· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Aktuelle Fallstricke bei der Zuordnung der Warenbewegung in Reihengeschäften
| Vertriebsgesellschaften werden häufig eingesetzt, um das Haftungsrisiko für die (vermögende) Produktionsgesellschaft zu minimieren. Durch die Zwischenschaltung der Vertriebsgesellschaft kommt es jedoch oft zu umsatzsteuerlichen Reihengeschäften, die sinnvoll gestaltet werden sollten. Das Problem: Die Finanzverwaltung und der BFH haben hier mitunter verschiedene Sichtweisen, was die Rechtssicherheit erheblich erschwert. |
1. Sachverhalt
Peter Müller ist Alleineigentümer der Müller Bohrmaschinen GmbH (nachfolgend M1 genannt) mit Sitz in München. Das Unternehmen stellt Bohrmaschinen her und verkauft sie überwiegend an Baumärkte in den Niederlanden (NL). Der Gesellschaft gehören die Firmengrundstücke, Gebäude und der gesamte Maschinenpark. Um die Gesellschaft vor eventuellen Haftungsrisiken zu schützen, sollen die Verkäufe künftig über eine eigene (weitestgehend vermögenslose) Vertriebsgesellschaft (Müller Vertriebs-GmbH (M2)) abgewickelt werden. Diese soll am Markt in eigenem Namen und für eigene Rechnung auftreten.
Da der Warentransport (weiterhin) unmittelbar von M1 an die Endkunden in den Niederlanden erfolgen soll, liegt ein umsatzsteuerliches Reihengeschäft vor, da mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und die Ware unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt (§ 3 Abs. 6 S. 5 UStG):
Bei Reihengeschäften kann nur eine Lieferung die bewegte Lieferung sein und nur diese kann eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1b UStG) darstellen. Die weiteren Lieferungen stellen ruhende Lieferungen dar. Das gestalterische Ziel sollte die Zuordnung der Warenbewegung zur zweiten Lieferung sein, da dann die Steuerbefreiungsmöglichkeit des § 6a UStG mit der grenzüberschreitenden Lieferung zusammenfällt. Inwiefern das möglich ist, wird nachfolgend betrachtet.
2. Lösung
Bei Zuordnung der Warenbewegung in umsatzsteuerlichen Reihengeschäften sind drei Fälle zu unterscheiden:
2.1 Transport durch Müller Bohrmaschinen GmbH (M1)
Nach A 3.14 Abs. 8 S. 1 UStAE wird die Warenbewegung bei einer Transportverantwortung des M1 zwingend der ersten Lieferung (M1 an M2) zugeordnet. Demnach könnte M1 seine Lieferung (unter den weiteren Voraussetzungen des § 6a UStG) umsatzsteuerfrei belassen. M2 müsste sich aber in den Niederlanden - zur Deklaration seines dortigen innergemeinschaftlichen Erwerbs und der nachfolgenden niederländischen Inlandslieferung - registrieren lassen. Die von M2 gewünschte Steuerbefreiung seiner Lieferung nach § 6a UStG wäre demnach nicht möglich, da seine Lieferung an NL die unbewegte Lieferung darstellt.
Während die gewünschte Zuordnung der Warenbewegung nach Ansicht der Finanzverwaltung nur mittels gestalterischer Transportunterbeauftragung erreicht werden kann, könnte dieses Ergebnis auf Basis der jüngeren Rechtsprechung ebenfalls möglich sein. Der BFH (25.2.15, XI R 30/13) hat nämlich der BMF-These in A 3.14 Abs. 8 S. 2 UStAE widersprochen, wonach die Warenbewegung bei einer Warenabholung durch den letzten Abnehmer zwingend der zweiten Lieferung zuzuordnen ist. Der BFH stellte unter Berufung auf die EuGH-Rechtsprechung vielmehr klar, dass hinsichtlich der Warenbewegungszuordnung die Frage nach Zeitpunkt/Ort der Verfügungsmachtverschaffung des mittleren an den letzten Unternehmer (allein-)entscheidungsrelevant ist.
