der Beklagten kostenfrei zu übermitteln. Ob diese lediglich für andere Zwecke wie z. B. Befundanfragen oder Stellungnahmen zu Leistungsanträgen gedacht waren oder auch für die Übersendung von AU-Bescheinigungen genutzt werden sollten, kann dabei offen bleiben. Jedenfalls hat die Beklagte hiermit zum Ausdruck gebracht, dass eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kasse und Arztpraxis gewünscht ist. Wenn der Vertragsarzt in dieser Situation fälschlicherweise die für den Versicherten zur Vorlage bei der Krankenkasse ausgestellten AU-Bescheinigung nicht diesem persönlich aushändigt, sondern entsprechend der gesetzlichen Konzeption (jedenfalls für den Entgeltfortzahlungszeitraum) einbehält, um sie weiterzuleiten, so stellt sich dieses Verhalten als rechtliche Fehleinschätzung dar, die von der Krankenkasse zu verantworten ist. Auch aus den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (in der Fassung vom 14. November 2013, zuletzt geändert am 17. Dezember 2015, in Kraft getreten am 17. März 2016) ergibt sich keine Verpflichtung des Arztes, das Formular nur an den Patienten und nicht direkt an die zuständige Krankenkasse weiterzuleiten.
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Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Klägerin von der Praxis eine AU-Bescheinigung (Vordruck 1c) ausgehändigt worden ist, die für den Versicherten bestimmt ist. Zwar befindet sich auf dieser Bescheinigung der Hinweis, dass bei verspäteter Vorlage der Bescheinigung der Anspruch auf Krankengeld verlorengehen kann. Aber aus dem Formular ergibt sich nicht, dass die Vorlage durch den Versicherten persönlich etwa durch Weiterleitung eben dieser Ausfertigung der AU-Bescheinigung zu erfolgen hat. So durfte die Klägerin darauf vertrauen, dass die beim Arzt verbliebene Bescheinigung zur Vorlage bei der Krankenkasse auch tatsächlich dort hingelangt. Ebenso wie in dem Fall, dass trotz Arzt-Patienten-Kontakt durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung des Arztes eine AU-Bescheinigung nicht ausgestellt wird (BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R), war auch die Klägerin gehindert, die für die Krankenkasse vorgesehene AU-Bescheinigung weiterzuleiten. Im Rahmen ihrer Obliegenheiten war sie auch nicht verpflichtet, bei der Krankenkasse den fristgerechten Zugang der Meldung zu erfragen, denn durch die Einbehaltung der AU-Bescheinigung und der damit verbundenen Zusicherung des Arztes, die Bescheinigung unverzüglich weiterzuleiten, hat der Vertragsarzt zwar seiner Verpflichtung nach § 31 BMV-Ä genüge geleistet, er hat aber irrtümlich angenommen, er könne den Vordruck 1a einbehalten und selbst weiterleiten, obgleich dies lediglich mit der letzten Durchschrift der AU-Bescheinigung (Muster 1d) zu geschehen hat. Das für den Arzt nicht auf den ersten Blick und für die Klägerin erst recht nicht erkennbare Fehlverhalten ist dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen ist, denn sie hat dafür zu sorgen, dass sich die Leistungserbringer an die vereinbarten Vorgaben halten und dass das Vordruckwesen in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen steht. Bei Unklarheiten sind die Beteiligten des Bundesmantelvertrages gehalten, eindeutig festzulegen, welche Pflichten sich insbesondere bei Veränderungen ergeben.
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Das Risiko der nicht zeitgerechten Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei unterlassener Aushändigung des Vordrucks 1a dem Versicherten aufzubürden und ihm den Anspruch auf Krankengeld zu versagen, würde nicht dem Schutzbedürfnis des Versicherten in der sozialen Krankenversicherung entsprechen, wie es der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 SGB I ausdrücklich klargestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, juris, Rdnr. 28). Auch vorliegend war bei der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen sicherzustellen, dass die sozialen Rechte der Klägerin möglichst weitgehend verwirklicht werden.
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Der Anspruch auf Krankengeld war daher für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 16.10.2016 ebenfalls zu bejahen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.