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  • 12.07.2023 · IWW-Abrufnummer 236238

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 23.11.2022 – 12 K 623/22

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Baden-Württemberg

    Urteil vom 23.11.2022


    In dem Finanzrechtsstreit
    Kläger
    - Kläger -
    prozessbevollmächtigt:
    gegen
    Finanzamt
    - Beklagter -

    wegen Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer 2019

    hat der 12. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2022 durch
    Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
    Richterinnen am Finanzgericht
    Ehrenamtliche Richterin
    Ehrenamtlichen Richter

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Der Bescheid wegen Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für 2019 vom 26. März 2021, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2022, wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer für 2019 mit XXX Euro, der Solidaritätszuschlag für 2019 mit XXX Euro und die Kirchensteuer katholisch für 2019 mit XXX Euro festgesetzt wird.
    2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
    3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
    4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit geleistet hat.
    5. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Der seit XX.XX. 1992 verheiratete Kläger erzielte im Streitjahr 2019 Einkünfte aus [...] im Nebenerwerb, Einkünfte aus Gewerbebetrieb [...] und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. [...]

    Der Kläger war im Streitjahr als [...] tätig. Diese Tätigkeit übte er seit XXX in der Schweiz in Vollzeit aus. Nach dem Anstellungsvertrag zwischen dem Kläger und der A AG mit Sitz in der Schweiz vom XX.XX.2016 ist der Kläger [...].

    [...].

    Der Arbeitsort ist in B, im Kanton Thurgau (TG) "bzw. auf den übrigen ...standorten". Die Normalarbeitszeit beträgt 45,5 Stunden. Nach Ziff. 4 des Vertrags organisiert sich der Kläger "im Rahmen seiner Aufgaben selbständig. [...] Vertrauensarbeitszeit ... und von der Präsenzzeitstempelung ausgenommen." Die Betriebszeiten werden genannt mit dem Zusatz: "Der Arbeitnehmer erklärt sich bereit, auch ausserhalb der normalen Präsenzzeit für wichtige Angelegenheiten zur Verfügung zu stehen." Eine Konkurrenzklausel wurde vereinbart. Ziff. 9 Wohnsitz lautet: "der Kläger wird in der Region B Wohnsitz nehmen." Wegen der Einzelheiten wird auf den Anstellungsvertrag Bezug genommen (...).

    Das Arbeitsverhältnis mit dem Schweizer Arbeitgeber wurde im X. Quartal 2020 beendet. [...]

    Der Kläger hat mit Mietvertrag vom XX.XX.2017 eine Ein-Zimmer-Wohnung in B (TG) angemietet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Mietvertrag zwischen dem Kläger und der C GmbH Bezug genommen (...).

    Der Kläger hatte eine Aufenthaltsbewilligung B nach Schweizer Recht.

    Der Kläger hatte weder eine G-Bewilligung für Grenzgänger noch eine C-Bewilligung (Niederlassungsbewilligung).

    In der Schweiz gilt:

    Eine Aufenthaltsbewilligung B EU/EFTA mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren erhalten Arbeitnehmende auf Vorweisen einer Arbeitsbescheinigung von einjähriger, überjähriger oder unbefristeter Dauer (Factsheet zum Aufenthalt in der Schweiz mit Aufnahme einer Erwerbstätigkeit fs-bew-aufenthalt-d.pdf auf www.admin.ch; www.admin.ch ist die Webseite von "Der Bundesrat" und "Das Portal der Schweizer Regierung").

    Zu einer G-Bewilligung wird unter https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/themen/aufenthalt/eu_efta/ausweis_g_eu_efta.html ausgeführt:

    "Grenzgänger kehren in der Regel täglich oder mindestens einmal wöchentlich an ihren ausländischen Hauptwohnsitz zurück." "Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus den EU/EFTA-Mitgliedstaaten geniessen berufliche und geographische Mobilität. Für sie gelten keine Grenzzonen mehr. Sie können somit überall in der EU/EFTA wohnen und überall in der Schweiz arbeiten. Bedingung ist lediglich die wöchentliche Rückkehr an den ausländischen Wohnort. Die Bewilligung für Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus der EU/EFTA ist fünf Jahre gültig, sofern ein Arbeitsvertrag vorliegt, der unbeschränkt oder länger als ein Jahr gültig ist."

    Nach dem Factsheet fs-uebersicht-fza-d.pdf auf www.admin.ch gelten als Grenzgänger EU/EFTA-Staatsangehörige, welche in der Schweiz einer Erwerbstätigkeit nachgehen und gleichzeitig ihren festen Wohnort in einem EU/EFTA-Mitgliedstaat beibehalten. Die Grenzgängerbewilligung G EU/EFTA ist danach eine Sonderbescheinigung, deren Gültigkeitsdauer der Dauer des Arbeitsvertrags entspricht. Grenzgänger unterliegen danach besonderen Bestimmungen. Grenzgänger können sich bei der Einwohnergemeinde in der Schweiz als Wochenendaufenthalter anmelden.

    Der Kläger war als quellensteuerpflichtig bei den Schweizer Steuerbehörden gemeldet. Er unterlag dem Tarif "C0Y - Verheiratete Doppelverdiener". Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben der Veranlagungsbehörde Steueramt B (...) sowie den Lohnausweis für 2019 Bezug genommen (...).

    Zum Schweizer Tarifcode:

    Der Tarifcode C gilt bei rechtlich und tatsächlich in ungetrennter Ehe lebenden Eheleuten, bei welchen beide Eheleute erwerbstätig sind (Art. 1 Abs. 1 Buchst. c Verordnung des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) über die Quellensteuer bei der direkten Bundessteuer, Quellensteuerverordnung vom 19. Oktober 1993 (Stand 2015) aufgehoben am 1. Januar 2021 (QStV), Systematische Rechtssammlung (SR) 642.118.2).

    Bei einem Grenzgänger nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Deutschland (D), der den Tarifcode C erfüllt, gilt nach der QStV der Tarifcode N (Art. 1 Abs. 1 Buchst. j QStV).

    "0" bedeutet ohne Berücksichtigung von Kindern und "Y" mit Kirchensteueranteil (vgl. Quellensteuern Aufbau und Recordformate der Quellensteuer-Tarife für den Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2020 der EFD abrufbar unter estv.admin.ch; vgl. https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1993/3324_3324_3324/de). "estv" ist die Abkürzung für die Eidgenössische Steuerverwaltung.

    In der Schweiz erheben neben dem Bund auch die Kantone und die Gemeinden Steuern auf das Einkommen. Der Kläger arbeitete und wohnte im Streitjahr in der Schweiz in B (TG).

    Zum Schweizer Steuer- und Sozialversicherungsrecht:

    Der Quellensteuer unterliegen nach Art. 83 Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) vom 14. Dezember 1990 (Stand 1. Januar 2019), SR 642.11 (abrufbar als pdf. https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de) Arbeitnehmer ohne Niederlassungsbewilligung, die in der Schweiz jedoch steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt haben für ihr Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit.

    Nach Art. 91 DBG unterliegen auch im Ausland wohnhafte Grenzgänger, Wochenaufenthalter und Kurzaufenthalter für ihr in der Schweiz erzieltes Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit der Quellensteuer.

    Im Falle einer Quellenbesteuerung kommt es zu einer "nachträglichen ordentlichen Veranlagung" nach Art. 89 DBG nur in bestimmten Fällen, u.a. wenn bestimmte Einkommensgrenzen überschritten sind oder ein Antrag nach Art. 89a DBG gestellt wird. Ergänzend wird auf die "Botschaft zum Bundesgesetz über die Revision der Quellenbesteuerung des Erwerbseinkommens" vom 28. November 2014 Parlamentsnummer 14.093 BBI 2015 657 (https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2015/56/de) - Entwurf zum Bundesgesetz über die Revision der Quellenbesteuerung des Erwerbseinkommens mit Ausführungen zur Rechtslage und rechtlichen Aspekten Bezug genommen.

    Die Höhe der Quellensteuer wird berechnet auf der Grundlage der für die Einkommensteuer natürlicher Personen geltenden Steuertarife u.a. unter Berücksichtigung des Abzugs für Versicherungsprämien nach Art. 33 S. 1 Buchst. d, f und g DBG. Nach Art. 33 S. 1 Buchst. d DBG werden von den Einkünften abgezogen die gemäss Gesetz, Statut oder Reglements geleisteten Einlagen, Prämien und Beiträge an die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV, IV) und an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge (bV- die 2. Säule, auch Pensionskasse genannt, die die Leistungen der AHV/IV ergänzt und geregelt wird im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) vom 25. Juni 1982 (Stand 1. Januar 2019), SR 831.40, als pdf abrufbar https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1983/797_797_797/de) und nach Art. 33 S. 1 Buchst. f DBG die Prämien und Beiträge für die Erwerbsersatzordnung (Erwerbsausfallentschädigung - EO), die Arbeitslosenversicherung (ALV) und die obligatorische Unfallversicherung (UV), nach Art. 33 S. 1 Buchst. g DBG die Einlagen, Prämien und Beiträge für die Lebens-, Kranken- und die nicht unter Buchst. f fallende Unfallversicherung bis zum genannten Gesamtbetrag.

    Die AHV, IV, EO und ALV bilden als staatliche Vorsorge die sog. erste Säule des Schweizer Drei-Säulen-Modells.

    Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 in der für das Streitjahr geltenden Fassung (BV), SR 101 (https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de) normiert die verfassungsmäßigen Grundlagen für dieses System der drei Säulen. Vorgaben für die AHV/IV machen insbesondere Art. 111 BV und für die bV Art. 113 BV.

