26.09.2013 · IWW-Abrufnummer 133018
Bundesfinanzhof: Urteil vom 26.06.1996 – X R 155/94
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BFH
26.6.1996
X R 155 / 94
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr 1987 als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin betrieb seit 1981 in einem Verkaufswagen einen Einzelhandel mit Frischfisch und Gemüse. Der Kläger war aufgrund eines mündlich vereinbarten Vertrags als einziger Verkäufer im Geschäft der Klägerin tätig. Die Kläger fuhren täglich gemeinsam über Land und boten ihre Ware an. Der Kläger betreute im Verkaufswagen die Fischabteilung, die Klägerin entsprechend der gesetzlich vorgeschriebenen Trennung der Lebensmittelbereiche die Gemüseabteilung. Der Kläger erhielt 1987 und 1988 wie in den Vorjahren und auch in den nachfolgenden Zeitr äumen ein Bruttogehalt von jährlich rd. 30 000 DM, das auf ein eigenes Konto des Klägers überwiesen wurde. Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge wurden ordnungsgemäß abgeführt. Außerdem hatte die Klägerin für den Kläger eine Direktversicherung mit einem jährlichen Beitrag von 2 400 DM abgeschlossen.
Bei einer Außenprüfung stellte der Prüfer fest, daß die Klägerin im Jahr 1987 die Monatsgehälter jeweils verspätet gezahlt hatte:
Monat Zahlungszeitpunkt
Januar 17. Februar 1987
Februar 3. April 1987
März 5. Mai 1987
April 26. Mai 1987
Mai 30. Juni 1987
Juni 10. Juli 1987
Juli 28. August 1987
August 29. September 1987
September 29. Oktober 1987
Oktober 13. November 1987
November 23. Dezember 1987
Dezember 29. Januar 1988
Im Jahr 1988 hatte der Kläger am 13. Mai 1988 vier Monatsgehälter, am 7. Juli 1988 zwei Monatsgehälter, am 13. Oktober 1988 drei Monatsgehälter, am 25. November 1988, 30. Dezember 1988 und am 27. Januar 1989 jeweils ein Monatsgehalt erhalten.
Wegen der unter Fremden nicht üblichen, verspäteten Gehaltszahlungen erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) in den geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1987 und 1988 das Arbeitsverhältnis zwischen den Ehegatten nicht mehr an. Der Einspruch der Kläger war erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) behandelte die Gehaltszahlungen für das Jahr 1987 als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers und berücksichtigte dementsprechend die Gehaltszahlungen sowie die Beiträge an die Direktversicherung als Betriebsausgaben der Klägerin. Es setzte die Einkommensteuer für 1987 von 9 366 DM auf 7 396 DM herab. Im übrigen wies es die Klage ab. Es führte aus: Arbeitsverhältnisse zwischen Ehegatten könnten steuerlich nur anerkannt werden, wenn das vereinbarte Gehalt zeitgerecht, d. h. an den üblichen Lohnzahlungszeitpunkten tatsächlich ausgezahlt werde. Nur ausnahmsweise könne eine verspätete Gehaltszahlung steuerlich unschädlich sein, z. B., wenn beachtliche betriebliche Gründe zu einer kurzfristigen Verschiebung einzelner Gehaltszahlungen führten. Derartige betriebliche Ausnahmegründe lägen im Streitfall nicht vor.
Diese Grundsätze seien jedoch nicht schematisch und formalistisch anzuwenden. Vielmehr seien die einzelnen Umstände des Arbeitsverhältnisses in ihrer Bedeutung für die Beurteilung der betrieblichen Veranlassung der Gehaltszahlungen zu gewichten. Im Streitfall führe die Abwägung zur Anerkennung des Arbeitsverhältnisses. Die Verschiebungen der Lohnzahlungen bis zu einem Monat seien zeitlich nur geringfügig. Entscheidend sei daher die vor 1987 vom FA nicht beanstandete Abwicklung des langjährigen Arbeitsverhältnisses, die Abführung der Lohnsteuer und der Sozialabgaben sowie der Umstand, daß der Betrieb der Klägerin auf eine ganztägig arbeitende weitere Arbeitskraft angewiesen gewesen sei. -- Die Unregelmäßigkeiten bei den Gehaltszahlungen im Jahr 1988 seien dagegen derart schwerwiegend, daß eine familiäre Veranlassung für die Beschäftigung des Klägers nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Für das Streitjahr 1988 wies das FG die Klage daher ab.
Mit der Revision macht das FA für das Streitjahr 1987 weiterhin geltend, das Arbeits verhältnis sei aufgrund der unregelmäßigen Gehaltszahlungen steuerlich nicht anzuerkennen. Das FG sei bei seiner Abwägung zu Unrecht von ordnungsgemäßen Gehaltszahlungen vor 1987 ausgegangen. Hierfür gebe es keinerlei Anhaltspunkte, insbesondere könnten ordnungsgemäße Zahlungen nicht daraus abgeleitet werden, daß der Betriebsprüfer keine entgegenstehenden Feststellungen getroffen habe. Die Jahre vor 1987 seien nicht geprüft worden.
Hilfsweise trägt das FA vor, das FG habe jedenfalls die Einkommensteuer zu niedrig berechnet. Erkenne man die Gehaltszahlungen als Betriebsausgaben an, sei die Gewerbesteuerrückstellung gewinnerhöhend aufzulösen und der Vorwegabzug bei der Berechnung des Höchstbetrags der Vorsorgeaufwendungen um die Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu kürzen. Der hieraus folgenden Steuerberechnung schlossen sich die Kläger in der Revisionserwiderung an.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung betreffend Einkommensteuer 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Einkommensteuer auf 8 558 DM festzusetzen.
