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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Anschaffungsnahe Herstellungskosten: Vorsicht bei unerwarteten Sanierungskosten!

    | Hohe Sanierungskosten sind immer ein Ärgernis. Noch ärgerlicher ist es aber, wenn man diese Kosten nicht unmittelbar steuerlich nutzen kann! Eine große „Gefahrenquelle“ hierfür stellt die Regelung zu den anschaffungsnahen Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG) dar. Der praktische Fall zeigt, dass man seine Mandanten frühzeitig über die Wirkungsweise der Vorschrift informieren und mögliche Handlungsalternativen diskutieren sollte. |

    1. Sachverhalt

    Die X-GmbH hat am 14.7.18 für 550.000 EUR eine Lagerhalle inklusive Grundstück erworben (Anteil GruBo = 100.000 EUR). Da der Innenputz schon etwas in die Jahre gekommen ist, soll die Lagerhalle neu verputzt und gestrichen werden (Kosten: 30.000 EUR). Die Renovierungskosten möchte die X-GmbH unmittelbar steuerlich nutzen, um ihre derzeit hohen steuerlichen Ergebnisse zumindest etwas zu mindern.

     

    Bei den Malerarbeiten fällt auf, dass das Flachdach der Lagerhalle seit Jahren etwas undicht ist und erneuert werden sollte (erwartete Kosten: 40.000 EUR). Wegen der Höhe der zu erwartenden Gesamtkosten fragt der Geschäftsführer der X-GmbH bei seinem Steuerberater nach, ob er etwas beachten muss, um den sofortigen Betriebsausgabenabzug nicht zu gefährden.

    2. Lösung

    Der Steuerberater der X-GmbH ordnet die Renovierungskosten zunächst systematisch ein und prüft dann, ob anschaffungsnahe Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG) vorliegen.

     

    2.1 Systematische Einordnung

    Um zu beurteilen, ob die Renovierungskosten als Erhaltungsaufwand unmittelbar geltend gemacht werden können, empfiehlt sich eine systematische Prüfung anhand der folgenden 6 Fragen. Können alle Fragen mit „nein“ beantwortet werden, handelt es sich um Erhaltungsaufwand.

     

    2.1.1 Entsteht durch die Sanierung ein neues Gebäude?

    In Ausnahmefällen können die Baumaßnahmen an einem Gebäude so umfassend sein, dass hierdurch ein gänzlich neues Gebäude entsteht. Dies ist z. B. der Fall, wenn das Gebäude wegen schwerer Substanzschäden unbrauchbar (= Vollverschleiß) geworden ist (BMF 18.7.03, IV C 3 - S 2211- 94/03, Rz. 18). In diesen Fällen sind die gesamten Kosten zu aktivieren und abzuschreiben.

     

    Bei der X-GmbH ist zwar das Dach undicht, aber die gesamte Dachkonstruktion, die tragenden Wände und Geschossdecken sind hiervon nicht berührt. Durch die Maler-/Dachdeckerarbeiten entsteht somit kein neues Gebäude.

     

    2.1.2 Entsteht durch die Sanierung ein anderes Gebäude?

    Im nächsten Schritt sollte geprüft werden, ob durch die Baumaßnahmen ein anderes Gebäude entsteht. Dies ist der Fall, wenn das bisherige Gebäude im Wesen so tiefgreifend umgestaltet wird, dass die eingefügten Teile der Gesamtsache das Gepräge geben und die verwendeten Altteile bedeutungs- und wertmäßig untergeordnet erscheinen (H 7.3 „Nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten“ EStH).

     

    Ein anderes Gebäude würde z. B. entstehen, wenn die bisherige Lagerhalle zukünftig als Wohnhaus genutzt würde. Die Maler- und Dachdeckerarbeiten stellen jedoch keine so tiefgreifende Umgestaltung dar, dass hierdurch ein anderes Gebäude entstehen würde.

     

    2.1.3 Stellen die Sanierungskosten weitere Anschaffungskosten dar?

    Sanierungskosten gehören zu den Anschaffungskosten, wenn sie erforderlich sind, um das Gebäude in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen (§ 255 Abs. 1 HGB). Ein Gebäude ist betriebsbereit, wenn es entsprechend seiner Zweckbestimmung (hier Lagerung von Wirtschaftsgütern) genutzt werden kann.

     

    Bereits im Zeitpunkt des Erwerbs konnte die X-GmbH die Lagerhalle nutzen. Sowohl die erwarteten als auch die unerwarteten Sanierungskosten sind somit nicht als zusätzliche Anschaffungskosten zu klassifizieren.

     

    2.1.4 Liegt eine Erweiterung vor?

    Eine Gebäudeerweiterung und damit Herstellungskosten nach § 255 Abs. 2 S. 1 HGB liegen in folgenden Fällen vor:

    • Anbau oder Aufstockung,
    • Vergrößerung der Nutzfläche oder
    • Vermehrung der Substanz.