    Ergänzend erließ der Bund das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) vom 20. Dezember 1946 in der für das Streitjahr geltenden Fassung, SR 831.10 (https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/63/837_843_843/de). Danach sind die Beiträge vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit bei jeder Lohnzahlung in Abzug zu bringen und vom Arbeitgeber zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag periodisch zu entrichten (Art. 14 Abs. 1 AHVG).

    Nach dem Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG) vom 19. Juni 1959 in der für das Streitjahr gültigen Fassung, SR 831.20 (https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1959/827_857_845/de) sind u.a. die Personen versichert, die nach dem AHVG obligatorisch versichert sind (Art. 1b IVG). Beitragspflichtig sind die in Art. 3 AHVG und Art. 12 AHVG genannten Versicherten und der Arbeitgeber (Art. 2 IVG). Für die Beitragsbemessung gilt sinngemäß das AHVG. Art. 3 Abs. 1 IVG regelt die Beitragshöhe.

    Die bV als zweite Säule ist im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 in der für das Streitjahr geltenden Fassung (BVG), SR 831.40 (https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1983/797_797_797/de) geregelt. In der Schweiz beschäftigte Arbeitnehmer mit einem bestimmten Einkommen unterstehen der obligatorischen Versicherung (Art. 2 Abs. 1 BVG, Art. 7 BVG). Im Obligatoriumsbereich entstehen die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer und Vorsorgeeinrichtung mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrags (Art. 10 Abs. 1 BVG). Die Vorsorgeeinrichtung legt die Höhe der Beiträge des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers fest. Die von den Arbeitnehmern an die Vorsorgeeinrichtungen nach Gesetz oder reglementarischen Bestimmungen geleisteten Beiträge sind bei den direkten Steuern des Bundes, der Kantone und Gemeinden abziehbar (Art. 81 Abs. 2 BVG). Für die versicherten Arbeitnehmer sind die vom Lohn abgezogenen Beiträge im Lohnausweis zu bescheinigen (Art. 81 Abs. 3 BVG).

    Im Kanton Thurgau unterliegen ausländische Arbeitnehmer ohne Niederlassungsbewilligung (Bewilligung C), welche sich im Kanton aufhalten, mit ihren Einkünften aus unselbständiger Erwerbstätigkeit der Quellensteuerpflicht. Der (Quellen-) Steuerabzug tritt an die Stelle der im ordentlichen Verfahren zu veranlagenden Steuern des Kantons (§ 122 StG). Die Voraussetzungen der nachträglichen ordentlichen Veranlagung im Kanton Thurgau ergeben sich für das Streitjahr 2019 aus Steuerpraxis Thurgau StP 113 Nr. 1 Ziff. 3 (abrufbar wie alle StP über die Webseite steuerverwaltung.steuerpraxis.tg.ch) zur Regelung bis und mit Steuerperiode 2020 (über die Webseite sind die Fassungen für das jeweilige Jahr abrufbar).

    Nach § 109 Steuergesetz (StG) unterliegen ausländische Arbeitnehmer mit steuerrechtlichem Wohnsitz oder Aufenthalt im Kanton für ihre Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit einem Steuerabzug an der Quelle.

    Den Begriff steuerrechtlicher Wohnsitz definiert § 7 StG. Nach § 7 StG hat einen steuerrechtlichen Wohnsitz, "wer hier ungeachtet vorübergehender Unterbrechung während mindestens 30 Tagen verweilt und im Kanton erwerbstätig ist".

    Die Steuer wird von den Bruttoeinkünften berechnet (§ 110 Abs. 1 StG) mit Steuertarif nach Massgabe der für die Einkommensteuer natürlicher Personen geltenden Steuersätze (§ 111 StG) mit Pauschalen für Berufsauslagen und Versicherungsprämien (§ 112 StG).

    Angewandt wird für die Besteuerung das sog. Monatsmodell (vgl. EStV-Kreisschreiben Nr. 45, Ziff. 6.2 mit Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 1 QStV und Steuerpraxis Thurgau StP 112 Nr. 1). Nach dessen Ziff. 3 ist nach § 114 Abs. 1 StG bzw. Art. 107 Abs. 2 DBG bei einer im Ausland ansässigen Person mit Wochenaufenthalt der Wochenaufenthaltskanton für die Besteuerung zuständig. Die Höhe des für das Streitjahr 2019 monatlich geltenden Quellensteuertarif Tarif C ergibt sich aus "120_2017 Quellensteuer Monatstarife.pdf", S. 44 ff, steuerverwaltung.tg.ch.

    Die Tarifmitteilung erfolgt -wie im Streitfall- durch das Gemeindesteueramt (StP 111 Nr. 1 Ziff. 6).

    Veranlagungsbehörden sind die Steuerverwaltung (§ 142 Abs. 1 Ziff. 4 StG des Kantons Thurgau, Rechtsbuch (RB) 640.1 (www.rechtsbuch.ch).

    Nach der Steuerpraxis Thurgau StP 112 Nr. 1 kommt es zu einer maximalen Besteuerung zu 4,5 %, sofern die Grenzgängereigenschaft gemäss DBA Deutschland erfüllt ist in den Tarifen L, M, N, O, P und Q "Grenznähe mit Ansässigkeitsbescheinigung Gre-1 oder für die Verlängerung Gre-2".

    Grenzgänger oder Wochenaufenthalter ohne steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz, die in unselbständiger Stellung erwerbstätig sind, unterliegen der Quellensteuer (§ 114 StG) nach den §§ 109 bis 112 StG.

    Als Wochenaufenthalter gelten quellenbesteuerte natürliche Personen, die ihren Arbeitsort in der Schweiz haben, eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben, Lebensmittelpunkt und steuerlichen Wohnsitz weiterhin im Ausland haben, denen eine tägliche Rückkehr an ihren Lebensmittelpunkt im Ausland nicht zugemutet werden kann (keine Grenzgänger), die in der Schweiz über eine Wohnung zwecks Aufenthalt verfügen oder wöchentlich an ihren ausländischen Wohnsitz zurückkehren (StP 114 Nr. 1 Ziff. 3, steuerverwaltung.steuerpraxis.tg.ch).

    StP 114 Nr. 2 Ziff. 2 und Ziff. 2.3 (steuerverwaltung.steuerpraxis.tg.ch) führen u.a. aus: Ziff. 2.2 "Regelmässige Rückkehr" "Die Grenzgängereigenschaft hängt ausschließlich von der regelmässigen Rückkehr an den Wohnort ab." "Kehrt die quellensteuerpflichtige Person aufgrund ihres Arbeitsvertrages weniger als an einem Tag pro Woche oder weniger als an fünf Tagen pro Monat nicht von ihrem Arbeitsort an den Wohnsitz zurück, liegt keine regelmässige Rückkehr mehr vor."

    "Ziff. 2.3 "Nichtrückkehrtage": "Grenzgänger die aus beruflichen Gründen an mehr als 60 Tagen im Kalenderjahr nicht an den Wohnsitz zurückkehren", "werden in der Schweiz bzw. im Kanton Thurgau für die erzielten Einkünfte der ordentlichen Quellensteuer unterstellt (Tarifcodes A, B, C, G oder H)".

    Der Kläger und seine Arbeitgeberin haben im Streitjahr entsprechend den Schweizer Regelungen Beiträge zur AHV und zu bV nach den Vorschriften zur bV ab dem Zeitpunkt der Betriebszugehörigkeit geleistet.

    Nach dem Lohnausweis erfolgte ein Quellensteuerabzug i.H.v. XXX CHF. Dieser wurde vom Nettobetrag nach Abzug der Beiträge zur AHV, IV, EO, ALV, Nichtbetriebsunfallversicherung (NBUV) und zur bV vorgenommen. Die Richtigkeit der Angaben wurde bestätigt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Lohnausweis Bezug genommen (...).

    Der Kläger war im Streitjahr bei der Schweizer Krankenversicherung D (Beiträge 2019: XXX €) und bei der E Krankenversicherung (Deutschland) krankenversichert. Wegen der Einzelheiten wird das Schreiben der E Krankenversicherung (Deutschland) vom 19. Februar 2020 mit Beiträgen zur Basisversicherung i.H.v. XXX € und über diese hinausgehenden Beiträge i.H.v. XXX € Bezug genommen (...).

    Der Beklagte erließ am 13. Januar 2020 einen Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer 2019.

    Hiergegen legte der vertretene Kläger Einspruch ein. Er erziele steuerfreie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

    Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2019 nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit der Schweiz (DBA Schweiz) steuerfreie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Dies entsprach der steuerlichen Behandlung in den Veranlagungszeiträumen 2017 und 2018.

    Der Kläger beantragte eine Einzelveranlagung.

    Der Beklagte hatte den Kläger 2017 und 2018 nicht als Grenzgänger behandelt, da eine Rückkehr aus beruflichen Gründen aufgrund der Zeitdauer nicht zumutbar gewesen sei. Hierzu bezog sich der Beklagte auf die für diese Jahre geltende Konsultationsvereinbarung mit der Schweiz (KonsVerCHEV) zur Auslegung des Art. 15a DBA Schweiz. Wegen der Einzelheiten wird auf den Auszug der Verwaltungsauffassung und des Grenzgängerhandbuches der Oberfinanzdirektion (OFD) F Bezug genommen (...).

