11.01.2012 · IWW-Abrufnummer 114268
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 17.11.2011 – 11 K 128/10
Zur Abgrenzung zwischen echter und unechter Lohnzahlung durch Dritte.
Das Unterlassen der nach § 38 Abs. 4 Satz 3 EStG geforderten Anzeige des ArbG beim Betriebsstätten-FA kann eine Haftung begründen.
Beziehen Mitarbeiter eines Krankenhauses über eine Apotheke, die auch ihren ArbG beliefert, verbilligte Apothekenartikel, stellt das keinen dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Arbeitslohn von dritter Seite dar.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge, mit dem der Beklagte die Klägerin als Arbeitgeberin nach § 42d EStG in Anspruch genommen hat.
Die Klägerin war in den Streitjahren 2004 bis 2006 Trägerin eines Krankenhauses und beschäftigte dort 750 Mitarbeiter. Die Klägerin bezog in den Streitjahren aufgrund eines seit dem Jahr 1998 bestehenden Versorgungsvertrags Apothekenartikel aller Art von der Firma X. X lieferte dar über hinaus im Rahmen eines sog. „Mitarbeiter-Vorteilsprogramms” an die Mitarbeiter der Klägerin ebenfalls Apothekenartikel aller Art, wobei die Mitarbeiter einen Nachlass auf den üblichen Apothekenendpreis erhielten. Das Mitarbeiter-Vorteilsprogramm war von X initiiert und den Mitarbeitern bekannt gemacht worden. Die Klägerin hatte diese Bekanntmachung in ihrem Betrieb geduldet.
Die Artikel bestellten die Mitarbeiter von ihrem Arbeitsplatz aus direkt bei X, wobei sie die Station, Name und Krankenhaus, ggf. die Kundenummer angaben. X lieferte dann die bestellten Artikel den Mitarbeitern direkt an ihren Arbeitsplatz im Betrieb der Klägerin, was die Klägerin ebenfalls duldete. Die Mitarbeiter bezahlten die von ihnen bestellten Artikel mittels Einzugsermächtigung direkt an X.
Die Klägerin gab regelmäßig Lohnsteuer-Voranmeldungen ab. Die Belieferung ihrer Mitarbeiter durch X sah sie dabei als lohnsteuerlich unerheblichen Vorgang an.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Beklagte, dem Prüfer folgend, zu der Auffassung, die Klägerin habe zu Unrecht aus der Belieferung ihrer Mitarbeiter mit verbilligten Apothekenartikeln durch X keine lohnsteuerlichen Konsequenzen gezogen. Die von X den Mitarbeitern eingeräumten Rabatte seien als Arbeitslohn von dritter Seite anzusehen und entsprechend lohnzuversteuern. Der Prüfer erstellte eine Vergleichstabelle für 12 Apothekenartikel, sämtlich nicht verschreibungspflichtige Medikamente, und verglich die Abrechnungspreise von X aus dem Mitarbeiter-Vorteilsprogramm mit denen der Internetapotheke X.de sowie mit der Internetapotheke Y und dem Apothekenabgabepreis. Danach ergab sich im Vergleich zwischen X und der Internetapotheke X.de eine durchschnittliche Ersparnis von rd. 40 %.
Da die Klägerin keinerlei Unterlagen über die Belieferung ihrer Mitarbeiter durch X vorlegen konnte und der Prüfer die genaue Höhe der den Mitarbeitern gewährten Rabatte auch nicht auf andere Weise feststellte, ermittelte der Prüfer die als Arbeitslohn anzusetzenden Beträge im Schätzungswege. Dabei ging er davon aus, dass in 12 % der Fälle Arbeitnehmer die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG überschritten hätten und der durchschnittliche Rabatt bei jeder dieser Lieferungen bei 60 s€ gelegen habe, so dass der nachzuversteuernde geldwerte Vorteil pro Jahr 64.800 € betragen habe, nämlich 750 Mitarbeiter x 12 Monate x 60 €/Fall x 12 % = 64.800 €. Der Prüfer wandte dann auf den geldwerten Vorteil einen Bruttosteuersatz von 30 % an, so dass sich ein jährlicher Haftungsbetrag von 19.440 € ergab.
Der Beklagte erließ gegenüber der Klägerin einen entsprechenden Haftungsbescheid. Zur Begründung gab er an, die Klägerin hafte als Arbeitgeberin nach § 42d EStG, weil sie Lohnsteuer und andere Lohnabzugsbeträge in unzutreffender Höhe einbehalten, angemeldet und abgeführt habe. Die Klägerin werde an Stelle der jeweiligen Arbeitnehmer in Haftung genommen, weil ein Haftungsausschluss nicht vorliege und sie sich mit ihrer Inanspruchnahme einverstanden erklärt habe.
Die Klägerin legte Einspruch ein. Sie machte geltend, der Beklagte nehme sie zu Unrecht als Arbeitgeberin in Haftung. Sie habe zutreffenderweise aus der Rabattgewährung an die Mitarbeiter durch X keine lohnsteuerlichen Konsequenzen gezogen. Die Rabatte seien nämlich nicht als steuerpflichtiger geldwerter Vorteil anzusehen.
Der Beklagte wies den Einspruch der Klägerin durch Einspruchsbescheid vom 9. März 2010 als unbegründet zurück. Er hielt an seiner Auffassung fest, die geldwerten Vorteile aus der Rabattgewährung seien als geldwerter Vorteil nachzuversteuern. Die Klägerin als Arbeitgeberin sei wegen der unzutreffenden Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der darauf entfallenden Lohnsteuern und sonstigen Lohnabzugsbeträge nach § 42d EStG in Haftung zu nehmen. Die Rabatte von X seien als den Mitarbeitern der Klägerin von dritter Seite gewährter Arbeitslohn zu versteuern. Derartiger Arbeitslohn sei nach der seit dem Veranlagungszeitraum (VZ) 2004 geltenden Rechtslage (§ 38 Abs. 1 Satz 3 EStG) dann vom Arbeitgeber zu versteuern, wenn der Arbeitgeber wisse oder erkennen könne, dass derartige Vergütungen erbracht würden. Bei der Gewährung von Rabatten von dritter Seite sei ein Arbeitgeber nur dann nicht zum Lohnsteuerabzug verpflichtet, wenn er an der Verschaffung des Preisvorteils nicht mitgewirkt habe und auch nicht wisse oder erkennen könne, dass Rabatte gewährt würden. Im Streitfall sei die Mitwirkung des Arbeitgebers bei der Verteilung der Medikamente ein Indiz für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs. Weiterhin zeichne sich die Mitwirkung der Klägerin an der Verschaffung der Preisvorteile dadurch aus, dass die Bekanntmachung der Preisvorteile durch das Krankenhaus geduldet werde und das Krankenhaus seine Liegenschaften und sein Personal für die Annahme, Verwahrung und Verteilung der Ware zur Verfügung stelle. Im Übrigen könne ein Mitarbeiter den Preisvorteil nur im Rahmen des „Mitarbeiter-Vorteilsprogramms” erhalten, nicht aber eine eigenständige rechtliche Beziehung zu X aufbauen. Dadurch sei im gesamten Unternehmen der Klägerin bekannt, dass die X-Rabatte im Rahmen des Arbeitsverhältnisses gewährt würden. Nach § 38 Abs. 4 Satz 3 EStG sei ein Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die von einem Dritten gewährten Bezüge am Ende des Lohnzahlungszeitraums anzugeben, auf diese Verpflichtung müsse der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer hinweisen. Die Klägerin habe weder darauf hingewirkt, dass ihre Mitarbeiter ihr Angaben über die von X gewährten Vorteile machten, noch habe die Klägerin gegenüber dem Betriebsstättenfinanzamt darauf hingewiesen. solche Angaben nicht erhalten zu haben und dadurch außerstande zu sein, einen Lohnsteuerabzug vorzunehmen. Deshalb sei sie nach § 42d EStG in Haftung zu nehmen.
