09.07.2012 · IWW-Abrufnummer 122084
Hessisches Landessozialgericht: Urteil vom 09.07.2012 – L 7 AL 186/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. September 2011 (S 3 AL 301/10) wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs der Klägerin im Zeitraum vom 1. Oktober bis 23. Dezember 2010 wegen des Eintritts einer Sperrzeit.
Die 1954 geborene Klägerin war in der Zeit vom 18. April 1995 bis 30. September 2010 in einem Call-Center, welches zunächst von der XY. AG und später von der XY. Service-Center B-Stadt GmbH in B-Stadt betrieben wurde, zuletzt als freigestellte Betriebsratsvorsitzende, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestand zunächst mit der XY. AG und später nach einem Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB zu der XY. Service-Center B-Stadt GmbH, einer hundertprozentigen Tochter der XY. AG. Dieses Beschäftigungsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 30. März 2010 zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 75.060,00 Euro mit Ablauf des 30. September 2010 beendet. Am 29. Juli 2010 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.
Durch Bescheid vom 30. September 2010 stellte die Beklagte den Eintritt einer 12 wöchigen Sperrzeit im Zeitraum vom 1. Oktober bis 23. Dezember 2010 fest und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe ihr Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst gelöst. Unerheblich sei, ob die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages von ihr oder dem ehemaligen Arbeitgeber ausgegangen sei. Entscheidend sei, dass der Aufhebungsvertrag ohne die Zustimmung der Klägerin nicht zu Stande gekommen wäre. Sie habe voraussehen müssen, dass sie dadurch arbeitslos werde. Ein wichtiger Grund für das Verhalten sei nicht mitgeteilt worden. Durch weiteren Bescheid vom 30. September 2010 stellte die Beklagte den Eintritt des Ruhens des Arbeitslosengeldbezuges im Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 30. März 2011 fest und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe eine Abfindung in Höhe von 75.060,00 Euro erhalten. Der Anspruch ruhe, da der Arbeitgeber ihr nur bei Zahlung einer Abfindung hätte ordentlich kündigen können. Hiermit werde sie so behandelt, als hätte sie eine Kündigungsfrist von 12 Monaten. Diese Frist sei nicht eingehalten worden, so dass Leistungen erst nach dem Ruhenszeitraum erhalten werden könnten.
Gegen beide Bescheide ließ die Klägerin durch Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. Oktober 2010 Widerspruch einlegen. Unter Verweis auf den zwischen der XY. Service-Center B-Stadt GmbH und ihrem Betriebsrat unter dem 15. Februar 2010 vereinbarten Interessenausgleich sowie Sozialplan und den darin in Bezug genommenen Tarifvertrag Schutzabkommen sowie die ebenfalls unter dem 15. Februar 2010 zwischen der XY. Service-Center B-Stadt GmbH und ihrem Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung werde erkennbar, dass seitens der Arbeitgeberin der Klägerin beabsichtigt war, die Betriebstätigkeit in B-Stadt vollständig einzustellen, mit der Folge, dass ein weiterer Einsatz der Arbeitnehmer bundesweit nur an anderen Orten möglich gewesen sei. Im Falle der Vermittlung eines solchen Arbeitsplatzes, der nach den betriebsinternen Bedingungen als zumutbar gegolten hätte, wäre gemäß § 2 Abs. (3) des Sozialplans jeder Abfindungsanspruch entfallen. Zudem lebe die Klägerin im Hause ihrer damals 76 und 78 Jahre alten Eltern, die zunehmend pflegebedürftig würden und auf ihre Versorgung und Unterstützung angewiesen wären. Insofern habe die Klägerin von Anfang an absehen können, dass sie nicht an einem weit entfernten anderen Ort arbeiten könne und habe vor diesem Hintergrund den Aufhebungsvertrag akzeptiert. Diese Umstände seien als wichtiger Grund im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III zu beurteilen, so dass die Voraussetzungen für eine Sperrzeit nicht gegeben seien. Zudem sei festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages am 30. März 2010 ordentlich unter Einhaltung der tarifvertraglich bestehenden Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Quartalsende kündbar gewesen sei. Diese Kündigungsfrist sei bei Abschluss des Aufhebungsvertrages eingehalten worden, so dass ein Ruhen des Arbeitslosengeldes nach § 143 a SGB III nicht in Betracht komme.