    Im Grenzgängerhandbuch (...) wurde auch geregelt: Die mit der Schweiz getroffene Verständigungsvereinbarung über die Residenzpflicht setze eine Wohnsitznahme in der Schweiz aufgrund einer zwingenden Vorschrift schweizerischen Rechts im Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit voraus. Der Ausdruck "zwingende Vorschrift schweizerischen Rechts" umfasse dabei schweizerische Gesetze und Verordnungen. "Eine Verpflichtung in einem Arbeitsvertrag zur Wohnsitznahme in der Schweiz reicht nicht aus, um eine Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung zu rechtfertigen". "Hinweis: Auf Grund diverser Änderungen im nationalen schweizerischen Recht besteht nur noch für wenige Personen eine gesetzliche Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Schweiz."

    Der Sachbearbeiter für internationales Steuerrecht hielt in seiner Mitteilung an den Teilbezirk XX/XX vom 17. Dezember 2019 (...) fest, die kürzeste Fahrstrecke sei diejenige mit "deutlich längerer Fahrzeit". Er führte in seiner Mitteilung u.a. aus, dass die einfache Straßenentfernung zwischen 98 km und 111 km bei einer Fahrtzeit von knapp unter 1,5 Stunden pro Weg betrage. Der Zeitfaktor spreche für eine Unzumutbarkeit einer Rückkehr. Der Kläger sei daher aus beruflichen Gründen an mehr als 60 Arbeitstagen nicht an seinen inländischen Wohnort zurückgekehrt.

    Der Sachbearbeiter für internationales Steuerrecht informierte den Teilbezirk auch darüber, dass es ab Veranlagungszeitraum 2019 nach der neuen KonsVersCHEV nur noch um die kürzeste Straßenentfernung gehe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Mitteilung vom 17. Dezember 2019 (...) und die Mitteilung vom 11. März 2021 Bezug genommen (...).

    Der Sachbearbeiter für internationales Steuerrecht führte in der Mitteilung vom 11. März 2021 auch aus, dass seiner Ansicht nach weder der Zeitfaktor noch der Aufenthaltsstatus noch das Urteil des  Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg vom 16. Dezember 1999 - 14 K 208/98 als Einzelfallentscheidung eine Rolle spielten.

    Er ermittelte den steuerpflichtigen Arbeitslohn sowie die abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen. Lt. Arbeitsvertrag würden Beiträge in die Krankentaggeldversicherung und NBUV vom Gehalt abgezogen. Von einer Hinzuziehung etwaiger Arbeitgeberbeiträge im Schätzungswege wurde abgesehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Mitteilung vom 11. März 2021 und die Berechnung Bezug genommen (...).

    Der Beklagte stützte sich auf das BMF-Schreiben vom 25. Oktober 2018, Bundessteuerblatt (BStBl.) I 2018, 1103.

    Nach der Pressemitteilung hierzu haben sich mit der neuen KonsVerCHEV vom 12. Oktober 2018, BMF-Schreiben vom 25. Oktober 2018 (BStBl. I 2018, 1103) mit Wirkung ab 1. Januar 2019 Änderungen in Bezug auf die Zumutbarkeit der Rückkehr i.S.d. Art. 15a Abs. 1 DBA Schweiz ergeben.

    Ausgeführt wurde u.a.: "Es muss dem Staatsbürger also wegen seiner Arbeit nicht möglich, das heißt "unzumutbar" sein, nach seinem Arbeitstag noch nach Hause zu fahren." Es werde nunmehr zwischen der Art des benutzten Transportmittels unterschieden. Bei Benutzung eines Kfz sei die kürzeste Fahrstrecke maßgebend. Bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei die schnellste Verbindung zu den allgemein üblichen Pendelzeiten maßgebend. Durch die neue Vereinbarung sollten Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden. "Bei Personen, deren Entfernung zwischen Wohnsitz und Arbeitsstätte weniger als 100 km beträgt und die Rückkehr wegen Überschreitens der zeitlichen Grenze nach der bisherigen Vereinbarung nicht zumutbar war, kann sich daher eine Verschiebung des Besteuerungsrechts der einzelnen Staaten ergeben." Wegen der Einzelheiten wird auf die Pressemitteilung zur neuen KonsVerCHEV Bezug genommen (...).

    Nach den in der Einkommensteuerakte befindlichen Ausdrucken diverser Routen und deren Fahrtdauer ist z.B. nach Google Maps die schnellste Route mit üblicher Verkehrslage von der inländischen Wohnung zur Schweizer Arbeitsstätte mit dem Kraftfahrzeug (Kfz) über [...] die Strecke mit 104 km und einer Zeitdauer von 1 Stunde (Std.) 22 Minuten die schnellste Route; die beste Route 111 km, 1 Std. 24 Minuten. Die kürzeste Strecke über [...] beträgt 88 km, 1 Std. 47 Minuten. Zwischen der kürzesten Strecke und der Strecke mit der geringsten Fahrzeit gibt es noch eine Strecke ausschließlich über Landstraßen mit 89 km. Nach google maps vom 9. März 2021 beträgt die kürzeste einfache Fahrtstrecke 87,3 km, je nach Verkehrsaufkommen 1 Std. 25 Minuten - 1 Std. 40 Minuten. Alle Fahrten zwischen 87,3 km und 129 km dauern zwischen 1 Std. 21 Minuten und 1 Std. 48 Minuten.

    Mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert die Fahrt von G nach B einfach zwischen 3 Stunden 36 Minuten und 4 Stunden 24 Minuten mit 3 bis 5 Umstiegen Bus und Bahn. Die Fahrt beginnt nach der Reiseauskunft zwischen 4 Uhr 59 und 5 Uhr 52 mit einer Ankunft am Schweizer Zielort zwischen 8 Uhr 58 und 9 Uhr 28. Wegen der Einzelheiten wird auf die Reiseauskunft Bezug genommen (...).

    Der Kläger beginnt seine berufliche Tätigkeit grundsätzlich zwischen 6 Uhr und 6.30 Uhr. Sie endet i.d.R. nicht nach der Sollarbeitszeit von 8,5 Stunden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Arbeitszeitlisten Bezug genommen (...).

    Der Beklagte berechnete den steuerpflichtigen Arbeitslohn 2019 sowie die Altersvorsorgebeiträge. Er berücksichtigte Beiträge zur AHV/IV/EO/NBUV sowie die nachgewiesenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Sparbeiträge in das Obligatorium Pensionskasse. Steuerfreie Arbeitgeberbeiträge und ein Sonderausgabenabzug für die Rentenversicherungsbeiträge wurden berücksichtigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berechnung Bezug genommen (...).

    Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 26. März 2021 (Einzelveranlagung) Einkommensteuer für 2019 i.H.v. XXX € unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Er bezog die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in die steuerliche Bemessungsgrundlage ein. Werbungskosten i.H.v. XXX € wurden berücksichtigt. Der Beklagte berücksichtigte auch eine "Abzugsteuer Schweiz" i.H.v. XXX €. Er erläuterte, dass nach der aktuellen KonsVersCHEV eine tägliche Rückkehr zumutbar sei. Der Bescheid werde Gegenstand des laufenden Einspruchsverfahrens.

    Der Kläger führte im Einspruchsverfahren im Wesentlichen aus, die KonsVersCHEV sei unverbindlich und verstoße gegen den Grundsatz einer gleichmäßigen Besteuerung. Nach dem Wortlaut der KonsVersCHEV sei bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine Rückkehr unzumutbar und der Arbeitslohn in der Schweiz zu besteuern, da die einfache Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln G - B zwischen 3,5 und 4,5 Stunden betrage. Eine inländische Steuerpflicht könne nicht vom benutzten Verkehrsmittel abhängen. Neben der Entfernung müsse daher auch die Zeitdauer berücksichtigt werden. Außerdem seien die besonderen Umstände im Einzelfall, so seine Tätigkeit mit Verantwortung und die längeren Arbeitszeiten. Diese bedingten unter Beachtung seines Alters (Streitjahr XX Jahre) und seines Gesundheitszustands (...) eine ausreichende Erholungszeit (vgl.  EuGH-Urteil vom 9. September 2003 C-151/02 Rz. 94). Die KonsVersCHEV verstoße auch gegen das Klimaschutzgesetz (KSG). § 13 Abs. 1 KSG enthalte ein Berücksichtigungsgebot, die gesetzlichen Ziele seien zu berücksichtigen. Eine 100 km-Pendelgrenze (einfach) für Autofahrer stehe nicht im Einklang mit Klimaschutzzielen.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2022 berücksichtigte der Beklagte Werbungskosten i.H.v. XXX €, setzte Einkommensteuer auf XXX € herab und wies im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurück.

