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  • 29.06.2012 · IWW-Abrufnummer 121998

    Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Urteil vom 30.11.2011 – 2 K 49/07

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    In dem Rechtsstreit
    ...
    hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 2. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 30. November 2011 durch
    den Vizepräsidenten des Finanzgerichts Weber als Vorsitzender,
    den Richter am Finanzgericht Pohl,
    den Richter am Finanzgericht Schulz,
    den ehrenamtlichen Richter Herr ... und
    den ehrenamtlichen Richter Herr Dr. ...
    für Recht erkannt:

    Tenor:
    Der Haftungsbescheid vom 20. Juni 2005 und der hierzu ergangene Einspruchsbescheid vom 07. Dezember 2006 werden ersatzlos aufgehoben.

    Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

    Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand
    Streitig ist, ob die vom Kläger (damals unter dem Namen Förderverein M. e.V., nach Namenswechsel nunmehr Förderverein ... e.V.) für die 1. Box-Bundesliga 2001/2002 unter Vertrag genommenen Boxer als deren Arbeitnehmer anzusehen sind.

    Der Kläger schloss mit mindestens 21 Boxern Verträge für die Bundesligasaison 2001/2002. Die Verträge begannen am 1. Oktober 2001 und sollten am 30. April 2002 enden. Aus wirtschaftlichen Gründen kündigte der Kläger die Verträge am 12. März 2002 außerordentlich. Die Boxer sollten für die Staffel des 1. Box-Club M. in der 1. Bundesliga des Deutschen Boxsport-Verbandes antreten. Im Jahre 2001 nahm der 1. Box-Club M. an mindestens zwei, im Jahre 2002 an mindestens 3 Bundesligakämpfen teil. Jeder Bundesligakampf findet in 8 Gewichtsklassen statt. In den Verträgen verpflichteten sich die Boxer u.a.,

    - in Vorbereitung und während der laufenden Bundesligasaison mindestens 3x wöchentlich zu trainieren,

    - bei Wettkämpfen im Gewichtslimit anzureisen,

    - bei Krankheit oder Verletzung den Cheftrainer hinsichtlich der Wahl des Arztes zu konsultieren und

    - dem Kläger bei sonstigen Vergleichskämpfen zur Verfügung zu stehen.

    In einer Anlage zum Vertrag wurde geregelt, welche Beträge der Boxer bei Sieg, Niederlage bzw. Unentschieden erhalten sollte. Der Kläger wies ferner darauf hin, dass der Boxer für die Versteuerung der Einnahmen selbst verantwortlich sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertragsinhalts wird auf das in der Arbeitsakte des Beklagten (FA) zur Lohnsteueraußenprüfung befindliche Vertragsmuster ergänzend Bezug genommen. Der Kläger zahlte an mindestens 21 Boxer die vertraglich vereinbarten Beträge.

    Im Frühjahr 2005 fand beim Kläger eine Lohnsteueraußenprüfung statt. In dem Bericht über die Lohnsteueraußenprüfung vom 22. April 2005 führte die Prüferin aus, dass die Boxer nach dem Gesamtbild der Verhältnisse als Arbeitnehmer des Klägers anzusehen seien. Hierfür spreche das vereinbarte Wettbewerbsverbot, die Pflichtpräsentation der Sponsoren, die Vorgabe der Anzahl der Trainingseinheiten, die Pflicht zur Abmeldung bei begründeter Verhinderung, die Pflicht zur Rücksprache mit dem Cheftrainer bezüglich der Arztwahl bei Krankheit, die Pflicht, auch bei sonstigen Vergleichskämpfen zur Verfügung zu stehen und die Teilnahmeverpflichtung bei Einzelmeisterschaften des Landesverbandes bzw. des Deutschen Boxsport-Verbandes. Die vereinbarten Prämien würden die regelmäßige Entgeltzahlung unterstreichen und die Annahme ausschließen, dass es sich bei den Zahlungen um Aufwandsentschädigungen handele.

    Das FA nahm daraufhin den Kläger mit Bescheid vom 20. Juni 2005 für 17 Boxer für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag in Haftung und setzte gegen ihn einen Haftungsbetrag in Höhe von 5.550,48 EUR fest. Für weitere 4 Boxer ergingen Kontrollmitteilungen. Ein "fiktiver Haftungsbescheid" für 4 Boxer wurde mit Bescheid vom 7. Dezember 2006 widerrufen.