     

    Da die Lagerfläche und die Nutzungsmöglichkeiten durch die Sanierung nicht vergrößert werden, liegt keine Erweiterung vor.

     

    2.1.5 Sanierung als wesentliche Verbesserung?

    Eine wesentliche Verbesserung i. S. des § 255 Abs. 2 S. 1 HGB liegt vor, wenn die Renovierung über eine zeitgemäße, substanzerhaltende Erneuerung hinausgeht und den Gebrauchswert des Gebäudes insgesamt deutlich erhöht. Hiervon geht das BMF (18.7.03, a. a. O., Rz. 28) aus, wenn der Gebrauchswert des Gebäudes von einem sehr einfachen auf einen mittleren oder von einem mittleren auf einen sehr anspruchsvollen Standard gehoben wird.

     

    Unabhängig von den erwarteten Kosten stellen die Maler- und Dachdeckerarbeiten der X-GmbH nur eine substanzerhaltende Erneuerung dar. Es handelt sich somit um keine wesentliche Verbesserung des Gebäudes.

     

    2.1.6 Handelt es sich um anschaffungsnahe Herstellungskosten?

    Die ersten 5 Fragen konnten erfreulicherweise mit „nein“ beantwortet werden. Ein sofortiger Betriebsausgabenabzug ist aber nur dann möglich, wenn darüber hinaus keine anschaffungsnahen Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG) vorliegen.

     

    Anschaffungsnahe Herstellungskosten liegen vor, wenn innerhalb von 3 Jahren nach dem Gebäudekauf Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden, deren Nettoaufwendungen 15 % der Gebäude-Anschaffungskosten übersteigen.

     

    MERKE | Gesetzlich ausgenommen sind explizit die Aufwendungen für Erweiterungen i. S. des § 255 Abs. 2 S. 1 HGB sowie Aufwendungen für Erhaltungsarbeiten, die jährlich üblicherweise anfallen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a S. 2 EStG). In der Literatur war lange umstritten, ob auch Schönheitsreparaturen (z. B. Malerarbeiten) als anschaffungsnahe Herstellungskosten zu klassifizieren sind. Hierzu hat der BFH in 2016 Folgendes herausgestellt: Zu den üblicherweise jährlich anfallenden Erhaltungsarbeiten zählen Schönheitsreparaturen nicht, da diese im Regelfall nicht jährlich vorgenommen werden (BFH 14.6.16, IX R 22/15). Die Malerarbeiten der X-GmbH sind somit bei der Prüfung der 15 %-Grenze einzubeziehen.

     

    Hinsichtlich der Berücksichtigung der Dachdeckerkosten könnte argumentiert werden, dass es sich um eine ungeplante Renovierung handelt, die beim Erwerb nicht beabsichtigt war. Diese Argumentation ist jedoch erfolglos. Denn der BFH (13.3.18, IX R 41/17) hat jüngst entschieden, dass Kosten für Instandsetzungsmaßnahmen zur Beseitigung verdeckter ‒ im Zeitpunkt der Anschaffung des Gebäudes jedoch bereits vorhandener ‒ Mängel den anschaffungsnahen Herstellungskosten zuzuordnen sind. Gleiches gilt für Kosten zur Beseitigung von bei der Anschaffung angelegter, aber erst nach dem Erwerb auftretender altersüblicher Mängel und Defekte.

     

    MERKE | Aufwendungen zur Beseitigung von Schäden, die im Zeitpunkt der Anschaffung nicht vorhanden und auch noch nicht angelegt waren, sondern nachweislich erst zu einem späteren Zeitpunkt durch das schuldhafte Handeln eines Dritten am Gebäude verursacht worden sind, sind hingegen nicht den anschaffungsnahen Herstellungskosten zuzuordnen (BFH 9.5.17, IX R 6/16). Es kommt also darauf an, ob ein Schaden bereits beim Immobilienerwerb „angelegt“ war oder erst später ‒ wie im Fall der Einwirkung durch Dritte ‒ entstanden ist.

     

    Da sowohl die Malerarbeiten (30.000 EUR) als auch die Dachdeckerkosten (40.000 EUR) in die Überprüfung der 15 %-Grenze einzubeziehen sind, ist nun zu ermitteln, wie hoch die betragsmäßige Begrenzung ist:

     

    • Ermittlung der 15 %-Grenze

    Anschaffungskosten des Gebäudes

    450.000 EUR

    × 15 % = Grenze der anschaffungsnahen Herstellungskosten

    67.500 EUR

     

    FAZIT | Da die geplanten Aufwendungen (insgesamt 70.000 EUR) die 15 %-Grenze übersteigen würden, müsste sie die X-GmbH als anschaffungsnahe Herstellungskosten aktivieren und abschreiben. Als Rettungsanker bleibt in diesem Fall nur eine Reduzierung der Kosten oder eine etwaige zeitliche Verschiebung der Dachdeckerarbeiten (= Nutzung der Dreijahresfrist).

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2018 | Seite 190 | ID 45507916