    Der Beklagte führte in seiner Einspruchsentscheidung u.a. aus, der Kläger sei trotz eines Wohnsitzes in der Schweiz nach Art. 4 Abs. 2 DBA Schweiz im Inland am Familienwohnsitz mit Ehefrau und (...) ansässig. Seine Grenzgängereigenschaft entfalle nach Art. 15a DBA Schweiz nur dann, wenn er an mehr als 60 Arbeitstagen aus beruflichen Gründen nicht an seinen inländischen Wohnsitz zurückkehre. Nach der KonsVersCHEV komme es zur Beurteilung der Zumutbarkeit als Kriterium für eine berufliche Nichtrückkehr auf die kürzeste Straßenentfernung für die einfache Wegstrecke an. Diese sei geringer als 100 km. Die bis 2018 geltende KonsVersCHEV vom 24. Juni 1999, deren Anwendung durch den Bundesfinanzhof (BFH) mit  Urteil vom 20. Oktober 2004 I R 31/04, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 2005, 840 bestätigt worden sei, lasse keine Rückschlüsse darauf zu, dass die ab 2019 geltende KonsVersCHEV mit einer weitergehenden nach objektiven Gesichtspunkten einhergehenden Vereinfachung der Anwendungs- und Auslegungsfragen des Art. 15a DBA Schweiz gegen den Wortlaut des DBA und gegen Gleichbehandlungsgrundsätze verstoße. Anhaltspunkte dafür, dass eine nach Verkehrsmitteln erfolgende typisierende Unterscheidung unzulässig sei, ergebe sich nicht aus der im Verhältnis zur Schweiz geltenden Rechtsprechung des EuGHs über das Verhältnis zwischen dem Primärrecht der Union und den zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen DBA. Danach könnten die Staaten im Rahmen bilateraler Abkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Anknüpfungspunkte für die Bestimmung ihrer jeweiligen Steuerhoheit festlegen. Art. 2 Nr. 1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9) - RL 2003/88 - definiere den Begriff "Arbeitszeit" als jede Zeitspanne, während deren ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeite, dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe und seine Tätigkeit ausübe oder seine Aufgaben wahrnehme und dass dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen sei, da beide Begriffe einander ausschlössen. In diesem Zusammenhang sehe die genannte Richtlinie keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vor. Für das Erfordernis ,,dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen müssen", sei der Umstand entscheidend, dass der Arbeitnehmer verpflichtet sei, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können. Ein Arbeitnehmer stehe also nur dann seinem Arbeitgeber zur Verfügung, wenn er sich in einer Lage befinde, in der er rechtlich verpflichtet sei, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben. Keine Arbeitszeit im Sinne der RL 2003/88 liege dagegen vor, wenn ein Arbeitnehmer ohne größere Zwänge über seine Zeit verfügen und seine eigenen Interessen nachgehen könne. Nach den mit dem Arbeitgeber getroffenen Regelungen sei vorliegend die vorgetragene Fahrzeit arbeitsrechtlich nicht als Arbeitszeit anzusehen. Aus der vorrangig den Arbeitgeber treffenden Verpflichtung zur Einhaltung von Ruhezeiten lasse sich für eine selbst gewählte Lebensgestaltung kein Anspruch für eine zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung abweichende Zuweisung des Besteuerungsrechts ableiten. Durch einen aufgrund zwingender Rechtsvorschriften beruhenden Aufenthalt am Arbeitsort werde eine berufliche Veranlassung von Nichtrückkehrtagen begründet. Ein auf einem Verlangen des Arbeitgebers bzw. einem auf einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung beruhendem Aufenthalt am Arbeitsort vermag hingegen ebenso wie der Hinweis ,,Wochenaufenthalter" zu sein, eine solche berufliche Veranlassung von Nichtruckkehrtagen nicht zu begründen (Wassermayer/Brandis, DBA, Art. 15a DBA Schweiz Rz. 47). Die in Art. 20a Grundgesetz (GG) enthaltene Verpflichtung des Staates zum Klimaschutz genieße keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern sei im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Der Gesetzgeber habe mit dem Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht vom 21.12.2019, Bundesgesetzblatt (BGBI.) 2019 I 2886 steuerliche Maßnahmen geregelt. Ihm stehe ein Gestaltungsspielraum zu.

    Hiergegen erhob der vertretene Kläger Klage. Er macht im Wesentlichen geltend, nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA Schweiz entfalle bei einer in einem Vertragsstaat ansässigen und im anderen Vertragsstaat arbeitenden Person die Grenzgängereigenschaft dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Da er, der Kläger, bei seinem Arbeitgeber eine leitende Tätigkeit innegehabt habe (vgl. Anstellungsvertrag Ziff. 1), seien Arbeitszeiten zwischen 9 und bis zu 11 Stunden täglich (ohne Berücksichtigung der Pausen) die Regel gewesen. Aufgrund der einfachen Fahrzeit von mindestens 1,5 Stunden bei normaler Verkehrslage müsste er bei einer unterstellten Rückkehr an den Wohnsitz also ungefähr um 05:00 Uhr losfahren, um pünktlich um 06:45 Uhr seine Arbeit aufnehmen zu können. Je nach tatsächlichem Arbeitsende wäre er bei 2 Stunden Rückfahrt durch den Feierabendverkehr nie vor 19:30 Uhr zu Hause und das auch nur dann, wenn man nur die reine Fahrzeit betrachte und weitere regelmäßige Verzögerungen (Wege zum Parkplatz, Tanken etc.) unberücksichtigt lasse. Ein Zeitraum zu Hause von 19:30 Uhr bis 05:00 Uhr bedeute eine "Freizeit" von 9 Stunden 30 Minuten. [...]. Außerdem seien die europarechtlichen Ruhezeitregelungen einzubeziehen. Betroffene Wochenaufenthalter könnten ansonsten ihrer Arbeitstätigkeit nicht ohne einen Dauerverstoß gegen die geltenden Arbeitszeitgesetze nachgehen. [...] könnte dies sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer weitere negative Folgen haben, bis hin zum Verlust des Versicherungsschutzes bei einem Arbeitsunfall. Die unionsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Dauer und Ausgestaltung der Ruhezeit seien auch von der Finanzverwaltung bei der Aufstellung der Zumutbarkeitskriterien einzuhalten. Das Interesse des Staates an einem möglichst hohen Steueraufkommen dürfe nicht auf Kosten der Gesundheit seiner Bürger und im Wege eines rechtswidrigen Eingriffs in das Arbeitgeber-/Arbeitnehmer-Verhältnis durch unzumutbare und willkürliche Vorgaben, wie sie in der oben genannten KonsVersCHEV enthalten seien, durchgesetzt werden. Im Einklang mit geltendem Unionsrecht sei eine Rückkehr an den Wohnsitz vielmehr zwingend und unabhängig von der Wahl des Verkehrsmittels als unzumutbar anzusehen, sofern bei einer Rückkehr die in Art. 3 der Richtlinie 93/104/EG vorgegebene Mindestruhezeit von 11 Stunden nicht eingehalten wäre. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das Unionsrecht. Seine Arbeitgeberin habe ihn in Ziff. 9 des Anstellungsvertrages im Rahmen der ihr obliegenden Sorgfalts- und Überwachungspflicht ausdrücklich zur Aufnahme eines Wohnsitzes in der Region B (TG) verpflichtet. Damit sei die Nichtrückkehr an den Familienwohnsitz unabhängig von der Frage der Zumutbarkeit auch aus "beruflichen Gründen" im Sinne des Art. 15a DBA Schweiz nicht möglich gewesen. Die vorliegend für die Beurteilung der Zumutbarkeit herangezogene KonsVersCHEV gehe über den Wortlaut des Art. 15a DBA Schweiz deutlich hinaus. Dem vorgenannten Artikel könne an keiner Stelle entnommen werden, dass bei der Frage der Zumutbarkeit nunmehr nur noch eine konkrete Kilometergrenze bei Fahrten mit dem Pkw oder -bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel- lediglich die reine Fahrzeit maßgeblich sein soll. Diese Differenzierung sei verfassungsrechtlich bedenklich und führe -bei Anwendung der in der Vereinbarung festgelegten Kriterien- zu einer massiven Ungleichheit der Besteuerung: Zum einen verstoße die KonsVersCHEV gegen den grundrechtlichen Gleichheitssatz und das Willkürverbot (Art. 3 GG). Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, warum derselbe Sachverhalt (das Pendeln) mit unterschiedlichen Maßstäben (Strecke oder Fahrzeit) bewertet wird. Nach objektiven Gesichtspunkten mache es bei der Frage der Unzumutbarkeit keinen Unterschied, ob jemand seine X Stunden Fahrzeit täglich im Auto oder im Zug sitzend verbringt. Im Zug könne man diese Zeit sogar noch anderweitig sinnvoll nutzen, während eine Autofahrt die gesamte Konzentration des Steuerpflichtigen beanspruche, erst recht nach einem langen Arbeitstag und bei dem üblichen hohen Verkehrsaufkommen. Auch bei ihm sei nach alldem die Fahrzeit bei der Prüfung der Unzumutbarkeit weiterhin miteinzubeziehen. Eine mehr als dreistündige Autofahrt täglich an 5 Wochentagen führe eindeutig zur Unzumutbarkeit, sodass seine Grenzgängereigenschaft -wie auch in den Vorjahren- gemäß Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz entfalle. Die an sich schon ungerechtfertigte Differenzierung je nach genutztem Verkehrsmittel führe auch zu einer objektiv ungerechten Besteuerung, weil Steuerpflichtige mit demselben Wohnsitz, denselben Lohneinkünften und derselben Entfernung zur Tätigkeitsstätte ohne sachliche Rechtfertigung ungleich besteuert werden. Die Fahrt mit dem Kfz rechtfertige eine solche Ungleichheit nicht. Ein Steueranspruch könne nicht von der Wahl des Verkehrsmittels abhängen. [...]. Es erschließe sich nicht, weshalb die bisherige Regelung (Entfernung 90 - 110 km, einfache Fahrzeit bis 1,5 Stunden) anwenderunfreundlicher gewesen sein sollte als die jetzige Regelung. Auch die aktuelle Regelung sei keinesfalls schematisch bzw. typisierend, wie das im Text der KonsVersCHEV enthaltene Wort "insbesondere" zeige. Auch die jetzige Regelung sei nach alldem auslegungsbedürftig und -fähig. Der einzige Unterschied sei, dass die Finanzverwaltung dies bislang in der Praxis in keiner Weise umsetze, sondern -wie hier- ohne Berücksichtigung der weiteren individuellen Umstände auf die starre 100 km-Grenze fixiert sei. Diese Vorgehensweise finde aber noch nicht einmal in der KonsVersCHEV selbst eine Grundlage, geschweige denn in Art. 15 a DBA-Schweiz.

