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  • 11.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121206

    Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 12.12.2011 – 1 K 1228/09

    Voraussetzung für den Abzug von Werbungskosten für Familienheimfahrten während einer doppelten Haushaltsführung ist, dass der Steuerpflichtige hierfür Aufwendungen durch Abfluss von Gütern in Geld oder Geldeswert tatsächlich getragen hat. Der in der Literatur vertretenen Ansicht, eine tatsächliche Vermögensminderung sei bei den in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 EStG geregelten Entfernungspauschalen ausnahmsweise nicht vorauszusetzen, ist nicht zu folgen.


    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 1. Senat – ohne mündliche Verhandlung am 12. Dezember 2011 durch den Präsidenten des Finanzgerichts Karl als Vorsitzenden, die Richterin am Finanzgericht Gehlhaar, den Richter am Finanzgericht Dr. Amler, die ehrenamtliche Richterin … und die ehrenamtliche Richterin …
    für Recht erkannt:
    Die Klage wird abgewiesen.
    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigungsfähigkeit von Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung, insbesondere ob die Aufwendungen tatsächlich entstanden sein müssen oder aber fiktiv die Pauschalen anzusetzen sind.
    Der Kläger erzielte im Streitjahr u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bei der … AG. Aufgrund einer Abordnung nach F. machte er u.a. Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung für 48 Heimfahrten nach H. bei einer einfachen Entfernung von 361 km i.H.v. 5.199 EUR geltend.
    Der Erklärung war eine tabellarische Darstellung der durchgeführten Familienheimfahrten beigefügt, aus denen sich ergab, dass der Kläger an elf Tagen mit dem Pkw die Heimfahrten angetreten hat, die der Beklagte auch berücksichtigte. Die übrigen Familienheimfahrten mit der Bahn erkannte der Beklagte mangels Nachweises der Aufwendungen nicht an.
    Des Weiteren machte der Kläger Aufwendungen für eine Mietwohnung am Beschäftigungsort i.H.v. 6.852 EUR geltend (monatliche Mietkosten i.H.v. 571 EUR a 12 Monate), die der Beklagte anerkannte. Steuerfreie Arbeitgeberleistungen erklärte der Kläger i.H.v. 4.309 EUR, die der Beklagte von den beantragten Mehraufwendungen absetzte.
    Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 25. September 2008, nochmals geändert mit Bescheid vom 13. Februar 2009, legte der Kläger rechtzeitig Einspruch ein und reichte eine Abrechnungsbescheinigung der … AG für August 2007 ein. Aus dieser war zu ersehen, dass der Kläger einerseits für Unterkunft monatlich einen Betrag i.H.v. 571 EUR erhielt und ihm als Miete wiederum 571 EUR abgezogen wurden und andererseits für Familienheimfahrten ein steuerfrei belassener Betrag i.H.v. 2.025 EUR ausgewiesen war.
    Der Einspruch wurde mit Einspruchsbescheid vom 19. August 2009 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die am 17. September 2009 erhobene Klage.
    Im Klageverfahren wurde dem Kläger gemäß § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgegeben, Nachweise für die Aufwendungen vorzulegen, die ihm im Zusammenhang mit der Nutzung der Bahn entstanden sind, und einen Ansprechpartner seines Arbeitgebers zu benennen, der Auskunft insbesondere auch zu den bescheinigten steuerfreien Zuschlägen geben kann. Innerhalb der hierzu gesetzten Frist und auch in der Folge ist – nach dem rechtlichen Vortrag des Klägers nur folgerichtig – ein Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen nicht beigebracht worden und im Übrigen ein Ansprechpartner beim Arbeitgeber oder eine Anschrift nicht benannt bzw. angegeben worden.
    Denn der Kläger meint, die mit der Bahn durchgeführten Familienheimfahrten seien mit den Pauschalen als Aufwendungen anzusetzen, da es sich bei der anzuwendenden gesetzlichen Regelung um eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale handele, die unabhängig davon anzusetzen sei, ob dem Steuerpflichtigen überhaupt Kosten für diese Wege entstanden seien.
