· Fachbeitrag · Der praktische Fall
Gängigkeitsabschläge auf das Vorratsvermögen in Handels- und Steuerbilanz
| Bei der Bilanzierung des Vorratsvermögens stellt sich häufig die Frage, ob pauschale Gängigkeitsabschläge vorgenommen werden können bzw. müssen. Einfache Antworten gibt es hier eher selten, zumal die handels- und steuerrechtliche Beurteilung oftmals voneinander abweicht. Der praktische Fall widmet sich diesem viel diskutierten Thema und geht dabei insbesondere auf das Reichweitenverfahren ein. |
1. Sachverhalt
Die A-GmbH vertreibt ein großes Sortiment an Gartenartikeln. Bei der Bewertung des Vorratsvermögens zum 31.12.14 wird am Beispiel der Produktlinie „Premium-Gartenstühle“ diskutiert, inwiefern Gängigkeitsabschläge handels- und steuerrechtlich zulässig sind, wenn diese durch ein Reichweitenverfahren ermittelt werden.
Am Bilanzstichtag hat die GmbH insgesamt 1.600 Premium-Gartenstühle in ihrem Bestand, die mit den ursprünglichen Anschaffungskosten i.H. von jeweils 80 EUR zu Buche stehen (vorläufiger Bilanzwert also 128.000 EUR). In 2014 hat die A-GmbH 500 Premium-Gartenstühle veräußert. Neue Stühle wurden nicht erworben. Der aktuelle Verkaufspreis beträgt 160 EUR, wobei der Gesellschafter-Geschäftsführer A keine Veranlassung sieht, diesen in naher Zukunft zu reduzieren.
2. Lösung
Zunächst werden die Gängigkeitsabschläge anhand des Reichweitenverfahrens vorgestellt. Im Anschluss wird die handels- und steuerrechtliche Zulässigkeit diskutiert.
2.1 Reichweitenverfahren
Das Reichweitenverfahren ist zur Ermittlung von Gängigkeitsabschlägen bei großen Stückzahlen das in der Praxis übliche Verfahren (vgl. auch Kemper, Beck und Konold, DStR 14, 1370). Bei diesem Verfahren wird der Lagerbestand am Bilanzstichtag zu den durchschnittlichen Lagerabgängen ins Verhältnis gesetzt. Der sich so ergebende wahrscheinliche Verbrauchszeitraum wird einer Reichweitenklasse zugeordnet. Für jede Reichweitenklasse wird ein Abschreibungsprozentsatz auf Basis der Erfahrungen der Vergangenheit ermittelt. Die Höhe der Abschreibungssätze hängt demzufolge von den individuellen Verhältnissen des Unternehmens ab und muss regelmäßig überprüft werden.
Beachten Sie | Zugänge der letzten Monate unterliegen regelmäßig keinem Abschlag durch das Reichweitenverfahren. Dasselbe gilt für Bestände, für die bereits eine Reservierung vorliegt.
| |
Bestand am Bilanzstichtag | 1.600 Stück |
Verbrauch des letzten Geschäftsjahrs | 500 Stück |
Lagerreichweite | 3,2 Jahre |
| ||
Reichweitenklasse | Lagerreichweite | Abwertungssatz |
I. | 0 bis 1 Jahr | 5 % |
II. | 1 bis 2 Jahre | 10 % |
III. | 2 bis 3 Jahre | 15 % |
IV. | 3 bis 4 Jahre | 20 % |
… | … | … |
| |
vorläufiger Bilanzwert | 128.000 EUR |
Gängigkeitsabschlag (20 %) | 25.600 EUR |
2.2 Handelsrechtliche Beurteilung
Vermögensgegenstände sind in der Handelsbilanz zunächst mit den Anschaffungs- und Herstellungskosten anzusetzen (§ 253 Abs. 1 HGB). Bei Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens sind gegebenenfalls Abschreibungen auf den niedrigeren Börsen- oder Marktpreis vorzunehmen. Ist kein Börsen- oder Marktpreis festzustellen, muss eine Abschreibung auf den beizulegenden Wert erfolgen, falls dieser unterhalb der ursprünglichen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten liegt (§ 253 Abs. 4 HGB).
