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  • 28.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113482

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 01.02.2011 – 8 K 343/10

    - Zum Begriff der außerordentlichen Einkünfte i. S. des § 34 EStG.
    - Eine Zusammenballung i. S. des § 34 EStG ist zu verneinen, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen VZ gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt.
    - Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn neben der Hauptleistungsentschädigung in späteren VZ aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden.
    - Werden Zahlungen in drei VZ vorgenommen und sind die einzelnen Teilleistungen nicht geringfügig, so scheidet die ermäßigte Besteuerung einer Abfindung aus.


    Tatbestand
    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der ermäßigten Besteuerung einer im Streitjahr gezahlten Abfindung zwei in den Vorjahren erhaltene weitere Leistungen entgegenstehen.
    Der Kläger war nichtselbstständig bei der …- GmbH tätig. Aufgrund einer Betriebsstilllegung wurde das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2006 beendet. Entsprechend den Vereinbarungen in einem Sozialplan bestand für den Kläger die Möglichkeit, zunächst für 12 Monate in der Transfergesellschaft 1 (TG1) und anschließend längstens für 42 Monate in der Transfergesellschaft 2 (TG2) tätig zu werden. Dem Kläger gelang es, bereits zum 1.11.2007 einen neuen Arbeitsplatz zu finden.
    Der ehemalige Arbeitgeber des Klägers bzw. die Transfergesellschaft leistete an den Kläger auf der Grundlage des Sozialplanes die folgenden Zahlungen:
    2007: 13.814,87 Euro
    2008: 2.000,00 Euro
    2009: 139.307,32 Euro.
    Der Betrag im Jahr 2008 wurde dabei als sog. Sprinterprämie für das vorzeitige Ausscheiden des Klägers aus der TG1 gezahlt (pro Monat 1.000 Euro).
    Für das Streitjahr 2009 unterwarf der Beklagte die gezahlte Abfindung von 139.307 Euro der Regelbesteuerung. Er führte in den Erläuterungen zum Steuerbescheid aus, da die Entschädigungszahlung in drei Kalenderjahren zugeflossen sei, komme eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht in Betracht. Den dagegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte zurück.
    Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Im Klageverfahren begehren die Kläger die ermäßigte Besteuerung der Abfindungszahlung von 139.307 Euro. Sie führen aus, der erste Teilbetrag von 13.814 Euro sei aus Gründen der sozialen Fürsorge gezahlt worden, da der Kläger in der TG 1 mit 90 % seines Nettoeinkommens habe auskommen müssen. Der Arbeitgeber habe daher die dem Kläger zustehenden Beträge so schnell wie möglich auszahlen wollen. Im Verhältnis zu der Zahlung im Streitjahr 2009 stelle die erste Teilzahlung zudem mit 9 % nur einen geringfügigen Teilbetrag dar.
    Die Sprinterprämie sei nicht als Abfindungsleistung zu qualifizieren und könne daher in die Wertung, ob eine nur geringfügige Teilleistung vorliege, nicht einbezogen werden.
    Die Kläger beantragen,
    den Betrag von 139.307 Euro ermäßigt nach § 34 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu versteuern.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Er hält daran fest, dass die Zahlung in drei Veranlagungszeiträumen der ermäßigten Besteuerung entgegensteht. Ergänzend führt er aus, dass der Kläger wahrscheinlich im Jahr 2012 noch eine weitere Teilabfindungszahlung erhalten werde.
    Gründe
    Die Klage ist nicht begründet.
    Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die dem Kläger im Streitjahr zugeflossene Abfindungszahlung in Höhe von 139.307 Euro nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu versteuern.
    1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.
    Eine Entschädigung liegt vor, wenn die bisherige Grundlage für den Erfüllungsanspruch weggefallen ist und der an die Stelle der bisherigen Einnahmen getretene Ersatzanspruch auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 10. September 2003 XI R 9/02, BFHE 204, 65, BStBl II 2004, 349, m.w.N.).
    Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG werden in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558). Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835, m.w.N.).
    Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nach der BFH-Rechtsprechung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Sie ist in solchen Fällen geboten, in denen - neben der Hauptentschädigungsleistung - in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden (vgl. BFH-Urteile vom 03.07.2002 XI R 80/00, BStBl II 2004, 447; vom 21.01.2004 XI R 33/02, BStBl II 2004, 715 m.w.N. und XI R 22/03, BFH/NV 2004, 1226; vom 14.04.2005 XI R 11/04, BFH/NV 2005, 1772).
    Allerdings ist der Zufluss in einem Veranlagungszeitraum nach dem Wortlaut von § 34 EStG kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Der Zweck des § 34 Abs. 1 EStG wird trotz Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen nicht verfehlt, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt wird (Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 34 Rz 18). Hielte man in derartigen Fällen ausnahmslos an dem Erfordernis eines zusammengeballten Zuflusses der außerordentlichen Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum fest, würden über den Gesetzeswortlaut des § 34 Abs. 1 EStG hinaus die Voraussetzungen der Tarifermäßigung ohne sachlichen Grund verschärft und die ratio legis verfehlt (BFH-Urteil vom 25. August 2009 IX R 11/09, BFH/NV 2009, 2034).
    2. Nach diesen Grundsätzen ist die von dem Kläger im Streitjahr bezogene Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gemäß § 34 Abs. 1 EStG nicht tarifbegünstigt zu besteuern.
    a) Eine Zusammenballung von Einkünften liegt nicht vor, denn die Abfindung ist in drei verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt worden.
    Der Kläger erhielt im Streitjahr eine Abfindung in Höhe von 139.307 Euro und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen Zahlungen von 13.814 Euro (2007) und 2.000 Euro (2008), mithin eine Gesamtzahlung von 155.122 Euro gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für den weiteren Bezug seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der …- GmbH. Dabei handelt es sich auch bei der Zahlung im Jahr 2008, d.h. bei der sogenannten Sprinterprämie um eine Abfindung, denn auch diese Zahlung beruht auf den Vereinbarungen im Sozialplan vom …, der die einheitliche Rechtsgrundlage für die Zahlung von Abfindungsleistungen darstellt (vgl. auch Urteil des BFH vom 11.5.2010 IX R 39/09, BFH/NV 2010, 1801). Grundlage der Leistungen nach dem Sozialplan ist die Minderung der wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Kündigung entstehen. Der Kläger erhielt folglich auch die Zahlung im Jahr 2008 deswegen, weil die bisherige Grundlage für die Erfüllungsansprüche, d.h. das Arbeitsverhältnis mit der …- GmbH, nicht mehr bestand.
    b) Weder die Vorauszahlung im Jahr 2007, noch die Leistung im Jahr 2008 sind aus Gründen der sozialen Fürsorge gezahlt worden. Sofern die Kläger in diesem Zusammenhang vortragen, bei der Teilleistung im Jahr 2007 lägen Fürsorgeaspekte vor, weil der Kläger in der TG1 mit 90 % seines Nettoeinkommens habe auskommen müssen, folgt der Senat dieser Wertung nicht, denn Hintergrund jeder Abfindungszahlung ist die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die durch die Kündigung entstehen. Über diesen eigentlichen Zweck einer Abfindung hinausgehende soziale Aspekte haben Kläger bereits nicht vorgetragen, noch sind solche aus den Akten ersichtlich. Dies gilt auch für die Zahlung im Jahr 2008, denn diese wird geleistet, weil die Transfergesellschaft durch die Tätigkeit des Klägers bei einem dritten Arbeitgeber entlastet wird. Die Zahlung erfolgte damit nicht, um den Kläger, z.B. durch Finanzierung von Fortbildungsmaßnahmen, bei den Bemühungen um einen Arbeitsplatz zu unterstützen oder als existenzsichernde Maßnahme, sondern als „Belohnung” dafür, dass er schnell einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat.
    c) Ferner sind die in den Jahren 2007 und 2008 ausgezahlten Teilleistungen nicht geringfügig.
    Die Zahlungen von 13.814 Euro und 2.000 Euro stellen einen Anteil von 10,2 % der insgesamt gezahlten steuerpflichtigen Abfindung von 155.122 Euro dar, so dass ein Bagatellbetrag zur Überzeugung des Senates nicht mehr gegeben ist. Zudem liegt der anteilig gezahlte Betrag mit über 10 % deutlich über dem Betrag, für den der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 25.8.2009 IX R 11/09 (BFHE 226, 265) noch eine minimale Teilleistung angenommen hat, denn hier betrug die unschädliche Teilleistung nur 1,3 %.
    Da zur Überzeugung des Senats im Streitfall die Bagatellgrenze deutlich überschritten ist, kann offen bleiben, ab welchem Prozentsatz Geringfügigkeit nicht mehr angenommen werden kann (nach der Auffassung des FG Köln bei Überschreibung von 5 % - Urteil vom 9.3.2010 8 K 972/08, EFG 2010, 1018 - nicht rechtskräftig).
    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

    VorschriftenEStG § 34 Abs. 1, EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a