    Zur Begründung des hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, es seien für einen Zeitraum von insgesamt 6 Monaten an 17 Sportler insgesamt 20.319 EUR ausgezahlt worden. Das seien rund 200 EUR monatlich je Sportler. Ein solcher Betrag falle unter den Begriff der "Sportliebhaberei". Die gezahlten Vergütungen würden die mit der Tätigkeit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht oder nur unwesentlich übersteigen, weshalb es sich nicht um Arbeitslohn im steuerrechtlichen Sinn handele. Die Zahlungen könnten auch deshalb nicht als Arbeitslohn angesehen werden, weil diese unregelmäßig und in unterschiedlicher Höhe erfolgt seien. Soweit die Sportler nicht an einem Wettkampf teilgenommen hätten, hätten sie auch keine Zahlung erhalten. Das Gleiche gelte für Zeiten außerhalb der Bundesligasaison. Auch das Wettbewerbsverbot sei keine Konkurrenzklausel im arbeitsrechtlichen Sinne, denn dass der Sportler nur für einen Verein boxen dürfe, ergebe sich bereits aus den Statuten des Deutschen Boxsport-Verbandes. Im Übrigen gelte dies nur für die Bundesliga. Bei Einzelveranstaltungen der Landesverbände oder Freundschaftsveranstaltungen der Heimatvereine gelte diese Regelung nicht. Die Sportler seien auch nicht in die Organisation des Klägers eingebunden gewesen. Dies ergebe sich bereits aus den Wohnorten der Sportler. Diese hätten teilweise an den Olympiastützpunkten in H. und A. gewohnt. Dort hätten sie mit ihren jeweiligen Heimattrainern trainiert. Außerhalb der 5-7 Bundesligawettkämpfe pro Saison hätte es keinen Kontakt gegeben. Er, der Kläger, habe nicht kontrollieren können, ob die Trainingsvorgaben von den Sportlern eingehalten worden seien. Von Erkrankungen habe er, der Kläger, erst erfahren, wenn es für einen Bundesligakampf relevant gewesen sei. Es habe weder geregelte Arbeitszeiten gegeben, noch habe ein fester Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden. Es habe auch kein Urlaubsanspruch bestanden. Ebenso habe es keine Vergütung im Urlaubs- oder Krankheitsfall gegeben.

    Mit Bescheid vom 7. Dezember 2006 (einem Donnerstag) wies das FA den Einspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, dass die vertraglichen Beziehungen der Boxer zum Kläger unter Würdigung aller Umstände als nichtselbständige Tätigkeit anzusehen seien. Die Boxer erhielten eine Vergütung ohne unternehmerisches Risiko zu tragen. Die Vergütung übersteige die selbst getragenen Aufwendungen der Boxer deutlich. Eine unternehmerische Tätigkeit könnten sie nicht entfalten, da die Boxer die ganze Saison an den Kläger gebunden seien. Sie seien auch in die Organisation des Klägers eingebunden, denn sie hätten sich verpflichtet, in einer bestimmten Gewichtsklasse zu starten. Die Boxer hätten alle 14 Tage einen Kampf zu absolvieren und seien eine Trainingsverpflichtung eingegangen. Eine Verteilung sämtlicher Zahlungen auf alle Boxer komme nicht in Betracht, weil jeder Vertrag separat zu beurteilen sei. Das Fehlen einer Urlaubs- und Überstundenregelung sei eher von untergeordneter Bedeutung und ändere daher nichts an der Beurteilung der Tätigkeit als nichtselbständige Tätigkeit.

    Der Kläger hat hiergegen am 11. Januar 2007 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren.

    Der Kläger beantragt,

    den Haftungsbescheid vom 20. Juni 2005 und den hierzu ergangenen Einspruchsbescheid vom 7. Dezember 2006 ersatzlos aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA wiederholt zur Begründung seinen Vortrag aus dem Einspruchsbescheid.

    Entscheidungsgründe
    Die zulässige Klage ist begründet. Denn der Kläger wird durch den angefochtenen Lohnsteuer-Haftungsbescheid in seinen Rechten verletzt.

    Wie das FA zutreffend ausgeführt hat, ist für die Frage, ob eine Person als Arbeitnehmer anzusehen ist, das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend. Die danach vorzunehmende Abwägung aller wesentlichen Umstände führt nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall dazu, die Arbeitnehmereigenschaft der Boxer zu verneinen. Im Einzelnen:

    Bei den mit den Boxern abgeschlossenen Verträgen handelt es sich gewissermaßen um "Rahmenverträge", die bei einer Vertragsdauer von immerhin 7 Monaten keinerlei zeitbezogene Vergütung vorsehen sondern lediglich eine einsatzbezogene (und erfolgsbezogene) Vergütung, ohne dass aber eine Mindestanzahl von Einsätzen garantiert wird. Andererseits standen während der Vertragsdauer von 7 Monaten nach den Angaben des Klägers höchstens 7 Bundesliga-Kampftage an, so dass für den einzelnen Boxer höchstens 7 Bundesliga-Einsätze im Laufe von 7 Monaten anstanden. Hinzu kamen gegebenenfalls weitere Einsätze bei "sonstigen Vergleichskämpfen außerhalb der Bundesliga", bei Landesmeisterschaften oder bei den Meisterschaften des Deutschen Boxsport-Verbandes. Der zeitliche Umfang der Tätigkeit der unter Vertrag stehenden Boxer für den Kläger war somit - bezogen auf die Vertragsdauer - allenfalls relativ geringfügig (soweit die jeweiligen Boxer überhaupt zum Einsatz kamen). Dieser völligen Ungewissheit des einzelnen Boxers, ob es aufgrund des Vertrages mit dem Kläger zu einem Einsatz (oder mehreren Einsätzen) mit entsprechenden Vergütungsansprüchen des Boxers (einschließlich der Trainerentschädigung von 300 DM pro Einsatz) kommt, steht die vertragliche Verpflichtung des Boxers gegenüber, während der gesamten Vertragsdauer wenigstens dreimal wöchentlich (auf eigene Kosten) zu trainieren. Unter diesen Umständen tragen die einzelnen Boxer ein erhebliches Unternehmerrisiko, welches gegen ihre Arbeitnehmereigenschaft spricht.

    Auch das Risiko einer Erkrankung mit der Folge, dass ein Einsatz nicht möglich ist und damit Vergütungsansprüche nicht entstehen können, tragen ausschließlich die jeweiligen Boxer. Auch insoweit tragen sie somit ein - gegen ihre Arbeitnehmereigenschaft sprechendes - Unternehmerrisiko. Gleiches gilt für das völlige Fehlen von Ansprüchen der Boxer auf (bezahlten) Urlaub.

    Schließlich ergibt sich nach Auffassung des Senats aus der Anlage zu dem mit den einzelnen Boxern abgeschlossen Vertrag eindeutig, dass von den jeweiligen Vertragsparteien eine Arbeitnehmereigenschaft der Boxer nicht gewollt war. Denn dort ist geregelt, dass der jeweilige Boxer für die Versteuerung der aufgrund des Vertrages erzielten Einkünfte selbst verantwortlich ist. Die Vertragsbeteiligten haben somit die zwischen ihnen begründete vertragliche Beziehung ausdrücklich nicht als Arbeitsverhältnis ausgestaltet. Auch besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass diese Vertragsgestaltung nur gewählt wurde, um ein tatsächlich bestehendes Arbeitsverhältnis zu verdecken (sog. "Scheinselbständigkeit").

    Die nach Auffassung des FA für eine Arbeitnehmereigenschaft der Boxer sprechenden Argumente greifen demgegenüber nicht durch: Zwar trifft es zu, dass die Boxer nach dem jeweiligen Vertrag eine Reihe von Verpflichtungen gegenüber dem Kläger übernommen haben (insbesondere Antritt auf Anforderung des Klägers zu den im Vertrag benannten Wettkämpfen, Halten einer bestimmten Gewichtsklasse, Verbot einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber einem anderen Verein während der Vertragsdauer, regelmäßiges Training, Präsentation der Ausstatter und Sponsoren des Klägers). Diese Umstände treten nach Auffassung des Senats in ihrer Bedeutung jedoch hinter den von dem jeweiligen Boxer auf eigene Kosten (und ohne Anrecht auf einen mit einem Vergütungsanspruch verbundenen Einsatz) zu erbringenden regelmäßigen Trainingsaufwand zurück. Insofern ist der Vortrag des FA, die den Boxern zustehende Vergütung übersteige die selbst getragenen Aufwendungen der Boxer deutlich, nach Auffassung des Senats in dieser Form unzutreffend. Zwar trifft diese Behauptung des FA in einzelnen Fällen sicherlich zu, aber eben nur dann, wenn die Boxer tatsächlich eingesetzt wurden. Gerade daran zeigt sich nach Auffassung des Senats aber - wie bereits oben ausgeführt - das unternehmerische Risiko der Boxer. Entsprechendes gilt für den Vortrag des FA, die Boxer hätten "zumindest alle 14 Tage" einen Kampf absolviert. Dies mag für einzelne Boxer zutreffen. Keiner der Boxer konnte jedoch bei Vertragsbeginn mit einem derart regelmäßigen Einsatz rechnen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO); die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Zulassung der Revision erfolgte gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO.