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  • 15.10.2020 · IWW-Abrufnummer 218300

    Bundessozialgericht: Urteil vom 21.02.1990 – 12 RK 20/88

    1. Eine Abfindung, die wegen Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Entschädigung für die Zeit danach gezahlt wird, ist kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt.

    2. Eine Abfindung, die wegen Beendigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Entschädigung für die Zeit danach gezahlt wird, ist kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt.


    Bundessozialgericht

    Urteil vom 21.02.1990

    Az.: 12 RK 20/88Gründe
    1

    I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine der Klägerin wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindung beitragspflichtig ist.

    2

    Die 1930 geborene Klägerin war von 1958 bis März 1986 bei der Beigeladenen zu 1) angestellt und erhielt bis dahin Gehalt. Nach einer Vereinbarung vom 18. September 1985 endete das Beschäftigungsverhältnis mit dem 31. März 1986. Zugleich sagte die Beigeladene zu 1) der Klägerin in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes eine Abfindung in Höhe von 129.168 DM zu, zog davon Arbeitnehmeranteile an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 3.390,30 DM ab und überwies den Restbetrag am 26. März 1986 an die Klägerin. Vom 11. April 1986 bis zum 6. Dezember 1988 erhielt die Klägerin Arbeitslosengeld. Am 20. Mai 1986 beantragte sie bei der Beklagten die Erstattung der von ihrer Abfindung abgezogenen Beitragsanteile. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1986 ab. Darin entschied sie, daß die Klägerin die Abfindung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beschäftigung erhalten habe; deshalb gehöre sie zum Arbeitsentgelt und sei als einmalige Einnahme nach Abzug eines steuerfreien Betrages von 36.000 DM insoweit beitragspflichtig, als sie - nach Verteilung auf das Jahr 1985 - die Beitragsbemessungsgrenzen dieses Jahres in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht überschreite.

    3

    Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat die Abfindung mit Ausnahme eines Freibetrages von 36.000 DM ebenfalls als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt i.S. des § 14 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) angesehen. Sie stehe im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis der Klägerin, ohne dieses hätte es keine Abfindung gegeben. Außerdem entspreche die Beitragspflichtigkeit der Abfindung dem Schutzzweck des § 14 SGB IV, denn Abfindungen würden auch dafür gezahlt, daß der Arbeitnehmer nach dem Verlust des Arbeitsplatzes in der Regel keine oder niedrigere Beiträge zur Sozialversicherung, insbesondere zur Rentenversicherung, entrichte.

    4

    Mit der vom SG zugelassenen Revision rügt die Klägerin u.a. die Verletzung des §.14 SGB IV. Die ihr gezahlte Abfindung sei kein Arbeitsentgelt gewesen, sondern in voller Höhe Ausgleich für den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Für die Annahme eines Entgeltanteils i.S. des § 117 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei hier schon deswegen kein Raum, weil bei der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Kündigungsfrist eingehalten worden sei,

    5

    Die Klägerin beantragt,

    6

    unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Lübeck vom 7. Dezember 1987 den Bescheid vom 2. Juni 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 3.390,30 DM zu erstatten.

    7

    Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) haben beantragt,

    8

    die Revision gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

    9

    Sie halten das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Nach Ansieht der Beigeladenen zu 2) kann aus der Nichtanwendbarkeit des § 117 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht geschlossen werden, daß deswegen die gesamte Abfindung nur für den Verlust des sozialen Besitzstandes geleistet worden sei.

    10

    Die Beigeladene zu 3) hat den gleichen Antrag wie die Beklagte, die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.

    11

    Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz-SGG-).

    12

    II.

    Die Sprungrevision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Ansicht des SG ist die von der Beigeladenen zu 1), der früheren Arbeitgeberin der Klägerin, gezahlte Abfindung nicht als Arbeitsentgelt aus der bis zum 31. März 1986 ausgeübten Beschäftigung beitragspflichtig.

    13

    Beitragspflichtig ist bei kranken- und rentenversicherungspflichtigen und nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) beitragspflichtigen Beschäftigten, wie früher der Klägerin, ihr Arbeitsentgelt; nur dieses kommt im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage für die Beitragspflicht der Abfindung in Betracht. Zum Arbeitsentgelt gehören nun zwar auch Einnahmen, die nicht unmittelbar aus der Beschäftigung, sondern nur "im Zusammenhang mit ihr" erzielt werden (§ 14 Abs 1 SGB IV); das kann besonders bei einmaligen Einnahmen wie einer Abfindung zutreffen. Auch solche Einnahmen müssen jedoch, um als Arbeitsentgelt aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beitragspflichtig zu sein, sich zeitlich der versicherungspflichtigen Beschäftigung zuordnen lassen, dh auf die Zeit der Beschäftigung und der Versicherungspflicht entfallen. Das trifft auf eine Abfindung, die wegen Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung gezahlt wird, grundsätzlich nicht zu. Soweit es sich bei ihr um eine echte Abfindung und nicht um eine Nachzahlung von während der Beschäftigung verdientem Entgelt handelt (vgl dazu Urteil des Senats vom 23. Februar 1988, SozR 2200 § 180 Nr 39, besonders S 159), soll die Abfindung den Arbeitnehmer dafür entschädigen, daß er seine bisherige Beschäftigung nicht fortsetzen kann, mithin gehindert ist, aus dieser Beschäftigung künftig Arbeitsentgelt zu erzielen. Eine solche Abfindung, die als Entschädigung für den Wegfall künftiger Verdienstmöglichkeiten (den Verlust des Arbeitsplatzes) gezahlt wird, ist zeitlich nicht der früheren Beschäftigung zuzuordnen; ihre Beitragspflicht kann nicht mehr auf die frühere, inzwischen weggefallene Versicherungspflicht gegründet werden.

    14

    Der Senat hat deshalb schon in einem Urteil vom 28. April 1987 (SozR 2200 § 180 Nr 36) eine wegen Beendigung der Beschäftigung gezahlte Abfindung nicht der früheren versicherungspflichtigen Beschäftigung des Empfängers zugerechnet, sondern der Zeit nach Beendigung der Beschäftigung, in der sich der Empfänger freiwillig krankenversichert hatte. Der Senat hat demgemäß die Abfindung nicht als Arbeitsentgelt aus der früheren Beschäftigung, sondern als sonstige Einnahme zum Lebensunterhalt für die Zeit nach dem Ende der Beschäftigung angesehen (§ 180 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF); er hat sie allerdings nicht in voller Höhe für beitragspflichtig gehalten, sondern nur in Höhe eines in Anlehnung an § 117 Abs 2 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bestimmten "Entgeltanteils". Das ist geschehen, weil der Empfänger der Abfindung einer vorzeitigen, dh ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers (§ 117 Abs 2 Satz 1 AFG) erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt und damit auf den ihm an sich bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zustehenden Entgeltanspruch verzichtet hatte. Auch den "Entgeltanteil" der Abfindung (nicht nur ihren "Sozialanteil") hat der Senat mithin nicht zum Arbeitsentgelt aus der früheren Beschäftigung gerechnet.

    15

    Als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt könnte die Abfindung der Klägerin nur angesehen werden, wenn sie, wie die Beklagte will, auf die Zeit der Beschäftigung zu "verschieben" wäre. Ihrer Ansicht nach soll nämlich die im März 1986 gezahlte Abfindung nach Abzug eines Steuerfreibetrages als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt iS des § 385 Abs 1a Reichsversicherungsordnung (RVO) aF auf das Jahr 1985 verteilt und bis zu den Beitragsbemessungsgrenzen der einzelnen Versicherungszweige zu Beiträgen herangezogen werden. Eine solche Verschiebung, also zeitliche Rückbeziehung der Abfindung auf einen früheren Zeitraum, in dem die Beschäftigung und die Versicherungspflicht noch bestand, wäre zwar rechtssystematisch denkbar (vgl etwa zur Beitragspflicht von Urlaubsabgeltungen, die beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis gezahlt werden, ihre Grundlage aber noch in dem beendeten Arbeitsverhältnis haben, BSGE 26, 68, 70 und SozR 2200 § 405 Nr 11, S 36 ff); die Verschiebung wäre hier jedoch mit dem Zweck der Abfindung als einer Entschädigung für künftig entfallende Verdienstmöglichkeiten nicht vereinbar.