Der hier thematisierte Fall (Transport durch den ersten Lieferer M1) wurde bislang in keiner BFH- oder EuGH-Entscheidung explizit angesprochen. Anhand der BFH-Ausführungen ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb diese zentrale Frage der Verfügungsmachtverschaffung nur bei einer Transportverantwortung des mittleren oder letzten Unternehmers und nicht in gleicher Weise auch bei den Fällen der Transportverantwortung des ersten Unternehmers (hier M1) relevant sein soll. Sollte der BFH dies in Folgeentscheidungen bestätigen, würde dies zumindest dann zur gestalterischen Lösung verhelfen, wenn der mittlere Unternehmer (M2) dem letzten Unternehmer (NL) Verfügungsmacht an der Ware bereits im Ursprungsland (Deutschland) verschafft haben sollte und dies dem FA z. B. anhand der Lieferkonditionen nachgewiesen werden kann.
Kurzum: Die gewünschte Zuordnung der Warenbewegung zur zweiten Lieferung (M2 an NL) ist bei einer Transportverantwortung des M1 - mit Ausnahme der Gestaltung durch Transportunterbeauftragung - kaum rechtssicher möglich.
2.2 Transport durch Müller Vertriebs-GmbH (M2)
Liegt die Transportverantwortung bei M2, sind beide Warenbewegungszuordnungen denkbar, wobei das BMF für M2 in A 3.14 Abs. 9, 10 UStAE ein Gestaltungswahlrecht bereithält:
- Grundsatz: § 3 Abs. 6 S. 6 1. HS UStG geht von einer - für die Beteiligten unerwünschten - Zuordnung der Warenbewegung zur ersten Lieferung (M1 an M2) aus.
- Aber: Nach Meinung der Finanzverwaltung kann M2 durch seinen Nachweis, dass er beim Transport als Lieferer agiert, die gewünschte Zuordnung zur zweiten Lieferung (M2 an NL) erreichen.
Als Nachweis für sein Agieren als Lieferer fordert das BMF von M2 das Auftreten gegenüber M1 unter seiner deutschen USt-IdNr. sowie den Nachweis, dass er Gefahr und Kosten der Beförderung oder Versendung übernommen hat. Im Ergebnis ist dies dann der Fall, wenn M2 ausweislich der vereinbarten Lieferkonditionen dem Baumarkt Verfügungsmacht an der Ware erst im Bestimmungsland (Niederlande) verschafft. Sollte M2 die Verfügungsmacht nach den Lieferkonditionen bereits in Deutschland verschafft haben, lässt sich das gewünschte Ergebnis der Warenbewegungszuordnung zur zweiten Lieferung zumindest auf Basis der BMF-Weisungslage nicht erreichen.
Allerdings führt hier eine Berufung auf die EuGH- und BFH-Rechtsprechung zum gewünschten Ergebnis, denn ausweislich der jüngeren Rechtsprechung erfolgt eine Warenbewegungszuordnung zur zweiten Lieferung (M2 an NL) gerade dann, wenn der Mittlere (M2) dem Letzten (NL) Verfügungsmacht an der Ware bereits im Ausgangsstaat (Deutschland) verschafft.
2.3 Transport durch niederländische Baumärkte
Nach Ansicht des BMF ist die Warenbewegungszuordnung zur zweiten Lieferung (M2 nach NL) bei einer Warentransportverantwortung des niederländischen Baumarktes „garantiert“ (vgl. A 3.14 Abs. 8 S. 2 UStAE). Weiterer Überlegungen oder einer Befassung mit der jüngeren Rechtsprechung bedarf es daher nicht.
FAZIT | Bereits Ende 2015 hat das BMF an die Verbände einen Diskussionsentwurf für eine gesetzliche Regelung zur rechtssicheren Bestimmung der bewegten Lieferung in einem Reihengeschäft versandt. Ein Gesetzgebungsverfahren ist hieraus allerdings (noch) nicht geworden. Angesichts der bald anstehenden Bundestagswahlen ist zu befürchten, dass auch in 2017 keine gesetzgeberische Klarheit erzielt werden wird.
Bis endlich (gesetzgeberische) Sicherheit besteht, sollte der Praktiker seine Gestaltungen an der Weisungslage des BMF ausrichten. Denn eine derartige Ausrichtung werden die FÄ bei späteren Außenprüfungen - trotz gegenteiliger Rechtsprechung - regelmäßig nicht beanstanden. Nur wenn das unternehmerisch gewünschte Ergebnis mittels der Weisungslage des BMF nicht erzielbar ist, sollte im zweiten Schritt geprüft werden, ob anhand der (in weiten Teilen zur BMF-Weisung konträren) Rechtsprechung das gewünschte Besteuerungsergebnis erreicht werden kann. |