· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende bei Hochzeit/Trennung
von Dipl.-Finw. Marvin Gummels, Hage, www.steuer-webinar.de
| Alleinerziehende haben es mit der Kinderbetreuung nicht einfach. Deshalb werden sie vom Staat mit einem Entlastungsbetrag (§ 24b EStG) unterstützt. Das Problem: Das FA hat den Entlastungsbetrag im Jahr der Eheschließung bzw. Trennung infolge der möglichen Zusammenveranlagung mit dem (neuen) Partner bisher nicht anerkannt. Doch das ist „Schnee von gestern“. Wie der BFH jüngst urteilte, ist eine zeitanteilige Berücksichtigung auch im Jahr der Eheschließung bzw. Trennung zulässig. Wie sich das auswirkt, zeigt MBP anhand eines praktischen Falls. |
1. Sachverhalt
Melanie ist nicht verheiratet. Sie wohnt alleine mit ihren beiden minderjährigen Töchtern in einem Einfamilienhaus. Das gleiche Schicksal teilt auch Peter. Er wohnt nur wenige Straßen entfernt alleine mit seinem minderjährigen Sohn in einer Mietwohnung. Anfang 2020 lernen sich Melanie und Peter kennen. Im Dezember 2020 geben sie sich das „Ja“-Wort und ziehen noch im Dezember zusammen in das Einfamilienhaus von Melanie.
Für die Jahre 2020 und 2021 beantragen sie die Zusammenveranlagung. Im Jahr 2022 läuft es nicht mehr so gut. Peter zieht im Mai zu einer neuen „Bekanntschaft“. Das Paar trennt sich und beantragt die Scheidung. Da Melanie und Peter nichts mehr miteinander zu tun haben wollen, beantragen sie für 2022 eine Einzelveranlagung.
Bei Abgabe der Steuererklärungen stellt sich für Melanie und Peter die Frage, ob sie für 2020 und 2022 den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende beanspruchen können ‒ und falls ja, auf welche Höhe sich dieser beläuft.
2. Lösung
Der in § 24b EStG verankerte Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wird von der Summe der Einkünfte abgezogen, wenn der Steuerpflichtige folgende Voraussetzungen erfüllt:
- 1. Er ist alleinstehend.
- 2. Zu seinem Haushalt gehört mindestens ein Kind.
- 3. Für das Kind hat er Anspruch auf Kinderfreibetrag/Kindergeld.
- 4. Er stellt einen Antrag und gibt die Identifikationsnummer des Kindes an.
2.1 Alleinstehend
Nach § 24b Abs. 3 EStG ist der Steuerpflichtige alleinstehend, wenn er nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens (§ 26 Abs. 1 EStG) erfüllt und keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bildet.
Ausnahme: Hat der Steuerpflichtige für die in seinem Haushalt lebende weitere volljährige Person Anspruch auf Kindergeld/-freibeträge, gilt er dennoch als alleinstehend. Unschädlich ist auch das Zusammenleben mit anderen minderjährigen Personen.
Ist die andere Person mit Haupt- oder Nebenwohnsitz in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet, wird vermutet, dass sie mit dem Steuerpflichtigen eine Haushaltsgemeinschaft bildet (§ 24b Abs. 3 S. 2 EStG). Diese Vermutung ist zwar widerlegbar. Allerdings obliegt dem Steuerpflichtigen die Beweis- und Feststellungslast, Umstände vorzutragen, die gegen eine Haushaltsgemeinschaft sprechen.
Beachten Sie | Leben der Steuerpflichtige und die andere Person in einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, wird eine Haushaltsgemeinschaft unwiderlegbar vermutet (§ 24b Abs. 3 S. 3 EStG).
Zurück zum praktischen Fall: Nach der bisher (auch von der Finanzverwaltung) vertretenen Sichtweise kann sowohl für das Jahr der Eheschließung (2020) als auch für das Jahr der Trennung (2022) kein Entlastungsbetrag gewährt werden. Denn in beiden Jahren erfüllen Melanie und Peter die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens (§ 26 Abs. 1 EStG). Doch der BFH (28.10.21, III R 57/20 und III R 17/20) hat das nun anders gesehen:
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Diese von der Praxis und herrschenden Meinung der Literatur abweichende Auffassung begründet der BFH u. a. damit, dass sich der Entlastungsbetrag für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 EStG nicht vorliegen, um ein Zwölftel ermäßigt (§ 24b Abs. 4 EStG). Zwar gilt das Splittingverfahren im Jahr der Eheschließung für das komplette Jahr. Dennoch haben die Steuerpflichtigen bis zum Zeitpunkt der Eheschließung infolge des Alleinerziehens Aufwendungen zu tragen, die durch den Entlastungsbetrag abzugelten sind. Denn die Belastungen durch das Alleinerziehen entfallen nicht rückwirkend durch die Ehegattenveranlagung.
Zudem bewirkt das Splittingverfahren nicht in jedem Fall eine Entlastung der Ehegatten. Diese hängt von der Höhe der jeweiligen Einkünfte beider Ehegatten und vom Progressionssatz ab. Die Zusammenveranlagung wirkt sich kaum aus, wenn beide Ehegatten erwerbstätig sind und Einkünfte in ähnlicher Höhe erzielen.
Nach Auffassung des BFH vermeidet seine Auslegung des § 24b Abs. 3 und Abs. 4 EStG mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse.
Beachten Sie | Der BFH musste nicht entscheiden, wie die Rechtslage ist, wenn Ehegatten für das Trennungsjahr letztmalig die Zusammenveranlagung beantragen. Die Urteilsgrundsätze dürften aber hier analog gelten.
ZWISCHENFAZIT | Wegen der positiven Rechtsprechung des BFH erfüllen Melanie und Peter für das komplette Jahr 2020 das Tatbestandsmerkmal „alleinerziehend“. Denn sie zogen erst im Dezember 2020 zusammen in eine gemeinsame Wohnung. Zuvor lebten sie getrennt voneinander mit ihren jeweiligen Kindern. Für das Jahr 2022 ist Melanie ab Mai ebenfalls alleinerziehend. Peter erfüllt diese Voraussetzung im Jahr 2022 hingegen nicht, da er mit einer anderen volljährigen Person eine Haushaltsgemeinschaft bildet (neue Partnerin). |
2.2 Haushaltszugehörigkeit des Kindes
Ein Kind gehört nach § 24b Abs. 1 S. 2 EStG zum Haushalt des Steuerpflichtigen, wenn es in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet, dauerhaft in dessen Wohnung lebt oder mit seiner Einwilligung vorübergehend (z. B. zu Ausbildungszwecken) auswärtig untergebracht ist (BMF 23.10.17, IV C 8 - S 2265-a/14/10005).
MERKE | Die Haushaltszugehörigkeit ist nach § 24b Abs. 1 S. 2 EStG selbst dann anzunehmen, wenn das Kind in der Wohnung des Steuerpflichtigen gemeldet ist, aber tatsächlich in einer eigenen Wohnung lebt. Diese Vermutung ist unwiderlegbar (BMF 23.10.17, a. a. O.; BFH 5.2.15, III R 9/13). |
Ist ein Kind annähernd gleichwertig in die beiden Haushalte seiner alleinstehenden Eltern aufgenommen, können die Eltern untereinander bestimmen, wem der Entlastungsbetrag zustehen soll ‒ es sei denn, einer der Berechtigten hat bei seiner Veranlagung oder durch Berücksichtigung der Steuerklasse II beim Lohnsteuerabzug den Entlastungsbetrag bereits beansprucht. Treffen die Eltern keine Zuordnung, steht der Entlastungsbetrag demjenigen zu, an den das Kindergeld ausgezahlt wird (BMF 23.10.17, a. a. O.).
2.3 Anspruch auf Kinderfreibetrag/Kindergeld
Für das zum Haushalt gehörende Kind muss dem Steuerpflichtigen ein Freibetrag für Kinder (§ 32 Abs. 6 EStG) oder Kindergeld (§ 63 EStG) zustehen. Damit kommt der Entlastungsbetrag nicht nur für minderjährige Kinder in Betracht, sondern auch für volljährige Kinder, die sich z. B. in einer Berufsausbildung befinden. Es genügt der reine Anspruch auf Kindergeld. Die Geltendmachung des Anspruchs ist nicht erforderlich.
2.4 Antrag und Angabe der Identifikationsnummer des Kindes
Der Entlastungsbetrag wird nur auf Antrag gewährt. Diesen Antrag stellt der Steuerpflichtige mit entsprechenden Eintragungen in der „Anlage Kind“. Hier ist auch die Identifikationsnummer des Kindes anzugeben.
PRAXISTIPP | Der Entlastungsbetrag wird bei Arbeitnehmern beim Lohnsteuerabzug automatisch im Rahmen der Steuerklasse II berücksichtigt. Dies gilt allerdings nur für den Grundentlastungsbetrag von jährlich 4.008 EUR. Der Zuschlag für weitere Kinder wird nur gewährt, wenn im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ein entsprechender Freibetrag beantragt wurde (§ 39a Abs. 1 Nr. 4a EStG). Vorteil: Der Steuerpflichtige erhält sofort Monat für Monat mehr Netto vom Brutto. |
2.5 Höhe des Entlastungsbetrags
Seit dem Jahr 2020 beträgt der Grundentlastungsbetrag für Alleinerziehende gemäß § 24b Abs. 2 EStG bei einem Kind pauschal 4.008 EUR pro Jahr (davor waren es 1.908 EUR). Dieser Betrag erhöht sich für jedes weitere Kind, für welches ebenfalls die Voraussetzungen des § 24b EStG erfüllt werden, um jeweils 240 EUR.
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Bis 2019 | Seit 2020 | |
mit einem Kind | 1.908 EUR | 4.008 EUR |
mit zwei Kindern | 2.148 EUR | 4.248 EUR |
mit drei Kindern | 2.388 EUR | 4.488 EUR |
Erfüllen Steuerpflichtige die Voraussetzungen des § 24b EStG nicht im kompletten Veranlagungszeitraum (VZ), geht der Entlastungsbetrag (wie bereits ausgeführt) nicht vollständig verloren. Es gilt das Prinzip der Zeitanteiligkeit: Für jeden vollen Monat, in dem die Voraussetzungen des § 24b EStG nicht vorgelegen haben, ermäßigt sich der Entlastungsbetrag um ein Zwölftel (§ 24b Abs. 4 EStG).
2.6 Lösung des praktischen Falls
Unter Berücksichtigung des Zwischenfazits (unter 2.1) stehen Melanie und Peter folgende Entlastungsbeträge zu:
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VZ | Steuerpflichtiger | Entlastungsbetrag |
2020 | Melanie | 4.248 EUR (4.008 EUR + 240 EUR) |
2020 | Peter | 4.008 EUR |
2022 | Melanie | 2.832 EUR (4.008 EUR + 240 EUR × 8/12) |
FAZIT | Vor der neuen BFH-Rechtsprechung hätten Melanie und Peter keinen Entlastungsbetrag erhalten. Nunmehr können sie insgesamt 11.088 EUR geltend machen. Sollte das FA den Entlastungsbetrag in vergleichbaren Fällen (noch) nicht gewähren, sollte mit Verweis auf die BFH-Rechtsprechung Einspruch erhoben werden. |