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin bezüglich der Sperrzeit mit der Begründung zurück, die Klägerin habe das Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages aufgelöst, ohne eine konkrete Aussicht auf eine unmittelbar anschließende Dauerbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber gehabt zu haben. Somit sei die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Ein wichtiger Grund hierfür liege nicht vor. Zutreffend sei, dass der XY-Konzern die Schließung des XY. Service-Centers in B-Stadt zum 30. September 2010 beschlossen hatte. Eine arbeitgeberseitige Kündigung zu diesem Zeitpunkt sei jedoch nicht erfolgt bzw. hätte auch unter Beachtung der einfachen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Vierteljahresschluss nicht zum 30. September 2010 erfolgen können. Denn bevor eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen worden wäre, hätte der XY-Konzern im sogenannten Clearingverfahren für die Mitarbeiter eine andere (zumutbare) Beschäftigung im Konzernverbund gesucht. Alternativ sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2010 durch Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag unter Zahlung einer Abfindung mit der so genannten "Turboprämie" angeboten worden. Die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages sei bis 30. März 2010 angeboten worden. In das anschließende Clearingverfahren seien nur Mitarbeiter aufgenommen worden, welche sich nicht bis zum 30. März 2010 zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages entschlossen hätten. Das Clearingverfahren hätte im Laufe des Aprils 2010 erfolgen sollen. Hätte im Clearingverfahren ein zumutbarer Arbeitsplatz durch den XY-Konzern nicht angeboten werden können, wäre dann eine arbeitgeberseitige Kündigung erfolgt. Folglich hätte der Arbeitgeber keine betriebsbedingten Kündigungen zum 30. September 2010 ausgesprochen bzw. aussprechen können. Solche wären frühestens zum 31. Dezember 2010 möglich gewesen. Durch die Zustimmung zu dem Aufhebungsvertrag habe die Klägerin den Eintritt der Arbeitslosigkeit zu einem Zeitpunkt selbst verursacht, zu dem dieser bei Abwarten der arbeitgeberseitigen Kündigung nicht eingetreten wäre. Es seien auch keine Gründe erkennbar, welche das Abwarten einer Kündigung durch den Arbeitgeber unzumutbar gemacht hätten. Allein der Vorteil, zu der nach dem Sozialplan zustehenden Abfindung eine zusätzliche Prämie zu erhalten, lasse in der Zustimmung zu dem Aufhebungsvertrag einen wichtigen Grund nicht erkennen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 26. November 2010 wies die Beklagte auch den Widerspruch bezüglich des Ruhens zurück. Der Arbeitgeber wende den Tarifvertrag zum Schutz von Mitarbeitern im Konzern der XY. (TV Schutz) an. Nach § 6 Abs. 5 des Tarifvertrages seien Arbeitnehmer mit mindestens 15 Jahren Beschäftigungszeit unkündbar. Eine Öffnungsklausel bestehe nicht. Arbeitnehmer, welche noch nicht mindestens 15 Jahre beschäftigt waren, seien nach §§ 6 Abs. 1 und 2 des Tarifvertrages besonders kündigungsgeschützt. Für diese Arbeitnehmer bestehe eine tarifliche Öffnungsklausel, die den Arbeitgeber berechtige zu kündigen, wenn er keinen zumutbaren Arbeitsplatz innerhalb des Konzerns anbieten könne oder wenn der Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung pauschal ablehne. Wäre das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers mit weniger als 15 Jahren Betriebszugehörigkeit aufgrund eines in der tariflichen Öffnungsklausel benannten Sachverhalts beendet, betrage die fiktive Kündigungsfrist 1 Jahr, wenn der Arbeitnehmer eine Abfindung erhalte. Die Klägerin sei noch keine 15 Jahre bei dem XY-Konzern beschäftigt gewesen. Sie habe auf das so genannte Clearingverfahren verzichtet und dadurch Anspruch auf eine zusätzliche Prämie erhalten. Folglich gelte die Kündigungsfrist von 12 Monaten, weil die Klägerin durch die Zustimmung zum Aufhebungsvertrag auf den besonderen Kündigungsschutz verzichtet und eine Abfindung erhalten habe.
Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 22. November 2010 bezüglich der Sperrzeit richtet sich die am 23. Dezember 2010 bei dem Sozialgericht Kassel (SG) eingegangene Klage. Es sei, so die Begründung der Klägerin, von vornherein klar gewesen, dass im Clearingverfahren nur Arbeitsplätze in MX., AB. oder BJ. hätten angeboten werden können. Hätte sie diese Arbeitsplätze abgelehnt, wären nicht nur die Ansprüche aus dem Sozialplan entfallen, sondern sie hätte auch mit einer Kündigung ohne jede Abfindung rechnen müssen. Die objektive Unzumutbarkeit, im Alter der Klägerin eine Arbeitsstelle in einem so weit entfernten Ort aufzunehmen, stelle einen wichtigen Grund dar, so dass Veranlassung für eine Sperrzeit nicht gegeben sei.
Nach Auffassung der Beklagten wäre die Klägerin für den Fall, in dem sie dem Aufhebungsvertrag nicht zugestimmt hätte, in das Clearingverfahren aufgenommen worden, welches im April 2010 begonnen hätte. Eine arbeitgeberseitige Kündigung nach Feststellung, ob ein zumutbarer Arbeitsplatz nicht hätte angeboten werden können, wäre daher frühestens im April 2010 erfolgt. Somit sei eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2010 nicht mehr möglich gewesen.
Die vom SG Kassel im Rahmen seiner Sachermittlungen von Amts wegen an die XY. Service-Center B-Stadt GmbH mit Schreiben vom 28. Dezember 2010 gestellten Fragen wurden von dort unter dem 11. Januar 2011 wie folgt beantwortet:
1. Wie viele Mitarbeiter waren bei ihnen beschäftigt? Antwort: Im Januar 2010 waren 176 Mitarbeiter bei der XY. Service-Center B-Stadt GmbH beschäftigt.
2. Wie viele hiervon haben auf Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 15. Februar 2010 einen Aufhebungsvertrag geschlossen? Antwort: Auf Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 15. Februar 2010 haben 131 Beschäftigte einen Aufhebungsvertrag geschlossen.
3. Wie viele Mitarbeiter sind in das Clearingverfahren gegangen? Antwort: 25 Beschäftigte haben sich für das Clearingverfahren entschieden.
4. Welche konkreten Arbeitsplätze an welchen Standorten mit welchen Aufgaben hätten für diese Mitarbeiter konkret zur Verfügung gestanden? Antwort: Die Frage, welche Arbeitsplätze an welchen Standorten mit welchen Aufgaben zur Verfügung gestanden hätten, kann in dieser Form nicht beantwortet werden, da dies nicht Gegenstand des Verfahrens war. Im Rahmen der Vereinbarungen zum Interessenausgleich und Sozialplan wurde zusätzlich die "Betriebsvereinbarung zum freiwilligen Ausscheiden" geschlossen, um den Mitarbeitern eine Alternative zum Clearingverfahren zu bieten. Die Mitarbeiter hätten innerhalb der Frist die Möglichkeit gehabt, sich entweder für den Aufhebungsvertrag gemäß der Betriebsvereinbarung oder für die Aufnahme in das Clearingverfahren zu entscheiden. Ob konkret Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns zur Verfügung gestanden hätten, sei nicht geprüft worden. Die Suche nach konkreten alternativen Arbeitsplätzen habe für die Mitarbeiter, die sich gegen einen Aufhebungsvertrag und für das Clearingverfahren entschieden haben, im April 2010 begonnen. Als Vorbereitung für den Vermittlungsprozess sei für diesen Mitarbeiterkreis eine mit dem Betriebspartner abgestimmte, anonymisierte Qualifikationsliste erstellt worden. Im Anschluss hieran sei die Vermittlungstätigkeit aufgenommen worden ...
Auf weitere Anfrage des SG teilte das XY. Service-Center B-Stadt unter dem 10. Februar 2011 mit, dass es neue/alternative Beschäftigungsmöglichkeiten im Umkreis von 100 km nicht gäbe. Die regional nächstmöglichen Standorte, bei denen abstrakt ein Einsatz in Frage käme, befänden sich in JT. bzw. BG.
Nach Beiziehung des Arbeitsvertrags zwischen der Klägerin und der XY. AG vom 13. April 1995 sowie des Manteltarifvertrags Z. vom 18. November 2004 hat das SG die Klage mit Urteil vom 26. September 2011 abgewiesen. Die Klägerin habe durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages vom 30. März 2010 das Beschäftigungsverhältnis gelöst. Somit lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 SGB III vor. Zwischen der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses und der Arbeitslosigkeit habe auch ein ursächlicher Zusammenhang vorgelegen, da die Klägerin von ihrem Arbeitgeber zum gleichen Zeitpunkt nicht hätte gekündigt werden können. Ausweislich des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Manteltarifvertrages für die XY. Service-Center B-Stadt GmbH vom 31. Dezember 2004 hätte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres gekündigt werden können (§ 25 Abs. 2 6. Alt. MTV). Eine Kündigung hätte mithin in dem Fall, in dem die Klägerin keinen Aufhebungsvertrag abgeschlossen hätte, nur noch bis spätestens zum Ablauf des 31. März 2010 ausgesprochen werden können. Hieran sei die XY. aber rechtlich gehindert gewesen und es habe von Seiten der XY., wie von dieser mit Schreiben vom 11. Januar 2011 erklärt, auch keine Absicht bestanden, dies zu tun, da sie davon ausgegangen sei, dass für die Mitarbeiter, die keinen Aufhebungsvertrag geschlossen haben, das Clearingverfahren im April 2010 beginne. Rechtlich gehindert an einer Kündigung sei die XY. gewesen, weil § 6 Abs. 1 des Tarifvertrages Schutzabkommen in der Fassung vom 1. Oktober 1995 (TV-Schutz), der unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung gefunden habe, eine arbeitgeberseitige Kündigung unter den dort näher beschriebenen Umständen ausschloss. Aus der Regelung von § 3 Abs. 4 des Interessenausgleichs vom 15. Februar 2010 ergäbe sich nichts anderes. Zwar eröffne die Vorschrift scheinbar die Kündigungsmöglichkeit für den Fall, dass ein Mitarbeiter den Abschluss eines Aufhebungsvertrages abgelehnt habe oder sich innerhalb einer Frist von zwei Wochen nicht rückgeäußert habe. Indessen müsse die Vorschrift im Lichte des § 6 TV-Schutz ausgelegt werden, wonach ein Kündigungsrecht für den Arbeitgeber nur im Falle von § 6 Abs. 4 TV-Schutz bestehe, was hier indessen nicht der Fall gewesen sei, weil im Fall der Ablehnung des Aufhebungsvertrages zunächst das Clearingverfahren, welches im April 2010 begonnen habe, habe durchgeführt werden müssen. Eine Kündigung wäre danach frühestens erst mit Ablauf des 4. Quartals 2010 möglich gewesen. Ein wichtiger Grund habe der Klägerin ebenfalls nicht zur Seite gestanden. So sei bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die mit einer Kündigung typischerweise einhergehenden Nachteile nicht eingetreten wären. Anknüpfend hieran habe das BSG in seinem Urteil vom 17. November 2005 (= SozR 4-4300 § 144 Nr. 11) zur Mitwirkung eines leitenden Angestellten bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses entschieden, dass bereits das Interesse, sich (im Hinblick auf den ohnehin nicht zu vermeidenden Eintritt) durch den Aufhebungsvertrag wenigstens die ihm angebotene Abfindung zu sichern, im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes als schützenswert anzusehen sei und somit ein wichtiger Grund mithin bereits unter diesem Aspekt zu bejahen sei (BSG vom 12. Juli 2006, B 11a AL 47/05 R, BSGE 97, 1). Indessen müsse der wichtige Grund objektiv bestehen und insbesondere den Zeitpunkt der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses decken (Verweis auf BSG v. 12. November 1981, 7 Rar 21/81, SozR 4100 § 119 Nr. 17 sowie Literatur). Dies sei, wie ausgeführt, nicht der Fall gewesen, da die Arbeitgeberin nicht zum Zeitpunkt des Auslaufens des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2010 hätte kündigen können. Insoweit sei die nach Auffassung der Kammer unzutreffende Rechtsansicht der Klägerin, dass sie im Falle der Ablehnung eines Arbeitsangebotes in MX., AB. oder BJ. auch den Anspruch auf Auszahlung einer Abfindung komplett verloren hätte, ohne Bedeutung. Auch eine Reduzierung der Sperrzeit auf 6 Wochen wegen des Vorliegens einer besonderen Härte käme nicht in Betracht. Entsprechende Anhaltspunkte lägen zur Überzeugung der Kammer nicht vor. Es stehe zwar außer Zweifel, dass der Anreiz der Klägerin, die sogenannte "Turboprämie" in Höhe von zusätzlichen 1.500,00 Euro pro vollendetem Beschäftigungsjahr (Ziff. 6 der Betriebsvereinbarung vom 15. Februar 2010) neben der üblichen Abfindung zu realisieren, ausgesprochen hoch gewesen sei. Auf der anderen Seite dürften die Interessen der Versichertengemeinschaft bei der Beurteilung, ob eine besondere Härte vorliegt, nicht g änzlich unberücksichtigt bleiben. Zutreffend habe die Beklagte schließlich auch den Leistungsanspruch der Klägerin im Sinne von § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III um ein Viertel vermindert.
Gegen das dem Bevollmächtigten der Klägerin am 18. Oktober 2011 zugestellte Urteil hat dieser im Namen der Klägerin mit am 18. November 2011 bei dem SG per Boten eingelegten und am 29. November 2011 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen Schriftsatz vom 18. November 2011 Berufung eingelegt. Es komme bei der Frage, ob der Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für den Abschluss des Aufhebungsvertrages deshalb hat, weil der Arbeitgeber berechtigtermaßen mit einer betriebsbedingten Kündigung droht, nur auf die theoretische Möglichkeit einer solchen K ündigung an. In der konkreten Situation müsse die letztlich zur Abweisung der Klage führende Überlegung des Sozialgerichts Kassel, die Kündigung des Arbeitgebers sei nicht zu dem vereinbarten und fristgerechten Beendigungstermin am 30. September 2010 möglich gewesen, in den Hintergrund treten. Es seien alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen gewesen, was in dem Urteil nicht in ausreichendem Maße erfolgt sei. Dies betreffe insbesondere die Tatsache, dass die Klägerin im Falle der Ablehnung des arbeitgeberseitigen Angebots im März 2010 ihren Abfindungsanspruch völlig verloren hätte. Diese Abfindung in Höhe von 75.060,00 Euro führe jedoch dazu, dass sie insbesondere nach Ablauf des Arbeitslosengeld-Bezugszeitraumes der Solidargemeinschaft nicht durch die Inanspruchnahme von zusätzlichen Leistungen nach Hartz IV zur Last fallen müsse. Sie habe hierdurch ihre weiteren Jahre bis zum Erreichen des frühest möglichen Rentenalters abgesichert. Sie sei deshalb gezwungen gewesen, dieses Angebot anzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. September 2011 (S 3 AL 301/10) aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2010 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit ab 1. Oktober 2010 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung wird auf die ihrer Auffassung nach überzeugenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen. Im Übrigen habe das BSG schon in seiner bereits zitierten Entscheidung vom 17. November 2005 klargestellt, dass es mit der Zielsetzung der Sperrzeitregelung nicht vereinbar wäre, würde bei der Prüfung des wichtigen Grundes erst auf späteres Verhalten abgestellt, wobei explizit die Verwendung der Abfindung zum Lebensunterhalt und die damit verbundene Entlastung der Versichertengemeinschaft genannt würden. Zudem bleibe sie bei ihrer Auffassung, dass die Arbeitgeberin bei Nichtabschluss des Aufhebungsvertrages das Arbeitsverhältnis nicht zum 30. September 2010 durch ordentliche Kündigung hätte beenden können. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass der Standort zum 30. September 2010 geschlossen werde sollte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes – ausgehend von einem täglichen Leistungssatz von 37,22 Euro und einer 12-wöchigen Sperrzeit – den Betrag von 750,00 Euro bei weitem übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2010 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zutreffend den Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 23. Dezember 2010, das Ruhen des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld für diesen Zeitraum und die Minderung der Anspruchsdauer um 90 Tage festgestellt.
Zwar erfüllte die Klägerin in dieser Zeit alle in §§ 117 ff. SGB III in seiner bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (künftig: "a.F.") geregelten Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, nachdem sie ab 1. Oktober 2010 arbeitslos war, sich am 29. Juli 2010 arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Jedoch ruht der Anspruch der Klägerin wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.).
Eine Sperrzeit von zwölf Wochen wegen Arbeitsaufgabe tritt nach § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB III a.F. ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Klägerin, die keine konkreten Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hatte, hat durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages vom 30. März 2010 ihr Beschäftigungsverhältnis mit der XY. Service-Center B-Stadt GmbH gelöst und dadurch ihre Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Arbeitslosigkeit auch unabhängig vom Abschluss des Aufhebungsvertrages aufgrund einer ansonsten ausgesprochenen Arbeitgeberkündigung eingetreten wäre. Denn für die Beurteilung der Frage, ob eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zum Eintritt der Arbeitslosigkeit geführt hat, kommt es allein auf den tatsächlichen Geschehensablauf an (BSG SozR 4100 § 119 Nr. 24; BSGE 77, 48/51; BSGE 89, 243/245). Keine Beachtung findet demgegenüber ein hypothetischer Geschehensablauf, zu dem auch eine angedrohte betriebsbedingte Kündigung gehört (vgl. BSGE 97, 1). Eine Arbeitgeberkündigung zum Ablauf des 30. September 2010 war vorliegend jedoch gerade nicht ausgesprochen worden. Mit der Zustimmung zum Aufhebungsvertrag vom 30. März 2010 hat die Klägerin somit eine wesentliche Ursache zur endgültigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gesetzt. Unerheblich ist insoweit auch, ob die Initiative hierzu von ihr oder vom Arbeitgeber ausgegangen ist (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juni 1997, Az.: 7 RAr 22/96).
Nach Auffassung des Senats hat der Klägerin für ihr Verhalten auch kein wichtiger Grund zur Seite gestanden. Über das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nach der Rechtsprechung des BSG unter Berücksichtigung des Ziels der Sperrzeitregelung zu entscheiden. Diese dient dem Schutz der Versichertengemeinschaft vor Risikofällen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat. Eine Sperrzeit soll nur eintreten, wenn dem Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (vgl. BSGE 99, 154). Im Falle der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag und Zahlung einer Abfindung kann sich der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BSG auf einen wichtigen Grund dann berufen, wenn ihm der Arbeitgeber mit einer nach Arbeitsrecht objektiv rechtmäßigen betriebsbedingten Kündigung zu dem Zeitpunkt droht, zu dem er das Arbeitsverhältnis löst, und ihm die Hinnahme dieser Kündigung nicht zuzumuten ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2006, B 11a AL 47/05 R; BSG, Urteil vom 8. Juli 2009, B 11 AL 17/08 R). Vorliegend war jedoch – wie auch das Sozialgericht, zwar an anderer Stelle, jedoch völlig zutreffend, ausgeführt hat – zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages am 30. März 2010 eine objektiv rechtmäßige betriebsbedingte Kündigung zum Ablauf des 30. September 2010 gar nicht möglich, da zunächst das – für den Monat April 2010 vorgesehene – sog. Clearingverfahren durchzuführen war. Dies ergibt sich ohne Weiteres schon aus § 2 (4) des zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat unter dem 15. Februar 2010 geschlossenen Interessenausgleichs, wonach die Arbeitgeberin vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung verpflichtet war, den Versuch zu unternehmen, im sog. Clearingverfahren den Arbeitnehmer auf einen zumutbaren Arbeitsplatz zu vermitteln. Erst nach Durchlaufen dieses Vermittlungsverfahrens konnten – so ausdrücklich § 2 (5) des Interessenausgleichs – personelle Maßnahmen ergriffen werden. Damit hätte vorliegend frühestens im April 2010 als personelle Maßnahme eine betriebsbedingte Kündigung erklärt werden können, die – unter Beachtung der für die Klägerin maßgeblichen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (vgl. § 25 Abs. 2 6. Alt. des Manteltarifvertrages vom 31. Dezember 2004) – das Arbeitsverhältnis damit rechtmäßig erst zum Ablauf des 31. Dezember 2010 beendet hätte. Auf die Frage, ob die Klägerin auch im Falle der Ablehnung eines Arbeitsangebotes in MX., AB. oder BJ. den Anspruch auf Auszahlung einer Abfindung in jedem Fall komplett verloren hätte, kommt es daher gar nicht an. Indes dürfte diese von der Klägerin vertretene Rechtsansicht auch nach Einschätzung des Senates im Hinblick auf die von ihr selbst in die Argumentation eingeführte Versorgung und Unterstützung ihrer zunehmend pflegebedürftig werdenden Eltern nicht zwingend sein. Denn der ihr angebotene Arbeitsplatz hätte funktional, regional, zeitlich und (auch) sozial zumutbar sein müssen. Sozial zumutbar war ein Arbeitsplatz nach § 3 (1) 4. Spiegelstrich des Sozialplans vom 15. Februar 2010 u.a. jedoch nur, wenn dadurch nicht die aktuelle und in Zukunft erforderliche Betreuung und Versorgung pflegebedürftiger Ehegatten, Eltern oder Lebenspartner sowie pflegebedürftiger unterhaltsberechtigter Kinder, unmöglich gemacht wird. Hätte man der Klägerin im Hinblick auf ihre pflegebedürftigen Eltern somit keinen (sozial) zumutbaren Arbeitsplatz im Sinne des § 3 des Sozialplans anbieten können, hätte auch nicht die Ausschlussnorm des § 2 (3) des Sozialplans durchgegriffen, mit der Folge, dass ihr ein Anspruch auf die (normale) Abfindung im Sinne des § 6 des Sozialplans zugestanden hätte.
Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt nach § 144 Abs. 3 Satz 1 SGB III a.F. zwölf Wochen. Sie verkürzt sich nach Satz 2 Nr. 2b der Vorschrift auf sechs Wochen, wenn eine Sperrzeit von zwölf Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Das Vorliegen einer besonderen Härte ist von Amts wegen zu prüfen, der Beklagten steht dabei weder Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum zu, es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSG, SozR 4100 § 119 Nrn. 32 und 33; SozR 3 4100 § 119 Nr. 11). Diese gesetzliche Regelung entzieht sich grundsätzlich einer generalisierenden Betrachtung; vielmehr ist eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalls vorzunehmen. Nach dem Gesetzeswortlaut beurteilt sich das Vorliegen einer besonderen Härte allein nach den Umständen, die für den Eintritt der Sperrzeit maßgeblich sind, außerhalb des Sperrzeittatbestandes liegende Umstände können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BSGE 77, 61, 63 = SozR 3-4100 § 119a Nr. 3). In Betracht kommen insoweit Umstände des Beschäftigungsverhältnisses, aber auch persönliche und sonstige Umstände, die zwar von ihrem Gewicht her den Eintritt einer Sperrzeit nicht verhindern, aber aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls den Eintritt der Regelsperrzeit als besonders hart erscheinen lassen (vgl. BSGE 54, 7, 14 = SozR 4100 § 119 Nrn. 19 und 32; Curkovic in NK-SGB III, 3. Aufl., § 144 Rdnr. 192). Die unmittelbaren Folgen der Sperrzeit, die nach dem SGB III bei allen Betroffenen eintreten wie Ruhen und Kürzung des Leistungsanspruchs sollen nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keine Rolle spielen. Mittelbare Folgewirkungen sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots zu berücksichtigen (vgl. BSGE 77, 61, 63 = SozR 3-4100 § 119a Nr. 3).
Für den Senat sind keine Umstände ersichtlich, die von ihrem Gewicht her zwar den Eintritt einer Sperrzeit nicht verhindern, aber aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls den Eintritt der Regelsperrzeit als besonders hart erscheinen lassen. Wie bereits oben ausgeführt, hatte der Klägerin zum 30. September 2010 oder früher keine betriebsbedingte Kündigung ihres unbefristeten Arbeitsverhältnisses seitens der Arbeitgeberin gedroht. Gleichwohl hat sie sich entschlossen, ihr Beschäftigungsverhältnis zu beenden, anstatt die konkreten Ergebnisse des vorgesehenen Vermittlungsverfahrens abzuwarten. Schließlich weist der vorliegende Sachverhalt, dass Arbeitnehmern anlässlich einer Betriebsschließung der Abschluss von Aufhebungsverträgen angeboten und diesen nachdrücklich ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nahegelegt wird, keine relevanten Besonderheiten auf. Vielmehr handelt es sich um ein typisches Geschehen, das nicht aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls den Eintritt der Regelsperrzeit als besonders hart erscheinen lässt. Dass dieses Angebot vorliegend noch durch eine "Turboprämie" in Höhe von zusätzlichen 1.500,00 Euro pro vollendetem Beschäftigungsjahr neben der üblichen Abfindung besonders schmackhaft gemacht wurde, führt nach Auffassung des Senats zu keiner anderen Bewertung.
Die Beklagte hat den Beginn der Sperrzeit zutreffend auf den 1. Oktober 2010 und das Ende der Sperrzeit auf den 23. Dezember 2010 festgesetzt (§ 144 Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F.) und die Anspruchsdauer um 90 Tage gemindert (§ 128 Abs.1 Nr. 4 SGB III a.F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.