Im Rahmen der Ermessenserwägungen wies der Beklagte nunmehr darauf hin, dass er die Klägerin anstelle der Arbeitnehmer in Anspruch nehme, weil es sich bei 750 Mitarbeitern um eine größere Zahl von Arbeitnehmern handele, bei denen die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten worden sei.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, der Beklagte nehme sie zu Unrecht in Haftung. Die Klägerin sei zu keiner Zeit in das Mitarbeiter-Vorteilsprogramm eingebunden gewesen. Zwar habe sie davon gewusst, dass es ein solches Programm gegeben habe und dies geduldet. Sie habe aber keinen Einfluss auf die Laufzeit, die Abwicklungsbedingungen und die Konditionen des Programms gehabt und genommen. Die Klägerin habe auch keinerlei Kenntnisse über den Umfang der den Mitarbeitern eingeräumten Rabatte gehabt, so dass es für sie ohnehin unmöglich gewesen wäre, Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Mit der Einführung des § 38 Abs. 1 Satz 3 EStG ab dem VZ 2004 habe sich der Begriff des Arbeitslohns nicht ausgedehnt, auch nicht im Zusammenhang mit Drittrabatten. Durch diese Regelung sei nur die bestehende Verwaltungspraxis ins Gesetz aufgenommen worden. Nach wie vor sei Arbeitslohn bei der Gewährung von Preisvorteilen durch Dritte an Arbeitnehmer nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber an der Verschaffung dieser Preisvorteile mitgewirkt habe. Dies habe die Klägerin aber zu keinem Zeitpunkt getan. So sei den Mitarbeitern kein Preisvorteil aus irgendeinem Handeln der Klägerin entstanden. Sie habe für den Dritten keinerlei Verpflichtungen übernommen, wie beispielsweise eine Inkassotätigkeit. Zwischen der Klägerin und X fehle es zudem an der für eine Mitwirkung des Arbeitgebers an der Rabattgewährung erforderlichen engen wirtschaftlichen oder tatsächlichen Verflechtung oder engen Beziehung sonstiger Art, z.B. wie bei einem Organschaftsverhältnis. Es habe auch keine wechselseitigen Preisvorteile zugunsten der Mitarbeiter der Klägerin und der Mitarbeiter von X gegeben. Die Bekanntgabe von Angeboten Dritter im Betrieb, die Duldung der Rabattgewährung durch Dritte sowie die Bescheinigung der Betriebszugehörigkeit für Mitarbeiter reichten für die Annahme einer Mitwirkung des Arbeitgebers bei der Rabattgewährung nicht aus. Weiterhin reiche es für eine Annahme, ein Arbeitnehmer habe Arbeitslohn von dritter Seite erhalten, allein nicht aus, wenn Voraussetzung für die Rabattgewährung die Betriebszugehörigkeit zum Betrieb eines bestimmten Arbeitgebers sei. Hinzukommen müsse vielmehr, dass der Rabatt sich konkret als „Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers” darstelle. An einer solchen Verknüpfung fehle es hingegen im Streitfall. Weder die Klägerin noch X hätten den Arbeitnehmern der Klägerin durch die Vorteilsgewährung irgendetwas als Gegenleistung für ihre Arbeitskraft zuwenden wollen.
Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge vom 23. Februar 2009 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 9. März 2010 insoweit aufzuheben, als die Haftung auf der Rabattgewährung von X beruht.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest und verweist auf seine Begründung aus dem Einspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte darauf hin, dass die Annahme von Arbeitslohn keine konkrete Arbeitsleistung des Arbeitnehmers voraussetze. Es reiche aus, wenn dem Arbeitnehmer der Vorteil wirtschaftlich als Frucht seiner Arbeit zufließe. Danach reiche im Streitfall die Anknüpfung der Rabattgewährung an die Arbeitnehmereigenschaft des Vorteilsempfängers im Betrieb der Klägerin aus. Andere Personen seien hingegen nicht berechtigt, derartige Rabatte in Anspruch zu nehmen. Die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer habe für die Klägerin selbst dann bestanden, wenn sie an der Rabattgewährung der X nicht mitgewirkt habe. Sie habe nämlich von der Rabattgewährung im Rahmen des Mitarbeiter-Vorteilsprogramms dem Grunde nach Kenntnis gehabt. Zur Schätzungsbefugnis meint der Beklagte, es wäre der Klägerin durchaus möglich gewesen, konkretes Zahlenmaterial zur Höhe der gewährten Vorteile zur Verfügung zu stellen, so dass die Unsicherheiten einer Schätzung zu ihren Lasten gehen müsse.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat die Klägerin zu Unrecht wegen der von X ihren Mitarbeitern gewährten Rabatte als Arbeitgeberin nach § 42d Abs.1 Nr. 1 EStG in Haftung genommen.
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Er hat die Lohnsteuer nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten.
Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) erhoben, soweit der Arbeitslohn von einem inländischen Arbeitgeber gezahlt wird (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nach § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG unterliegt der Lohnsteuer auch der im Rahmen des Dienstverhältnisses üblicherweise von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlte Arbeitslohn.
Der Lohnsteuerabzug gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG hat auch dann durch den Arbeitgeber zu erfolgen, wenn geldwerte Vorteile nicht vom Arbeitgeber, sondern von einem Dritten eingeräumt werden und es sich bei der Vorteilsgewährung um unechte Lohnzahlungen Dritter handelt. Eine unechte Lohnzahlung eines Dritten ist dann anzunehmen, wenn der Dritte in die Zahlung lediglich als Leistungsmittler des Arbeitgebers eingeschaltet ist. Der Dritte ist bloßer Leistungsmittler, wenn er nur die Stellung einer Kasse des Arbeitgebers hat oder im Auftrag des Arbeitgebers handelt (Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 21. Februar 2003 VI R 74/00, BStBl II 2003, 496 und vom 30. Mai 2001 VI R 123/00, BStBl II 2002, 230; BFH-Beschluss vom 23. Juli 2001 VI B 63/99, BFH/NV 2001, 1557).
Ist der Dritte dagegen nicht bloßer Leistungsmittler, liegt eine echte Lohnzahlung durch Dritte vor. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH und der ab dem VZ 2004 geltenden Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 3 EStG unterliegen derartige Drittlöhne dem Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber unter anderem nur dann, wenn dieser über deren Höhe dadurch in Kenntnis gesetzt wird, dass er in den Vorgang der Vorteilsgewährung eingeschaltet war oder die Arbeitnehmer ihn über die Vorteile unterrichtet haben (BFH-Urteile vom 10. Mai 2006 IX R 110/00, BFH/NV 2006, 2048; IX R 82/98, BStBl II 2006, 669; in BStBl II 2002, 230; in BStBl II 2003, 496; vom 24. Januar 2001 I R 119/98, BStBl II 2001, 512; vom 24. Oktober 1997 VI R 23/94, BStBl II 1999, 323) oder er durch andere Umstände von der Vorteilsgewährung wusste oder diese erkennen konnte.
Nach § 38 Abs. 4 Satz 3 EStG hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die von einem Dritten gewährten Bezüge (§ 38 Abs. 1 Satz 3 EStG) am Ende des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums anzugeben; wenn der Arbeitnehmer keine Angabe oder eine erkennbar unrichtige Angabe macht, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt anzuzeigen. Nach § 38 Abs. 4 Satz 4 EStG hat das Finanzamt die zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern.
Das Unterlassen der nach § 38 Abs. 4 Satz 3 EStG geforderten Anzeige des Arbeitgebers beim Betriebsstättenfinanzamt kann eine Haftung begründen. So hat BFH in seinem Urteil vom 9. Oktober 2002 VI R 112/99 (BStBl II 2002, 884) für den Fall der Verletzung der den Arbeitgeber treffenden Anzeigepflicht nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG entschieden, dass die Anzeige des Arbeitgebers die Erfüllung der Einbehaltungspflichten ersetze und der Arbeitgeber bei unterlassener Anzeige die Lohnsteuer mit den Haftungsfolgen (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG) nicht ordnungsgemäß einbehalten habe. Diese Grundsätze sind auf die unterlassene Anzeige nach § 38 Abs. 4 Satz 3 2.Hs. EStG zu übertragen, denn nur durch eine zeitnahe des Arbeitgebers beim Betriebsstättenfinanzamt wird die Finanzverwaltung in die Lage versetzt, dem Sachverhalt nachzugehen und ggf. Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern nachzufordern. Nur so kann sich ein Arbeitgeber aus der eigenen Haftung lösen, was auch in § 42d Abs. 2 EStG normiert ist.
Hätte also im Streitfall für die Klägerin die Pflicht bestanden, wegen der von X ihren Mitarbeitern gewährten Rabatte Lohnsteuer einzubehalten, anzumelden und abzuführen, so käme, weil die Klägerin dies nicht getan hat und weder Angaben zu diesen Rabatten von den Arbeitnehmern erhalten noch die Klägerin eine Anzeige beim Betriebsstättenfinanzamt abgegeben hat, eine Haftung nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG in Betracht.
2. Eine Pflicht zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung von Lohnsteuer und sonstigen Lohnabzugsbeträgen bestand für die Klägerin wegen der ihren Mitarbeitern gewährten Rabatte von X nicht. Diese Rabatte waren nämlich kein Arbeitslohn.
Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG – neben Gehältern und Löhnen – auch andere Bezüge und Vorteile, die „für” eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Dabei ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG) oder unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie gewährt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung – LStDV in der in den Streitjahren geltenden Fassung).
Nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile vom 30. Mai 2001 VI R 159/99, BStBl II 2001, 815; vom 22. März 1985 VI R 170/82, BStBl II 1985, 529; vom 11. Dezember 2008 VI R 9/05, BStBl II 2009, 385, und vom 30. Juli 2009 VI R 54/08, BFH/NV 2010, 30, m.w.N.) werden Bezüge oder Vorteile für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst worden sind. Erforderlich ist nicht, dass sie eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers sind. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, d.h. wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (vgl. H 70 des Lohnsteuer-Handbuchs unter „Allgemeines zum Arbeitslohnbegriff”; Schmidt/Drenseck, EStG, § 19 Rz 24).
Arbeitslohn kann auch bei der Zuwendung eines Dritten anzunehmen sein, wenn diese ein Entgelt „für ” eine Leistung bildet, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses für seinen Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll. Voraussetzung ist, dass sie sich für den Arbeitnehmer als Frucht seiner Arbeit für den Arbeitgeber darstellt und im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis steht (z.B. BFH-Urteile vom 24. Februar 1981 VIII R 109/76, BStBl II 1981, 707; vom 5. Juli 1996 VI R 10/96, BStBl II 1996, 545; vom 19. August 2004 VI R 33/97, BStBl II 2004, 1076; vom 10. Mai 2006 IX R 82/98, BStBl II 2006, 669; bestätigt u.a. durch BFH-Urteile vom 19. Juni 2008 VI R 4/05, BStBl II 2008, 826, und vom 20. November 2008 VI R 25/05, BStBl II 2009, 382; vom 18. Dezember 2008 VI R 8/06, BFH/NV 2009, 382, und VI R 49/06, BStBl II 2009, 820; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, § 19 EStG Rz 170 f.). Arbeitslohn liegt jedoch dann nicht vor, wenn die Zuwendung wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt wird (BFH-Urteile in BStBl II 1985, 529; vom 24. Januar 2001 I R 100/98, BStBl II 2001, 509; vom 17. Juni 2009 VI R 69/06, BStBl II 2010, 69, m.w.N.; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 19 Rz 29, m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen sind hinsichtlich der Rabattgewährung durch X die Voraussetzungen für die Annahme von Arbeitslohn nicht erfüllt. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass eine Gegenleistung für die ihr als Arbeitgeberin geschuldete Arbeitsleistung der Arbeitnehmer nicht allein deshalb schon gegeben ist, weil die Rabattgewährung von X diese Arbeitnehmereigenschaft als Anspruchsgrundlage voraussetzt. Die Entscheidung, wem X Rabatte in welcher Höhe anbot, traf allein X. Nach langjähriger Verwaltungsauffassung unterliegen Preisvorteile (Rabatte) von dritter Seite dem Lohnsteuerabzug, wenn der Arbeitgeber an der Verschaffung der Preisvorteile mitgewirkt hat (so schon Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF-Schreiben – vom 27. September 1993 IV B 6-S 2334-152/93, BStBl I 1993, 814, auf das sich zur ab dem 1. Januar 2004 gültigen Rechtslage das BMF-Schreiben vom 27. Januar 2004 IV C 5- S 2000-2/04, BStBl I 2004, 173 bezieht).
Die Klägerin als Arbeitgeberin hat an der Verschaffung der Preisvorteile von X nicht mitgewirkt. So hat sie nichts dafür getan, dass ihren Arbeitnehmern durch ihr Handeln ein Anspruch auf den Preisvorteil entstanden ist. X hat vielmehr ohne Einschaltung der Klägerin Verträge mit den Arbeitnehmern geschlossen.
Weiterhin hat die Klägerin keine Verpflichtungen für X übernommen, wie z.B. eine Inkassotätigkeit oder Haftung. X und die Arbeitnehmer der Klägerin erfüllten ihre jeweiligen vertraglichen Verpflichtungen ohne Einschaltung der Klägerin, insbesondere wurden die Apothekenartikel nicht über die Klägerin erworben und nicht über die Gehaltsabrechnung der Arbeitnehmer abgerechnet.
Zwischen X und der Klägerin bestand keine enge wirtschaftliche oder tatsächliche Verflechtung oder enge Beziehung sonstiger Art. Sie waren weder verbundene Unternehmen noch bestand ein Organschaftsverhältnis. Der seit Jahren bestehende Versorgungsvertrag zwischen X und Klägerin reicht hierfür nicht aus.
Entgegen der Auffassung des Beklagten reicht die Duldung der Bekanntmachung und Durchführung des Mitarbeiter-Vorteilsprogramms im Betrieb der Klägerin für eine Mitwirkung der Klägerin an der Verschaffung der Preisvorteile nicht aus. Zwar mag die Klägerin gewisse Störungen im Betriebsablauf hingenommen haben, z.B. durch die Auslieferung der privat von den Arbeitnehmern bestellten Apothekenartikel auf den jeweiligen Stationen. Dies reicht aber für eine Mitwirkung der Klägerin an der Verschaffung der Preisvorteile nicht aus. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass X aufgrund des Versorgungsvertrags mit der Klägerin ohnehin im Betrieb der Klägerin mit der Auslieferung von Apothekenartikeln auf die Stationen befasst war. Die darüber hinausgehende – zusätzliche – Störung des Betriebsablaufs war damit minimal.
Die X-Rabatte stellten sich aus Sicht der Arbeitnehmer der Klägerin nicht als Frucht ihrer Arbeit für die Klägerin dar.
Seit der Abschaffung des Rabattgesetzes im Jahr 2001 war es ohne weiteres möglich, unverbindliche Preisempfehlungen, zu denen auch die Apothekenabgabepreise gehören, zu unterschreiten. Schon in den Streitjahren waren zahlreiche Apotheken, insbesondere Versandapotheken, am Markt, die jedermann ohne weitere Voraussetzungen Rabatte auf die Apothekenabgabepreise einräumten und damit warben. Auch X bot schon in den Streitjahren, wie der Prüfer ermittelte, unter X.de im Internet die Belieferung von jedermann unter Einräumung von Rabatten von bis zu 30 % bei rezeptfreien Produkten an. Nach der Berechnung des Prüfers ergaben sich zwar für die Arbeitnehmer der Klägerin durch das Mitarbeiter-Vorteilsprogramm Rabatte von durchschnittlich 40 % sogar nochmals auf die Preise der Internetapotheke X.de. Diesen Durchschnitt hatte der Prüfer jedoch nicht gewichtet und aus einer nicht repräsentativen Auswahl von lediglich 12 Artikeln gebildet, wobei ein Artikel sogar bei der Internetapotheke X.de billiger zu beziehen war als im Rahmen des Mitarbeiter-Vorteilsprogramms.
Nach der Überzeugung des Gerichts stand hinter dem Mitarbeiter-Vorteilsprogramm vor allem das Interesse von X, Kunden zu gewinnen und an sich zu binden und trotz der rabattierten Preise einen zusätzlichen Gewinn für sich zu erwirtschaften. Hinzu kamen die Synergieeffekte dadurch, dass X ohnehin die Stationen im Betrieb der Klägerin mit Apothekenartikeln belieferte, die zusätzliche Belieferung der Arbeitnehmer also kaum zusätzlichen Logistikaufwand erforderte. Es ging X in keiner Weise darum, den Arbeitnehmern der Klägerin irgendetwas als „Belohnung” für ihre für die Klägerin geleistete Arbeit zuzuwenden. Dies mussten auch die Arbeitnehmer der Klägerin so sehen.
3. Weiterhin wäre, selbst für den Fall der Annahme von Arbeitslohn, der Ansatz dieses Arbeitslohns auf der Grundlage der Schätzung des Prüfers zu beanstanden. Die Schätzung ist nämlich nicht ordnungsgemäß.