    Der Kläger beantragt sinngemäß,
    den Bescheid des Beklagten vom 25.September 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. August 2009 aufzuheben und die Einkommensteuer 2007 auf 7.631,80 EUR sowie den Solidaritätszuschlag auf 419,75 EUR festzusetzen,
    hilfsweise die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag in gesetzlicher Höhe festzusetzen.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Der Beklagte meint, der Ansatz der Pauschalen komme nicht in Betracht, denn Arbeitnehmer der Bahn und damit auch der Kläger dürften diese kostenfrei nutzen, so dass insoweit keine Aufwendungen entstünden, die berücksichtigungsfähig seien.
    Dem Senat hat eine Heftung der Einkommensteuer- und der Rechtsbehelfsakten vorgelegen. Auf den Akteninhalt und die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
    Entscheidungsgründe
    I. Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 FGO, da die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben, der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Februar 2011 und der Beklagte mit Schriftsatz vom 15. April 2011.
    II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Mangels entstandener Aufwendungen sind die vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten für Familienheimfahrten mit der Bahn nicht zu berücksichtigen.
    1. Werbungskosten sind gemäß § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der im Streitjahr geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes (EStG) Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen, die bei der Einkunftsart abzuziehen sind, bei der sie erwachsen sind, wobei nach Satz 3 Nr. 5 Sätze 3 bis 5 i.V.m. Nr. 4 Sätze 3 bis 5 bei einer doppelten Haushaltsführung Aufwendungen für eine Familienheimfahrt wöchentlich mit der Entfernungspauschale von 0,30 EUR zu berücksichtigen sind.
    a) Der Begriff der „Aufwendungen” deckt sich mit dem Begriff der „Ausgaben” und lässt sich im Umkehrschluss aus dem Einnahmebegriff in § 8 EStG definieren als vermögensmindernder Abfluss von Gütern in Geld oder Geldeswert (Kreft, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 EStG, Rz. 65). Es muss zu einer tatsächlichen Vermögensminderung kommen, d.h., die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter müssen im Rahmen einer der Überschusseinkünfte des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 19 bis 23 EStG aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen tatsächlich abfließen; es müssen reale Vermögenswerte geopfert bzw. wirtschaftlich verzehrt werden, die der einkünfteerzielenden Person zuzurechnen sind (Kreft, a.a.O.; BFH-Urteil vom 22. September 2005 IX R 44/03, BFH/NV 2006, 279).
    b) Soweit in der Literatur (Stark, in: Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 9, Rz. 16) die Ansicht vertreten wird, eine tatsächliche Vermögensminderung sei bei den in § 9 Abs. 1 Nr. 4 und 5 EStG geregelten Entfernungspauschalen ausnahmsweise nicht vorauszusetzen, vermag sich der Senat dieser Sichtweise nicht anzuschließen.
    Denn für das Vorliegen von Aufwendungen trägt grundsätzlich der Steuerpflichtige die Beweislast, soweit nicht die Nachweisverpflichtung eingeschränkt ist. Eine solche Einschränkung enthält der § 9a Satz 1 Nr. 1 und 3 EStG, der eine unwiderlegbare gesetzliche Werbungskostenvermutung in Form von Mindestbeträgen enthält, nicht aber der § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Sätze 3 bis 5 i.V.m. Nr. 4 Sätze 3 bis 5, der auf die Darstellung des Entstehungsgrundes von Werbungskosten beschränkt ist und darüber hinaus nicht überschreitbare Höchstbeträge für Fahrtkosten für zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. für Familienheimfahrten betrifft (Kreft, a.a.O., Rz. 54). Wenn aber der Entstehungsgrund von Aufwendungen anzugeben ist, kann das nur bedeuten, dass grundsätzlich ein Aufwand in Form einer tatsächliche Vermögensminderung eingetreten sein muss. Hinsichtlich der Höhe des anzusetzenden Aufwands verbleibt es bei der gesetzlichen Pauschale.