    Der Kläger beantragt unter Bezugnahme auf die (Probe)Berechnung 1 des Beklagten (...):

    Der Bescheid vom 26.03.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.02.2022 nebst Anlage zur Einspruchsentscheidung über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer (...) wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer in Höhe von EUR XXX € festgesetzt wird. [...]

    Hilfsweise: Die Revision wird zugelassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte nimmt im Wesentlichen Bezug auf seine Einspruchsentscheidung und ergänzt: Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA Schweiz stelle auf die Veranlassung der Nichtrückkehr durch die Arbeitsausübung ab, ohne dass dies im DBA Schweiz selbst oder in den Protokollen hierzu definiert sei. Mit der im Rahmen des bestehenden DBA zur einheitlichen Anwendung und Auslegung des Art. 15a DBA Schweiz zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft getroffenen KonsVersCHEV seien die sich aus einer vom jeweiligen Steuerpflichtigen eigenverantwortlich getroffenen Lebensgestaltung ergebenden Kriterien zur Zuweisung des Besteuerungsrechts zwischen den beteiligten Staaten zulässigerweise - und hierdurch insbesondere der bisherige, auslegungsbedürftige Abgrenzungsbereich (Entfernung 90 - 110 Kilometer, Fahrzeit einfach bis 1,5 Stunden) - typisierend zu Gunsten einer gegenseitig anwenderfreundlicheren Regelung neu gefasst worden. Die Verständigungsvereinbarung bei der Abkommensauslegung zu berücksichtigen, entspreche dem Grundsatz der Entscheidungsharmonie und sichere die Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Die Verständigungsvereinbarung stehe weder in Widerspruch zum Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-CH noch zur Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 307, S. 18). Die individuellen Lebensumstände sprächen nicht gegen die Anwendbarkeit der KonsVersCHEV. Dem Kläger verblieben bei einer Rückkehr an den Wohnsitz in Deutschland selbst unter den von ihm dargelegten ungünstigen Verkehrsbedingungen - bei einem üblichen Arbeitsbeginn um ca. 6.30 Uhr und einem Arbeitsende und ca. 17.00 - 17.30 Uhr - eine Aufenthaltsdauer von mehr als 9 Stunden, so dass ihm die Rückkehr möglich und auch zumutbar gewesen sei. Gesundheitliche Gründen seien keine beruflichen Gründe.

    Die Berichterstatterin erörterte die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 18. Juli 2022. Die Klägervertreterin teilte u.a. mit, dass der Kläger im Streitjahr grundsätzlich einmal wöchentlich an den inländischen Wohnsitz zurückgekehrt sei. Er sei am Sonntagabend in die CH und von dort am Freitag zurückgefahren. Die kürzeste Wegstrecke sei nicht die schnellste. Sie berücksichtige die Baustelle in 2019 [...] nicht. [...]. Die arbeitsvertragliche Verpflichtung einer Wohnsitznahme in der Schweiz sei im Lichte der gemeinschaftsrechtlichen arbeitsrechtlichen Vorgaben zu den Ruhezeiten zwischen Arbeitsende und Arbeitsaufnahme am Folgetag auszulegen. Die Schweiz habe jedenfalls den Kläger vollumfänglich der Quellenbesteuerung unterworfen. [...]. Erörtert wurden der Wortlaut ("insbesondere"), die Zumutbarkeit einer Rückkehr im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung des Fahrtweges, der Fahrtzeit, der unterschiedlichen Behandlung eines PKW-Nutzers (kürzeste Strecke) im Vergleich zu einem Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel (tatsächliche Fahrtzeit), der unterschiedlichen Behandlung von Fahrten zwischen Wohnung und 1. Tätigkeitsstätte nach Verständigungsvereinbarung ("insbesondere", "kürzeste Straßenentfernung für die einfache Wegstrecke" "über 100 Kilometer") und § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) - "kürzeste Straßenverbindung"; "eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger" und "regelmäßig" "benutzt wird"), der ausgeführten Tätigkeit und der Arbeitszeiten, die Höhe der Werbungskosten sowie im Falle einer Freistellung der Progressionsvorbehalt sowie die Berücksichtigung eines Sonderausgabenabzugs. Die Berichterstatterin gab zu bedenken, dass nach dem Wortlaut "insbesondere" die 100 Kilometer-Grenze keine starre Grenze sei, mithin die Umstände im Einzelfall zu würdigen seien, jedenfalls dann, wenn die kürzeste Entfernung nicht die schnellste Route sei. Die Berichterstatterin bat um Vorlage ergänzender Unterlagen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 18. Juli 2022 Bezug genommen.

    Die Klägerseite machte ergänzende Angaben zur Tätigkeit des Klägers und zu den Versicherungsbeiträgen. [...].

    [...].

    Der Beklagte übersandte Probeberechnungen [...]. Wegen der Einzelheiten wird auf die Prüfberechnungen Bezug genommen (...).

    Die mündliche Verhandlung fand am 23. November 2022 statt. Der Kläger machte ergänzende Ausführungen zur Sache. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen (...).

    Die den Streitfall betreffenden Akten des Beklagten wurden beigezogen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    I. Der Bescheid wegen Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für 2019 vom 26. März 2021, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2022, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)). Der Bescheid wird infolgedessen dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer für 2019 mit XXX Euro, der Solidaritätszuschlag für 2019 mit XXX Euro und die Kirchensteuer (...) für 2019 mit XXX Euro festgesetzt werden. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Klägers aus seinem Schweizer Dienstverhältnis fließen nicht in die inländische Bemessungsgrundlage ein. Sie sind freizustellen und werden im Progressionsvorbehalt berücksichtigt.

    1. Der Kläger ist im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 EStG). Er hat im Inland einen Wohnsitz, da er ständig über Räume verfügen kann, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind und die er auch tatsächlich, wenn auch nicht täglich, nutzt (§ 8 Abgabenordnung (AO);  BFH-Urteile vom 24. Juli 2018 - I R 58/16, BFH/NV 2019, 104; vom  5. Juni 2007 - I R 22/06, Bundessteuerblatt (BStBl.) II 2007, 812; vom  16. Dezember 1998 - I R 40/97, BStBl. II 1999, 207). Seine Aufenthalte im Inland bei seiner Ehefrau und (...) haben nicht nur Besuchscharakter (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2019 - II B 30, 32-34, 38/18, BStBl. II 2019, 620;  BFH 24. Januar 2001 - I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402).

    Der unbeschränkten Steuerpflicht steht nicht entgegen, dass der Kläger nach dem vorgelegten Mietvertrag auch in der Schweiz ständig über Räume verfügen kann, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind und die er auch tatsächlich, wenn auch nicht täglich, nutzt (vgl.  BFH-Urteil vom 23. Oktober 2018 - I R 74/16, BStBl. II 2019, 620).

    Es gilt das Welteinkommensprinzip.

    2. Die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit sind nach Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz in der Schweiz zu besteuern. Nach Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz können vorbehaltlich der Artikel 15a bis 19 DBA Schweiz Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Der Kläger gilt als im Inland ansässig und er ist kein Grenzgänger i.S.d. Art. 15a DBA Schweiz. Art. 15a DBA Schweiz verdrängt lediglich bei einem Grenzgänger als speziellere Regelung die generelle Bestimmung des Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz (vgl.  BFH-Urteil vom 25. Oktober 2006 - I R 18/04, BFH/NV 2007, 875). Die Einkünfte sind infolgedessen im Inland freizustellen. Sie werden im Progressionsvorbehalt berücksichtigt.

    a. Der Kläger erzielte im Streitjahr 2019 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG) als Arbeitnehmer der A AG mit Arbeitsort in der Schweiz und damit Einkünfte aus "unselbständiger Arbeit" i.S.d. Art.15 Abs. 1 DBA Schweiz. Der Begriff "unselbständige Arbeit" ist nicht im DBA definiert. Es ist insoweit auf das nationale Recht abzustellen (Art. 3 Abs. 2 DBA Schweiz; vgl.  BFH-Urteile vom 17. Mai 2017 - X R 10/15, BStBl. II 2017, 1251; vom  24. September 2013 - VI R 6/11, BStBl. II 2016, 650; vom  29. April 2009 - X R 31/08, BFH/NV 2009, 1625). Ein Qualifikationskonflikt mit der Schweiz besteht nicht. Auch die Schweiz behandelt die Einkünfte des Klägers als Einkünfte aus unselbständiger Arbeit. Dies belegt der Lohnausweis.

    b. Nach Art. 15a Abs. 1 DBA Schweiz können ungeachtet des Art. 15 DBA Schweiz Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist. Dies wäre im Streitfall die Bundesrepublik Deutschland.

    Der Kläger ist im Inland ansässig. Er verfügt in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte. Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA Schweiz gilt eine Person, die in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt, als in den Vertragsstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers ist im Inland. Zu Deutschland bestehen nach Würdigung der Gesamtumstände im Einzelfall die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen. Maßgebend sind hierfür die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, die beruflichen, politischen, kulturellen und sonstigen Tätigkeiten, der Ort der Geschäftstätigkeit, der Ort der Vermögensverwaltung sowie die vorhandenen Wohnungen (vgl.  BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 24/89, BStBl. II 1991, 562). Familiäre Beziehungen haben die größte Bedeutung (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 193). Die familiären Beziehungen bestehen zu Deutschland. Im Inland wohnt der Kläger mit seiner Ehefrau und (...). Hier war der Familienwohnsitz, der auch beibehalten wurde. Der Kläger hatte außerdem wirtschaftliche Interessen im Inland [...]. Die wirtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz waren lediglich gegenwartsbezogen - bezogen auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses (vgl.  BFH-Beschluss vom 27. März 2007 - I B 63/06, BFH/NV 2007, 1656). Auf eine arbeitsrechtliche Residenzpflicht oder darauf an, ob sich der Kläger tatsächlich die meiste Zeit in der inländischen Wohnung aufgehalten hat, kommt es nicht an (vgl.  BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 - I R 24/89, BStBl. II 1991, 562).

    c. Der Kläger ist jedoch kein Grenzgänger. Grenzgänger ist nach Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

    aa. Der Begriff "regelmäßig" wird nicht in Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz definiert und kann unterschiedlich ausgelegt werden: als täglich oder wöchentlich (Trencsik/Elcin, Die Besteuerung der Grenzpendler im deutsch-schweizerischen Wirtschaftsraum unter besonderer Berücksichtigung der betrieblichen Altersvorsorge sowie von Währungsrisken, Internationales Steuerrecht (IStR) 2016, 323 (327)). Regelmäßig bedeutet dem Wortsinn nach jedoch nicht zwangsläufig täglich. Eine Regelmäßigkeit kann auch vorliegen, wenn der Arbeitnehmer nur einmal die Woche ins Inland zurückkehrt. Wochenaufenthalter sind Arbeitnehmer, die nur einmal wöchentlich an ihren Wohnsitz zurückkehren und nach einer Schweizer Entscheidung aus dem Jahr 1984 aus dem Grenzgängerbegriff ausgeschlossen sind. Nach inländischer Sicht reicht jedoch der alleinige Hinweis, "Wochenaufenthalter" zu sein, nicht aus (Wassermeyer/Brandis DBA Schweiz 158. EL Aug. 2022, Art. 15a Rn. 1, 3, 47). Das DBA Schweiz regelt seinem Wortlaut nach nur, wann die Grenzgängereigenschaft entfällt. Hieraus wird abgeleitet, dass der Grenzgängerstatus grundsätzlich besteht und sich der Arbeitnehmer exkulpieren kann (Wassermeyer/Brandis, DBA, 158. EL Aug. 2022, DBA Schweiz Art. 15a Rn. 45; Trencsik/Elcin, IStR 2016, 323 (327); a.A. BMF-Schreiben vom 3. Mai 2018 (BStBl. I 2018, 643) zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA Rz. 19, wonach "Arbeitnehmer, die i.d.R. im Grenzbereich des einen Staates arbeiten und täglich zu ihrem Wohnsitz im Grenzbereich des anderen Staates zurückkehren", Grenzgänger sind; Lemm/Parenko/Schuster/Wagner, Lohnsteuer, Rn. 1167: "arbeitstäglich zum Wohnsitz bzw. ihrem Ansässigkeitsstaat zurückkehren" mit Verweis auf Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA Schweiz "jeweils nach Arbeitsende"; Bourseaux/Sendler/Rauert in: Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 15 DBA Rn. 135). Nach Auffassung des BFH setzt der Begriff "regelmäßig" in Art. 15a Abs. 2 S. 1 DBA Schweiz keine Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus ( BFH-Urteil vom 1. Juni 2022 - I R 32/19, Deutsches Steuerrecht (DStR) 2022, 2419). "Regelmäßig" beziehe sich nur auf das Verb "zurückkehrt". Nach Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA Schweiz ist nach der Rechtsprechung des BFH "allein maßgebend", dass der Steuerpflichtige "nicht jeweils nach Arbeitsende" an den Wohnort zurückkehrt, ohne die Grenze von 60 schädlichen Nichtrückkehrtagen zu überschreiten ( BFH-Urteil vom 1. Juni 2022 - I R 32/19, DStR 2022, 2419). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Er ist weder an die Verwaltungsauffassung des BMF-Schreibens vom 3. Mai 2018 (BStBl. I 2018, 643) noch an die Ansicht der Schweizer Steuerbehörden gebunden.

    Im Streitfall kann dahin gestellt bleiben, ob die Rechtsprechung des BFH ohne Mindestanzahl an Grenzüberquerungen pro Woche mit Art. 7 Abs. 1 des Anhang I Freizügigkeit zum Abkommen zwischen der Schweiz einerseits und der EG und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet am 21. Juni 1999 (Freizügigkeitsabkommen EG/CH (FZA), ABl. 2002 L 114 vom 30. April 2022, 6; SR 0.142.112.681) entspricht, nach dem ein abhängig beschäftigter Grenzgänger ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei ist, der eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt. Denn der Kläger kehrte nach seinem Vortrag einmal wöchentlich an seinen inländischen Wohnsitz zurück.

    bb. Der Kläger ist jedoch an mehr als 60 Tagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht von der Schweiz ins Inland zurückgekehrt. Das Tatbestandsmerkmal "aufgrund der Arbeitsausübung" setzt berufliche Gründe voraus. Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter Berücksichtigung der klägerischen Darlegungslast (vgl.  BFH-Urteile vom 15. September 2004 - I R 67/03, vom  5. Oktober 1994 - I R 67/93, BStBl. II 1995, 95) davon überzeugt (§ 96 Abs. 1 S. 1 FGO), dass der Kläger an (mindestens) 65 Tagen aufgrund seiner Arbeitsausübung, aus beruflichen Gründen, nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist. Der Senat hat diese Anzahl nicht pauschal aus den Angaben des Klägers übernommen. Dieser hatte vorgetragen, sich jeweils Montag bis Freitag -außer in seinen Urlaubswochen- aus beruflichen Gründen in der Schweiz aufgehalten zu haben und aus beruflichen Gründen nicht ins Inland zurückgekehrt zu sein. Der Senat zählt einerseits die Sonntage und damit die Nächte von Sonntag auf Montag nicht zu den Rückkehrtagen, auch wenn der Kläger am Sonntag in die Schweiz gefahren ist, da der Sonntag kein Arbeitstag ist. Andererseits ergibt sich aus den Arbeitszeitlisten, dass der Kläger auch an einzelnen Tagen in Gänze oder stundenweise abgegleitet hat, vor allem an Montagen und Freitagen. Diese Tage führen nicht zu Nichtrückkehrtagen.

    Das Gericht gelangt zu dem Ergebnis, dass der Kläger jedenfalls an 65 Tagen und damit an mehr als 60 Tagen aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnort nach Arbeitsende zurückgekehrt ist. Diese Anzahl der Nichtrückkehrtage hat der Senat unter Berücksichtigung der vom Kläger beschafften und vorgelegten Beweismittel zum ausländischen Sachverhalt (vgl. § 76 Abs. 1 S. 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO; vgl.  BFH-Beschlüsse vom 12. Februar 2019 - VIII B 89/18, BFH/NV 2019, 578; vom  17. Juli 2019 - II B 35-37/18, BFH/NV 2019, 1300  [BFH 04.06.2019 - VII R 16/18]), insbesondere dem Arbeitsvertrag, der Art der vom Kläger ausgeführten Arbeitsleistungen, der Arbeitszeitlisten für die Monate Januar, März, April, Mai, Juni, Juli und Oktober 2019, der Niederlassungsbewilligung sowie den in sich schlüssigen und dem glaubhaften Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewürdigt.

    Die Nichtrückkehr des Klägers nach Arbeitsende (vgl. u.a.  BFH-Urteil vom 7. August 2008 - I R 10/07, IStR 2009, 28) ins Inland muss auf die Arbeitsausübung zurückzuführen sein. Nach dem Wortlaut "aufgrund der Arbeitsausübung" kommt es auf berufliche Gründe an. Die Nichtrückkehr muss durch die berufliche Tätigkeit veranlasst gewesen sein. Irrelevant ist infolgedessen nach dem Wortlaut eine Nichtrückkehr aus persönlichen Gründen (Büscher/Kamphaus in: Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz (AStG)/DBA Art. 15 Rn. 279). Zu solchen persönlichen Gründen gehören z.B., wie vom Kläger vorgetragen, eine Erkrankung.

    Da Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz keinen Ortsbezug ( BFH-Urteil vom 1. Juni 2022 - I R 32/19, DStR 2022, 2419) aufweist, spielen Erwägungen, ob und inwieweit eine Rückkehr aufgrund der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort zumutbar ist, erst dann eine Rolle, wenn es darum geht, ob eine (schädliche) Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung i.S.d. Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA Schweiz vorliegt ( BFH-Urteil vom 1. Juni 2022 - I R 32/19, DStR 2022, 2419). In diesem Sinne kann es -entgegen der Auffassung des Beklagten- nicht ausschließlich auf die Entfernung zwischen Wohn- und Beschäftigungsort ankommen. Maßgebend ist, ob die Entfernung aufgrund der Arbeitsausübung eine Bedeutung erlangt. Entscheidend ist die spezifische Tätigkeit und Arbeitssituation ( BFH-Urteil vom 16. Mai 2001 - I R 100/00, BStBl. II 2001, 633). Ein Nichtrückkehrtag liegt daher insbesondere dann vor, wenn die Rückkehr nach Deutschland aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist ( BFH-Urteile vom 11. November 2009 - I R 50/08, BFH/NV 2010, 647; vom  20. Oktober 2004 - I R 31/04, BFH/NV 2005, 840; Bourseaux/Sendler/Rauert in: Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, Art. 15 DBA Rn. 150). Die "(Un-)Zumutbarkeit" ist ein objektives Kriterium" (Wassermeyer/Brandis DBA Schweiz 158. EL Aug. 2022, Art. 15a Rz. 53).

    Nach diesen Grundsätzen kommt es auf die Art der Tätigkeit, den Arbeitsbeginn, das Arbeitsende, die Entfernung und die Zeitdauer für eine Fahrt zwischen inländischer Wohnung und Beschäftigungsort an.

    In diesem Sinne hat der Senat als Nichtrückkehrtage die Tage angesehen, an denen der Kläger nach den vorgelegten Arbeitszeitlisten für die Monate Januar, März, April, Mai, Juni, Juli und Oktober 2019 mindestens 10 Stunden pro Arbeitstag in der Schweiz beschäftigt gewesen ist. Dies waren in den Monaten Januar, März, April, Mai, Juni, Juli und Oktober 58 Tage. Hinzu kommen unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Aufgaben (...) und des Vortrags in der mündlichen Verhandlung (...) jedenfalls für die Monate, in denen die Arbeitszeitlisten vorliegen und es jeweils mehrere Tage gibt, an denen der Kläger fast 10 Stunden im Betrieb gewesen ist, noch jeweils 1 Tag und damit insgesamt 7 Tage. An diesen jedenfalls (58 + 7 =) 65 Tagen kehrt der Kläger unter Berücksichtigung der Entfernung zum Wohnort mit einer durchschnittlichen Fahrzeit von 1,5 Stunden einfache Strecke und einem tatsächlichen Arbeitsbeginn nach den vorgelegten Arbeitszeitlisten ab 6 Uhr aufgrund der Arbeitsausübung nicht an den inländischen Wohnort zurück. Jedenfalls an diesen Tagen ist ihm eine Rückkehr nicht zumutbar gewesen, wenn am nächsten Tag die Arbeitszeit um ca. 6 Uhr beginnt. Aus den Arbeitszeitlisten geht hervor, dass der Kläger häufig schon um ca. 6 Uhr seine berufliche Tätigkeit beginnt.

    Ergeben sich schon aus den vorgelegten Unterlagen mehr als 60 Nichtrückkehrtage kann dahingestellt bleiben, ob und wie häufig der Kläger in den Monaten Februar, August, September, November und Dezember 2019 aus beruflichen Gründen nicht an den inländischen Wohnsitz zurückgekehrt ist. Der Senat ist jedenfalls davon überzeugt, dass sich die tatsächlichen Arbeitszeiten und beruflichen Aufgaben in diesen Monaten -ggf. bis auf den Urlaubsmonat August- nicht geändert haben und daher noch weitere Nichtrückkehrtage vorliegen.

    Nichts Anderes ergibt sich aus der vom Beklagten angeführten Tätigkeit im Nebenerwerb (...). Diese konnte an den aus den Arbeitszeitlisten erkennbaren Gleittagen/Urlaubstagen ausgeführt werden.

    [...].

    Der Würdigung, dass jedenfalls 65 Nichtrückkehrtage vorliegen, steht auch nicht die KonsVerCHEV entgegen.

    Einerseits ist das Gericht an die nach Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz zulässige Verständigung der Vertragsstaaten über die weiteren Einzelheiten, die KonsVerCHEV, nicht gebunden. Bei der KonsVerCHEV handelt es sich um ein zwischenstaatliches Verwaltungsabkommen (vgl.  BFH-Urteile vom 30. September 2020 - I R 37/17, DStR 2021, 782; vom  30. Mai 2018 - I R 62/16, DStRE 2018, 1491; vom  10. Juni 2015 - I R 79/13, BStBl. II 2016, 326). Aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt sich indes ein Vorrang des Gesetzes.

    Andererseits kann die KonsVerCHEV ein aus anderen Umständen abgeleitetes Auslegungsergebnis bestätigen (vgl.  BFH-Urteile vom 27. August 2008 - I R 64/07, BStBl. II 2009, 97; vom  7. August 2008 - I R 10/07, IStR 2009, 28; kritisch zur fehlenden Bindungswirkung Ismer, IStR 2009, 366). Ihre Berücksichtigung bei der Auslegung eines DBA mit Verweis auf Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (WÜR), BGBl. II 1985, 927, ist nicht ausgeschlossen. Ihre Auslegung muss sich jedoch aus dem Wortlaut des DBA ableiten lassen ( BFH-Urteile vom 2. September 2009 - I R 90/08, BStBl. II 2010, 394; vom  2. September 2009 - I R 111/08, BStBl. II 2010, 387), da die KonsVerCHEV aufgrund ihrer fehlenden parlamentarischen Legitimation den Inhalt eines DBA nicht ändern kann (Wassermeyer/Kotzenberg, DBA, Aug. 2022, Vor Art. 1 Vorbemerkung Rn. 4a, 4c, 4d, 4f, 4g; Wassermeyer/Hardt, DBA, Aug. 2022, DBA Schweiz Art. 26 Verständigungsverfahren Rn. 205, 207). Die KonsVerCHEV hat mithin einen norminterpretierenden (Richtlinien-)Charakter oder stellt eine Billigkeitsrichtlinie dar (Wassermeyer/Hardt, DBA, Aug. 2022, DBA Schweiz Art. 26 Verständigungsverfahren Rn. 205). In diesem Sinne hat das Gericht, auch wenn nach § 2 Abs. 2 AO das BMF ermächtigt wird, mit Zustimmung des deutschen Bundesrats Rechtsverordnungen zur Umsetzung von DBA-KonsVersCHEVen zu erlassen, um Schwierigkeiten oder Zweifel bei der Abkommensauslegung zu beseitigen und das BMF mit der KonsVerCHEV von seiner Ermächtigung Gebrauch gemacht hat, gemäß Art. 80 GG selbst zu entscheiden, inwieweit die Verordnung zu einer über die Auslegung hinausgehenden Änderung i.S.d. Art. 39 WÜRV führt (Wassermeyer/Hardt, DBA, Aug. 2022, DBA Schweiz Art. 26 Verständigungsverfahren Rn. 207). Eine besondere Bedeutung kommt insoweit der Änderung für das Streitjahr 2019 zu.

    Die seit dem Streitjahr geltende KonsVerCHEV differenziert nach dem benutzten Verkehrsmittel. Bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es auf die Zeitdauer, bei der Benutzung eines Fahrzeugs auf die einfache Entfernung an. Der Zeitfaktor spielt insoweit seit Veranlagungszeitraum 2019 keine Rolle mehr. Würde der Zeitfaktor auch bei Benutzung eines Fahrzeugs weiterhin bedeutsam sein, würde der Kläger im Streitjahr wie in den Vorjahren kein Grenzgänger und infolgedessen nicht im Inland steuerpflichtig sein. Ein alleiniges Abstellen auf die Entfernung widerspricht -wie bereits ausgeführt- jedoch dem fehlenden Ortsbezug in Art. 15a DBA Schweiz. Hinzu kommt, dass der Kläger bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kein Grenzgänger aufgrund der Fahrzeit wäre.

    Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind die in der KonsVerCHEV vereinbarten Kriterien für die Zumutbarkeit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG auszulegen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (z.B.  BVerfG-Urteil vom 6. März 2002 - 2 BvL 17/99, BStBl. II 2002, 618). Art. 3 Abs. 1 GG erfordert auch eine folgenrichtige Umsetzung. Folgerichtig wäre, den Zeitfaktor unabhängig vom Verkehrsmittel anzuwenden oder die längere, verkehrsgünstigere Strecke zu berücksichtigen.

    Hierfür spricht auch § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG. Diese Norm führt aus, dass "eine andere als die kürzeste Straßenverbindung" "zugrunde gelegt werden" kann, "wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte benutzt wird." Insoweit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass nicht schematisch auf die kürzeste Straßenverbindung abgestellt werden kann, sondern Besonderheiten im Einzelfall zu berücksichtigen sind. In diesem Sinne kann im Streitfall eine einfache Strecke von mehr als 100 km oder der Zeitfaktor zugrunde gelegt werden. Die verkehrsgünstigste Route wurde auch tatsächlich vom Kläger benutzt. Dies ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag unter Berücksichtigung der vorgelegten Routenplaner und auch der Würdigung der Vertreter des Beklagten, z.B. aus dem Vermerk des Sachbearbeiters Internationales Steuerrechts und der Erörterung der Fahrtrouten in den gerichtlichen Terminen unter Berücksichtigung der für das Streitjahr herrschenden Verkehrssituation aufgrund von Baustellen.

    Für den Senat erscheint eine Differenzierung nach dem benutzten Verkehrsmittel als willkürlich und als nicht geeignetes Differenzierungskriterium für die Zuweisung eines Besteuerungsrechts, jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Zeitdauer und der Anzahl der Umstiege keine Alternative ist. Eine Differenzierung nach dem genutzten Beförderungsmittel widerspricht dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz. Anknüpfungspunkt für die Zuteilung eines Besteuerungsrechts ist nach Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz die Rückkehr nach Arbeitsende bzw. die Nichtrückkehr "aufgrund der Berufsausübung" nach Arbeitsende. Dies schließt es aus, die Zuteilung des Besteuerungsrechts von der individuellen Entscheidung über das genutzte Verkehrsmittel abhängig zu machen. Solch eine Entscheidung ist privater Natur.