a. Nach § 162 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Voraussetzung einer Schätzung ist also zunächst eine Schätzungsbefugnis. Eine solche ergibt sich insbesondere in denjenigen Fällen, in denen Steuerpflichtige ihre Mitwirkungspflichten verletzen. Im Streitfall hat die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten bei der Ermittlung des Sachverhalts zur Rabattgewährung an ihre Mitarbeiter durch X nicht verletzt, weil insoweit für die Klägerin Mitwirkungspflichten überhaupt nicht bestanden haben. Die Klägerin verfügte über keinerlei Unterlagen zum Umfang der von X gewährten Rabatte. Weiterhin haben die Arbeitnehmer der Klägerin ihr gegenüber keine derartigen Angaben gemacht. Die einzige Pflicht der Klägerin hätte also, nach dem zu 1. Gesagten, darin bestanden, dem Betriebsstättenfinanzamt die Rabattgewährung anzuzeigen. Zwar hat sie eine derartige Anzeige nicht abgegeben. Dies gibt dem Beklagten jedoch noch keine Schätzungsbefugnis. Ebenso wie bei einer rechtzeitiger Anzeige der Rabattgewährung durch die Klägerin als Arbeitgeberin hätte der Prüfer bzw. der Beklagte den Sachverhalt der Rabattgewährung unter Ausschöpfung sämtlicher möglicher Erkenntnisquellen im Rahmen des nach § 88 Abs. 1 AO bestehenden Untersuchungsgrundsatzes von Amts wegen ermitteln müssen. Dies hat er jedoch nicht getan.
Der Beklagte wäre nach § 93 Abs. 1 AO verpflichtet gewesen, Auskünfte über die Rabattgewährung von X in den Streitjahren von den Arbeitnehmern der Klägerin sowie von X einzuholen. Erst wenn dies keine weitere Aufklärung des Sachverhalts erbracht hätte, wäre eine Schätzungsbefugnis in Betracht gekommen. Tatsächlich hat aber weder der Prüfer noch der Beklagte mit dem entsprechenden Nachdruck versucht, die entsprechenden Auskünfte zu erhalten. Erste Anschreiben an X und die Klägerin blieben insoweit unbeantwortet. Der Beklagte hat darauf hin auf weitere Ermittlungen verzichtet.
Selbst wenn man aber eine Schätzungsbefugnis des Beklagten bejahte, ist die Schätzung des Prüfers der Höhe nach nicht nachvollziehbar. So unterstellt der Prüfer bei seiner Schätzung, dass sämtliche Mitarbeiter der Klägerin jeden Monat ein Bestellung bei X aufgegeben haben und dabei in 12 % der Fälle die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG in Höhe von 44 € überschritten sei. In diesen Fällen des Überschreitens der Grenze unterstellte der Prüfer weiter einen „durchschnittlichen Rechnungspreis” von 60 € pro Fall, wobei der Prüfer wohl die Höhe des Rabatts pro Fall mit 60 € pro Fall annahm, da er mit diesem Betrag weiterrechnete. Wie der Prüfer zu diesen Zahlen gekommen ist, ist nicht ersichtlich. Die Schätzung erscheint mithin willkürlich. Die Annahme jeweils einer monatlichen Bestellung eines jeden Arbeitnehmers der Klägerin widerspricht zudem der Lebenserfahrung. Weiterhin ist die Annahme eines Rabatts mit 60 € pro Fall überhöht, da dies selbst bei einem durchschnittlichen Rabatt von 40 % schon eine Bestellsumme von 150 € ergeben würde. Derartige Bestellsummen für nicht verschreibungspflichtige Apothekenartikel können zwar in Einzelfällen vorkommen, werden aber eher die Ausnahme sein. Keinesfalls wird die Zahl solcher Fälle aber auch nur in die Nähe der vom Prüfer angesetzten 1.080 Fälle pro Jahr kommen.
Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist es sogar wahrscheinlich, dass die Arbeitnehmer ihr Bestellverhalten bewusst so steuerten, dass in keinem Fall die Freigrenze von 44 €/Monat überschritten wurde. Bei einer jährlichen Freigrenze von 12 x 44 € = 528 € und einem Rabatt von durchschnittlich 40 % müsste ein Arbeitnehmer pro Jahr schon Apothekenartikel für 1.320 € kaufen, um die Freigrenze zu überschreiten. Verschreibungspflichtige Medikamente waren zudem von der Rabattgewährung ohnehin ausgenommen.
b. Wegen der genannten Mängel bei der Ermittlung des Sachverhalts und der darauf beruhenden Schätzung sind die Ermessenserwägungen im angefochtenen Bescheid ebenfalls zu beanstanden und ein weiterer Grund, den Haftungsbescheid aufzuheben. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, setzt nämlich eine fehlerfreie Ermessensausübung eine umfassende und einwandfreie Ermittlung des Sachverhalts voraus (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juni 1983 I R 76/82, BStBl II 1983, 672 m.w.N.).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
5. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
6. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).