Die Kläger beantragen, die Einkommensteuer 1987 auf 8 558 DM festzusetzen und die Revision im übrigen zurückzuweisen.
Gründe
1. Hinsichtlich des Hauptantrags ist die Revision des FA unbegründet. Zu Recht hat das FG das Ehegattenarbeitsverhältnis für das Streitjahr 1987 trotz der jeweils verspäteten Gehaltszahlungen anerkannt.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können Leistungen aufgrund eines zwischen Ehegatten abgeschlossenen Arbeitsvertrages gemäß § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Betriebsausgaben nur dann abgezogen werden, wenn der Abschluß eines Arbeitsvertrages ernstlich gewollt ist, der Vertrag vereinbarungsgemäß durchgeführt wird und die Vertragsbedingungen angemessen und üblich sind, also einem Fremdvergleich standhalten (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 25. Juli 1991 XI R 30, 31/89, BFHE 165, 89, BStBl 1991 II S. 842).
In Anwendung dieser Grundsätze verlangt die BFH-Rechtsprechung insbesondere, daß das vereinbarte Gehalt auch tatsächlich zeitgerecht ausgezahlt wird (z. B. BFH-Urteil vom 13. November 1986 IV R 322/84, BFHE 148, 168, BStBl 1987 II S. 121). Nur in besonderen Ausnahmefällen ist die Nichtauszahlung des Gehalts zum Fälligkeitszeitpunkt unschädlich, beispielsweise wenn ein steuerlich zu beachtender Darlehensvertrag abgeschlossen wurde oder wenn beachtliche betriebliche Gründe zu einer kurzfristigen Verschiebung einzelner Gehaltszahlungen geführt haben (z. B. BFH-Urteile vom 31. Oktober 1989 VIII R 293/84, BFH/NV 1990, 759; vom 24. Januar 1990 X R 152/87, BFH/NV 1990, 695, und in BFHE 165, 89, BStBl 1991 II S. 842, m. w. N.).
Diese Grundsätze sind jedoch nicht schematisch in dem Sinne anzuwenden, daß Abweichungen zwischen vereinbarten und tatsächlichen Gehaltszahlungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Ausmaß in allen Fällen zur Folge haben, daß ein Arbeitsverhältnis steuerlich nicht anzuerkennen ist. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei können gewichtige sonstige Umstände, die für ein ernsthaftes Arbeitsverhältnis sprechen (z. B. die langjährige beanstandungsfreie Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses; die Abführung der Lohnsteuer und der Sozialabgaben), trotz verspäteter Lohnzahlungen den Ausschlag geben (BFH-Urteile in BFHE 165, 89, BStBl 1991 II S. 842, und vom 7. September 1995 III R 24/91, BFH/NV 1996, 320).
Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. November 1995 2 BvR 802/90 ( BStBl 1996 II S. 34 unter B.I.2.) bestätigt diese Grundsätze. Danach darf ein einzelnes Indiz -- die Gehaltszahlung auf ein sog. Oder-Konto -- nicht zu einem zusätzlichen Tatbestandsmerkmal verselbständigt werden, das schon für sich genommen das Bestehen eines Arbeitsverhä ltnisses ausschließt. Nichts anderes gilt für das Indiz „Zeitpunkt der Gehaltszahlung”. Es ist im Rahmen der gebotenen Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, muß aber nicht in allen Fällen ausschlaggebend sein.
Die gebotene Würdigung aller Umstände des Einzelfalls obliegt grundsätzlich dem FG als Tatsacheninstanz (BFH/NV 1996, 320 unter 2., m. w. N.).
b) Das Urteil des FG entspricht diesen Grundsätzen. Seine Tatsachenwürdigung ist im Streitfall revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG konnte die gegen Betriebsausgaben sprechende zeitliche Verschiebung der Gehaltszahlungen um bis zu etwa einem Monat über den Fälligkeitszeitpunkt (vgl. § 614 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) hinaus als gegenüber den sonstigen Umständen unmaßgeblich ansehen.
Für die betriebliche Veranlassung der Gehaltszahlungen wertete das FG die Abführung der Lohnsteuer und der Sozialabgaben, den Umstand, daß der Betrieb der Klägerin auf eine zusätzliche Ganztagsarbeitskraft angewiesen war und daß das Gehalt, wenn auch verspätet, regelmäßig gezahlt wurde. Ferner sah es den langjährig nicht beanstandeten Vollzug des Arbeitsverhältnisses als Indiz für das Vorliegen von Betriebsausgaben an. Diese Gesamtabwägung verstößt weder gegen Erfahrungssätze noch gegen die Denkgesetze (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 23).
Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die Denkgesetze darin, daß das FG aufgrund der unstreitigen Anerkennung des Arbeitsverhältnisses im Zeitraum vor 1987 davon ausgeht, es sei in den Vorjahren tatsächlich ordnungsgemäß durchgeführt worden. Darin liegt eine zwar nicht zwingende, aber mögliche Schlußfolgerung tatsächlicher Art, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO).
2. Hinsichtlich des Hilfsantrags führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie die Einkommensteuerfestsetzung 1987 betrifft. Die Einkommensteuer für 1987 wird entsprechend dem Antrag des FA, dem die Kläger zugestimmt haben, auf 8 558 DM festgesetzt (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Das FG hat bei der Ermittlung der Einkommensteuer für 1987 nicht berücksichtigt, daß die Anerkennung des Ehegattenarbeitsverhältnisses sich nicht nur auf die Höhe der gewerblichen Einkünfte, sondern auch auf die Gewerbesteuerrückstellung und den nach § 10 Abs. 3 EStG abziehbaren Sonderausgaben-Höchstbetrag auswirkt.