29.01.2009 · IWW-Abrufnummer 090368
Bundesfinanzhof: Urteil vom 30.10.2008 – VI R 10/07
Bei beiderseits berufstätigen Ehegatten sind die Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung zeitlich unbeschränkt als Minderung finanzieller Leistungsfähigkeit steuerlich zu berücksichtigen. Die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort des anderen Ehegatten unter Beibehaltung der ursprünglichen Familienwohnung als Erwerbswohnung ist unerheblich.
VI R 10/07
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind seit 1999 verheiratet. Bereits vor der Eheschließung bewohnte der Kläger eine Eigentumswohnung in A und war dort als Beamter nichtselbständig tätig. Die Klägerin nutzte ihrerseits seit 1993 ein Einfamilienhaus in B zu eigenen Wohnzwecken. Sie war dort ebenfalls als Beamtin nichtselbständig tätig.
Nach der Eheschließung machte der Kläger für die Jahre 1999 bis 2001 Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (2002 und 2003) machte nunmehr die Klägerin entsprechende Aufwendungen geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Klägerin nicht.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 757 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung --EStG--).
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2006 in der Weise zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 9 847 EUR (2002) und 10 208 EUR (2003) berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Erforderlich für eine doppelte Haushaltsführung ist demnach eine Aufspaltung der normalerweise einheitlichen Haushaltsführung auf zwei verschiedene Haushalte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Begründung eines doppelten Haushalts auch dann als beruflich veranlasst anzusehen, wenn Ehegatten bereits vor ihrer Heirat an verschiedenen Orten berufstätig waren, an ihren jeweiligen Beschäftigungsorten wohnten und nach der Eheschließung eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung gemacht haben (BFH-Urteil vom 15. März 2007 VI R 31/05, BFHE 217, 453, BStBl II 2007, 533, m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn jeder Ehegatte nach der Eheschließung wie bisher in seiner Wohnung weiterlebt (BFH-Urteil vom 13. Juli 1976 VI R 172/74, BFHE 119, 281, BStBl II 1976, 654; Blümich/ Thürmer, § 9 EStG Rz 349).
2.
Nach diesen Grundsätzen kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben.
a)
Das FG hat keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf. an welchem Ort die Kläger in den Streitjahren und in den Jahren davor einen gemeinsamen Haushalt bzw. Lebensmittelpunkt begründet haben. Das FG geht offensichtlich davon aus, dass die Kläger in den Streitjahren ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt von B nach A verlegt haben. Es leitet dies vor allem aus den Angaben gegenüber dem Einwohnermeldeamt ab, hat dabei aber außer Acht gelassen, dass diesem Umstand für die Frage, ob die Kläger nach der Heirat einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt hatten, nur eine Indizwirkung zukommt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 119, 281, BStBl II 1976, 654; vom 29. November 1990 IV R 30/90, BFH/NV 1991, 531).
Der Hausstand i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Mittelpunkt seiner Lebensinteressen führt, also sein Haupt- bzw. bei Ehegatten der Ehegatten- oder Familienhausstand (BFH-Urteile vom 14. Juni 2007 VI R 60/05, BFHE 218, 229, BStBl II 2007, 890; vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820). Eine doppelte Haushaltsführung ist nicht gegeben, wenn der Beschäftigungsort der Lebensmittelpunkt ist. Ob der Hausstand gegenüber der Wohnung am Beschäftigungsort der Lebensmittelpunkt bzw. der Ort ist, an dem die Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft i.S. des § 1353 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zusammenleben, erfordert eine Abwägung und Bewertung aller Umstände des Einzelfalls. Indizien können sich aus einem Vergleich von Größe und Ausstattung der Wohnungen sowie aus Dauer und Häufigkeit der Aufenthalte in den Wohnungen ergeben (BFH-Urteil vom 4. November 2003 VI R 170/99, BFHE 203, 386, BStBl II 2004, 16, m.w.N.).
b)
Im 2. Rechtsgang wird das FG die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben. Aus prozessökonomischen Gründen weist der Senat auf Folgendes hin:
aa)
Unter Beachtung der erwähnten Grundsätze wird das FG zunächst zu prüfen haben, ob die Kläger ursprünglich nach ihrer Heirat aus beruflichem Anlass eine doppelte Haushaltsführung begründet hatten, in der die Wohnung die Klägerin in B zum Familienwohnsitz bestimmt wurde und der Kläger am Ort seiner Beschäftigung in A wohnte. Für diesen Fall wäre es unerheblich, wenn die Kläger den Familienwohnsitz später nach A verlegt hätten. Denn die Verlegung des gemeinsamen Hausstandes beiderseits berufstätiger Ehegatten hätte nicht zu einer Beendigung der beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung geführt.
Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es, Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, soweit es sich um zwangsläufigen Mehraufwand beiderseits berufstätiger Ehegatten handelt, der dadurch anfällt, dass ein gemeinsamer Wohnsitz bei dem Beschäftigungsort des einen Ehegatten besteht und zugleich die Unterhaltung eines weiteren Wohnsitzes durch die Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an einem anderen Ort veranlasst ist (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl II 2003, 534). Werden bei beiderseits berufstätigen Ehegatten Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung zwangsläufig zur Gewährleistung der Berufstätigkeit beider erbracht, so sind sie zeitlich unbeschränkt als Minderung finanzieller Leistungsfähigkeit steuerlich zu berücksichtigen. Dabei ist es unerheblich, ob der gemeinsame Wohnsitz der Ehegatten über die Jahre gleich bleibt oder verändert wird. Maßgeblich ist allein, dass die Unterhaltung eines weiteren Wohnsitzes durch die Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an einem anderen Ort veranlasst ist.
bb)
Sollte das FG zu der Feststellung kommen, dass die Kläger erstmals im Streitjahr 2002 einen gemeinsamen Haushalt, und zwar am Beschäftigungsort des Klägers (A), errichtet haben, steht dies ebenfalls nicht einer beruflichen Veranlassung einer doppelten Haushaltsführung entgegen.
Der BFH hat im Hinblick auf den aus Art. 6 Abs. 1 GG resultierenden Schutz von Ehe und Familie eine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung, wie erwähnt, dann angenommen, wenn beide Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung an verschiedenen Orten beruflich tätig sind, jeweils dort wohnen und anlässlich ihrer Heirat eine der beiden Wohnungen oder eine neue Wohnung an einem dritten Ort zum Familienhaushalt machen. Maßgebend für diese Rechtsprechung ist, dass bei Heirat zweier an verschiedenen Orten beruflich tätigen Steuerpflichtigen diese sich nicht mit einem einzigen Wohnsitz am Ort der Berufsausübung eines von ihnen begnügen können, ohne die Berufstätigkeit des anderen zu beeinträchtigen (BFH-Urteil in BFHE 217, 453, BStBl II 2007, 533, m.w.N.).
Nach Auffassung des Senats ist es unter Berücksichtigung dieses in Art. 6 Abs. 1 GG niedergelegten Wertungsmaßstabes nicht zu rechtfertigen, den Werbungskostenabzug zu versagen, wenn die beiderseits berufstätigen Eheleute erst nachträglich einen Familienwohnsitz begründen.
cc)
Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind nur notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. In diesem Sinn sind Unterkunftskosten am Beschäftigungsort notwendig, soweit sie den Durchschnittsmietzins einer 60 qm-Wohnung am Beschäftigungsort nicht überschreiten (Senatsentscheidung in BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820).