Durch die Gängigkeitsabschläge sollen z.B. Überbestände erfasst werden, da davon auszugehen ist, dass ein vorsichtiger Kaufmann nur einen Bestand vorhält, den er in absehbarer Zeit auch veräußern kann. Der Überbestand verursacht Raumkosten, Kosten der Lagerverwaltung, Zinsaufwand und er enthält Risiken hinsichtlich der künftigen technisch-wirtschaftlichen Verwertbarkeit (vgl. insoweit Happe, BBK 14, 769).
Hinweis | Wenn die Ungängigkeit allerdings kein Anzeichen für eine Wertminderung ist, ist eine Abschreibung handelsrechtlich nicht möglich (z.B. Ersatzteile für hochpreisige Oldtimer).
Vorliegend bleibt festzuhalten, dass Gängigkeitsabschläge in der Handelsbilanz als pauschales Verfahren bei einer entsprechenden Vielzahl von Artikelgruppen anerkannt sind (vgl. u.a. Beck’scher Bilanzkommentar, § 253 HGB, Rz. 529). Vor dem Hintergrund des Vorsichtsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) und unter der Annahme einer zutreffenden Ermittlung der jeweiligen Abwertungssätze ist eine Abwertung der Premium-Gartenstühle handelsrechtlich zulässig.
2.3 Steuerliche Grundsätze
Steuerliche Grundlage für Gängigkeitsabschläge beim Vorratsvermögen ist § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG, wonach eine Teilwertabschreibung vorgenommen werden darf, wenn eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vorliegt (autonomes steuerliches Wahlrecht). Der Nachweis einer dauernden Wertminderung ist vom Steuerpflichtigen zu erbringen.
Da zu der praxisrelevanten Frage der Zulässigkeit von Gängigkeitsabschlägen - soweit ersichtlich - in letzter Zeit keine höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgte, muss auf die ältere Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Hier ist vor allem auf ein Urteil des BFH (24.2.94, IV R 18/92) zu Ersatzteilen im Kfz-Handel hinzuweisen, da dieser Entscheidung nach der Literaturmeinung (vgl. u.a. Seethaler, BB 97, 2575) Grundsatzcharakter zukommt. Danach kann die Einteilung in Gängigkeitsklassen im Einzelfall geeignet sein, Folgerungen für den Teilwert der Waren zu ziehen. Allerdings rechtfertigt allein eine lange Lagerdauer regelmäßig noch keine Teilwertabschreibung, solange die Waren zu den ursprünglichen oder gar zu erhöhten Preisen angeboten und verkauft werden.
Beachten Sie | Nach Ansicht des BFH sind Teilwertabschläge auf Warengruppen mit geringer Gängigkeit nur zulässig, wenn dargelegt oder sonst erkennbar ist, dass die Selbstkosten einschließlich der noch zu erwartenden Lagerkosten und eines durchschnittlichen Unternehmergewinns durch den zu erwartenden Erlös nicht mehr gedeckt sind.
Die OFD Frankfurt (17.7.97, S 2173 A) vertritt ebenfalls die Auffassung, dass Lagervorräte einer Wertberichtigung allein unter dem Gesichtspunkt der geringen Umschlagshäufigkeit nicht zugänglich sind. Eine Wertberichtigung kann grundsätzlich nur auf andere, den Teilwert mindernde Umstände, wie z.B. technische Überalterung, Beschädigungen u.Ä. gestützt werden.
Da die Verkaufspreise für die Premium-Gartenstühle nicht herabgesetzt werden sollen und eine lange Lagerdauer allein keine Teilwertabschreibung rechtfertigt, dürften Gängigkeitsabschläge für die Premium-Gartenstühle steuerlich eher kritisch zu sehen sein, zumal laut Sachverhalt keine weiteren Anhaltspunkte für eine dauernde Wertminderung vorliegen.
MERKE | Durch die Abwertung in der Handelsbilanz würde der handelsrechtliche Wertansatz somit vom steuerrechtlichen abweichen. Die A-GmbH könnte somit aktive latente Steuern nach Maßgabe des § 274 HGB ansetzen. |
Derzeit bleibt zu hoffen, dass der BFH bald Gelegenheit haben wird, sich erneut mit der Thematik der Gängigkeitsabschläge zu beschäftigen. Die Chancen, dass in absehbarer Zeit ein Verfahren bis zum BFH gelangt, stehen dabei nicht schlecht, da es in laufenden Betriebsprüfungen vermehrt zu intensiven Diskussionen zur Zulässigkeit von Gängigkeitsabschlägen im Rahmen von Reichweitenverfahren kommt (Kemper, Beck und Konold, DStR 14, 1370).