    Auch wenn es Deutschland freisteht, Anknüpfungspunkte für die Aufteilung der Besteuerung festzulegen (vgl.  EuGH-Urteil vom 12. Mai 1998 C-336/96, DStRE 1998, 445  [FG Niedersachsen 28.10.1997 - VI 461/92]), muss die konkrete Ausgestaltung mit Unionsrecht vereinbar sein (vgl.  EuGH-Urteil vom 19. Januar 2006 C-265/04, BFH/NV 2006, 122). Dies gilt infolge des FZA auch im Verhältnis zur Schweiz. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine pauschale Regelung mit allgemeinen Kriterien abzulehnen. Dieser Grundsatz, nach dem gesetzliche Typisierungen nur zulässig sind, wenn sie widerlegbar sind -sie erfordern infolgedessen eine überprüfbare Einzelfallentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit- (vgl. z.B.  EuGH-Urteil vom 17. Juli 1997 C-28/95, IStR 1997, 539; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 648, 779), ist erst Recht auf Verwaltungsabkommen anzuwenden. Pauschale Argumente sind auch bei praktischen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung nicht verhältnismäßig (Cordewener, 940). Infolgedessen kann dahingestellt bleiben, ob die Neufassung der KonsVerCHEV geeignet ist, Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden.

    Können Typisierungen widerlegt werden, ist auch bei einer möglichen Route von weniger als 100 km zwischen Wohn- und Tätigkeitsort eine Einzelfallentscheidung erforderlich. In diesem Sinne sind die Begriffe "namentlich" und "insbesondere" der KonsVerCHEV dahingehend auszulegen, dass die Typisierung im Einzelfall widerlegbar ist. In diesem Sinne ist die Auslegung des Gerichts mit der KonsVerCHEV vereinbar, die eine Einzelfallentscheidung ihrem Wortlaut nach zulässt.

    d. Ist der Kläger aus den genannten Gründen kein Grenzgänger i.S.d. Art. 15a DBA Schweiz, kommt Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz zur Anwendung. Nach dessen Wortlaut steht der Schweiz als Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu. Deutschland steht nicht nach Art. 15 Abs. 2 DBA Schweiz das Besteuerungsrecht zu, da die Vergütungen von einem Arbeitgeber gezahlt werden, der im anderen Staat, der Schweiz, ansässig ist und die Vergütungen vom Arbeitgeber in der Schweiz getragen werden. Da die Arbeit auch in der Schweiz ausgeübt wird, werden beim Kläger als im Inland ansässige Person Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen i.S.d. Art. 15 DBA Schweiz nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. d DBA Schweiz von der Bemessungsgrundlage ausgenommen.

    Das Besteuerungsrecht fällt nicht an Deutschland zurück. Die Voraussetzungen der unilateralen Rückfallklausel des § 50d Abs. 8 EStG liegen nicht vor. Für den gesamten Arbeitslohn wurde Schweizer Quellensteuer vom Kläger gezahlt. Sein Arbeitgeber hat diese vom Arbeitslohn einbehalten und an die Steuerbehörde abgeführt.

    3. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit werden im Wege des Progressionsvorbehalts berücksichtigt (§ 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG; Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 DBA Schweiz). Dies gilt auch dann, wenn wie im Streitfall, das zu versteuernde Einkommen mit XXX € (vgl. Probeberechnung I) unterhalb des Grundfreibetrags der Einkommensteuer liegt (vgl.  BVerfG-Beschluss vom 3. Mai 1995 - 1 BvR 1176/88, BStBl. II 1995, 758;  BFH-Urteil vom 9. August 2001 - III R 50/00, BStBl. II 2001, 778).

    Einzubeziehen sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. XXX €. Die Höhe der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ist zwischen den Beteiligten unstreitig und der Höhe nach auch nicht zu beanstanden. Die Höhe der Einkünfte wurde nach deutschem Steuerrecht ermittelt (vgl.  BFH 15. Mai 2002 - I B 73/01, BFH/NV 2002, 1295). Der freizustellende Betrag kann daher vom Einkommensbetrag abweichen, der im Quellenstaat nach dessen innerstaatlichem Recht besteuert wurde.

    Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers gehören zum Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG, § 2 Abs. 2 Nr. 3 LStDV; vgl.  BFH-Urteil vom 24. August 2017 - VI R 58/15, BStBl. II 2018, 72). Die Grundsätze zur Steuerfreiheit von Beiträgen des Arbeitgebers zu Sozialversicherungen wurden beachtet. Die Beiträge des Arbeitgebers zur Schweizer Rentenversicherung AHV, in das Obligatorium der Pensionskasse, zur IV, EO, ALV und zur obligatorischen KV sind nach § 3 Nr. 62 S. 1 EStG steuerfrei (vgl.  BFH-Urteile vom 17. Mai 2017 - X R 10/15, BStBl. II 2017, 1251; vom  16. September 2015 - I R 83/11, BStBl. II 2016, 681; vom  26. November 2014 - VIII R 39/10, BStBl. II 2016, 665; vom  24. September 2013 - VI R 6/11, BStBl. II 2016, 650; vom  22. Juli 2008 - VI R 56/05, BStBl. II 2008, 894; vom  15. April 1996 - VI R 98/95, BStBl. II 1996, 478). Bei diesen Arbeitgeberleistungen handelt es sich jeweils um mit dem deutschen Sozialversicherungssystem vergleichbaren Zukunftssicherungsleistungen. Insoweit ist das zu beurteilende ausländische Schweizer System nach seiner Struktur und den von ihm im Versorgungsfall zu erbringenden Leistungen auf der Grundlage einer rechtsvergleichenden Qualifizierung mit der Absicherung über die inländische Sozialversicherung vergleichbar (vgl.  BFH-Urteile 26. November 2014 - VIII R 38/10, BStBl. II 2016, 657).

    Werbungskosten, nach inländischen Recht ermittelt (vgl.  BFH-Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI R 21/18, BStBl. II 2021, 506), wurden bei der Berechnung der im Progressionsvorbehalt anzusetzenden Einkünfte berücksichtigt, so die Fahrten zwischen Wohnung und 1. Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG) sowie die Kosten für eine doppelte Haushaltsführung (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5a EStG).

    Die Schweizer Quellensteuer kann nicht abgezogen werden (vgl.  BFH-Urteil vom 1. Juli 2009 - I R 113/08, BFH/NV 2009, 1992).

    4. Als Sonderausgaben sind die in der Probeberechnung I des Beklagten berücksichtigten Beträge anzusetzen. Dieser Ansatz ist zwischen den Beteiligten unter Berücksichtigung des Klageantrags unstreitig und der Höhe nach auch nicht zu beanstanden.

    Weitere Beiträge sind nicht als Sonderausgaben zu berücksichtigen. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG i.d.F. vom 11. Dezember 2018 ist für das Streitjahr 2019 anwendbar. Nicht abziehbar sind danach Beiträge in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen. Um solche handelt es sich, wenn Einnahmen und Aufwendungen "durch dasselbe Ereignis veranlasst sind" (vgl.  BFH-Urteil vom 5. November 2019 - X R 23/17, BStBl. II 2020, 634; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. August 2022 - 5 K 1463/14, juris; jeweils zu Altersvorsorgeaufwendungen bei steuerfreiem Arbeitslohn aus der Schweiz). Im Streitfall haben die steuerfreien Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit die Pflichtbeiträge ausgelöst. Dies ergibt sich aus den Vorschriften des Schweizer Rechts (so z.B. aus Art. 14 Abs. 1 AHVG, Art. 2 IVG, Art. 2 Abs. 1 BVG und der EO).

    Eine Ausnahme vom Abzugsverbot nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HS 2 Buchst. c EStG kommt im Streitfall nicht in Betracht. Es ist hierbei isoliert auf die jeweilige Art von Vorsorgeaufwendungen abzustellen und jeweils zu prüfen, ob die Vorsorgeaufwendungen schon im Beschäftigungsstaat steuerlich berücksichtigt worden sind (vgl.  BFH-Urteile vom 27. Oktober 2021 - X R 28/20, BFH/NV 2022, 473; vom  27. Oktober 2021 - X R 11/20, BFH/NV 2022, 469). Im Beschäftigungsstaat Schweiz wurden im Streitfall die Beiträge bei der Besteuerung des Arbeitslohnes berücksichtigt (vgl. Art. 81 Abs. 2 BVG, Art. 33 DBG, § 112 StG).

    5. Infolge der Freistellung der Einkünfte ist die Schweizer Quellensteuer nicht anzurechnen.

    6. Die Festsetzung des Solidaritätszuschlags orientiert sich an der Einkommensteuerfestsetzung (§ 3 Abs. 1 Solidaritätszuschlaggesetz (SolZG)). Auch die Kirchensteuerfestsetzung richtet sich nach der festgesetzten Einkommensteuer. Die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung führt infolgedessen jeweils folgerichtig zu einer Änderung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer katholisch.

    II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte (§ 135 Abs. 1 FGO)).

    III. Die Klägerseite beantragte, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerseite durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

    IV. Die Revision wird nicht zugelassen. Die entscheidungserheblichen Fragen liegen auf tatsächlichem Gebiet. Sie haben daher keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 115 Abs. 2 FGO.

    Prämien zur Schweizer NBUV werden nicht als Sonderausgaben geltend gemacht und das Gericht darf nicht über den Klageantrag hinausgehen. Infolgedessen ist die Revision nicht infolge des beim BFH anhängigen Verfahrens X R 1/21 (Vorinstanz  FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. November 2020 - 3 K 3139/19, DStRE 2021, 1091) zuzulassen.

    V. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

    RechtsgebietDBA SchweizVorschriftenArt. 15 Abs. 1 DBA Schweiz

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