    Die Ausgestaltung der Regelung als verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale erlaubt zwar auch den Ansatz von Aufwendungen, wenn die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. die Familienheimfahrten zu Fuß oder als Mitfahrer in einer Fahrgemeinschaft bewältigt werden, so dass man meinen könnte, es käme für den Ansatz der Pauschalen allein darauf an, ob der Steuerpflichtige die Arbeitsstätte aufgesucht oder die Familienheimfahrt angetreten hat.
    Eine derartige Sichtweise ist nach Auffassung des Senats aber abzulehnen. Denn einerseits käme es hierdurch zu einem Systembruch innerhalb des Absatzes 1 der Regelung, die durch die Formulierung „Werbungskosten sind Aufwendungen…” grundsätzlich und zwar in allen Tatbeständen eine tatsächliche Vermögensminderung voraussetzt (Bergkemper, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9, Rz. 442).
    Soweit eine Vermögensminderung nicht eintritt, liegt keine Aufwendung oder Ausgabe vor und nicht eine „fiktive” Aufwendung. Das in der Regelung des § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG zum Ausdruck kommende Nettoprinzip steht grundsätzlich der Berücksichtigung nicht entstandener Aufwendungen entgegen.
    Darüber hinaus kann auch nicht die Gesetzesbegründung zur Rechtfertigung der Berücksichtigung nicht entstandener Aufwendungen herangezogen werden. Nach dieser soll die Entfernungspauschale Umweltgesichtspunkte umsetzen, indem die Chancengleichheit der Verkehrsteilnehmer erhöht und die Benutzung von Kraftfahrzeugen nicht bevorzugt wird; weiter soll die Bildung von Fahrgemeinschaften honoriert werden (Bergkemper, a.a.O; BTDrucks. 14/4242, 5).
    Soweit man auf das Beispiel einer Fahrgemeinschaft abstellt, wird es in aller Regel so sein, dass entweder die Mitfahrer sich an den Kosten beteiligen oder aber die Fahrer sich abwechseln. Folglich entstehen den einzelnen Beteiligten jedenfalls Aufwendungen, die allein in der Höhe durch eine Pauschale abgegolten werden. Der Gesetzgeber hat hiermit nicht zum Ausdruck gebracht, er wolle grundsätzlich den fiktiven Ansatz von Aufwendungen begünstigen, obwohl keine entstanden sind.
    Soweit man auf den Beispielsfall eines Fußgängers oder auch eines Fahrradfahrers abstellt, wird es sich regelmäßig einerseits um relativ kurze Entfernungen handeln, so dass es an einer Vergleichbarkeit des Beispiels zur Streitsache – mit einer (einfachen) Strecke von 361 km für die Heimfahrt – mangelt, und andererseits entsteht auch einem Fußgänger oder einem Fahrradfahrer für die (Heim-)Reise ein materieller Aufwand, so dass sich dieser Fall von dem unterscheidet, in dem der Steuerpflichtige einen steuerfreien Aufwandsersatz erhält. Insoweit kann dem Gesetzgeber ebenfalls nicht unterstellt werden, er habe auf das Erfordernis von Aufwendungen verzichten wollen.
    2. Der Kläger hat für die ihm durch die Benutzung der Bahn entstandenen Aufwendungen trotz entsprechender Fristsetzung nach § 79b FGO keine Nachweise vorgelegt und wiederholt darauf abgestellt, dass es auf das Entstehen von Aufwendungen gar nicht ankomme. Das versteht der Senat dahingehend, dass ihm auch keinerlei Aufwendungen durch die Benutzung der Bahn entstanden sind und die Annahme des Beklagten, der Kläger könne als Arbeitnehmer der … AG die Bahn im Zusammenhang mit Familienheimfahrten kostenlos nutzen bzw. er erhalte insoweit einen steuerfreien Ersatz, zutreffend ist. Daher sieht der Senat keinen Grund, hierzu weitere Ermittlungen anzustellen.
    III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenEStG § 9 Abs. 1 S. 1, EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5