    16

    Wenn im Steuerrecht auch "Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen" den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugerechnet werden (§ 19 Abs 1 Nr 2 EStG) und deshalb auch Abfindungen der streitigen Art nach Abzug eines Freibetrages (§ 3 Nr 9 EStG) steuerpflichtig sind, allerdings nur mit einem ermäßigten Steuersatz (§ 24 Nr 1 iVm § 34 Abs 1 und 2 Nr 2 EStG, vgl Schmidt, EStG, 6. Aufl, § 34 Anm 10), so beruht dies auf einer dem Steuerrecht eigentümlichen Betrachtungsweise. Danach gehören nämlich kraft ausdrücklicher Bestimmung zum lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn auch Einnahmen aus einem früheren Dienstverhältnis und Entschädigungen, die dem Arbeitnehmer als Ersatz für entgangenen oder entgehenden Arbeitslohn oder für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gewährt werden (§ 2 Abs 2 Nrn 2 und 4 LStDV, jetzt idF vom 10. Oktober 1989, BGBl I 1849). Diese Vorschriften sind auf den - eigenständig geregelten - Begriff des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung (§ 14 SGB IV) nicht übertragbar. Sie sind auf den Bereich der Sozialversicherung auch nicht durch die Arbeitsentgeltverordnung übertragen worden. Nach deren § 1 (in der seit der VO vom 6. Juli 1977, BGBl I 1208, nicht mehr geänderten Fassung) sind zwar einmalige Einnahmen, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus den §§ 2 und 3 Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) nichts Abweichendes ergibt, nicht dem (beitragspflichtigen) Arbeitsentgelt zuzurechnen. Soweit hiernach Einnahmen wegen ihrer Lohnsteuerfreiheit auch beitragsfrei sind, betrifft dies jedoch nur Einnahmen, die an sich als Arbeitsentgelt beitragspflichtig wären; es gilt mithin nicht für Einnahmen, die - wie Abfindungen der hier fraglichen Art - nach dem Recht der Sozialversicherung ohnehin kein Arbeitsentgelt sind.

    17

    Eine Abfindung, wie sie die Klägerin erhalten hat, ist somit, weil sie nicht mehr einer inzwischen beendeten versicherungspflichtigen Beschäftigung zuzuordnen ist, nicht als Arbeitsentgelt beitragspflichtig (ebenso für vergleichbare Abfindungen schon der 2. Senat des BSG in einem Urteil vom 12. Juni 1989, SozR 2200 § 587 Nr 7, besonders S 18 f, und Urteil des BAG vom 9. November 1988, AP § 10 KSchG 1969 Nr 6 mwN aus dem Schrifttum und zustimmender Anm von Brackmann).

    18

    Die von der Abfindung der Klägerin entrichteten Beiträge sind deshalb zu Unrecht entrichtet worden und, weil Hinderungsgründe iS des § 26 SGB IV nicht festgestellt worden sind, nach dieser Vorschrift bzw nach § 185 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu erstatten. Da bisher nur die Klägerin einen Erstattungsanspruch für die von ihr getragenen Beitragsanteile geltend gemacht hat, war nur über diesen Erstattungsanspruch zu entscheiden. Erstattungspflichtig sind die Träger der jeweiligen Versicherungszweige. Das gilt auch für die Rentenversicherungsbeiträge (vgl BSGE 62, 281); die Neuregelung ihrer Erstattung (vgl § 147 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2330) war hier noch nicht anzuwenden. Über die Erstattungspflicht der beigeladenen Versicherungsträger hat der Senat nach § 75 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden.

    RechtsgebieteRVO, SGBVorschriften§ 385 RVO; § 14 Abs. 1 SGB